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Argentiniens Bausektor steckt in der Krise
Die tiefe Rezession, die das Land durchleidet, hat auch die Baubranche erfasst. Öffentliche Baustopps und hohe Baukosten für Private lassen keine schnelle Erholung erwarten.
08.10.2024
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Der argentinischen Baubranche geht es schlecht. In den ersten sieben Monaten 2024 verringerten sich die Bauaktivitäten gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 30,9 Prozent, so die jüngsten Zahlen des Statistikamts INDEC. Dabei war schon das Vorjahr schwach. Der Einbruch schlägt auch auf den Arbeitsmarkt durch: Im Juni 2024 beschäftigten die privaten Branchenunternehmen 19 Prozent weniger Mitarbeitende als im Juni 2023. Und weder vom öffentlichen noch vom privaten Sektor sind kurzfristig größere Impulse zu erwarten.
Öffentliche Bauaufträge darben
Auf nationaler Ebene ließ der seit Ende 2023 amtierende Präsident Javier Milei, soweit möglich, alle öffentlichen Bauaufträge stoppen. Sein Argument: "No hay plata." ("Es ist kein Geld da.") Bei Vorlage seines Haushaltsplans für das Jahr 2025 kündigte er im September 2024 an, an seinem Prinzip des ausgeglichenen Haushalts festzuhalten. Bei sinkenden Staatseinnahmen wolle er die Ausgaben weiter kürzen, bei steigenden die Steuern senken. Neue Bauvorhaben stehen nicht auf der Prioritätenliste.
Vom Baustopp verschont wurden lediglich Projekte, die bereits zu 80 Prozent fertiggestellt waren. Weitergeführt werden in der Regel auch die – kleineren – Aufträge auf Provinzebene, bei Mischfinanzierungen mit nationalem Anteil jedoch wesentlich gebremst. Denn diese müssen nun mit dem Budget der Provinzregierungen auskommen.
Private Bauaufträge scheitern an stark gestiegenen Baukosten
Auch im privaten Wohnungsbau sieht es mau aus. In der Vergangenheit hatte die Branche davon profitiert, dass Immobilien in dem seit Jahren krisengeschüttelten Land – neben dem Kauf von US-Dollar (US$) – als sichere Geldanlage galten. Doch mit dem enormen Anstieg der Baukosten lohnen sich Neuimmobilien nicht mehr, zumal sich das Gros der Argentinier einen Hausbau schon aufgrund der real stark gestiegenen Lebenshaltungskosten aktuell nicht leisten kann.
Die Zeitung La Nación berichtet von noch höheren Preissteigerungen. Demnach kostete der Bau eines Privathauses in argentinischen Peso im Juni 2024 das Vierfache wie ein Jahr zuvor. Gerechnet in US$ ergab sich ein Plus von 70 Prozent.
Zwar sind die Kostensteigerungen für Baumaterial und Arbeit rückläufig, seit Mileis harter Sparkurs die Inflation nach unten drückt. Diese lag im August 2024 im Vergleich zum Vormonat Juli nur noch bei für Argentinien sensationell niedrigen 4,2 Prozent (bis Jahresende werden 3 Prozent monatlich erwartet). Doch nach wie vor sind die Zahlen enorm: Von Januar bis August 2024 ergibt sich ein Plus von 94,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum; gegenüber August 2023 waren es sogar 237 Prozent. Entsprechend werden die Baukosten weiter anziehen, wenn auch nicht mehr so stark.
Baugenehmigungen rückläufig – aber Besserung in Sicht
Folgerichtig sind die Baugenehmigungen im privaten Hochbau stark rückläufig: Für Juni 2024 meldet INDEC eine Zahl von 829.205 Quadratmetern, 22,2 Prozent weniger als im Juni 2023. Verschärft werde die Situation dadurch, dass sich in den letzten Jahren ein großer Bestand an unverkauften Wohnungen angesammelt habe, der jetzt erst einmal abverkauft würde, so Heredia.
Angesichts dieses Szenarios wundert es nicht, dass fast zwei Drittel der Baufirmen glauben, die Situation bliebe kurzfristig unverändert. Besonders miserabel ist die Stimmung bei Firmen, die überwiegend für den öffentlichen Sektor arbeiten. Dies ergab die INDEC-Branchenbefragung vom Juli 2024.
