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Energiewende in Chile: Know-how aus dem Ausland ist gefragt
Die Bedingungen für Solar- und Windenergie sind in Chile hervorragend. Ausgeschöpft ist das gewaltige Potenzial längst nicht. Es werden Projektentwickler und Investoren gebraucht.
19.04.2022
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Der Andenstaat Chile verfügt über hervorragende natürliche Bedingungen, um Strom aus Sonnen- und Windenergie zu erzeugen. Die Atacama-Wüste im Norden ist mit 3.400 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr (kWh/m2a) einer der Orte mit der intensivsten Sonneneinstrahlung der Welt. An manchen Stellen soll der Wert sogar 3.600 Kilowattstunden pro Quadratmeter im Jahr betragen, sagt Frank Dinter, Geschäftsführer von Fraunhofer Chile. Mit Fotovoltaik lässt sich hier, je nach eingesetzter Technik, ein Kapazitätsfaktor von bis zu 40 Prozent erreichen. Mit integrierten thermischen Speichern ausgestattete Sonnenwärmekraftwerke (Concentrating-Solar-Power-Anlagen) können sogar einen Nutzungsgrad von bis zu 90 Prozent erzielen.
Chile könnte grünen Strom exportieren
An der chilenischen Küste im Süden, aber auch im Binnenland sowie an Hotspots in der Wüste blasen Winde in einer Intensität, die andernorts nur offshore erreicht wird. Laut einer gemeinsam mit dem chilenischen Energieministerium erstellten Studie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) besitzt Chile ein Potenzial für erneuerbare Energieträger von 1.800 Gigawatt. Zum Vergleich: Die gesamte installierte Kraftwerksleistung Deutschlands lag 2020 bei rund 219 Gigawatt, so das Umweltbundesamt. Bei stärkerer Nutzung seines Potenzials könnte Chile problemlos den eigenen Energiebedarf decken und überdies grünen Strom exportieren - oder damit erzeugten grünen Wasserstoff.
Bislang bleibt Chile jedoch weit unter seinen Möglichkeiten:
- Der Anteil der erneuerbaren Energieträger an der Gesamtstromerzeugung lag 2021 erst bei rund 45 Prozent; davon entfiel außerdem fast die Hälfte auf Wasserkraft.
- Windkraft macht derzeit in Chile nur knapp 9 Prozent der Stromproduktion aus – in Deutschland hingegen waren es 2021 etwa 20 Prozent, meldet der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW).
- Solarenergie liegt in Chile bei nicht ganz 13 Prozent – gegenüber 8,8 Prozent in Deutschland laut BDEW.
- Biomasse und Geothermie führen immer noch ein Nischendasein, sollen aber künftig interessanter werden.
Tausende Megawatt für Erneuerbare bereits genehmigt
Doch stehen die Zeichen klar auf Ausbau der Regenerativen. Informationen des chilenischen Energieministeriums zufolge sind gegenwärtig Projekte mit insgesamt mehr als 47 Gigawatt installierter Kapazität genehmigt, darunter etwa 30 Gigawatt für Solar/Fotovoltaik und fast 14 Gigawatt für Windkraftvorhaben.
Ein erheblicher Teil der Projekte entfällt auf die großen Independent Power Producers (IPPs). Daneben gibt es nach Branchenangaben aber auch viele Landbesitzer und kleine Firmen, die ein Projekt etwa bis zur Due-Diligence-Studie oder der wichtigen Netzanschlussgenehmigung vorangetrieben haben. Im Anschluss suchen sie nach Geldgebern, die die Vorhaben ganz oder teilweise übernehmen, um sie zu bauen und/oder zu betreiben. Wann diese Projekte letztlich ans Netz gehen, ist schwer vorauszusehen. Überhitzt sei der Markt jedenfalls trotz dieser beachtlichen Zahlen noch nicht, heißt es.
