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Special EU Brexit

Beyond Brexit: das Abkommen für die Zeit danach

Das Handels- und Partnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich ist ausgehandelt. GTAI erklärt die relevantesten Regelungen.

Nach viereinhalb Jahren der Unsicherheit und Spekulation gibt es jetzt ein Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Vereinigten Königreich (VK). Das Abkommen wurde am 27. April 2021 vom Europäischen Parlament ratifiziert, davor war es bereits vorläufig angewandt worden.

In dieser Informationssammlung berichten wir über die wichtigsten Regelungen für die Zeit seit dem Ende der Übergangsphase.

  • EU-VK Freihandelsabkommen - offizielle Übersetzung veröffentlicht

    Die neue Version ersetzt die vorläufige Fassung

    Das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurde im EU-Amtsblatt L 149 in allen EU-Amtssprachen veröffentlicht. Es ersetzt die vorläufige Fassung, die am 31. Dezember 2020 im EU-Amtsblatt L 444 veröffentlicht worden war.

    Hintergrund ist, dass die vorläufige Übersetzung noch sprachjuristisch überarbeitet werden musste. Bei der Überarbeitung wurde auch die Benennung der Artikel und Anhänge geändert. 

    Die Europäische Kommission stellt umfangreiche Informationen zum Abkommen zur Verfügung:

    • Die EU-Datenbank Access2Markets wurde in Bezug auf das Abkommen aktualisiert. Informationen zu den Ursprungsregeln lassen sich über das integrierte Tool ROSA recherchieren.
    • Leitfaden zur Nutzung des Abkomens
    • FAQ zum Abkommen
  • Brexit: Warenverkehr ab 2021 - Ursprung und Präferenzen

    Das Handels- und Partnerschaftsabkommen sieht Zollfreiheit für Ursprungswaren vor. Nicht-tarifäre Handelshemmnisse kann das Abkommen nicht verhindern. 

    Großbritannien gehört ab 1. Januar 2021 nicht mehr zur EU-Zollunion und zum Binnenmarkt. Damit endet der freie Warenverkehr. Zwar konnten sich beide Seiten auf ein Abkommen verständigen, dennoch kommen auf Unternehmen zahlreiche Änderungen zu. Exporteure und Importeure müssen Zollförmlichkeiten beachten. Zollfreiheit gibt es nur für Waren, die die im Abkommen festgelegten Ursprungsregeln erfüllen. Für Nordirland gelten Sonderregeln.

    Das Abkommen geht im Bereich Warenverkehr einerseits über bisherige EU-Freihandelsabkommen hinaus, indem komplette Zollfreiheit für alle Waren gewährt wird. In anderen Regelungsbereichen bleibt es aber hinter den Vorschriften aus anderen Abkommen zurück. Folglich wird es in vielen Bereichen nicht-tarifäre Handelshemmnisse geben, die durch die EU-Mitgliedschaft der Briten bisher nicht bestanden. So gibt es beispielsweise keine gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Auch ein Mechanismus zur Anerkennung der Gleichwertigkeit von gesundheitspolizeilichen und pflanzenschutzrechtlichen Maßnahmen (SPS) fehlt im Abkommen.

    Zollfreiheit für Ursprungswaren

    Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem VK ist weitgehender als alle anderen Freihandelsabkommen, die die EU bisher geschlossen hat: Es sieht vollständige Zollfreiheit für alle Waren vor und schließt mengenmäßigen Beschränkungen aus (Teil 2, Handel, Art. 21). Voraussetzung für die Zollfreiheit ist, dass die Ursprungsregeln eingehalten werden.

    Die Einführung handelspolitischer Schutzmaßnahmen wie Antidumpingzölle, Antisubventionsmaßnahmen oder Strafzölle ist jedoch möglich.

    Ursprungsregeln

    Zollfreiheit gilt nur für Urprungserzeugnisse der Vertragspartner. Sie wird also nur dann gewährt, wenn Waren ihren Ursprung in der EU bzw. im Vereinigten Königreich haben.

    Das ist der Fall, wenn Waren in der EU bzw. im VK gemäß Artikel 39

    • Vollständig gewonnen werden im Sinne des Artikels 41,
    • vollständig aus Ursprungswaren hergestellt werden,
    • oder ausreichend be- bzw. verarbeitet wurden. Dabei darf nur ein bestimmter Anteil an Vormaterialien aus Drittstaaten verwendet werden. Hierbei sind produktspezifische Ursprungsregeln zu beachten (Anhang 3). Voraussetzung kann beispielsweise ein Tarifsprung (Verarbeitungsklausel) oder ein maximaler Anteil von Drittlandswaren (Wertschöpfungsklausel) sein.

    Hat eine Ware im Herstellungsprozess Ursprung erlangt, gilt die gesamte Ware als Ursprungserzeugnis, wenn sie als Vormaterial für die Herstellung eines anderen Produktes verwendet wird (Artikel 39 Absatz 2).

     Ausführliche Erläuterungen der Ursprungsregeln finden Sie hier:

    • Leitfaden der britischen Regierung
    • Die EU-Datenbank Access2Markets wurde in Bezug auf das Abkommen aktualisiert. Informationen zu den Ursprungsregeln lassen sich über das integrierte Tool ROSA recherchieren. Damit ist eine Selbstbewertung der Ursprungsregeln möglich. Es handelt sich dabei zwar nicht um eine rechtssichere Auskunft, bietet aber eine Orientierungshilfe für Unternehmen. 

    Kumulierung (Artikel 40)

    Das Abkommen sieht bilaterale Kumulierung vor. Damit können Ursprungserzeugnisse des Vertragspartners, die für die Herstellung des Fertigproduktes  im Zollgebiet der anderen Vertragspartei als  Vormaterialien Verwendung finden, für den Ursprung des Fertigproduktes berücksichtigt werden, wenn das Fertigprodukt  in das Gebiet des Vertragspartners  exportiert wird.

    Die Kumulierung erfolgt vollständig. Dies bedeutet, dass nicht nur Ursprungserzeugnisse des Vertragspartners, sondern jeder Produktionsschritt, auch wenn dieser och nicht den Ursprung des Vormaterials begründet, für die Ursprungsbestimmung des Fertigproduktes berücksichtigt wird.  Folglich  wird jede Wertschöpfung berücksichtigt, die in der EU-britischen Freihandelszone stattfindet.

