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Chile im großen Lithiumrennen in der Poleposition
Ohne Lithium keine Mobilitätswende und keine Dekarbonisierung: Chile rückt als Land mit den weltgrößten Reserven in den Fokus ökonomischer und geostrategischer Interessen.
27.01.2022
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Bis 2030 soll die weltweite Lithiumnachfrage auf mehr als 2 Millionen Tonnen nach oben schnellen, so die chilenische Kupferkommission (Comisión Chilena del Cobre, Cochilco; 2020: rund 327.000 Tonnen). Lithium gilt als wichtigster Zukunftsrohstoff: ohne Lithium keine Akkus für Elektroautos, keine Mobiltelefone, keine Laptops und keine Speicherung regenerativer Energie. Auch wenn das Leichtmetall nicht selten ist, Lithiumvorkommen und -abbau sind auf wenige Länder beschränkt.
Infolge der weltweiten Trends zu mehr Elektromobilität und zum Ausstieg aus fossilen Energiequellen wird der Bedarf laut Cochilco die Produktion in fünf Jahren weit übersteigen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in einer Studie für die Deutsche Rohstoffagentur (DERA). Für ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Szenario errechnete das ISI bis 2040 einen Bedarf, der die (auf 2018 normierte) Produktion um das 5,9-Fache übertrifft.
Geostrategen warnen vor Angebotsmonopol
Umso drängender werden Fragen der Verfügbarkeit und Preisentwicklung von Lithium. Dies gilt auch für Deutschland. Denn in Deutschland wird Lithium derzeit nicht abgebaut. Schon heute ist die Förderung und dessen Export ein Oligopol. Dieser Situation dürfte sich in Zukunft wenig ändern oder sogar verschärfen.
Vor diesem Hintergrund befindet sich Chile in einer ausgezeichneten Ausgangsposition. Denn das Land besitzt mit rund 9,2 Millionen Tonnen die mit großem Abstand meisten Reserven der Welt. Australien, die Nummer zwei, kommt nur auf etwa die Hälfte (4,7 Millionen Tonnen). Des Weiteren spielen Argentinien und China eine gewisse Rolle, so Zahlen von Statista auf Basis einer Studie des U.S. Geological Survey von 2021.
Chile ist überdies mit weitem Abstand weltweit wichtigster Exporteur für Lithiumkarbonat (Lithium wird aufgrund seiner chemischen Eigenschaften in erster Linie als -karbonat oder als -oxid/-hydroxid auf den globalen Märkten gehandelt). Im Jahr 2020 hatte Chile laut UNComtrade einen Weltmarktanteil (in Tonnen) von 68,6 Prozent. Es folgten Argentinien (9,9 Prozent), die Niederlande (7,4 Prozent), wobei hier vor allem Reexporte die Statistik nach oben treiben, und China (5,3 Prozent). Somit vereinigen drei Förderländer (ohne die Niederlande) bisher fast 84 Prozent der Weltexportmenge auf sich.
Land | In Tonnen | Anteil in % *) | Handelswert (in Mio. US$) | Anteil in % *) |
---|---|---|---|---|
Chile | 97.698 | 68,6 | 632,7 | 70,8 |
Argentinien | 14.134 | 9,9 | 56,1 | 6,3 |
Niederlande | 10.554 | 7,4 | 36,7 | 4,1 |
China | 7.488 | 5,3 | 60,5 | 6,8 |
Sonstige | 12.421 | 8,7 | 107,8 | 12 |
Gesamtexport | 142.295 | 100 | 893,8 | 100 |
Ähnlich oligopolistisch zeigt sich der Welthandel mit Lithiumoxid und -hydroxid. Hier entfällt der Löwenanteil auf China (2020: 65,7 Prozent), Chile (11 Prozent), Russland (9,5 Prozent) und die USA (6,8 Prozent). Mit anderen Worten: Vier Länder bedienen 93 Prozent der globalen Nachfrage.
