Wirtschaftsumfeld | Bulgarien | Wirtschaftsstruktur
Bulgariens Wirtschaftsstruktur wandelt sich langsam
Das Land muss parallel gleich zwei Entwicklungsprozesse meistern: die Verbesserung des Lebensstandards in den strukturschwachen Regionen und die Energiewende.
18.08.2023
Von Dominik Vorhölter | Sofia
Zwar landet Bulgarien in vielen sozioökonomischen Vergleichen unter den EU-Mitgliedstaaten auf dem letzten Platz, das damit einhergehende Entwicklungspotenzial wissen deutsche Unternehmen und andere ausländische Investoren jedoch zu schätzen. Die Wirtschaft des Landes wächst dynamischer als die der westeuropäischen EU-Mitgliedsstaaten. Der Investitionsbedarf in Straßen-, Schienen- und Energieinfrastruktur ist hoch. Für diese Vorhaben stehen EU-Fördermittel bereit.
Bulgarien bewältigt mehrere Transformationsprozesse gleichzeitig
Das Land muss politische Reformen im Bildungs-, Justiz- und Gesundheitswesen angehen sowie den Ausbau der Infrastruktur vorantreiben. Letzteres ist nötig, um Wertschöpfungsketten besser an den europäischen Binnenmarkt anzubinden. Die größten Herausforderungen aber sind der Kohleausstieg und die Transformation hin zu einer klimaneutralen Energieversorgung. All dies bietet Unternehmen Beteiligungschancen.
Allerdings bremst ein strukturelles Problem die langfristige Wirtschaftsentwicklung aus: Bulgariens demografische Situation. Die Bevölkerung altert und schrumpft zusätzlich. Viele, vor allem junge Menschen, verlassen Bulgarien, um stattdessen im Ausland zu arbeiten. Damit sich das ändert, muss die Regierung dafür sorgen, dass sie im eigenen Land attraktive Arbeitsplätze finden.
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Unternehmen schätzen die günstigen Steuern
"Investoren aus Deutschland schätzen an Bulgarien dessen Mitgliedschaft in der EU und die vergleichsweise niedrigen Steuern und Lohnkosten", sagt Mitko Vassilev, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Bulgarischen Industrie- und Handelskammer über die Bedeutung Bulgariens für die deutsche Wirtschaft. In einzelnen Bereichen wie etwa der IT-Industrie werde es schwieriger, gut ausgebildetes und hochqualifiziertes Personal zu den vergleichsweise günstigen Lohnkosten zu finden, wie aus Unternehmerkreisen zu hören ist.
Automobil- und Elektroindustrie bringen Innovation und Wettbewerb ins Land
Besonders eng verflochten sind die bulgarische Automobil- und Elektroindustrie, die Kfz-Teile und andere Vorprodukte an europäische Abnehmer liefern. Heimische und international agierende Unternehmen betreiben moderne Produktionsstätten. Das macht Bulgarien zu einem attraktiven Absatzmarkt für deutsche Ausrüstung und Maschinen.
Bulgarien entwickelt sich schrittweise von einem Outsourcing-Standort der Textilindustrie hin zu einem Hochtechnologiestandort. Besonders Sofia hat Investitionen im Bereich Software-Industrie sowie Forschung und Entwicklung angezogen. Bulgariens verarbeitende Industrie liefert elektronische und hydraulische Komponenten für den Maschinenbau sowie Aluminiumwannen für die Automobilindustrie.
Einen starken Beitrag zum wachsenden Dienstleistungssektor trägt neben der IT-Industrie auch der Tourismus bei. Bulgarien positioniert sich als Destination für Kuren und möchte damit das Image vom Billigtourismus loswerden. Die Regierung fördert den Gesundheitstourismus und versucht, Investoren und auch Gäste anzulocken.
Das Ministerium für Tourismus unterstützt nach eigenen Angaben 20 einschlägige private und öffentliche Projekte im Wert von rund 175 Millionen Euro, unter anderem neue Spa- und Wellenesszentren, Hotelanlagen und Golfplätze. Für das deutsche Tourismusgewerbe bieten sich auf dem Markt neue Möglichkeiten, denn seit 2020 übernehmen Krankenkassen in Deutschland Kosten für Kuraufenthalte in Bulgarien. Ob dies reicht, um mehr Gäste aus Deutschland anzulocken, ist schwer zu sagen. Im Jahr 2022 waren es 788.000, 25 Prozent weniger als im Jahr 2019. Die Tourismusbranche trägt dennoch rund 12 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Sektoren | Anteil an Bruttowertschöpfung 2021 | Anteil an den Beschäftigten 2021 |
---|---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 5,0 | 1,2 |
Bergbau (inklusive Öl- und Gasförderung) | 1,6 | 0,1 |
Verarbeitendes Gewerbe | 20,1 | 11,3 |
Energieversorgung | 4,7 | 0,4 |
Wasserversorgung, Abwasser- und Abfallentsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 0,7 | 0,7 |
Baugewerbe | 3,8 | 6,0 |
Dienstleistungen (Handel und Gastgewerbe) | 23,3 | 20,3 |
Regionen sind ungleich entwickelt
Die meisten ausländischen Direktinvestitionen fließen nach Sofia. Weitere Wirtschaftszentren sind die Region Stara Zagora mit überwiegend Maschinen- und Bergbau sowie die Schwarzmeerhafenstädte Varna und Burga. Im Norden und Süden des Landes gibt es strukturschwache Regionen. Diese sind von mangelhaften Verkehrsanbindungen und Bevölkerungsabwanderung in die umliegenden Wirtschaftszentren geprägt.
Gebiet | Anteil am BIP (in %) | BIP pro Kopf (in Euro) | Bevölkerung (in Mio.) |
---|---|---|---|
Sofia, Blagojewgrad, Pernik, Kjustendil (BG41) | 50,5 | 17.300 | 30,3 |
Plowdiw, Chaskowo, Pasardschik, Smoljan, Kardschall (BG42) | 13,4 | 6.800 | 20,3 |
Burgas, Sliwen, Jambol, Stara Sagora (BG34) | 11,6 | 8.100 | 14,8 |
Varna, Dobritsch, Schumen, Targowischte (BG33) | 10,0 | 7.700 | 13,4 |
Garbrowo, Ruse, Radgrad, Silistra, Veliko Tarnovo (BG32) | 7,6 | 7.100 | 11,0 |
Vidin, Montana, Vraza, Pleven, Lovetch (BG21) | 7,0 | 7.100 | 10,2 |