    Beide Regelungen gelten allerdings nur, sofern die Be- bzw. Verarbeitung über die sogenannte Minimalbehandlung gemäß Artikel 43 hinausgeht.

    Präferenznachweise (Artikel 56)

    Präferenzursprungsnachweise werden im Rahmen eines Selbstzertifizierungssystems ausgestellt. Eine Warenverkehrsbescheinigung ist im Abkommen nicht vorgesehen. Exporteure bescheinigen den Warenursprung durch eine Erklärung zum Ursprung auf der Handelsrechnung, die dem vorgeschriebenen Wortlaut in Anhang 7 entspricht. Alternativ kann die Erklärung auf einem anderen Handelspapier erstellt werden, sofern die Ware in diesem Dokument ausreichend detailliert beschrieben wird, um sie identifizieren zu können.

    Die Erklärung zum Ursprung verlangt die Angabe einer Ausführer-Referenznummer. Hierbei handelt es sich um die REX-Nummer des Ausführers. Für Ausfuhren im Warenwert von weniger als 6000 Euro ist eine REX-Registrierung nicht notwendig.

    Der Präferenznachweis ist für eine einzelne Lieferung oder mehrere Lieferungen in einem bestimmten Zeitraum gültig. Dieser Zeitraum ist auf zwölf Monate begrenzt.

    Die Präferenzbehandlung kann gemäß Artikel 58 auch auf der Gewissheit des Importeurs basieren, dass das Produkt Präferenzursprung hat.

    Zwischen Abschluss und vorläufigem Inkrafttreten des Abkommen liegen nur wenige Tage. Wirtschaftsbeteiligte haben daher nicht ausreichend Zeit, um sich auf die Anforderungen des Abkommens vorzubereiten. Unternehmen können die Möglichkeit nutzen, den Ursprung nachträglich nachzuweisen und einen Erstattungsantrag für etwaig gezahlte Zölle zu stellen.  

     

    Von Stefanie Eich

  • Freihandelsabkommen EU-VK – nichttarifäre Handelshemmnisse  

    Seit 1. Januar 2021 gehört Großbritannien nicht mehr zum Binnenmarkt. Das Handels- und Partnerschaftsabkommen kann nichttarifäre Handelshemmnisse nicht abwenden.


    Durch den Brexit und den Austritt der Briten aus dem Binnenmarkt gibt es zwei rechtlich voneinander getrennte Märkte. Gemeinsame Produktvorschriften oder eine automatische gegenseitige Anerkennung, wie es sie im Binnenmarkt gab, gibt es nicht mehr. Waren müssen die Produktvorschriften des Zielmarktes erfüllen. 

    Das Wichtigste auf einen Blick

    • Einhaltung der Produktvorschriften des Zielmarktes
    • Keine gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen
    • Verweise auf internationale Standards
    • Selbstzertifizierung der Konformität für Waren mit geringen Risiko
    • Sektoren Anhänge für Wein, Bio-Waren sowie im Automobil-, Pharma- und Chemiebereich

    Standards und gegenseitige Anerkennung

    Eine gegenseitige Anerkennung von Produktvorschriften sieht das Abkommen ebenso wenig vor wie eine grundsätzliche gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen. Die Einhaltung dieser nationalen bzw. EU-Vorschriften wird von den zuständigen Marktüberwachungsbehörden kontrolliert.

    Beide Seiten konnten sich jedoch auf eine Definition internationaler Standards einigen. Durch den Verweis auf internationale Normungsgremien soll sichergestellt werden, dass Produktvorschriften und technische Anforderungen auf denselben internationalen Referenzen beruhen.

    Selbstzertifizierung der Konformität wird weiterhin möglich sein, sofern dies in der relevanten EU- bzw. britischen Gesetzgebung vorgesehen bzw. erlaubt ist.

    Details enthält Teil 2 des Abkommens zum Thema Handel in Kapitel 4: Technische Handelshemmnisse.

    Sektorale Anhänge

    Für einzelne Sektoren gibt es darüberhinausgehende Vereinbarungen. Für folgende Bereiche gibt es gesonderte Anhänge:

    Kraftfahrzeuge und Ausrüstung und Teile davon (Anhang 11)

    Der sektorale Anhang betrifft Kraftfahrzeuge, Ausrüstungsgegenstände und Teile davon, die unter die Kapitel 40, 84, 85, 87 und 94 des HS 2017 (Nomenklatur des Harmonisierten Systems) fallen.

    Ziel ist unter anderem die Beseitigung und Vermeidung unnötiger technischer Handelshemmnisse im Handel zwischen den beiden Vertragsparteien sowie eine stärkere Übereinstimmung und Angleichung der Rechtsvorschriften. Grundlage hierfür sollen internationale technische Standards bilden, die auf Ebene der UNECE (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen) festgelegt werden.

    Beide Vertragsparteien akzeptieren Produkte, für die ein gültiges UN-Typgenehmigungszertifikat gilt.

    Das Abkommen sieht zudem eine Kooperation bei der Entwicklung neuer Sicherheitsvorschriften und damit einhergehende Normen sowie Technologien vor.

    Arzneimittel (Anhang 12)

    Das Abkommen verpflichtet beide Vertragsparteien zur Anerkennung der Ergebnisse von Inspektionen in Produktionsstätten, die von den zuständigen Behörden der jeweils anderen Vertragspartei durchgeführt wurden. Doppelte Inspektionen zur Feststellung, ob die Anforderungen der Guten Herstellungspraxis entsprechen, sollen so vermieden werden.

    Zudem verpflichten sich die EU und das VK, die jeweils andere Vertragspartei über anstehende Änderungen oder die Einführung neuer Maßnahmen zu informieren.

    Chemikalien (Anhang 13)

    Auch in diesem Bereich ist eine Zusammenarbeit vorgesehen. Beide Parteien verpflichten sich zur Umsetzung des global harmonisierten Systems der Vereinten Nationen zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien sowie aller einschlägigen Leitlinien internationaler Organisationen.

    Der Anhang sieht zudem ein transparentes Verfahren zur Einstufung von Stoffen vor. Es besteht die Möglichkeit zum Austausch nicht vertraulicher Informationen.

    Ökologische Erzeugnisse (Anhang 14)

    Der Anhang regelt die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit der geltenden EU- und britischen Gesetzgebung und der Kontrollsysteme. Ökologische Erzeugnisse, die den EU bzw. britischen Vorschriften entsprechen und von einer anerkannten Kontrollstelle zertifiziert sind, können im jeweils anderen Markt in Verkehr gebracht werden.

