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Chinas neue alte Null-Covid-Strategie
Chinas Null-Covid-Politik ist in der bisherigen Form kaum länger zu halten. Die steigenden Fallzahlen erhöhen den Druck auf die Wirtschaft.
25.03.2022
Von Corinne Abele | Shanghai
China erlebt derzeit den stärksten Corona-Ausbruch seit Anfang 2020. Landesweit wurden nach offiziellen Angaben am 22. März 2022 in 64 Städten insgesamt fast 5.000 lokal übertragene neue Fälle (die bislang höchste Zahl) gemeldet, davon 48 Prozent ohne Symptome. Hotspot ist die nordöstliche Provinz Jilin mit den beiden Städten Changchun (fast 2.000 symptomatische Fälle) und dem gleichnamigen Jilin (rund 330 symptomatische Fälle).
Stark betroffen sind ebenfalls die Provinzen Fujian, Liaoning und Heilongjiang sowie Shanghai. Mancherorts schlafen Arbeiter in den Fabriken und Logistikfirmen versuchen, ihre Fahrer in den Betrieben zu halten. Dennoch nehmen die Lieferengpässe zu. Die Auslandshandelskammer Greater China sieht verstärkte Bemühungen, die Wirtschaft am Laufen zu halten und nicht in einen generellen Lockdown-Modus zu verfallen.
Zwingt Omikron China zum Umdenken?
Bei etwa vier Fünftel aller Covid-19-Fälle handele es sich um Infektionen mit der Omikronvariante, zitierte die Global Times den Chefepidemiologen des Chinese Center of Disease Control and Prevention, Wu Zunyou. Seit Beginn 2022 registriert China durchschnittlich zehnmal mehr Fälle pro Monat als in den beiden Vorjahren. Global weist bei Omikron einiges auf höhere Ansteckungsraten, aber weniger aggressive Krankheitsverläufe hin. Die bisherige Null-Covid-Strategie durchzuhalten, scheint ebenso unmöglich wie eine radikale Abkehr davon.
Anpassung beim Umgang mit Covid-19-Infizierten
Um eine Überlastung der Krankenhäuser und des Gesundheitssystems zu vermeiden, hat die National Health Commission erstmals seit 2020 ihre Behandlungsrichtlinien für Covid-19-Infizierte angepasst. Demnach müssen solche ohne oder mit leichten Symptomen in dafür ausgewiesenen Einrichtungen isoliert und überwacht werden. Eine Verlegung in das Krankenhaus ist aber nur bei sich verschlechterndem Gesundheitszustand erforderlich. Für eine Entlassung aus dem Krankenhaus ist nun ein CT-Wert von mindestens 35 notwendig. Zum Vergleich: In Deutschland gilt ein CT-Wert von 30 als ausreichend.
Nach einer Entlassung sind nicht mehr zwei Wochen Quarantäne in einer dafür vorgesehenen Einrichtung vorgeschrieben. Stattdessen müssen bei täglicher Überwachung von Temperatur und Gesundheitszustand sieben Tage zu Hause verbracht werden. Erstmals werden auch Schnelltests eingeführt. In der Provinz Jilin sollen sie bereits eingesetzt werden, darunter auch in deutsch-chinesischen Joint Ventures. Die neuen Behandlungsrichtlinien sollen einer Überlastung der Krankenhäuser vor allem mit leichten Fällen vorbeugen. Praktikabel sind sie jedoch nicht. Vielerorts herrscht noch Verwirrung.
Was bedeutet Chinas dynamische Null-Covid-Strategie?
Man werde "smartere Covid-19-Präventions- und Kontrollmaßnahmen prüfen“, betonte der hoch angesehene Shanghaier Virologe Zhang Wenhong auf einem Forum am 19. März 2022. Dabei stellte er Impfquoten, Arzneimittelvorräte und verfügbare medizinische Ressourcen in den Fokus des künftigen Pandemiemanagements. Ausgehend von der 2022 offiziell verfolgten "dynamischen Null-Covid-Strategie“ testet Shanghai derzeit eine auf die Communities als kleinste Einheit fokussierte dynamische Null-Covid-Strategie.
Am 23. März 2022 erreichte Shanghai mit offiziell 983 Neuansteckungen - darunter lediglich vier Fälle mit deutlichen Symptomen - einen neuen Tageshöchststand. Shanghai geht stark differenziert nach Hochrisikogebieten vor und beraumt gezielt Massentests an (mit unterschiedlicher Intensität zwischen einmaligen und täglichen Tests). Ein umfassender Lockdown für Restaurants und Geschäfte bleibt bislang aus. Die Schulen sind jedoch schon seit Mitte März 2022 im Online-Distanzunterricht und dürften dies informellen Einschätzungen zufolge bis Mai 2022 bleiben. Teilweise sind Wohngebiete mit Bauzäunen abgesperrt. Bei bestätigten Infektionen bleiben die Bewohner tagelang in einem strengen Lockdown.
Durch Massentests frühzeitig Infektionsherde einzudämmen und damit Auswirkungen auf weitere Bereiche zu verhindern, ist auch in Shenzhen die Strategie. Hier sind nach drei PCR-Testrunden in der ganzen Stadt (und weitgehendem Lockdown) seit 21. März Nahverkehr, Behörden und Geschäfte wieder geöffnet. Im Gegensatz zu vorherigen Ausbrüchen war der Hafen durchgehend in Betrieb. Fehlende Personalkapazitäten führten aber zu Schiffs- und Containerstaus.
Auf den Behörden in Shenzhen und Shanghai lastet immenser Druck. Beijing hat spezielle Arbeitsgruppen bereits in zehn Provinzen geschickt – auch nach Shanghai. Letztere gilt in Sachen Verwaltung als Leuchtturm und Benchmark. Gelingt es selbst hier nicht, eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden, dann sieht es nach Meinung zahlreicher in- und ausländischer Beobachter für das ganze Land düster aus.
Internationale Flüge umgeleitet
Laut dem Luftfahrtportal carnoc.com nahm Shanghai zuvor etwa die Hälfte aller Flugpassagiere auf, die aus dem Ausland nach China einreisten und steckte sie nach ihrer Ankunft konsequent mindestens 14 Tage in Quarantäne. Knapp 36 Prozent der internationalen Flüge 2021 sollen demnach in Shanghai gelandet sein. Dass nun zunächst bis 1. Mai knapp über 100 internationale Flüge auf 22 Routen in zwölf andere chinesische Städte umgeleitet werden, wird die Einreise ins Land für Ausländer weiter verkomplizieren. Nach eigenen Angaben ist Lufthansa bislang jedoch nicht davon betroffen.
Anpassungsdruck steigt
Die anhaltend steigenden Fallzahlen und das dringende Bedürfnis, die Wirtschaft am Laufen zu halten, führen zu einer Modifikation der bisherigen Null-Covid-Strategie in Minischritten, ohne diese fallenzulassen. Ob diese Anpassung mittelfristig auch zu pragmatischeren und flexibleren Einreise- und Quarantänebestimmungen führt, ist noch nicht abzusehen.