Energieträger | In Betrieb | Im Bau | Genehmigt | In Auswertung |
---|---|---|---|---|
Biomasse/Biogas | 439 | 0 | 0 | 15 |
Wind | 3.541 | 639 | 13.574 | 3.320 |
Geothermie | 40 | 0 | 155 | 0 |
Kleinwasserkraftwerke | 614 | 42 | 755 | 10 |
Solar-Fotovoltaik | 5.004 | 3.410 | 30.236 | 5.785 |
Sonnenwärmekraftwerke (Solar-Concentrating Solar Power) | 108 | 0 | 2.722 | 0 |
Gesamt | 9.746 | 4.090 | 47.442 | 9.130 |
Vielfältige Geschäftschancen für deutsche Firmen
Für deutsche Firmen ergeben sich vor diesem Hintergrund zahlreiche Beteiligungsmöglichkeiten und Lieferchancen. So stammen die Turbinen für den größten Windpark Lateinamerikas, das Horizonte-Projekt von Colbún, von Enercron aus Aurich. Die Bremer Firma WPD betreibt mittlerweile selbst drei in Eigenregie errichtete Projekte mit insgesamt 370 Megawatt.
Dringend gebraucht werden intelligente Speicher- und Netzlösungen. Wo es möglich ist, versuchen die Stromerzeuger Wind-/Sonnenenergie mit Wasserkraft zu kombinieren. Doch gegenwärtig stoßen die meisten an technische Limits. Das nicht ausreichend leistungsfähige Netz erschwert die Situation zusätzlich. Angepasst an die Form des Landes mit seiner Länge von knapp 4.300 Kilometern, aber maximal 430 Kilometern Breite ähnelt Chiles Stromnetz einer Fischgräte mit einem Hauptstrang von Nord nach Süd. Zusätzliche Überlandleitungen sind geplant beziehungsweise in Bau. Doch bis die Engpässe beseitigt sind, werden Jahre vergehen.
Völlig unterschätzt ist gegenwärtig der ganze Servicebereich. Bei Projektentwicklungen kann Deutschland viel vorweisen, doch allein der Bau eines Wind- oder Solarparks genügt nicht. "Um die Prozesse am Laufen zu halten, muss er auch sachgerecht betrieben und gewartet werden", weiß ein Branchenvertreter. Aktuell sei der Markt noch zu stark auf die Errichtung der Anlagen konzentriert.
Des Weiteren beschränkt sich etwa die Solarstromerzeugung auf eine kleine Zahl sehr großer Anlagen, die direkt ins Hochspannungsnetz einspeisen. In Deutschland hingegen gibt es rund zwei Millionen kleiner Solarsysteme, die an die lokalen Netze angeschlossen sind. Ein Zukunftstrend für Chile könnte daher eine größere Dezentralisierung sein – ein Bereich, in dem Deutschland mit Expertise punkten kann. Großer Nachholbedarf besteht auch bei Fragen rund um die Energieeffizienz.
Soziale Akzeptanz künftig stärker im Fokus
Ganz reibungslos geht der Ausbau der erneuerbaren Energieträger indessen auch in Chile nicht vonstatten. Schon heute gibt es Projekte etwa in Araukanien, einer Region rund 600 Kilometer südlich der Landeshauptstadt, für die Bauherren oder Betreiber hohe Sicherheitskosten miteinplanen müssen. Je näher Großprojekte an besiedelte Regionen herangebaut werden, desto größere Reibungen und Widerstände sind zu erwarten – und umso wichtiger ist es, Abstandsregeln einzuhalten, die lokale Bevölkerung in die Planungen einzubeziehen und von den Anlagen profitieren zu lassen, betont der chilenische Energieminister Claudio Huepe.
Für deutsche Unternehmen, die sich für den chilenischen Energie- und Bergbausektor interessieren, empfiehlt sich insbesondere der Besuch der Exponor vom 13. bis 16. Juni 2022 in Antofagasta. Partnerland ist Deutschland. Die AHK Chile unterstützt die Messe mit einem deutschen Pavillon.