    Ab 1. Januar 2022 treten neue EU-Vorschriften in Kraft. Daher ist eine Neubewertung der Gleichwertigkeit bis Ende 2023 vorgesehen.

    Gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (SPS)

    Die Regelungen hierzu finden sich in Teil 2 des Abkommens zum Thema Handel in Kapitel 3. Das Kapitel hat das Ziel, die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen zu schützen und dabei gleichzeitig den Handel zu erleichtern. Es soll sichergestellt werden, dass durch gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Maßnahmen (SPS) keine unnötigen Handelshemmnisse entstehen.

    Beide Vertragsparteien behalten ihre SPS-Vorschriften bei. Agrarwaren und Lebensmittel müssen die SPS-Anforderungen bei der Einfuhr in die EU respektive in Großbritannien erfüllen. Sie unterliegen Kontrollen an den dafür vorgesehenen Grenzkontrollstellen. Das Abkommen verpflichtet beide Seiten dazu, dass Kontrollen „in einem angemessenen Verhältnis zu den festgestellten Risiken stehen“ müssen (Artikel 73 Absatz 3 d). Es besteht die Möglichkeit, die Häufigkeit der Kontrollen einseitig zu reduzieren. Die Notwendigkeit für Kontrollen fällt jedoch durch das Abkommen nicht weg.

    Von Stefanie Eich

  • Dienstleistungserbringung im VK: Wie der Lizenzfinder helfen kann

    Das Freihandelsabkommen EU-VK widmet sich auch Dienstleistungen und Investitionen. Es finden sich Ausführungen zu Inländerbehandlung, Meistbegünstigung sowie Vorbehaltsregelungen.

    Das Ende der Dienstleistungsfreiheit

    Mit dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus dem Dienstleistungs-Binnenmarkt endete die Dienstleistungsfreiheit. Der Partnerschaftsvertrag zwischen Europäischer Union (EU) und Vereinigtem Königreich (VK) trifft daher neue Regelungen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen.

    Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit sieht im zweiten Teil Erleichterungen für den Handel mit Dienstleistungen und Investitionen vor, die über die grundlegenden Bestimmungen des Rechts der Welthandelsorganisation (WTO) hinausgehen. Dabei deckt das Abkommen verschiedene Sektoren ab, einschließlich Unternehmensdienstleistungen, Liefer- und Telekommunikationsdienstleistungen, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen und Umweltdienstleistungen.

    Bestimmte Dienstleistungsbereiche sind allerdings von der Liberalisierung ausgenommen. Hierzu zählen insbesondere einige Verkehrsdienstleistungen sowie audiovisuelle Dienstleistungen. Dies entspricht gängiger Praxis in anderen von der EU ausgehandelten Freihandelsabkommen.

    Für den Bereich Finanzdienstleistungen gelten Sonderregelungen. So streben beispielsweise beide Parteien bis März 2021 eine Vereinbarung zur Schaffung eines Rahmens für die regulatorische Zusammenarbeit an.

    Neue Bedingungen für die Dienstleistungserbringung

    Seit dem 1. Januar 2021 gelten neue Regeln für den Bereich Dienstleistungen und Investitionen: Dienstleistungsanbieter aus der EU, die im VK tätig werden wollen, müssen neue Bedingungen erfüllen. Dies gilt auch in umgekehrter Richtung. Der tatsächliche Umfang des Marktzugangs hängt davon ab, in welcher Form die Dienstleistung erbracht wird. Hier wird nach vier verschiedenen Modi unterschieden:

    1. Die Dienstleistung wird grenzüberschreitend vom Heimatstaat des Dienstleisters aus erbracht, zum Beispiel per Internet oder Telefon (Modus 1).
    2. Die Dienstleistung wird im Land des Dienstleisters erbracht, beispielsweise an einem Kunden, der ins Ausland reist und dort eine Dienstleistung empfängt (Modus 2).
    3. Die Dienstleistung wird über eine Niederlassung im Ausland erbracht (Modus 3).
    4. Der Dienstleistungserbringer reist ins Ausland und erbringt die Dienstleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Staates (Modus 4).

    Der Bereich Dienstleistungen im Partnerschaftsabkommen

    Der Marktzugang ist in Artikel 135 geregelt. Danach sollen die Vertragsparteien keine Maßnahmen ergreifen, die zu einer quotenmäßigen Beschränkung oder zu einer wirtschaftlichen Bedarfsprüfung führen – weder bezogen auf das gesamte Staatsgebiet noch begrenzt auf bestimmte Regionen.

    Gemäß Artikel 136 besteht kein Erfordernis eine lokale Präsenz im Gebiet der anderen Vertragspartei zu unterhalten, um eine Dienstleistung erbringen zu dürfen.

    Artikel 137 statuiert die Inländerbehandlung, das heißt, ausländische Dienstleistungserbringer sollen nicht schlechter behandelt werden als inländische. Somit gewährt jede Vertragspartei Dienstleistern und Dienstleistungen der anderen Vertragspartei eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die Behandlung, die sie in vergleichbaren Situationen ihren eigenen Dienstleistern und Dienstleistungen gewährt.

    Artikel 138 widmet sich der Meistbegünstigung. Demnach gewährt jede Vertragspartei Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern der anderen Vertragspartei eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die, die sie in vergleichbaren Situationen Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines Drittlandes gewährt.

    Artikel 139 enthält sodann eine Vorbehaltsregelung zu nichtkonformen Maßnahmen: In der Praxis wird die tatsächliche Möglichkeit, eine bestimmte Dienstleistung zu erbringen, daher auch von bestimmten im Abkommen festgelegten Vorbehalten abhängen, die europäischen Dienstleistungserbringern auferlegt werden können, wenn sie im VK Dienstleistungen erbringen – und umgekehrt. Sind bestimmte Sektoren oder Tätigkeiten in den Anhängen des Abkommens gelistet, so gelten die zuvor genannten Prinzipien nur eingeschränkt. Diese Listen sind als sogenannte Negativlisten ausgestaltet. Das bedeutet, dass grundsätzlich jede Art der Dienstleistungserbringung erlaubt ist, sofern sie nicht explizit von dem Geltungsbereich des Abkommens ausgenommen ist. In den Anhängen finden sich daher Sektoren, die vollständig ausgeklammert sind oder für die Beschränkungen gelten.

