Special Chile Stromübertragung, -verteilung, Netze
Chile setzt auf eigene Lösungen bei Engpässen im Stromnetz
Die Energiewende fordert Chiles Stromnetz gewaltig. Neben neuen Leitungen sind Energiespeicher wie grüner Wasserstoff und umgerüstete Kohlekraftwerke Optionen.
15.08.2022
Von Stefanie Schmitt | Santiago de Chile
Bis 2040 will Chile auf Kohlestrom verzichten. Derzeit deckt Kohle etwa 34 Prozent der Stromerzeugung; erneuerbare Energieträger steuern knapp 45 Prozent bei. An Stelle der Kohle sollen vor allem Wind und Sonne treten. Die Kapazitäten für Wasserkraft gelten angesichts der seit Jahren andauernden Dürre als ausgereizt. Wo es möglich ist, kombinieren die Stromerzeuger Wind- und Sonnenenergie mit Wasserkraft.
Akut behindern jedoch fehlende Netzkapazitäten den Ausbau der Erneuerbaren. Derzeit verfügt Chile über ein landesweites Stromnetz von rund 35.500 Kilometern. Das klingt viel, aber es reicht nicht. Angepasst an die Form des Andenstaates mit einer Länge von knapp 4.300 Kilometern und maximal 430 Kilometern Breite ähnelt Chiles Stromnetz einer Fischgräte mit nur einem Hauptstrang von Nord nach Süd.
In Chile entsteht größtes Stromübertragungsprojekt Lateinamerikas
Um die Engpässe zu beseitigen, müssen Milliarden investiert werden. Schon heute beklagen Unternehmen, dass sie grünen Strom nicht wie gewünscht ins Netz einspeisen können. Das bremst Investitionen aus.
Vor diesem Hintergrund ist die geplante Hochspannungs-Gleichstromleitung zwischen den Orten Kimal und Lo Aguirre eine wichtige Voraussetzung für den Ausstieg Chiles aus der Kohle. Bei einer Aufnahmekapazität von 3.000 Megawatt bei 600 Kilovolt soll es grünen Strom über fast 1.500 Kilometer hinweg aus der nördlichen Region Antofagasta ins energiehungrige Zentrum des Landes um Santiago bringen.
Im Dezember 2021 gewann das Yallique-Konsortium aus der lokalen Transelec, ISA (Kolumbien) und China Southern Power Grid International (CSG) die Ausschreibung für das auf 1,5 Milliarden US-Dollar (US$) kalkulierte Vorhaben. Inzwischen sollen die Kosten laut Diario Financiero auf etwa 2 Milliarden US$ gestiegen sein. Yallique setzte sich gegen ein Konsortium aus der spanischen Gesellschaft Iberdrola und der lokalen Firma Redes durch. Andere Unternehmen, etwa aus Deutschland, waren nicht am Start.
Das Yallique-Konsortium hat für die erforderlichen Umwelt- und sonstigen Genehmigungsprozesse drei Jahre Zeit. Der Bau wird weitere viereinhalb Jahre in Anspruch nehmen. Die Inbetriebnahme ist für 2028/29 geplant. Allerdings ist mit Problemen bei der konkreten Streckenführung zu rechnen, wie auch schon bei der letzten großen Überlandleitung zwischen der Region Atacama und Santiago, die seit drei Jahren in Betrieb ist.
Chinesisches Unternehmen CSG am Großprojekt beteiligt
Die Stromverbindung zwischen Kimal und Lo Aguirre wäre die erste Hochspannungs-Gleichstromleitung Chiles (HGÜ). Vor allem CSG hat viel Erfahrung im Betrieb von Hybrid- und Langstrecken-AC/DC-Leitungen. Das chinesische Staatsunternehmen, das 2021 Platz 91 der Fortune Global 500-Liste belegte, versorgt in China rund 254 Millionen Menschen mit Strom. Außerdem hält es eine Beteiligung an Transelec, dem mit mehr als 10.000 Kilometern Leitungen wichtigsten privaten Stromnetzbetreiber Chiles.
Weitere Ausschreibungen sind laut Angaben des Energieministeriums derzeit nicht geplant.
