Special | Zentralasien | Krieg in der Ukraine
Zentralasien wird unter den Russlandsanktionen leiden
Die zentralasiatischen Republiken sind wirtschaftlich eng mit Russland verzahnt. Damit treffen die Sanktion auch eine in letzter Zeit zunehmend instabile Region.
17.03.2022
Von Viktor Ebel | Bonn
Zentralasien machte zuletzt im Januar 2022 auf sich aufmerksam, als Preiserhöhungen für Autogas in Kasachstan massive Proteste entfachten. Die Regierung schlug diese nieder, auch mit russischer Unterstützung. Nun droht die Region in die nächste Krise zu stürzen, denn viele der Länder hängen von Russland ab. Sei es als Handelspartner, Transitland oder Arbeitsmarkt – an dem großen Nachbarn im Norden scheint derzeit kein Weg vorbeizuführen.
Zusammen mit der seit Monaten grassierenden Inflation hat der wirtschaftliche Niedergang Russlands durchaus das Potenzial, auch Zentralasien mit sich zu ziehen. Besonders die Afghanistananrainerstaaten Tadschikistan und Usbekistan, die in sozialen Unruhen einen Nährboden für die Ausbreitung des Islamismus sehen, sind beunruhigt. Aber auch das vormals als stabil geltende Kasachstan und das von häufigen Machtwechseln geprägte Kirgisistan haben Grund zur Sorge.
Russland und Zentralasien sind wirtschaftlich stark verflochten
Geografisch und historisch gesehen ist Russland ein wichtiger Handelspartner für die Länder Zentralasiens. Im Jahr 2015 machte der Kreml den nächsten Schritt und rief die Eurasische Wirtschaftsunion (EAWU) ins Leben, der neben Russland, Belarus und Armenien auch die beiden zentralasiatischen Republiken Kasachstan und Kirgisistan angehören. Damit sind einige der aus der UdSSR hervorgegangenen Staaten, zumindest wirtschaftlich, wieder näher zusammengerückt. Auch Usbekistan wird ein Beitrittswunsch nachgesagt, nachdem es im Dezember 2020 den Beobachterstatus erhalten hatte. Sanktionen von zentralasiatischen Staaten gegen Russland sind daher nicht zu erwarten.
2017 | 2018 | 2019 | 2020 | Anteil Russlands 2020 (in Prozent) | Rang Russlands | |
---|---|---|---|---|---|---|
Exporte | ||||||
Kasachstan | 4.639 | 5.280 | 5.603 | 4.899 | 10,5 | 3. |
Usbekistan | 1.454 | 1.636 | 2.035 | 1.738 | 13,1 | 1. |
Kirgisistan | 265 | 356 | 281 | 217 | 11,7 | 3. |
Tadschikistan | 32 | 55 | 44 | 41 | 5,7 | 5. |
Importe | ||||||
Kasachstan | 11.733 | 13.237 | 14.065 | 13.300 | 35,4 | 1. |
Usbekistan | 2.564 | 3.383 | 3.982 | 4.098 | 20,4 | 2. |
Kirgisistan | 1.232 | 1.511 | 1.404 | 1.090 | 32,2 | 1. |
Tadschikistan | 904 | 968 | 1.009 | 933 | 29,7 | 1. |
Die Pandemie hat die EAWU wirtschaftlich gut überstanden. Laut Eurasischer Wirtschaftskommission betrug der unionsinterne Handel im Jahr 2021 rekordverdächtige 72,6 Milliarden US-Dollar (US$). Das sind 31,9 Prozent mehr als im Krisenjahr 2020 und 17,8 Prozent mehr als im Vorkrisenjahr 2019. Besonders profitiert haben Kirgisistan und Kasachstan, wo der Handel mit der EAWU um 44,9 Prozent bzw. 34,9 Prozent zunahm. Doch gerade diese Entwicklung könnte den Ländern nun zum Verhängnis werden.