    In Anhang 19 finden sich bereits existierende Beschränkungen; so sind beispielsweise juristische und Wirtschaftsprüfungsdienstleistungen (Nr. 2) sowie Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (Nr. 4) gelistet. Um bestimmte Rechtsdienstleistungen zu erbringen, kann es daher erforderlich sein, eine Genehmigung oder eine Lizenz von einer zuständigen Behörde zu erhalten oder bestimmte Registrierungsanforderungen zu erfüllen. Für mit öffentlichen Mitteln finanzierte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, die vom VK finanziert werden, dürfen ausschließliche Rechte oder Genehmigungen nur Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs und juristischen Personen des Vereinigten Königreichs mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung im VK erteilt werden.

    Anhang 20 listet Bereiche auf, in denen sich das VK vorbehält, künftige Maßnahmen zu ergreifen oder beizubehalten: so zum Beispiel in Bezug auf Bildungsdienstleistungen (Nr. 8), Dienstleistungen im Bereich Freizeit, Kultur und Sport (Nr. 11) sowie Transportdienste (Nr. 12).

    Die Vorbehalte einer Vertragspartei lassen die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien im Rahmen des WTO-Abkommens General Agreement on Trade in Services (GATS) unberührt.

    Der Lizenzfinder

    Die britische Regierung hat ein Tool eingerichtet, das Auskunft über die zur Dienstleistungserbringung potenziell notwendigen Lizenzen gibt. Nach Eingabe des Dienstleistungssektors und der konkreten Tätigkeit sowie dem Ort der Dienstleistungserbringung werden entsprechende Suchergebnisse angezeigt.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Brexit: Geschäftsreisen im neuen Freihandelsabkommen

    Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit macht visumsfreie Geschäftsreisen weiterhin möglich - allerdings nur für bestimmte Aktivitäten

    Es gibt zwei Arten von Geschäftsreisenden

    Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit EU-VK (im Folgenden: „das Abkommen“) enthält Regelungen für bestimmte Geschäftsreisen. Es kennt zwei Arten von Reisenden:

    • „für kurze Zeit einreisende Geschäftsreisende“ (short-term business visitors; Artikel 142) und
    • „Investitionszwecke verfolgende Geschäftsreisende“ (business visitors for establishment purposes; Artikel 140 Absatz 5 (a)).

    Ein wichtiger Hinweis vorab: Bei der Einreise sollten sich Geschäftsreisende darauf einstellen, dass sie darlegen und glaubhaft machen müssen, was sie im VK vorhaben. Am besten geschieht dies durch passende Dokumente – zum Beispiel Verträge oder Vertragsentwürfe, Eintrittskarten für Messen, Terminabsprachen mit Kunden o.ä. Für Investitionszwecke verfolgende Geschäftsreisende können zum Beispiel Vorstandsbeschlüsse über die Errichtung einer britischen Dependance in Betracht kommen. Ebenfalls wichtig: die Einreise mit dem Personalausweis wird nur noch vorübergehend für einige Zeit möglich sein. Idealerweise ab sofort sollten Geschäftsreisende daher mit ihrem Reisepass einreisen.

    Für kurze Zeit einreisende Geschäftsreisende

    Was genau für kurze Zeit einreisende Geschäftsreisende sind, ist im Abkommen nicht definiert. Allerdings gibt es bestimmte Aktivitäten, die ihnen verwehrt sind, und andere, die ausdrücklich gestattet werden. Für eine visumsfreie Einreise qualifiziert sich nur, wer eine oder mehrere der ausdrücklich gestatteten Tätigkeiten ausübt.

    Was darf man nicht im Rahmen einer kurzen Geschäftsreise?

    Geschäftsreisende dürfen im Gastland weder Waren verkaufen oder Dienstleistungen erbringen noch ein Gehalt aus dem Gastland beziehen. Sie dürfen außerdem nicht im Rahmen eines Vertrags ihres Arbeitgebers mit einem Unternehmen des Gastlandes Dienstleistungen erbringen – hiervon gibt es allerdings einige wichtige Ausnahmen.

    Welche Aktivitäten sind im Rahmen einer kurzen Geschäftsreise möglich?

    Die erlaubten Aktivitäten sind in Punkt 8. des Annex 21 abschließend aufgezählt. Die britische Seite hat keine abweichenden Maßnahmen gemeldet, so dass aktuell alle genannten Aktivitäten möglich sind. Hierzu zählen unter anderem:

    •             Teilnahme an Meetings, Konferenzen

    •             Markterkundung

    •             Teilnahme an Messen zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit (nicht zum Zwecke der Dienstleistungserbringung)

    •             Annahme von Bestellungen, Vertragsverhandlungen über Dienstleistungen oder Waren

    •             Einkauf von Waren oder Dienstleistungen für die Zwecke des heimischen Unternehmens

    •             Beteiligung an geschäftlichen Transaktionen (gilt für das Management und für befasste Finanzdienstleister)

    •             Reiseführer und Übersetzungsdienstleistungen.

    Eine besonders praxisrelevante erlaubte Aktivität im Rahmen einer kurzen Geschäftsreise ist die Erbringung verkaufsnaher Dienstleistungen („after-sales oder after-lease services“; Annex 21 Nr. 8 h): Diese gilt für Installations-, Reparatur- und Wartungspersonal (und deren Vorgesetze) mit Spezialwissen, das für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen des Verkäufers wichtig ist. Dieses Personal erbringt Dienstleistungen (oder schult andere in der Erbringung solcher Dienstleistungen), die im Zusammenhang mit einer Garantie oder einem anderen Dienstvertrag stehen, der wiederum im Zusammenhang mit dem Kauf oder der Miete von gewerblich oder industriell genutzten Maschinen oder Anlagen (inklusive Computersoftware) steht. Diese Güter sind gekauft oder gemietet worden von einer juristischen Person, die aus der selben Vertragspartei (EU oder VK) kommt wie das Personal. Dies gilt für die Dauer der Garantie oder des Dienstleistungsvertrages.