Land | In Tonnen | Anteil in % *) | Handelswert (in Mio. US$) | Anteil in % *) |
---|---|---|---|---|
China | 56.593 | 65,7 | 543,9 | 69,2 |
Chile | 9.330 | 11,0 | 69,4 | 8,8 |
Russland | 8.142 | 9,5 | 68,0 | 8,7 |
USA | 5.826 | 6,8 | 65,9 | 8,4 |
Niederlande | 2.587 | 3,0 | 20,4 | 2,6 |
Sonstige | 3.634 | 4,0 | 17,9 | 2,3 |
Gesamtweltexport | 86.112 | 100 | 785,5 | 100 |
China drängt nach Chile
Derzeit sind die wichtigsten Abbaufirmen vor Ort die chilenische Sociedad Química y Minera (SQM) und die US-amerikanische Albermale Cooperation. Seit 2018 durch Zukäufe stark engagiert ist die Tianqi Lithium Corp aus China. Während sich Insidern zufolge potenzielle chinesische Investoren bei den hiesigen Behörden „quasi die Klinke in die Hand geben“, ist das Interesse deutscher Firmen am chilenischen Lithiumgeschäft trotz Rohstoffpartnerschaft mit Deutschland bislang nur sehr gering ausgeprägt.
Für deutsche Unternehmen, die sich selbst ein Bild machen wollen, bietet sich der Besuch der Exponor in Antofagasta vom 13. bis 16. Juni 2022 an. Deutschland wird als Gastland mit einem Gemeinschaftsstand vertreten sein.
Lithiumabbau in Chile könnte vor Umwälzungen stehen
Dessen ungeachtet ging im Februar 2022 in Chile ein Aufschrei durch das politisch gespaltene Land. Tatsächlich schien es, als wolle die scheidende Regierung noch schnell die unter ihrer Ägide ausgeschriebenen Abbaukonzessionen unter Dach und Fach bringen, bevor es sich die neue Regierung, die am 11. März 2022 ihr Amt antreten wird, anders überlegen könnte.
Den Zuschlag erhalten hatten die chilenische Firma Servicios y Operaciones Mineras del Norte und der chinesische Spezialist für Elektroautos BYD (Build Your Dreams). Sie hatten 60 Millionen respektive 61 Millionen US-Dollar geboten, um in den nächsten 20 Jahren jeweils 80.000 Tonnen Lithium abbauen zu dürfen (drei weitere Tranchen waren nicht vergeben worden, da die Offerten zu gering waren). Inzwischen hat ein Berufungsgericht die Vergabe an die beiden Siegerfirmen vorläufig gestoppt.
Nun ist die Unsicherheit groß, wie es mit der Förderung insgesamt in Chile weitergeht. Der designierte Präsident Gabriel Boric hat bereits angekündigt, den Fall überprüfen zu wollen. Unabhängig davon hält er an seinem Plan, der Gründung einer staatlichen Lithiumgesellschaft, fest. Boric will der Nachhaltigkeit im Bergbau mehr Bedeutung zumessen. Auch soll eine zusätzliche Besteuerung des Bergbaus erfolgen. Während unternehmensnahe Analysten davor warnen, mit einer solchen Politik ausländische Investoren zugunsten Argentiniens oder Australiens zu vergraulen, begrüßen andere das Ziel, die Förderung selbst in die Hand zu nehmen. Allerdings könnte dann schlichtweg das Geld fehlen, den Anbau selbst voranzubringen.
Ausländische Abnehmer befürchten eine lateinamerikanische „Lithium-Opec“
Doch während in Chile Sorgen um das Geschäft vor Ort bestehen, gibt es auf Abnehmerseite die Befürchtung, die lateinamerikanischen Länder – speziell Chile, Argentinien, Bolivien und eventuell Peru - könnten zu einer Art „Lithium-Opec“ zusammenfinden. Dem Linken Boric sei hierbei deutlich mehr Vermittlungsgeschick zuzutrauen, berichtete etwa Mercopress, speziell was Verhandlungen mit Bolivien angeht.
Die Financial Post spricht von einem drohenden Lithiumdreieck aus Chile, Bolivien (wo große Ressourcen zu vermuten sind) und Argentinien. Sie betont zugleich, dass sich hinter diesen drei Ländern ein bereits großer und wachsender Einfluss Chinas verbirgt. Die US-Zeitung warnt angesichts der Kontrolle von 59 Prozent der Lithiumproduktion vor weiteren möglichen Abhängigkeiten des Westens von der Volksrepublik.