Wirtschaftsumfeld | Westbalkan | Lieferketten
Nearshoring im Westbalkan gewinnt an Bedeutung
Die Handelsbeziehungen der Bundesrepublik zum Westbalkan werden immer enger. Nearshoring und neue Lieferketten rücken die Region stärker in den Fokus.
01.10.2021
Von Martin Gaber | Belgrad
Bereits zum 7. Mal fand im September 2021 die Einkaufsinitiative Westbalkan statt. Dabei treffen deutsche Einkäufer auf Lieferanten aus den Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sowie den beiden Ländern der Europäischen Union (EU), Kroatien und Slowenien. Im Fokus der Initiative stehen die Bereiche Metallbau, Guss- und Schmiedeteile, Stanz- und Biegeteile, Spritzguss, Plastik und Elektronik, so der durchführende Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME).
Seit der ersten Austragung im Jahr 2015 haben über 2.500 B2B-Gespräche zwischen Einkäufern und Lieferanten stattgefunden. Seit 2020 findet die Initiative aufgrund der Coronapandemie virtuell statt. Das Interesse bleibt allerdings hoch. In diesem Jahr sind über 500 bilaterale Treffen angesetzt.
Die Einkaufsinitiative Westbalkan gehört zum branchenübergreifenden Markterschließungsprogramm für KMU des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi). Das Programm wird von Germany Trade & Invest zusammen mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und dem BMWi umgesetzt. Weitere Informationen zum Markterschließungsprogramm finden Sie hier. |
Bilateraler Handel nähert sich Vorkrisenniveau
"Schon lange bevor im Zuge der Coronapandemie über Nearshoring diskutiert wurde, hat die Einkaufsinitiative dazu beigetragen," so der stellvertretende Abteilungsleiter für Europapolitik im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Dr. Heinz Hetmeier, während der diesjährigen Eröffnung. Die Handelsbeziehungen zwischen dem westlichen Balkan und der Bundesrepublik entwickeln sich bereits seit einigen Jahren sehr dynamisch. So gehört die Region als Einheit mittlerweile zu den 35 wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Der Handelsaustausch hat dabei zwischen 2015 und 2019 um über 50 Prozent zugelegt.
Platz | Handelspartner | Außenhandelsumsatz in Milliarden Euro |
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1 | Volksrepublik China | 212,85 |
2 | Niederlande | 172,11 |
3 | Vereinigte Staaten | 171,51 |
4 | Frankreich | 147,29 |
5 | Polen | 123,28 |
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10 | Tschechische Republik | 83,18 |
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34 | Australien | 11,45 |
35 | Westbalkan | 11,25 |
36 | Griechenland | 10,99 |
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Lediglich die Coronapandemie konnte dem wachsenden Handelsaustausch der Bundesrepublik mit den sechs Westbalkanländern einen Dämpfer versetzen. So gab es im Jahr 2020 ein Minus von rund 7 Prozent, so Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In diesem Jahr könnte der bilaterale Handel wieder auf das Vorkrisenniveau klettern. In den ersten sieben Monaten liegt der Austausch mehr als ein Drittel über dem gleichen Zeitraum 2020.
Handelspartner | 2015 | 2016 | 2017 | 2018 | 2019 | 2020 | Jan. - Juli 2021 |
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Albanien | 273 | 392 | 371 | 374 | 405 | 402 | 263 |
Bosnien und Herzegowina | 1.405 | 1.450 | 1.577 | 1.712 | 1.661 | 1.558 | 1.067 |
Kosovo | 167 | 199 | 215 | 262 | 290 | 277 | 228 |
Montenegro | 96 | 148 | 121 | 144 | 139 | 130 | 78 |
Nordmazedonien | 2.686 | 3.014 | 3.515 | 4.105 | 4.465 | 3.818 | 2.901 |
Serbien | 3.385 | 3.774 | 4.219 | 4.675 | 5.160 | 5.060 | 3.569 |
Gesamt | 8.012 | 8.977 | 10.018 | 11.272 | 12.120 | 11.245 | 8.106 |
Westbalkan im Fokus deutscher Einkäufer
Gerade bei der Suche nach passenden Lieferanten bieten sich Sourcingchancen auf dem Westbalkan. "Wir stellen ein immer größeres Interesse für Sourcing auf dem Westbalkan fest," sagt Frank Aletter, Geschäftsführer der Deutsch-Serbischen Wirtschaftskammer bei der Eröffnung der Einkaufsinitiative. Dabei haben die Länder verschiedene Schwerpunkte für Zulieferungen. Für die Autozulieferindustrie stehen Serbien und Nordmazedonien im Fokus. Beide Länder sind bereits gut in die Lieferketten der deutschen Autoindustrie eingebunden - Tendenz weiter steigend. Das liegt vor allem an zahlreichen deutschen Investitionen in der Region. Große Zulieferbetriebe wie Continental, ZF, Brose, Bosch oder Dräxlmaier sind vor Ort.