    Unklar bleibt leider bis auf Weiteres, wie die britische Seite diese Regelung mit der nationalen Regelung in den Immigration Rules in Einklang bringen will, nach der diese Möglichkeiten ausschließlich Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Herstellers zur Verfügung stehen. In dieser Sache ist noch mit weiteren Entwicklungen zu rechnen. Bis dahin dürfte es legitim sein, sich auf die o.g. Regelung, die vom britischen Parlament gebilligt wurde, zu berufen.      

    Investitionszwecke verfolgende Geschäftsreisende

    Investitionszwecke verfolgende Geschäftsreisende sind Führungskräfte einer juristischen Person, die für den Aufbau einer Geschäftseinrichtung im Gastland verantwortlich sind. Voraussetzung für die visafreie Einreise: keine Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder sonstige wirtschaftliche Aktivität (außer für die Investition), kein Gehalt aus einer Quelle des Gastlandes. Eine weitere Einschränkung: in Punkt 7. des Annex 21 hat das Vereinigte Königreich den Anwendungsbereich auf kommerzielle Unternehmen begrenzt.

    Keine vorherigen Erlaubnisse

    Für beide oben genannte Kategorien gilt, dass sich die Geschäftsreisenden für bis zu 90 Tage je Sechsmonatszeitraum im Gastland aufhalten dürfen. Da Deutschland auf der britischen Liste der visumsfreien Länder steht, dürfen die oben genannten Geschäftsreisenden auch künftig ohne Visum und ohne Arbeitserlaubnis in das Vereinigte Königreich einreisen. Außerdem gibt es keine wirtschaftliche Bedarfsprüfung oder sonstige Verfahren mit ähnlicher Zielrichtung. Zu beachten ist allerdings, dass dies an die oben genannten Aufenthaltszwecke / Aktivitäten gebunden ist. Die Ausübung nicht genannter Aktivitäten führt dazu, dass der Aufenthalt im Vereinigten Königreich illegal wird.

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Brexit: Die Einreise zur Dienstleistungserbringung ab 2021

    Das neue Abkommen über Handel und Zusammenarbeit schafft kaum Erleichterung: Die Erbringung von Dienstleistungen im Vereinigten Königreich wird komplizierter, oft sogar unmöglich.

    Die Dienstleistungsfreiheit EU-VK hat geendet

    Zwar gibt es einige Ausnahmen, die in unserem Rechtsbericht über Geschäftsreisende erläutert werden. Die neue Regel des neuen Freihandelsabkommens ist jedoch: Wer in das Vereinigte Königreich (VK) einreist, um dort Dienstleistungen zu erbringen, benötigt eine vorherige Genehmigung. Und deren Erteilung ist keineswegs garantiert. Dabei klingt Artikel 143 zunächst recht vielversprechend. Dort ist nämlich geregelt, dass die Parteien des Abkommens die Einreise und den vorübergehenden Aufenthalt von Erbringern vertraglich geschuldeter Dienstleistungen (contractual service suppliers – CSS) erlauben; dasselbe gilt für selbständig tätige Dienstleister (independent professionals). Außerdem soll es keine zahlenmäßigen Obergrenzen geben, ebensowenig eine vorherige Prüfung des wirtschaftlichen Bedarfs für die Dienstleistung. Und schließlich gibt es ein Verbot der Diskriminierung ausländischer Dienstleistungserbringer.

    Allerdings sind diese Rechte nur im Rahmen konkreter Regelungen für bestimmte Branchen und Aktivitäten gewährleistet – und hier gibt es erhebliche Einschränkungen. Und selbst wenn diese Einschränkungen nicht gelten und alle anderen Anforderungen erfüllt sind: Die Beantragung der vorherigen Genehmigung ist aufwändig.  

    Was ist ein „Erbringer vertraglich geschuldeter Dienstleistungen“?

    Artikel 140 Absatz 5 Nr. (b) enthält die Definition des „contractual service supplier“. Und schon hier werden erhebliche Anforderungen gestellt. Ein CSS ist eine natürliche Person, die bei einer juristischen Person angestellt ist (keine Leiharbeitsverhältnisse), welche wiederum im Gastland keine Präsenz haben darf. Außerdem dürfen CSS keine Entlohnung aus dem Gastland erhalten. Der Arbeitgeber des CSS hat einen Dienstvertrag für eine Dauer von maximal 12 Monaten akquiriert, zu dessen Erfüllung die Anwesenheit natürlicher Personen im Gastland erforderlich ist. Diese natürlichen Personen müssen die betreffenden Dienstleistungen seit mindestens einem Jahr, gerechnet ab Beantragung der Einreise in das Gastland, als Beschäftigte des die Dienstleistungen erbringenden Unternehmens anbieten und zum Zeitpunkt der Antragstellung über mindestens drei Jahre Berufserfahrung in dem Tätigkeitsbereich verfügen, auf den sich der Vertrag bezieht. Überdies muss die betroffene natürliche Person einen Hochschulabschluss oder eine gleichwertige Qualifikation besitzen und über die für die konkrete Tätigkeit erforderliche Berufsqualifikation verfügen.   

    Die Liste mit Einschränkungen

    Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist lediglich die erste Hürde genommen. Es gibt weitere Einschränkungen - Anhang 22 des Abkommens enthält die konkreten Regelungen. Die wichtigste Information vorab: Nur wenn die konkrete Branche oder wirtschaftliche Aktivität dort ausdrücklich genannt ist, sind die Parteien des Freihandelsabkommens verpflichtet, Dienstleistungserbringer einreisen zu lassen. Es handelt sich also um eine Positivliste, oder anders formuliert: Die fragliche Aktivität ist für ausländische Dienstleister nicht zugelassen, außer, sie ist ausdrücklich genannt. Natürlich können die Parteien großzügiger sein und auch nicht ausdrücklich gelistete Aktivitäten erlauben. Aber es gibt keinen Anspruch, und eine solche Erlaubnis wäre auch jederzeit widerrufbar.

    Welche Aktivitäten sind ausdrücklich erlaubt

    In der Positivliste sind unter anderem Dienstleistungen aus den Bereichen Buchhaltung und Rechnungswesen, Steuerberatung, Architektur sowie Ingenieurwesen, Wartung und Reparatur bestimmter Maschinen sowie Bau und verwandte Ingenieurtätigkeiten genannt. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Die komplette Liste findet sich, getrennt nach angestellten und selbständigen Dienstleistern, in Anhang 22 des Abkommens.

