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Zuständige Gerichte

Germany Trade & Invest (Stand: 28.12.2017)

Ist der deutsche Unternehmer gezwungen, seine Forderungen gerichtlich durchzusetzen, muss er den estnischen Dienstleistungserbringer vor dem zuständigen Gericht verklagen. Bei Gerichtsprozessen zwischen Parteien aus verschiedenen Staaten muss hierzu geklärt werden, ob die Gerichte des einen oder des anderen Staates den Streit entscheiden dürfen.

Das Gericht, vor dem man klagt (oder verklagt wird), muss also international zuständig sein. Die Frage nach dem Ort, an dem in diesem Staat geklagt werden kann bezeichnet man als örtliche Zuständigkeit des jeweiligen Gerichts. Schließlich ist noch zu klären, ob es speziellen Gerichten vorbehalten ist, in dem Fall zu entscheiden (sachliche Zuständigkeit). Dies kann sich beispielsweise nach Art oder Höhe der Forderung richten.

Internationale Zuständigkeit

Bei Streitigkeiten zwischen estnischen Dienstleistungserbringern und deutschen Dienstleistungsempfängern richtet sich im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung die Frage der internationalen und örtlichen Zuständigkeit zunächst nach der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ersetzt. Die Verordnung sieht unter anderem vor, dass die Vollstreckung eines Gerichtsurteils aus einem EU-Mitgliedstaat in einem anderen EU-Mitgliedstaat ohne besondere Vollstreckbarerklärung durchgeführt werden kann. Gerichtsstandsvereinbarungen sind dabei grundsätzlich zulässig.

Darunter versteht man eine Vertragsklausel, die bestimmt, an welchem Ort oder vor welchem Gericht bei Streitigkeiten geklagt werden darf. Es ist also möglich, mit einer Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit eines deutschen Gerichts vertraglich zu bestimmen.

Auch wenn gemäß Artikel 25 EuGVVO nicht nur schriftliche Gerichtsstandsvereinbarungen möglich sind, ist eine ausdrückliche schriftliche Vereinbarung zwischen den Parteien jedoch ratsam. Auch bei Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung kann sich deren Unwirksamkeit bei bestimmten Angelegenheiten, zum Beispiel Versicherungs- und Verbraucherverträgen, ergeben.

In der estnischen Zivilprozessordnung (Tsiviilkohtumenetluse, englische Übersetzung) haben die gerade genannten Regelungen zur sog.--sogenannten internationalen Zuständigkeit in § 70 Eingang gefunden (Rahvusvaheline kohtualluvus); eine Gerichtsstandsvereinbarung wird dort in § 71 geregelt; das Kreisgericht von Harju hat in bestimmten Fällen mit internationalem Bezug eine Auffangzuständigkeit (Harju Maakohtu erialluvus, § 72).

Fehlt eine Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag, sind nach Artikel 4 EuGVVO grundsätzlich die Gerichte des Wohnsitzstaates des Beklagten international zuständig. Für juristische Personen wie zum Beispiel eine GmbH wird (mangels Wohnsitzes) auf den satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung abgestellt.

Einen detaillierteren Überblick über die EuGVVO bietet ein EU-Portal mit Zusammenfassungen der EU-Gesetzgebung in deutscher Sprache. Denkbar sind im Ergebnis also Fälle, in denen bei Streitigkeiten deutscher Dienstleistungsempfänger mit estnischen Dienstleistern vor einem estnischen Gericht zu klagen wäre:

  1. Eine (wirksame) Gerichtsstandsvereinbarung sieht dies ausdrücklich vor oder
  2. beim Fehlen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung lässt sich die internationale Zuständigkeit des estnischen Gerichts ggf.--gegebenenfalls direkt aus der EuGVVO ableiten.

In diesen Fällen stellt sich für den deutschen Dienstleistungsempfänger die Frage, nach der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit des estnischen Gerichts.

Örtliche und sachliche Zuständigkeit

Die allgemeine Zuständigkeit (Isiku kohtualluvus) der Gerichte (auch örtliche) bestimmt sich auch nach estnischem Recht zunächst nach dem Wohnsitz des Beklagten, bei juristischen Personen nach deren Sitz (§ 79 der estnischen Zivilprozessordnung Tsiviilkohtumenetluse, englische Übersetzung).

Bei Klagen im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren ist auch das Gericht zuständig, das die Insolvenz festgestellt hat (§ 82, Nähere Informationen zum Thema Insolvenz in Estland finden Sie auch in der Rubrik Allgemeine rechtlichen Rahmenbedingungen unter dem Punkt Insolvenz).

Besonderheiten gibt es auch bei Klagen gegen estnische Staatsbürger, die im Ausland leben sowie bei Klagen gegen den estnischen Staat und estnische Kommunen (§§ 80-81).

