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Äthiopien treibt Privatisierung der Zuckerindustrie voran
Äthiopien startet einen neuen Anlauf zur Privatisierung der Zuckerindustrie. Mehrere Firmen müssten investieren, unter den Interessenten soll auch ein großer Softdrinkkonzern sein.
07.06.2022
Von Ulrich Binkert | Addis Abeba
Mit Gründung der Ethiopian Sugar Industry Group (ESIG) im März 2022 will Äthiopiens Regierung die lahmende staatliche Zuckerindustrie endlich in Gang bringen. Das neue Unternehmen, das die Ethiopian Sugar Corporation ersetzt, soll bestehenden Raffinerien managen und den teils liegengebliebenen Bau neuer Fabriken vorantreiben. Der Staat erhofft sich, dass die ESIG besseren Zugang zu Krediten erhält, etwa für den Kauf von Maschinen und Ersatzteilen.
Baldige Einladung an Investoren erwartet
Die größeren Hoffnungen liegen allerdings, nach langem Missmanagement im Sektor, weiterhin auf der Privatisierung der Betriebe. Dafür sollen noch im Juni Einladungen an interessierte Unternehmen herausgehen (Request for Proposal), sagt Birhanu Jijo von der Firma Agripol. Der äthiopische Consultant bereitet den Prozess zusammen mit der britischen Booker Tate vor – im Auftrag der Beratungsfirma EY, die hierfür im Jahr 2021 ein Mandat erhalten hatte. Eine Liste von Kandidaten könnte demnach bis September 2022 vorliegen. Interesse an Finanzierungen im Privatisierungsprozess hat nach anderen Brancheninformationen möglicherweise die niederländische Entwicklungsbank FMO.
Eine Investition könnte Illovo ins Auge fassen. Der südafrikanische Zuckerkonzern will seine Produktion dem Vernehmen nach internationalisieren, weil die heimische Erzeugung wegen der unmittelbaren Nähe zum Krüger-Nationalpark auf Gegenwind stoße. Beobachter wollen auch ein ernsthaftes Interesse von Coca-Cola festgestellt haben. Der in Äthiopien gut etablierte Brausekonzern dürfte auf einem Berg lokaler Währung sitzen, die sich wegen der strengen Devisenbewirtschaftung nur begrenzt in US-Dollar umtauschen lässt.
Interesse von Multis und Firmen aus der Region
Auch für West Kenya gelten Assets in Äthiopien als Option. Der Marktführer im Nachbarland produziert seinen Zucker weitgehend auf Basis von Regenfeldbau und könnte an der höheren Produktivität des Anbaus in Äthiopien interessiert sein. Nigerias Dangote-Konglomerat hingegen, das in der Vergangenheit ebenfalls als möglicher Investor genannt worden war, zeigt offenbar wenig Initiative. Positive Signale soll es aus Indien geben, nicht jedoch aus Brasilien, der Zucker-Großmacht im Westen.
Von Äthiopiens 14 Zuckerrohrfabriken oder -projekten will die Regierung acht privatisieren. Am attraktivsten davon sind nach Einschätzung von Agripol das bereits produzierende Werk Tana Beles 1 und das Projekt Omo Kuraz 3. Allerdings hat Äthiopien noch immer keinen staatlichen "Sugar Act" verabschiedet. Das Gesetz befinde sich in der "Warteschlange" des Parlaments. Umweltstudien für alle acht Privatisierungsvorhaben lägen vor und würden teilweise gerade aktualisiert.
Fabrik / Projekt | Verarbeitungskapazität (tcd) 1) | Stand 2) | Anmerkungen |
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In Betrieb | |||
Fincha | k.A. | Betrieb baut Zuckerrohr zu 100 % selbst an; Jahres-Erzeugungskapazität: 270.000 t Zucker | |
Wonji Shoa | 6.250 | Betrieb baut Zuckerrohr zu 40 % selbst an, der Rest kommt von Externen | |
Metahara | k.A. | Betrieb baut Zuckerrohr zu 100 % selbst an; Jahres-Erzeugungskapazität: 130.000 t Zucker | |
Kessem | 6.000 | P | Fabrik ist betriebsbereit, aber nur zu einem Drittel ausgelastet; bewirtschaftet selbst 3.000 ha Zuckerrohr, braucht aber 10.000; fehlende Fläche müsste noch von Büschen befreit werden |
Tendaho | 13.000 | P | Fabrik ist fertig und Probebetrieb durchgeführt, aber es gibt Probleme bei Verarbeitung. Deswegen verrottete ein Großteil des Zuckerrohrs, das auf 20.000 ha dafür produziert wurde; die Fläche müsste jetzt neu entwickelt werden. Option: Raffinierung von braunem Importzucker aus dem nahegelegenen Hafen Dschibuti |
Arjo Didessa | 8.000 | P | Fabrik läuft, aber wegen fehlendem Zuckerrohr mit höchstens einem Zehntel der Kapazität: Anbau (3.000 ha) regenbasiert und deshalb unproduktiver; Behörden müssten für eine Bewässerung Damm und Hauptkanal fertigstellen; Investor müsste 10.000 ha Anbaufläche entwickeln; 2021 bestanden Sicherheitsprobleme |