    Welche Einschränkungen gibt es

    Die Positivliste, die ja eigentlich Dienstleistungen erlaubt, gilt für alle Länder. Sie unterliegt ihrerseits zahlreichen  nationalen Einschränkungen, gewissermaßen Rückausnahmen. Diese sind die sogenannten reservations (in etwa: Vorbehalte). Die dortigen CPC-Klassifizierungen beziehen sich auf die provisional CPC von 1991. Besonders auffällig: Sowohl die britische Seite als auch viele EU-Mitgliedstaaten (einschließlich Deutschland) übernehmen in der Baubranche, die ja auf der Positivliste vermerkt ist, keine Verpflichtung für Marktzugang – die reservations erstrecken sich auf nahezu alle Tätigkeiten.

    Das Verwaltungsverfahren

    Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, kann das Visum beantragt werden – frühestens drei Monate vor dem Arbeitsbeginn. Es handelt sich um ein Temporary Worker – International Agreement (Tier 5) Visum. Wichtigste Voraussetzung für die Beantragung ist, dass auf der britischen Seite ein so genanntes „sponsorship certificate“, ausgestellt durch einen licenced sponsor existiert. Mit diesem certificate erklärt der britische sponsor sich gegenüber der britischen Ausländerbehörde verantwortlich – zum Beispiel dafür, dass die ausländischen Dienstleister die notwendigen Qualifikationen für die Arbeit haben. Zu den weiteren Aufgaben des Sponsors zählt auch die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Einwanderungsrechts. Er ist dafür verantwortlich, dass die Aktivitäten des ausländischen Dienstleisters den Vorgaben des Abkommens entsprechen und dass die Vorgaben des britischen Ausländerrechts beachtet werden. Insofern wird der Sponsor seinerseits vom britischen Innenministerium beaufsichtigt.

    Wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind, können sich Dienstleistungserbringer für die Dauer des Vertrages, längstens aber für bis zu zwölf Monate im Vereinigten Königreich aufhalten. Nationales britisches Recht ermöglicht in vielen Fällen sogar bis zu zwei Jahre.    

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Brexit: Entsendung und Sozialversicherung ab 2021

    Das Trade and Cooperation Agreement vom 24. Dezember 2020 enthält wichtige Regelungen zum Thema Entsendung und Sozialversicherung. Vieles bleibt zunächst so, wie es ist.

    Mit dem Ablauf der Übergangsphase endete auch die Geltung des europäischen Rechts zur Koordinierung der Sozialversicherung im VK, insbesondere die Verordnung (EG) 883/2004. Ohne eine Regelung wäre das Vereinigte Königreich vertragsloses Ausland geworden, was erhebliche Unsicherheit mit sich gebracht hätte – besonders die Bestimmung des anwendbaren Rechts wäre kaum zuverlässig möglich gewesen. In diesem Bericht geht es um Sachverhalte, die ab 2021 beginnen. Sachverhalte, die bis Ende 2020 begonnen haben, werden im Zweifel im Austrittsabkommen geregelt sein.

    Die neuen Regelungen finden sich nicht im Abkommen selbst, sondern in einem gesonderten Protokoll über die Koordinierung der sozialen Sicherheit (KSS), das zunächst für einen Zeitraum von 15 Jahren gelten soll.

    Welches Recht gilt bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung

    Die Regelungen zur Sozialversicherung bei vorübergehender Auslandsbeschäftigung finden sich in einem Protokoll des neuen Abkommens über Handel und Zusammenarbeit EU-VK, dort in den Artikeln KSS.10 und KSS.11. In Artikel KSS.10 wird zunächst die international übliche Regelung getroffen, nach der sich die Sozialversicherungspflicht nach dem Beschäftigungsort richtet. Für die vorübergehende Arbeitsleistung in einem anderen Land regelt Artikel KSS.11 eine Ausnahme:

    Wer normalerweise in einem Land arbeitet und von seinem Arbeitgeber in ein anderes Land entsandt wird, um dort im Namen des Arbeitgebers seine Arbeitsleistung zu erbringen, ist weiterhin im Heimatland sozialversichert, vorausgesetzt

    • die Dauer der Auslandsbeschäftigung überschreitet nicht 24 Monate, und
    • der entsandte Mitarbeiter nicht einen anderen entsandten Mitarbeiter ablöst.

    Dies gilt auch für selbständig Tätige, wobei das Ablöseverbot nicht einschlägig ist. Die genannten Regelungen entsprechen inhaltlich derjenigen in Artikel 12 der Verordnung (EG) 883/2004.

    Diese Regelungen gelten allerdings nur für solche Mitgliedstaaten der EU, die ausdrücklich für die Geltung optiert haben, siehe Artikel KSS.11 Absatz 2. In der dort genannten Notifizierung vom 31. Dezember 2020 ist Deutschland in Kategorie C eingeteilt, hat also keine Äußerung getroffen. Für diesen Fall regelt das Abkommen eine vorläufige Geltung, zunächst für einen Monat (Artikel KSS.11 Absatz 5). Innerhalb dieses Monats wird die Äußerung nachgeholt. Nach hiesiger Einschätzung dürfte relativ wenig Zweifel daran bestehen, dass sich Deutschland für die Geltung des Artikel KSS.11 entscheiden wird.

    Was gilt bei Beschäftigung in mehreren Ländern

    Das Protokoll trifft in Artikel KSS.12 ausführliche Regelungen für Fälle mit Bezug zum VK, in denen dauerhaft in mehr als einem Land gearbeitet wird. Auch hier knüpft die Regelung an die europäische Rechtslage an: Wenn ein wesentlicher Teil der Beschäftigung im Wohnsitzstaat ausgeübt wird, gilt das Sozialversicherungsrecht des Wohnsitzstaats. Wenn kein wesentlicher Teil der Beschäftigung im Wohnsitzstaat ausgeübt wird, ist das Recht desjenigen Landes anwendbar, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat.    

    Für selbständig Tätige gilt ebenfalls das Recht des Wohnsitzstaates, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausüben, anderenfalls das Recht desjenigen Staates, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten befindet.

    Wie werden diese Regelungen umgesetzt?