Als Abweichung von der allgemeinen Regel sieht das estnische Recht den sog.--sogenannten besonderen Gerichtsstand in den §§ 83 folgende vor, und zwar betrifft dies Fälle wie etwa:

  • Ort der Wirtschaftstätigkeit (§ 84)
  • Sitz einer juristischen Person (§ 85)
  • Ort der vertraglichen Leistungserbringung (§ 89)
  • Ort des Wohnortes bei einem Verbraucher (§ 90)
  • Versicherungsverträge (§ 91)
  • Arbeits- und Beschäftigungsverträge (§ 92)
  • Wechsel- und Scheck (§ 93)
  • Unerlaubte Handlungen (§ 94)
  • Bestimmte prozessuale Situationen wie Nebenklage, Klagehäufung, Widerklage (§§ 97-98)

Schließlich kennt auch die estnischen Zivilprozessordnung (Tsiviilkohtumenetluse, englische Übersetzung) den sog. ausschließlichen Gerichtsstand (Erandlik kohtualluvus, §§ 99-107), die beispielsweise bei Immobilien zwingend am Ort der Belegenheit sind (§ 99); auch bei der gerichtlichen Zuständigkeit bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen gibt es hier eine Sonderregelung (§ 100).

Die freie Gerichtsstandsvereinbarung (Kohtualluvuse kokkulepe) ist in Estland relativ weitgehend möglich; die Einzelheiten hierzu finden sich in den §§ 104-107 (Ausschlussgründe in § 106); die Möglichkeit der Vereinbarung eines Schiedsgerichtsstandes ist ebenfalls gesetzlich vorgesehen (§ 9 Absatz 2).

Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich in Estland aus den §§ 9 folgende, die Zusammensetzung des Gerichts aus den §§ 16 folgende; ergänzend sind auch die allgemeinen Vorschriften zu den Gerichtsständen heranzuziehen (§§ 69-78).

Die sachliche Zuständigkeit in Zivilsachen liegt grundsätzlich beim Kreisgericht (Maakohus); liegt die Zuständigkeit von diesem Grundsatz abweichend bereits in der ersten Instanz beim Bezirksgericht (Ringkonnakohus), ist dies ausdrücklich gesetzlich festgelegt (u.a.--und andere §§ 630 folgende).

Auch die Bestimmung des Streitwerts ist detailliert gesetzlich geregelt (§§ 122-193).

Ein Suchdienst für das jeweils zuständige Gericht steht im Internet auf den Seiten des Europäischen Justizportals auf Deutsch zur Verfügung (Länderauswahl: Estland).

Rechtsmittel

Das estnische Gerichtssystem besteht aus folgenden Gerichten:

  • Kreisgerichte (estnisch Maakohus, englisch County Court)
  • Verwaltungsgerichte (estnisch Halduskohtus, englisch Administrative Court)
  • Bezirksgerichte (estnisch Ringkonnakohus, englisch zum Teil als Circuit Court, aber auch als Court of Appeal übersetzt)
  • Oberstes Gericht (estnisch Riigikohus, englisch: Supreme Court).

Die vier Kreisgerichte mit Sitz in Harju, Pärnu, Tartu und Viru, bilden die erste Instanz in Zivil-, Straf- und Handelssachen.

An den Kreisgerichten werden die Grundbücher und Handelsregister geführt. Die Rechtsgrundlage für diese gerichtlich geführten Register ist u.a.--unter anderem in der estnischen Zivilprozessordnung (Tsiviilkohtumenetluse seadustik, in englischer Übersetzung) verortet, und zwar in den §§ 591-601).

Verwaltungsstreitigkeiten werden vor den zwei Verwaltungsgerichten in Tallinn und Tartu ausgetragen.

Die drei Bezirksgerichte in Tallin, Tartu und Viru sind Rechtsmittelinstanz für erstinstanzliche Entscheidungen der Kreis- und Verwaltungsgerichte.

Das als Kassationsinstanz tätige Oberste Gericht verfügt über Kammern für Zivil-, Straf- und Verwaltungssachen, daneben entscheidet es über Verfassungsbeschwerden.

In Zivilsachen ist Anwaltszwang lediglich vor dem Staatsgerichtshof zu beachten.

Der Zivilprozess richtet sich nach der neuen, am 1.1.2006 in Kraft getretenen estnischen Zivilprozessordnung (Tsiviilkohtumenetluse seadustik, in englischer Übersetzung) die an die Stelle der Vorgängerregelung vom 22.4.1998 getreten ist.

Dort sind auch die Rechtsmittel ausführlich geregelt, und zwar:

  • Berufung (Apellatsioonimenetlus, Allgemeines §§ 630 folgende, zum Bezirksgericht §§ 655 folgende und zum Obersten Gericht §§ 695 folgende)
  • Kassationsverfahren (Kassatsiooni korras, §§ 668 folgende)
  • Revision (Teistmine, §§ 702 folgende)

Weitergehende Informationen zum Justizsystem und zu Richtern in Estland enthält die Internetseite des estnischen Justizministeriums (Punkt: Estonian Court System) sowie das offizielle estnische Informationsportal Estonica auf Englisch (Judicial System).

Germany Trade & Invest (Stand: 28.12.2017)

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