Im Fokus stehen auch weitere Branchen: So bieten sich für die Bekleidungs- und Schuhindustrie Serbien, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien als wettbewerbsfähige Produktionsstandorte an. Die metallverarbeitende Industrie ist in Bosnien und Herzegowina und in Serbien gut ausgeprägt und für die Kunststoffverarbeitung kommt neben den beiden genannten noch Nordmazedonien hinzu.
Neben den klassischen Industrien gewinnt auch der Bereich Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) der für Zulieferungen an Bedeutung. Vor allem Softwareentwicklung. Hier ist auch der Kosovo ein attraktiver Standort an. Die junge, sprachbegabte, IKT-affine Bevölkerung arbeitet meist in kleinen Unternehmen an IKT-Projekten für Unternehmen aus der EU und den USA.
In Serbien gibt es zudem Beschaffungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft. In Teilbereichen gehört der Balkanstaat zu den führenden Agrarstandorten weltweit.
Germany Trade & Invest stellt in der Publikation "Im Fokus: Sourchingchancen auf dem Westbalkan" die spannendsten Lieferbranchen in der Region vor. Zudem finden Sie Informationen zum Zoll sowie zur Markterschließung. |
Eine Region vor der Haustür
Während der Coronakrise entbrannte eine Diskussion um Nearshoring, also eine Verkürzung von Lieferketten, sowie um die grundsätzliche Neugestaltung von Lieferketten. In dieser Diskussion rücken auch die sechs Länder des westlichen Balkans in den Fokus. Die Region ist innerhalb von 24 Stunden erreichbar und liegt für die deutsche Wirtschaft quasi vor der Haustür. Eine Studie des Wiener Instituts für internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) zeigt, dass es für Nearshoring in der Region - gerade für ausländische Direktinvestitionen - durchaus Potenzial gibt.
Dabei wird es aber weniger um eine Rückverlagerung von Produktionsstandorten aus Asien gehen, sondern eher um die Diversifizierung von Lieferketten. Eine Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unterstreicht das: Demnach planen fast 70 Prozent der befragten Unternehmen ihre Lieferketten zu diversifizieren, dabei aber vor allem nach neuen oder zusätzlichen Lieferanten zu suchen.
Initiativen als gute Gelegenheit für Erstkontakt
Neben der Einkaufsinitiative Westbalkan gibt es weitere Möglichkeiten, für Einkäufer und interessierte Unternehmen mit Lieferanten aus der Region in Kontakt zu treten. Dazu zählt auch das Procurement and Supply Forum Central and Eastern Europe. Die Initiative wird vom BME durchgeführt und ist der Einkaufsinitiative Westbalkan ähnlich, allerdings mit einem erweiterten Länderfokus.
Neu ist die Möglichkeit, sich auf einer virtuellen Messe mit potenziellen Lieferanten aus der Industrie zu vernetzen. Beim Industrial Suppliers Forum der Auslandshandelskammern ist das seit 2020 möglich. Für deutsche Unternehmen ist die Teilnahme kostenlos. Zudem bieten die deutschen Auslandshandelskammern der Region Dienstleistungen zur Lieferantensuche an.
Ansprechpartner
Organisation | Anmerkungen |
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Deutsche Auslandshandelskammer in Belgrad | |
Deutsche Auslandshandelskammer in Skopje | |
Delegation der Deutschen Wirtschaft in Bosnien und Herzegowina | Deutsche Auslandshandelskammer in Sarajevo |
Bilaterale Wirtschaftsvereinigung in Pristina | |
Bilaterale Wirtschaftsvereinigung in Tirana | |
Bilaterale Wirtschaftsvereinigung in Podgorica | |
Wirtschaftsinformationen zum Westbalkan | |
Durchführer der Einkaufsinitiative Westbalkan |