    Die Thematik der verwaltungstechnischen Durchführung der oben genannten Regelungen ist in Annex KSS-7 des Protokolls geregelt. Für das Formular A1 wie auch für die Europäische Krankenversicherungskarte regelt Artikel KSSD.75 des Protokolls, dass diese zunächst weiterverwandt werden sollen. Die längerfristige Regelung dieser Thematik wird dem spezialisierten Ausschuss für die Koordinierung der Sozialversicherung übertragen. So lange dieser keine neue Regelung findet, bleibt die Übergangsregelung in Kraft. Wichtig in diesem Zusammenhang: Unter dieser vorübergehenden Regelung ausgestellte Dokumente bleiben für die Dauer, für die sie ausgestellt sind gültig, auch wenn zwischenzeitlich die neue Regelung schon in Kraft getreten ist.     

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Das geistige Eigentum und der Brexit

    Der Schutz von Marken und Designs im Vereinigten Königreich richtet sich nicht mehr nach europäischen Regelungen. Patente hingegen bleiben vom Brexit weitgehend unberührt.

    Der Austritt des Vereinigten Königreichs (VK) aus der Europäischen Union (EU) bringt auch Änderungen im Bereich der Rechte des Geistigen Eigentums mit sich: Mit dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 endete die Geltung der europäischen Vorschriften in Bezug auf Unionsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Designs) im VK. Dies betrifft vor allem die Verordnung (EU) 2017/1001 (Unionsmarkenverordnung) sowie die Verordnung (EG) Nr. 6/2002 (Geschmacksmusterverordnung).

    Patente

    Der Bereich des Patentschutzes hat zum Jahreswechsel keine Brexit-bedingten Änderungen erfahren, denn Patentrecht ist rein nationales Recht und nicht auf europäischer Ebene geregelt. Da das VK Partei des Europäischen Patentübereinkommens ist, sind alle auf Grundlage dieses Übereinkommens erteilten Patente sowie nationale britische Patente nicht vom Austritt des VK aus der EU betroffen. Der bisherige Schutz bleibt somit trotz des Endes der Übergangsphase unverändert bestehen. 

    Unionsmarken

    Vor dem 1. Januar 2021 bereits bestehende Rechte werden von entsprechenden Regelungen im Austrittsabkommen umfasst: Darin ist die Fortgeltung von Unionsmarken im VK vorgesehen (Art. 54 Abs. 1). Inhaber eines eingetragenen Schutzrechts werden daher ohne erneute Prüfung Inhaber eines vergleichbaren Rechts (comparable trade mark) im Vereinigten Königreich. Die Überführung erfolgt automatisch, es entstehen keine zusätzlichen Kosten. Wenn der Markenschutz nach diesem Zeitpunkt allerdings erneuert werden soll, so sind künftig auch im VK Gebühren zu zahlen.

    Bei anhängigen Anmeldungen kann gemäß Art. 59 Abs. 1 des Austrittsabkommens innerhalb von neun Monaten nach Ablauf der Übergangsphase aktiv im VK ein britisches Pendant beantragt werden. Ein solcher Antrag gilt dann als an demselben Anmelde- und Prioritätstag gestellt, an dem der Antrag in der EU gestellt wurde. Der entsprechende Mechanismus steht bis zum 30. September 2021 zur Verfügung. Für die Anmeldung sind die im VK üblichen Gebühren zu entrichten.

    Markeninhaber, die ihre Marke auch im VK schützen wollen, müssen seit dem 1. Januar 2021 einen eigenständigen Antrag im VK stellen, um eine nationale britische Marke zu erlangen. Eine Übersicht über das Verfahren hält die britische Regierung auf ihrer Webseite bereit.

    Gemeinschaftsgeschmacksmuster

    Für Designs gilt ähnliches: Bei Rechten, die bereits zum 31. Dezember 2020 bestanden, greift ebenfalls Art. 54 des Austrittsabkommens und damit der Fortbestand des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters auch im Vereinigten Königreich. Ein solches Design wird ohne notwendiges Zutun des Inhabers in ein vergleichbares britisches Recht (re-registered design) umgewandelt.

    Wer vor dem Ablauf der Übergangsphase nach dem Unionsrecht einen Antrag auf ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestellt hat, kann innerhalb von neun Monaten einen entsprechenden Antrag im VK stellen. Ein solcher Antrag gilt dann gemäß Art. 59 Abs. 1 des Austrittsabkommens als an demselben Anmelde- und Prioritätstag gestellt, an dem der Antrag in der EU gestellt wurde. Der entsprechende Mechanismus steht bis zum 30. September 2021 zur Verfügung. Für die Anmeldung sind die im VK üblichen Gebühren zu entrichten.

    Jeder, der ein Geschmacksmuster sowohl in der EU als auch im VK schützen möchte, muss seit dem 1. Januar 2021 getrennte Anmeldungen für ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster und für ein UK-registered design vornehmen. Wie das Verfahren auf britischer Seite abläuft, erklärt die britische Regierung auf ihrer Webseite.

    Nicht eingetragene Geschmacksmuster

    Artikel 57 des Austrittsabkommens befasst sich mit der Fortgeltung von nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern im VK. Danach werden Inhaber eines Rechts an einem vor dem 1. Januar 2021 entstandenen, nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster Inhaber eines UK continuing unregistered design. Dieses gewährt denselben Schutz wie die Verordnung (EG) Nr. 6/2002 und gilt für den Rest der noch verbleibenden dreijährigen Schutzdauer.

    Zudem führt das VK ein neues Schutzrecht ein: Seit dem 1. Januar 2021 ist ein ergänzendes nicht eingetragenes Geschmacksmuster (supplementary unregistered design – SUD) im britischen Recht verfügbar. Welche Voraussetzungen hierfür zu erfüllen sind, listet die britische Regierung auf ihrer Webseite.

    Zustellanschrift im Vereinigten Königreich

    Seit dem 1. Januar 2021 ist vor allem für die Korrespondenz mit dem britischen Patentamt eine britische Zustelladresse erforderlich. Hierbei kann es sich um eine eigene Adresse oder um die eines Vertreters handeln. Adressen, die im Gebiet des europäischen Wirtschaftsraumes liegen, genügen dementsprechend nicht mehr. Eine Sonderregelung gilt allerdings insbesondere für bereits vor dem Ende der Übergangsphase eingetragene Unionsmarken oder Gemeinschaftsgeschmacksmuster: In Bezug auf diese Rechte darf die Zustelladresse noch für einen Zeitraum von drei Jahren außerhalb des Gebiets des VK liegen, sofern das betreffende Recht nicht Gegenstand eines Rechtsstreits wird. Zusätzliche Informationen zur Zustelladresse (adress of service) hält die britische Regierung auf ihrer Webseite bereit.