Leitung; Region | Unternehmen | Länge (km) | Erweiterungsplan | Investition (in Mio. US$) |
---|---|---|---|---|
Itahue - Hualqui; Maule, Ñuble und Biobío | Celeoredes | 406 | 2017 | 324 |
2 x 220 kV Nuevo Alto Melipilla - Agua Santa; Valparaíso und Metropolregion | Celeoredes | 106 | 2017 | 50 |
Tineo - Nueva Ancud; Los Lagos | Transelec | 96 | 2017 | 107 |
2 x 220 kV Lagunas Nueva Pozo Almonte; Arica und Parinacota | Transelec | 63 | 2019 | 19 |
Hochspannungsleitung Rihue - Renaico; Biobío und Araucanía | Enel | 20 | k.A. | 5 |
Linie; Region | Inhaber | Erweiterung (km) | Erweiterungsplan | Baufortschritt (in %) |
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Nueva Pan de Azúcar – Centella, 2 x 220 kV, 2 x 580 MVA; Coquimbo | Ferrovial | 252 | 2017 | 5 |
Lo Aguirre - Rapel; Metropolregion und O’Higgins | Eletrans II | 125 | 2012 | 99 |
Nueva Maitencillo - Nueva Pan de Azúcar; Atacama und Coquimbo | Eletrans III | 197 | 2016 | 57 |
2 x 220 kV Parinacota - Cóndores; Arica, Parinacota und Tarapacá | Redenor | 277 | 2016 | 68 |
2 x 66 kV Nueva Cauquenes - Parral; Maule | Celeoredes | 51 | 2017 | 33 |
Grenzüberschreitende Lösungen fehlen
Erschwerend für Chile kommt hinzu, dass das "Land am Ende der Welt" isoliert von den Stromnetzen seiner Nachbarn ist. Die 1999 errichtete Interandes-Linie vom chilenischen Andes zum argentinischen Cobos (268 Kilometer Länge, Spannung 345 Kilovolt, Übertragungskapazität 200 Megawatt) ist seit 2017 stillgelegt. Allerdings soll sie jüngsten Pressemeldungen zufolge wieder reaktiviert werden. Geplant ist, aus erneuerbaren Energieträgern gewonnenen Strom tagsüber von Chile zur Entlastung seines Netzes nach Argentinien zu senden und nachts aus argentinischem Erdgas erzeugten Strom zurückzuerhalten.
Das chilenische Energieministerium strebt zwar bis 2035 den Zusammenschluss des Landes mit Mitgliedern des SINEA (Sistema de Interconexión Eléctrica Andina) an, ebenso mit anderen Ländern Lateinamerikas, insbesondere den Mercosur-Staaten. Doch passiert ist bisher kaum etwas. So ist es um das 2019 unter der Regierung Piñera angestoßene Interkonnektorenprojekt zwischen Chile und Peru nach erster Euphorie wieder still geworden. Geplant war eine 53 Kilometer lange 200-Megawatt-Leitung. In noch weitere Ferne gerückt sind Vorhaben mit Ecuador sowie mit Bolivien, vor allem wegen politischer Spannungen zwischen beiden Ländern.
Daher ist Michael Schmidt, Energieexperte bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Santiago de Chile, überzeugt:
“Kurzfristig muss die Stromnetzproblematik innerhalb Chiles gelöst werden.“
Für den Ausgleich der typischen Einspeiseschwankungen bei Wind- und Sonnenenergie werden deshalb dringend Speicher- und Netzlösungen gebraucht. Speziell bei grünem Wasserstoff herrscht Goldgräberstimmung, obwohl bislang noch nirgends welcher produziert wird. Ein Pilotprojekt von Siemens und Porsche soll zumindest noch Ende 2022 den Betrieb aufnehmen. Über 60 Projekte sind angekündigt.
Chile rüstet Kohlemeiler in Wärmespeicherkraftwerke um
Einen weltweit einmaligen Ansatz verfolgt Chile bei der Umrüstung bestehender Kohle- in emissionsfreie Wärmespeicherkraftwerke. "Das funktioniert wie eine Carnot-Batterie: Mit günstigem Solarstrom oder überschüssiger Energie aus Windanlagen werden Salze erhitzt. Sie speichern tagsüber die freigesetzte Energie und stellen sie nachts zur Verfügung," erklärt Rainer Schröer, Leiter des Programms für erneuerbare Energieträger der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Chile. Die GIZ begleitet das Pilotprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV).
Mit dem Umbau des ersten 558-Megawatt-Kohlemeilers wird für das Jahr 2023 gerechnet. "Die komplizierten Systemsimulationen, mit denen wir die Kraftwerksbetreiber überzeugt haben, stammen vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt," ergänzt Schröer, "da steckt richtig viel deutsches Wissen drin."
Chile | Argentinien | Peru | |
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Jährlich produzierte Elektrizität (in Terawattstunden) | 80,2 | 133,8 | 57,4 |
Anteil der Stromproduktion auf Grundlage thermischer Kraftwerke (in Prozent) | 55,2 | 52,5 | 56,1 |
Anteil der Stromproduktion aus erneuerbaren Energiequellen (in Prozent) | 44,8 | 47,5 | 43,9 |
davon erneuerbare Energieträger ohne große Wasserkraftwerke | 27 | 35,4 | k.A. |
Spannung der Höchstspannungsleitung beim Übertragungsnetzbetreiber (in Kilovolt) | 500*) | max. 500 | k.A. |