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Rechtsbericht | Islamische Staaten | Rechtsordnung

Islamisches Recht und die Scharia (II)

Die Scharia ist kein kodifiziertes Gesetzbuch. Wie beeinflusst sie das Vertrags- und Wirtschaftsrecht, das Verwaltungsrecht oder die Rechtsverfolgung? (Bericht in zwei Teilen; Teil I).

Von Jakob Kemmer | Bonn

Verfassungs- und Verwaltungsrecht

Staatsoberhäupter von Staaten mit islamischem Recht leiten ihre weltlich-rechtliche sowie ihre geistlich-religiöse Legitimität vom Propheten Mohammed ab. Das Verhältnis zwischen Staatswesen und Gesellschaft und auch das Verhältnis zwischen Staat und Religion wurde noch nicht in ausreichendem Maße wissenschaftlich diskutiert. Es besteht daher ebenso noch kein klassisches islamisches Verwaltungsrecht. Problematisch ist dies beispielsweise im Steuerrecht, dort herrschte lange Zeit große Willkür. Muslime trifft oftmals nur die obligatorische Almosensteuer „Zakat“ in Höhe von 2,5 Prozent. Vor allem in den Golfstaaten sind eigene Staatangehörige komplett von der Steuerpflicht befreit.

Vertrags- und Wirtschaftsrecht

Das islamische Vertrags- und Wirtschaftsrecht ist bis heute nur in einzelnen Ländern kodifiziert worden. Das liegt vor allem daran, dass Koran und Sunna nur sehr eingeschränkt als Grundlage herangezogen werden können, da sie kaum Aussagen dazu treffen. Vielmehr dienten bereits vorhandene, oftmals aus dem römischen Recht stammende Texte als Basis. Diese wurde dann in einen islamisch-rechtlichen Kontext eingeordnet. Das ägyptische Zivilgesetzbuch von 1948 beispielsweise gilt als eines der wichtigsten islamischen Gesetzeswerke. Es ist eine Synthese aus europäischer und islamischer Rechtstradition. Allerdings werden gerade im Wirtschaftsrecht islamischer Länder schrittweise immer mehr neue Rechtsmaterien kodifiziert, wie z.B. das Investitionsrecht.

Im Vertragsrecht jedoch fehlt oftmals noch eine ausreichende Kodifikation. Das bringt mehrere wichtige Konsequenzen für den Vertragsschluss. Es ist dann ein Rückgriff auf die Prinzipien der Scharia angezeigt. Diese kennt auch den Grundsatz der Vertragsfreiheit und den Ausspruch „Der Vertrag ist das Gesetz der Parteien“. Das bedeutet, man sollte einen Vertrag so ausdrücklich und hinreichend bestimmt wie möglich sowie schriftlich schließen.

Durch die Geltung der Scharia gibt es im Vertragsrecht noch einige weitere Ausnahmen und Besonderheiten zu beachten. So sind insbesondere Zinsen, Verzugszinsen und Vertragsstrafen verboten und nicht vollstreckbar.

Auch darf der Vertragsgegenstand beispielsweise nicht „haram“ sein, d.h. verboten. Das gilt vor allem für Schweinefleisch und Alkohol. Auch ist es nicht möglich eine aufschiebende Bedingung in einen Vertrag aufzunehmen, da das Scharia-Recht jegliche Unsicherheit verbietet. Es dürfen auch nicht mehrere Vertragstypen zu einem verbundenen Vertrag gemischt werden.

Nach „Scharia-Recht“ gehen Eigentum und Preisgefahr mit Abschluss des Kaufvertrags gemeinsam über. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) werden in Verträgen nur als zulässig und verbindlich betrachtet, wenn diese selbst „Scharia-konform“ sind und isoliert per Unterschrift akzeptiert wurden. Die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts oder einer Sicherungsabtretung als eigenständiger Vertragsbestandteil oder als Teil der AGB ist nach der Scharia ebenfalls ausgeschlossen.

Grundsätzlich gilt im islamischen Vertragsrecht aber immer der Rechtssatz: Es ist alles erlaubt, was nicht verboten ist.

Rechtsverfolgung

Die Durchsetzung von Ansprüchen und die Eintreibung von Forderungen sind in Staaten mit islamischem Recht mitunter sehr aufwändig und teuer, da die Kosten des eigenen Anwalts in der Regel selbst zu tragen sind. Aufgrund der Länge des Verfahrens sind diese meist sehr hoch.

Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile sind unter Geltung der Scharia theoretisch möglich. Erforderlich ist allerdings die Verbürgung der Gegenseitigkeit, die im Verhältnis zu Deutschland in vielen arabischen Staaten leider noch fehlt.

Etwas einfacher gestaltet sich die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, denn viele Staaten mit „Scharia-Recht“ sind bereits Mitglied der New Yorker UN-Schiedskonvention aus dem Jahr 1958. Allerdings setzt der Ordre-public-Vorbehalt in Art. V Abs. 2 des Abkommens einer Vollstreckung von Schiedssprüchen Grenzen, die nicht “Scharia-konform“ sind.

Menschen- und Frauenrechte

Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan tauchen viele Fragen in Bezug auf das islamische Menschenrechtsverständnis im Allgemeinen und nach der rechtlichen Stellung der Frau im Islam im Besondern auf.  

Die Rolle der Frau im islamischen Recht ist in großem Maße von den Vorgaben der Scharia zum Ehe- und Familienrecht geprägt. Danach besitzen Mann und Frau zwar die gleiche Würde, allerdings unter dem Vorbehalt einer sehr patriarchalischen Rollenverteilung. Nur sehr langsam erfolgen in manchen Ländern unter Geltung der Scharia Reformen zugunsten von Frauen. Mittlerweile gibt es vielerorts ein aktives und passives Wahlrecht für Frauen, sie werden teilweise auch zu Staatsämtern zugelassen oder erhalten eine Reisemöglichkeit ohne Zustimmung ihres Mannes.

In einigen islamischen Ländern gab es in letzter Zeit gesetzliche Veränderungen im Familienrecht, die eine Besserstellung der Frau erreichen sollen. Beispielsweise wurde das Mindestheiratsalter für Frauen in vielen arabischen Staaten heraufgesetzt. Zum Zwecke der Kontrolle werden nun auch mehr Eheschließungen staatlich registriert. Sonst reichte grundsätzlich ein nicht öffentlicher Vertragsschluss zwischen zwei Familien dafür aus. Eine Beschränkung der Polygamie ist mancherorts nun durch das Erfordernis einer richterlichen Genehmigung einer Zweit-Ehe erfolgt. Ebenfalls gestärkt wird die rechtliche Stellung der Frau durch die Auflage eines Versöhnungsversuches vor einer gerichtlichen Scheidung. Zuvor reichte im traditionellen islamischen Scheidungsverfahren das formlose dreimalige Aussprechen der Scheidungsformel “Ich verstoße dich” (talaq) durch den Ehemann.

In sehr konservativen Interpretationen des Islam herrscht auch nach wie vor ein Verbot für Frauen, eine Schule oder Universität zu besuchen.

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