Schwacher Rubel und Sanktionen treffen auch Zentralasien
Die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine verhängten Sanktionen haben den Rubelkurs abstürzen lassen – zwischenzeitlich auf fast 140 Rubel für einen Dollar. Damit steigen die Preise für Importe in Russland massiv an, was den Exportsektor in Zentralasien schwächt. Zwar dominieren Öl, Gas und Gold nach China und Europa die zentralasiatischen Exporte, doch verarbeitete Waren und landwirtschaftliche Erzeugnisse finden auch in Russland Abnehmer.
Usbekistan beispielsweise, welches seine Wirtschaft seit 2017 umfassend diversifiziert, hat 2020 überwiegend Textilien, Kleidung, Gemüse, Obst und Polymererzeugnisse nach Russland exportiert. Selbiges gilt für die bitterarmen Republiken Tadschikistan und Kirgisistan. Das verarbeitende Gewerbe und die Landwirtschaft sind wichtige Arbeitgeber und tragen durch eine erhöhte Wertschöpfung auch zu einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung und sozialen Stabilität bei.
Selbst das rohstoffreiche Kasachstan ist betroffen, welches hauptsächlich Erze, Metalle und Stahl nach Russland exportiert. Aufgrund der Sanktionen gegen russische Stahlproduzenten dürfte auch hier die Nachfrage nach Vorprodukten sinken.
Der Föderale Dienst für Veterinär- und Pflanzenschutzüberwachung "Rosselchosnadsor" hat am 5. März 2022 das Importverbot für verschiedene Gemüsearten aufgehoben, darunter für Tomaten und Paprika aus Usbekistan, Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan. Zuvor waren diese aufgrund von Bedenken bezüglich Pflanzenkrankheiten vom russischen Markt ausgeschlossen. Ob und wie viele andere Branchen noch von solchen Lockerungen profitieren könnten, bleibt abzuwarten. Hintergrund dürfte die Befürchtung sein, dass Sanktionen und gestörte Lieferketten zu Nahrungsmittelengpässen in Russland führen könnten. Die russische Regierung hat zuletzt sogar den Export von Getreide und Zucker in die Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion untersagt, um die Versorgung im Inland nicht zu gefährden. |
Standortvorteil „Seidenstraße“ gefährdet
Das Branchenportal logistik-heute berichtet von ersten Dienstleistern, die ihre Fahrten von und nach Russland bereits eingestellt haben und auf den Wasserweg umbuchen. Neben moralischen Bedenken sorgen sich die Logistiker auch wegen möglichen Verzögerungen, beispielsweise durch Sperrungen und Grenzabfertigung. Außerdem könnten internationale Versicherer der Versicherungsschutz für Transporte über Russland kündigen, so ein Sprecher des Hafenbetreibers Duisport. Es wird befürchtet, dass im Zuge weiterer Sanktionen die Fracht in Russland stecken bleiben oder sogar Schaden nehmen könnte.
Zentralasien läuft damit Gefahr, die angestrebte Rolle als Handels- und Transitdrehscheibe zu verlieren. Die Region stellt das Rückgrat der von China ins Leben gerufenen „Neuen Seidenstraße“ dar, denn drei Transportkorridore kreuzen Mittelasien. Der mit Abstand wichtigste ist der nördliche Korridor, auch bekannt als Eurasische Landbrücke. Er führt von China über Kasachstan und Russland nach Europa. Im 1. Halbjahr 2021 ist das Frachtvolumen auf dieser Strecke im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmal um 50 Prozent gestiegen, was nicht zuletzt auf die Verzögerungen im Containerschiffsverkehr zurückzuführen ist.
Der Angriff auf die Ukraine hat diesem Trend nun vorerst einen Riegel vorgeschoben. Branchenkenner verweisen auf den südlichen und mittleren Korridor als Alternativen.