Wachsend | Sinkend | Unverändert | ||
---|---|---|---|---|
Unternehmen mit Kunden überwiegend im Privatsektor | 21,8 (15,2) | 16,4 (21,7) | 61,8 (63,1) | |
Unternehmen mit Kunden überwiegend im öffentlichen Sektor | 17,3 (17,0) | 34,5 (28,0) | 48,2 (55,0) |
Allerdings deutet sich Besserung an, denn erstmals seit Langem geben die Banken wieder Hypothekenkredite aus.
Geringere Bauaktivitäten schlagen auf die Baustoffbranche durch
Weniger Bauaktivitäten bedeuten weniger Verbrauch von Baustoffen: Alle untersuchten Produkte entwickelten sich 2024 rückläufig, so INDEC. Besonders dramatisch waren die Einbrüche bei Asphalt und Rundeisen/Baustählen – Produkte, die in großen Mengen vor allem bei öffentlichen Bauaufträgen wie Straßen oder Brücken gebraucht werden.
Das zeigt auch der Construya-Index des Firmenverbands Grupo Construya vom August 2024: ein Minus von saisonbereinigt 4,3 Prozent gegenüber dem Vormonat und 20,3 Prozent gegenüber August 2023. Der Index misst die Entwicklung der an den privaten Sektor verkauften Mengen an Produkten wie Zement, Kalk, Farben, Sanitäranlagen oder Heizungssystemen. Neben der rückläufigen Bauaktivität spielt hier ein weiterer Aspekt eine Rolle: Gerade im privaten Bereich werden Baumaterialien für spätere Baumaßnahmen auf Vorrat gekauft, um sich vor der Inflation zu schützen. Mit der sinkenden Inflation verliert dieser Faktor an Bedeutung.
Baustoff | Veränderung |
---|---|
Sanitärkeramik | -39,4 |
Keramikfliesen und -kacheln | -35,0 |
Rundeisen und Baustähle | -46,3 |
Asphalt | -56,2 |
Fertigbeton | -37,9 |
Portlandzement | -28,5 |
Sonstiges (wie Armaturen, nahtlose Stahlrohre, Flachglas) | -22,5 |
Gips | -30,5 |
Gipsplatten | -30,3 |
Bauanstriche und -farben | -9,1 |
Manche Baustoffhersteller können die Absatzeinbrüche über vermehrte Exporte kompensieren oder dadurch abfedern, dass sie auf Lager produzieren. Aber das gelingt nur den international wettbewerbsfähigen. Viele in der Branche haben – auch aufgrund der schwierigen Importbedingungen – in der Vergangenheit nur wenig in effiziente Maschinen investiert. Jetzt könnte mancher in Schieflage geraten, angesichts der schlechten Marktlage in Kombination mit zunehmender Konkurrenz aus dem Ausland aufgrund der sich öffnenden Märkte.
Die Finanzkräftigeren nutzen jedoch die Gunst der Stunde, sich via Neuinvestitionen besser aufzustellen. So hat Alberdi, der lokale Marktführer für Fliesen, gerade eine 50-Millionen-US$-Fabrik in Betrieb genommen und plant weitere Investitionen; auch andere Firmen aus dem Keramikbereich wie San Lorenzo oder Ilva haben Modernisierungspläne, so ein Branchenvertreter.
Lernprozess in Richtung energieeffizienter Bau
Energieeffizientes Bauen könnte ein neuer Trend werden. Aktuell werden die Subventionen auf Strom und Gas schrittweise aufgehoben. Auf lange Sicht dürfte dies den Absatz von energiesparenden Produkten ankurbeln. Noch haben die Menschen allerdings andere Sorgen, als etwa über den Kauf von dreifach verglasten Fenstern nachzudenken.
Bei Wasser spielt Effizienz dagegen noch keine Rolle. Wasseruhren sind in Argentinien quasi unbekannt. Die Wasserrechnung richtet sich allein nach der Quadratmetergröße einer Wohnung.