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Bulgarien will neuer Erdgas-Hub werden
Ein Lieferstopp von russischem Erdgas gefährdet zunächst Bulgariens Energiesicherheit. Er beschleunigt aber künftig die Entwicklung des regionalen Gasmarktes.
15.05.2022
Von Dominik Vorhölter | Sofia
Bulgarien hat eine südosteuropäische Einkaufsinitiative für Erdgas ins Leben gerufen. Bei einem Energieforum, das am 5. Mai 2022 in Sofia stattfand, beschlossen die Regierungsvertreter von Aserbaidschan, Bulgarien, Griechenland, Italien, Nordmazedonien, Rumänien, Serbien und der Ukraine, bei der Versorgung mit Erdgas künftig enger zusammenzuarbeiten. Ziel ist, die Energiesicherheit im eigenen Land und auch in der Region zu stärken.
Kurz vor dem Gipfeltreffen der Energieminister in Sofia hat sich gezeigt, wie wichtig eine Umstellung der bulgarischen Gaslieferungen von russischem Gas auf andere Quellen ist. Russland hatte am 27. April 2022 seine Erdgaslieferungen nach Bulgarien gestoppt. Dies bedeutet, dass Bulgarien nun kurzfristig mehr Erdgas zukaufen muss.
Erdgasverbrauch pro Jahr: ca. 3 Milliarden Kubikmeter, 0,8 Prozent des EU-weiten Gasverbrauchs Erdgas aus Aserbaidschan: ab Juli 2022: 1 Milliarde Kubikmeter, Verhandlungen über Erhöhung der Lieferungen; Ankauf von LNG-Lieferungen über den griechischen Hafen Alexandroupolis ab Ende 2023 Zwischenlösung: Bulgariens Versorger Bulgartrans kauft nicht verbrauchtes russisches Erdgas von den griechischen Kapazitäten der Unternehmen DEPA und MET Energy auf. Größte Verbraucher: Fernwärmeerzeuger, Chemie- und Düngemittelindustrie, Glas- und Porzellanindustrie und die Metallindustrie |
Wird Bulgarien neues Zentrum für regionale Energietransporte?
Bulgarien will sich mittelfristig als regionale Drehscheibe für Gaslieferungen positionieren. Damit will das südosteuropäische Land einen Beitrag leisten, sich selbst und die Region unabhängiger von russischem Erdgas zu machen. Dafür will die Regierung die Trans-Balkan-Pipeline nutzen. Diese Pipeline verbindet die Ukraine über Moldau und Rumänien mit Bulgarien. "Bulgarien verfügt über Lieferkapazitäten von 17 bis 20 Milliarden Kubikmeter Erdgas für andere europäische Länder", sagte der Finanzminister und stellvertretende Ministerpräsident Asen Vassilev am 28. April 2022 bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel.
Die Regierung steht aber am Anfang, den regionalen Gasmarkt zu entwickeln und hat Gespräche mit Rumänien begonnen. Es geht darum, Transitkapazitäten für Gaslieferungen aus Griechenland in die Ukraine oder in die Republik Moldau bereitzuhalten. Bulgariens Regierung zeigte auch Interesse an Gaslieferungen aus Rumänien.
Bulgarien erwartet Anschluss an den Südkorridor
Seit Beginn des Jahres 2020 sind Kapazitäten auf der Trans-Balkan-Pipeline frei geworden, weil Russland Bulgarien über die Pipeline TurkStream-1 und TurkStream-2 versorgt hatte. Die Trans-Balkan-Pipeline soll jetzt nicht mehr russisches, sondern Gas aus Aserbaidschan transportieren. Die bulgarische Regierung erwartet, dass schon im Juli 2022 die erste Milliarde Kubikmeter Erdgas aus einem aserbaidschanischen Gasfeld im Kaspischen Meer Bulgarien erreichen wird. Dafür wird Bulgarien mit dem bulgarisch-griechischen Interconnector (IGB) in Kürze an die Transadriatische Pipeline (TAP) angeschlossen werden. Die Pipeline verbindet die bulgarische Stadt Stara Zagora mit der griechischen Stadt Komotini.