Worin liegt der Vorteil? Die Eisenbahnverbindung von China nach Europa hat sich zu Pandemiezeiten bewährt, als schnelle, zuverlässige und wettbewerbsfähige Verbindungen gefragt waren. Ein weiterer Push-Faktor ist die gute Umweltbilanz der Schiene im Vergleich zum Straßen,- Luft- und Seetransport. Der multimodale Ansatz bringt außerdem viel Flexibilität mit sich, beispielsweise können bei Überlastung oder außerplanmäßigen Schienenreparaturen einzelne Teilabschnitte der Strecke mit dem LWK oder Schiffen zurückgelegt werden. Was wird transportiert? Transportiert wird alles, was in einen Container passt. Von Ost nach West sind das vor allem Elektrogeräte, Maschinen und Ersatzteile – diese Güter machen etwa 40 Prozent des Transportvolumens aus. Zunehmend füllen aber auch billigere Waren wie Kunststoff-, Holz-, Textilprodukte die Container. Aus Europa Richtung China werden verstärkt Chemie- und Gummierzeugnisse verschickt, aber auch die Autoindustrie gehört zur Kundschaft. Was ist für die Zukunft geplant? Um das Potenzial voll auszuschöpfen, bedarf es einem gleichmäßigen Grad der Integration entlang des Korridors. Noch führen Engpässe an Grenzterminals zu Verzögerungen. Auch die Dokumentation von Frachtdokumenten in Papierform sorgt für unnötige Verzögerungen beim Transitzollverfahren, weshalb ein einziger elektronischer Frachtbrief in Zukunft Abhilfe schaffen soll. Lieferzeiten sollen so weit verkürzt werden, dass der Eisenbahntransport auch für den boomenden E-Commerce-Sektor infrage kommt. |
Viele Menschen auf Rücküberweisungen aus Russland angewiesen
Aufgrund von fehlenden Arbeitsplätzen arbeiten Millionen Frauen und Männer aus Zentralasien auf den Baustellen, in den Restaurants und Putzkolonnen der russischen Metropolen. Mit ihren Rücküberweisungen unterstützen sie nicht nur ihre Familien, sondern auch die Wirtschaft ihrer Heimatländer. Besonders stark in Erscheinung tritt dies in Tadschikistan und Kirgisistan, wo die Rückflüsse für bis zu 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts stehen.
Sollte Russland in eine Rezession abdriften, so wären auch die Jobs und Rücküberweisungen nach Zentralasien betroffen. Schon während der Coronakrise 2020 hatte sich diese Abhängigkeit gerächt, als Hunderttausende ihre Arbeit verloren und die Transfers einbrachen. Die Weltbank schätzt, dass im Jahr 2022 etwa 25 Prozent weniger Geld in den Haushalten Zentralasiens aus Russland ankommt. Doch der Verfall der russischen Währung ist schon jetzt ein Problem für viele Familien, da der Nominalwert des Rubels gegenüber dem US-Dollar stark gesunken ist. Hinzukommt der Teilausschluss von sieben russischen Banken aus SWIFT. Dieser zwingt die Gastarbeiter auf informelle, meist teurere Transferwege zurückzugreifen.
Kasachstan | Kirgisistan | Tadschikistan | Usbekistan | |
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Rücküberweisungen 2020 (in Mio. US$) | 374 | 2.423 | 2.187 | 6.980 |
Anteil am BIP (in %) | 0,2 | 31,3 | 26,7 | 11,6 |
Anteil aus Russland (in %; Q1 bis Q3 2021) | 51 | 83 | 58 | 55 |
ursprüngliche Wachstumsprognose 2022 (in %) | 7 | 3 | 2 | 3 |
neue Wachstumsprognose 2022 (in %) *) | -17 | -33 | -22 | -21 |
Die zentralasiatischen Arbeiter sollen gezielt unterstützt werden. Auf dem VI. Internationalen Arbeitsforum in St. Petersburg haben Experten einige der Neuerungen, welche die Arbeitsmigranten in der Newa-Metropole entlasten sollen, vorgestellt:
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