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Wirtschaftsumfeld | Argentinien

Ein Minimalkonsens für Stabilität in Argentinien

Argentinien und der Internationale Währungsfonds einigen sich über einen langfristigen Kredit. Das Abkommen könnte den Blick auf langfristige Chancen im Land frei machen.

Von Carl Moses | Buenos Aires

Nach zwei Jahren mühsamer Verhandlungen ist das neue Abkommen zwischen Argentinien und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) endlich auf der Zielgeraden. Die Refinanzierung von 45 Milliarden US-Dollar (US$) Schulden und die Vermeidung eines Zahlungsausfalls gegenüber dem IWF scheint damit gesichert. Vorerst jedenfalls. Denn im argentinischen Kongress, der jeden neuen IWF-Kredit genehmigen muss, konnte lediglich ein Minimalkonsens gefunden werden.

Klare Mehrheit, aber kein Konsens

Eine klare Mehrheit stimmte im Abgeordnetenhaus zwar dafür, das neue Geld des IWF anzunehmen, um die alten Schulden gegenüber dem Fonds zurückzahlen zu können. Doch die meisten Stimmen für die Genehmigung der Kreditaufnahme kamen aus der Opposition. Die Regierungskoalition der "Front Aller" (FdT) ist dagegen tief gespalten. Der Block um die ehemalige Staatschefin und amtierende Vizepräsidentin Cristina Kirchner und ihren Sohn Máximo stimmte gegen den IWF-Kredit, ebenso wie die Oppositionsparteien am linken und rechten Rand des politischen Spektrums.

Um die Zustimmung der gemäßigten Opposition zu der Kreditaufnahme zu ermöglichen, musste das Wirtschaftsprogramm der Regierung komplett aus dem Genehmigungsgesetz herausgetrennt werden. Dabei hatte Wirtschaftsminister Marín Guzmán dem IWF das Programm während der Verhandlungen zugesagt. Der vom IWF erbetene und angestrebte breite politische Konsens über die Wirtschaftspolitik konnte somit nicht erreicht werden. Obwohl Ökonomen die Auflagen des IWF als überraschend lax einstufen, rechnen viele Beobachter nicht damit, dass die vereinbarten Ziele für den schrittweisen Abbau des Staatsdefizits und dessen Finanzierung durch Überweisungen der Zentralbank erreicht werden können. Der Fonds gewährte sogar zusätzliche Mittel von 4,5 Milliarden US$, um Argentiniens Staatshaushalt und die Devisenreserven zu stärken.

Weitere Konflikte vorprogrammiert

Alle drei Monate, wenn der IWF die Zielerfüllung überprüft, könnte es darum zu neuen innenpolitischen Auseinandersetzungen kommen. Die Zielerfüllung ist Voraussetzung für die Auszahlung neuer Kredittranchen. Spätestens im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen im Oktober 2023 dürften sich die Konflikte zuspitzen.

Keine Strukturreformen geplant

Bis zum Beginn der Kampagnen für die Vorwahlen bleibt kaum mehr als ein Jahr, um Argentiniens Wirtschaft auf Stabilitätskurs zu bringen. Grundlegende Reformen, etwa des Arbeitsrechts oder der Rentenversicherung, stehen gar nicht erst auf dem Programm, wie Präsident Alberto Fernández nach der Einigung mit dem IWF ausdrücklich betonte. Einen großen Wurf für Argentiniens Zukunft sieht in dem Abkommen darum niemand.

Auch über die Schulden wird spätestens in ein paar Jahren abermals neu verhandelt werden müssen. Die Prämien für Kreditausfallversicherungen (CDS) für argentinische Staatsanleihen signalisieren, dass die Marktteilnehmer mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 90 Prozent eine neue Staatspleite innerhalb der nächsten fünf Jahre erwarten.

Konjunktur erholt sich vom Coronaeinbruch 

Doch wenigstens fürs Erste könnte der IWF-Deal die Voraussetzung schaffen, eine noch schwerere wirtschaftliche und soziale Krise in Argentinien zu vermeiden. Gemäß dem von der Zentralbank ermittelten Konsens der Wirtschaftsexperten wird für 2022 eine reale Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3 Prozent erwartet. Der Einbruch während des langen Corona-Lockdowns 2020 wurde bereits 2021 durch ein BIP-Wachstum um 10 Prozent ausgeglichen. Besonders kräftig erholten sich die verarbeitende Industrie und das Baugewerbe. 

Der weiteren Erholung sind jedoch enge Grenzen gesetzt. Eine Konjunkturflaute beim wichtigsten Handelspartner Brasilien dämpft die Exportchancen der argentinischen Industrie. Auch nach Abschluss des IWF-Abkommens bleiben Devisen knapp und die Risikoaufschläge in Anleihe- und Kreditzinsen für Argentinien prohibitiv hoch.

Die kriegerische Zuspitzung des Russland-Ukraine-Konflikts betrifft Argentinien vornehmlich durch die Explosion der Rohstoffpreise. Während Argentiniens Landwirtschaft von den hohen Agrarpreisen profitiert, könnte der Anstieg der Öl- und Gasrechnung vor allem für den Finanzminister zum Problem werden. Der mit dem IWF vereinbarte Abbau der Energiesubventionen wird dadurch noch schwerer. Argentinien dürfte nun alles daran setzen, die Förderung seiner riesigen Schiefergasreserven hochzufahren. Ein entsprechendes Förderregime für Investitionen ist offenbar in Vorbereitung.

Argentinien bietet Chancen für neue Partnerschaft

Für Deutschland und deutsche Unternehmen bleibt Argentinien trotz der politisch, wirtschaftlich und sozial fragilen Lage ein wichtiger Partner, gerade auf lange Sicht. Nach dem Abschluss des IWF-Abkommens können die strukturellen Schwerpunkte der bilateralen Zusammenarbeit wieder in den Vordergrund rücken, etwa die Unterstützung der digitalen Transformation in Argentinien, die Kooperation bei Bildung und Wissenschaft und vor allem die gemeinsame Bewältigung der globalen Energiewende.

Gerade nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine könnte Argentinien als Energiepartner für Deutschland und Europa an Bedeutung gewinnen. Kaum sonst wo in der Welt wird grüner Wasserstoff in Zukunft so kostengünstig produziert werden können wie in Argentinien und anderen Ländern Südamerikas. Ein geplantes Gesetz zur Förderung der Wasserstoffindustrie steht laut Ankündigung von Präsident Fernández auf der Prioritätenliste der Regierung.

Auch die Aussichten für die Vollendung und Inkraftsetzung des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur könnten sich durch den Krieg in der Ukraine verbessern. Die Welt ordnet sich gerade neu. In Deutschland und Europa kommt in dieser viel beschworenen "Zeitenwende" sehr vieles in Bewegung. Das könnte auch dem Ratifizierungsprozess für das Mercosur-Abkommen neuen Schwung geben.

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