Der IGB verbindet die Gaspipelines Griechenlands und Bulgariens mit dem Südkorridor Richtung Aserbaidschan. Griechenland ist seit Ende 2020 an der TAP angeschlossen. Die TAP ist mit der Transanatolischen Pipeline (Türkei) und mit der Südkaukasischen Pipeline (Georgien und Aserbaidschan) mit dem Gasfeld Schah Denis im Kaspischen Meer verbunden. Von dort strömt das Erdgas über Aserbaidschan, Georgien, die Türkei, Griechenland und Albanien nach Italien.
Zukauf von LNG ist fest eingeplant
Bulgariens Regierung plante ursprünglich, ab 2023 auf russisches Erdgas zu verzichten und stattdessen Erdgas aus Aserbaidschan und Flüssiggas zu kaufen. Bis Ende 2023 soll am griechischen Hafen Alexandroupolis eine schwimmende Speicher- und Regasifizierungsanlage für Flüssiggas (LNG) entstehen. Dann können im Jahr 12 bis 15 anlandende LNG-Tanker den jährlichen bulgarischen Verbrauch absichern.
Der Lieferstopp von russischem Gas führt dazu, dass Bulgarien schnell nach Alternativen suchen muss. Aus Russland kamen bisher rund 90 Prozent des in Bulgarien verbrauchten Erdgases. Aserbaidschan versorgt Bulgarien derzeit mit bis zu 300 Millionen Kubikmeter Gas pro Jahr. Das sind etwa zehn Prozent des bulgarischen Bedarfs. Derzeit verhandelt die Regierung über eine Erhöhung der Liefermengen.
Der bulgarische Erdgasversorger MET Energy hat Zugang zum griechischen LNG-Terminal Revithoussa. Von dort kann das Unternehmen Gas für den bulgarischen Markt hinzukaufen. Bulgarien wird ab Juni LNG aus den USA erhalten, teilte die bulgarische Regierung Mitte Mai mit. Genaue Angaben zu Preisen und Mengen liegen noch nicht vor.
Erdgas-Lieferstopp treibt die Preise
Wenn das Gas in Bulgarien knapp wird, müssen die Fernwärmeunternehmen auf alternative Brennstoffe umsteigen, die etwa zwei Drittel des Erdgases landesweit verbrauchen. Derzeit liegt der Anteil von Erdgas an der Wärmeerzeugung bei 17 Prozent. Wenn Bulgarien im kommenden Winter zu wenig Erdgas zur Verfügung hat, müssten die Kraftwerksbetreiber ausweichen und mehr Erdöl einsetzen.
Der größte industrielle Abnehmer von Erdgas in Bulgarien ist die Chemieindustrie. Das bulgarische Tochterunternehmen des russischen Mineralölkonzerns Lukoil, Neftochim Burgas, ist nach Angaben des Versorgers Bulgargaz der zweitgrößte Gasverbraucher im Land. Viel Erdgas benötigen auch die Düngemittelindustrie und die Metallindustrie. Das bulgarische Wirtschaftsministerium schätzt den Gasverbrauch unter den energieintensiven Industriebetrieben mit 3 Prozent Anteil am landesweiten Energieverbrauch als niedrig ein. Einige Betriebe werden auf Erdöl oder Strom umsteigen, sagt der Ökonom Georgi Angelov.
Ökonomen erwarten, dass die Energiepreise in der kommenden Heizperiode weiter ansteigen werden. Bulgarien leidet besonders stark unter der hohen Inflation. Im März betrug die allgemeine Teuerungsrate 12,4 Prozent im Jahresvergleich, berichtete das Nationale Statistikinstitut. Bulgariens Regierung erwägt eine Senkung der Mehrwehrsteuer, um die Inflation zu verlangsamen.
Bulgarische Regierung forderte Ausnahmeregelung vom Öl-Embargo
Damit die Inflation sich nicht weiter beschleunigt, hat sich die bulgarische Regierung bereits gegen das EU-weit geforderte Lieferverbot von russischem Erdöl gestellt. Sie fordert von der EU-Kommission eine Ausnahmeregelung vom EU-weiten Öl-Embargo. Die Gespräche mit der EU-Kommission laufen noch bis zum Ende der 19. Kalenderwoche.