Tana Beles 1 | 12.000 | P | in Betrieb seit Juni 2021; von Metec gebaut und Camce (China) fertiggestellt; derzeit 3.000 ha in Bewässerung |
Nicht in Betrieb | |||
Omo Kuraz 1 | 12.000 | P | von Staatskonzern Metec erbaute Fabrik, nicht betriebsbereit; Agripol sieht Investitionsbedarf von 56 Mio. US$, eine beauftragte chinesische Firma hatte 90 Mio. US$ veranschlagt; 25.000 ha Anbau geplant, 4.000 ha sind schon bewässert |
Omo Kuraz 2 | 12.000 | P | Fabrik von Chinesen fertig gebaut, betriebsbereit; 25.000 ha Anbau geplant, 3.000 ha sind schon bewässert |
Omo Kuraz 3 | 12.000 | P | Fabrik von Complant (China) fertig gebaut, betriebsbereit; 25.000 ha Anbau geplant, 4.000 ha sind schon bewässert |
Omo Kuraz 5 | 24.000 | P | bisher stehen nur die Fundamente, zwei Drittel der Ausrüstungen schon vor Ort; 50.000 ha Anbau geplant, es ist noch nichts bewässert |
Tana Beles 2 | 12.000 | vorhanden ist weder eine Fabrik noch entwickeltes Land dafür | |
Tana Beles 3 | k.A. | Projekt nicht begonnen | |
Welkayit | 24.000 | Projektstopp wegen Lage in Konfliktregion Tigray; Netafim (Israel) installierte dort auf 8.000 ha Tropfbewässerung (drip irrigation) |
Mit Blick auf den Zuckerrohranbau gelten die Omo-Kuraz-Projekte als besonders attraktiv. Die dort anvisierten Anbauflächen erreichen zusammen 125.000 Hektar, das ist so groß wie das halbe Saarland. Das Omo Valley im Südwesten nahe der Grenze zu Südsudan ist laut Agripol sehr fruchtbar und verfüge über genügend Wasser. Konflikte mit der ansässigen Bevölkerung seien nicht zu erwarten. Es gebe kaum Siedlungen und Landwirtschaft in der Gegend, die lediglich extensiv als Weideland genutzt werde. Das frühere Projekt Omo Kuraz 4 wurde von der Regierung gestoppt, Hauptgrund war wohl die Lage in einem Wildpark.
Außerhalb des staatlichen Sektors bewegt sich die unlängst gegründete Ethio-Sugar Manufacturing Industries. Die Firma sicherte sich, ebenfalls im Omo Valley, 10.000 Hektar Land für den Zuckerrohranbau. Weniger als ein Zehntel davon soll sie derzeit nutzen, und zwar für den Anbau von Cash Crops. Weil für den Zuckerrohranbau noch keine (Bewässerungs-)Infrastruktur steht, müsste sie geschätzt 300 Millionen US-Dollar in die Entwicklung des Projektes investieren.
Zuckernachfrage übertrifft Produktion
Verlässliche Zahlen zum Zuckermarkt in Äthiopien sind rar. Klar ist jedoch, dass die Nachfrage deutlich größer ist als die Produktion. Der Verbrauch erreichte nach – ungesicherten – Zahlen von 2019 jährlich rund 700.000 Tonnen. Er dürfte angesichts der Verwestlichung der Ernährungsgewohnheiten rasch zunehmen; geschätzt konsumiert heute jeder Mensch in Äthiopien nur ein Drittel so viel Zucker wie anderswo südlich der Sahara. Die Produktion, die lange um die 300.000 Tonnen pro Jahr schwankte, schätzt Agripol für das Jahr 2022 auf unter 200.000 Tonnen, hauptsächlich durch Missmanagement bedingt.
Dabei werfen die überwiegend bewässerten Zuckerrohrfelder in Äthiopien mehr Ertrag ab als anderswo. Möglich sind im Schnitt laut Agripol 170 Tonnen pro Hektar und Ernte, mit Ernten – je nach Anbaugebiet – alle 13 bis 18 Monate. In Kenia erziele der regenbasierte Anbau nur 40 Tonnen pro Hektar und Ernte. Wegen der Probleme im Sektor erzeuge Äthiopien de facto allerdings auch nur gut 60 Tonnen.
Die Zuckerprojekte funktionieren in der Regel nur, wenn das Zuckerrohr wegen der Transportkosten nicht weiter als 30 Kilometer im Umkreis der Fabrik angebaut wird. Probleme gibt es sowohl beim Anbau des Zuckerrohrs als auch bei dessen Verarbeitung. Besser funktionieren laut Agripol tendenziell jene Projekte, die neben der Verarbeitung auch selbst das Zuckerrohr erzeugen (nucleus farming). Der Gesamtbetrieb lasse sich so besser abstimmen. Für die Bewässerungsinfrastruktur (Dämme, Kanäle) sorge der Staat. Rüben werden in Äthiopien nicht verarbeitet.
Französische Technikanbieter hatten mit Messe Erfolg
Beim erhofften Ausbau der Anlagen wird noch einiges an Technik benötigt. Diffuseure zur Extraktion des Zuckerrohrs gehören nach Einschätzung von Birhanu Jijo jedoch nicht dazu, Bedarf hierfür bestehe höchstens zum Ersatz alter Anlagen. Ein gutes Vehikel für den Vertrieb von Branchentechnik in Äthiopien sind nach Einschätzung des Experten Messen in Europa. Französische Anbieter hätten nach dem Jahr 2000 gute Geschäfte gemacht – nachdem die französische Regierung potenzielle Kunden aus Äthiopien und anderen Ländern Afrikas zur Agrarmesse SIMA in Paris eingeladen und umfassend betreut hätte.