    Weiterführende Informationen

    Die Europäische Kommission hat eine Mitteilung veröffentlicht, die sich mit den Konsequenzen des Brexits im Hinblick auf Rechte des Geistigen Eigentums befasst. Weitergehende Hinweise hält auch das britische Patentamt (Intellectual Property Office – IPO) bereit.

    Von Nadine Bauer | Bonn

  • Öffentliche Aufträge post-Brexit

    Das Handels- und Kooperationsabkommen EU-Vereinigtes Königreich (VK) geht in seinen Bestimmungen zum öffentlichen Beschaffungswesen über die Bestimmungen des WTO-Rechts hinaus.

    Die Bestimmungen des neuen europäisch-britischen Freihandelsabkommens (das Abkommen) zu Auftragsvergaben der öffentlichen Hand finden sich in den Vorschriften des Abkommens (Artikel 276 ff) sowie in Anhang 25. Sie sind eng mit den Regeln des Government Procurement Agreement (GPA) der WTO verknüpft. Das GPA ist ein plurilaterales Abkommen unter dem Dach der WTO. Sowohl die EU als auch die britische Seite sind diesem Abkommen beigetreten.

    Ein wichtiger Hinweis vorab: Für Vergabeverfahren, die bis Ende 2020 eingeleitet wurden, gelten bis zu deren Abschluss noch die Regeln des europäischen Vergaberechts. Dies regeln die Artikel 75 ff. des Austrittsabkommens vom 12. November 2019 (2019/C 384 I/01). Die folgenden Bestimmungen gelten also nur für Vergabeverfahren, die nach dem Ende der Übergangsphase eingeleitet werden.

    Ausgangspunkt ist das Government Procurement Agreement der WTO

    Wie viele andere WTO Regelwerke besteht auch das GPA zum einen aus einem Teil mit materiellen Regelungen, zum anderen aus Anhängen, in denen die Vertragsparteien den konkreten Anwendungsbereich dieser Regelungen festlegen.

    Die wichtigsten materiellen Regelungen finden sich vor allem in den Artikeln IV (allgemeines Diskriminierungsverbot; bei elektronischer Vergabe: Sicherstellung, dass die Software kompatibel mit weitverbreiteter Software ist; keine über die bilateralen Ursprungsregeln hinausgehenden Ursprungserfordernisse für Waren und Dienstleistungen), Artikeln VI und VII (möglichst weite Veröffentlichung von die Vergabe betreffenden Regelungen sowie konkreter Vergabeverfahren), Artikel VIII (Verbot unnötiger Teilnahmebedingungen), Artikel XI (Gebot angemessener Fristen), Artikel XV (Gebot der Fairness, Unparteilichkeit und Vertraulichkeit), Artikel XVI (Transparenz hinsichtlich der Entscheidung) und Artikel XVIII (Gebot des effektiven Rechtsschutzes).

    Der Anwendungsbereich der Regelungen des GPA ergibt sich aus den Anhängen, die die Vertragsparteien bei der WTO hinterlegen. In diesen Anhängen erklären die Parteien, welche öffentlichen Auftraggeber aus ihrem Gebiet konkret an die Regeln des GPA gebunden sein sollen (Anhänge 1 bis 3). Außerdem legen sie fest, für die Beschaffung welcher Güter und Dienstleistungen die Regelungen gelten (Anhänge 4 bis 6). 

    Das Abkommen geht über das GPA hinaus

    Zweck der Regelungen des Abkommens zur Vergabe öffentlicher Aufträge ist gemäß Artikel 276 die Gewährleistung erweiterter Gelegenheiten zur Teilnahme an öffentlichen Beschaffungen sowie die Verbesserung der Transparenz solcher Verfahren. Erreicht wird dies zunächst dadurch, dass nahezu alle Vorschriften des GPA auch auf das Verhältnis EU-VK für anwendbar erklärt (siehe Abschnitt A des Anhangs 25) und sodann Ergänzungen vorgenommen werden.

    Der Anwendungsbereich

    Hinsichtlich des Anwendungsbereiches, der sich ja zunächst aus den Anhängen zum GPA ergibt, sieht das Abkommen Erweiterungen vor. Diese sind ebenfalls in Anhang 25 enthalten, und zwar in Abschnitt B.1 für die EU und in Abschnitt B.2 für das VK. Als weitere Beschaffungsstellen, für die das Regelwerk gelten soll und die nicht im GPA enthalten sind, werden Betreiber von Gas- und Fernwärmenetzen genannt, sofern der Auftragswert 400.000 SZR (SZR =  Sonderziehungsrecht; 1 SZR = 1,19 EUR (Stand 11. Februar 2021)) für Waren und Dienstleistungen, bzw. 5 Mio SZR für Bauleistungen überschreitet. Außerdem werden bestimmte Dienstleistungen erfasst, die nicht im britischen Anhang des GPA gelistet sind. Hierzu zählen insbesondere Hotel- und Restaurantdienstleistungen (CPC 641, 642 und 643) und Bildungsleistungen (CPC 92), sofern der Auftragswert, je nach ausschreibender Institution, mindestens GBP 663.540 bzw. GBP 884.720 beträgt, sowie Telekommunikationsdienstleistungen sowie einige weitere unternehmensbezogene Dienstleistungen.

    Materielle Regelungen

    Soweit möglich sollen Beschaffungen elektronisch abgewickelt werden, Bekanntmachungen und Vergabebekanntmachungen müssen kostenlos elektronisch zugänglich sein, Vergabestellen müssen in der Lage sein, elektronische Rechnungen zu verarbeiten (Artikel 278 und 279). Für viele Vergabeverfahren müssen die Unternehmen bestimmte Erfahrungen nachweisen um teilnehmen zu können. Hierbei darf nicht verlangt werden, dass diese Erfahrungen im Gebiet der ausschreibenden Vertragspartei (EU / Mitgliedstaat oder VK) gemacht wurden (Artikel 281). Entscheidet sich die beschaffende Stelle für ein beschränktes Verfahren, muss sie sicherstellen, dass genügend Angebote eingeholt werden um einen echten Wettbewerb zu gewährleisten (Artikel 283). Wenn eine beschaffende Stelle ein Angebot mit einem ungewöhnlich niedrigen Preis erhält, darf sie nachprüfen, ob dieser durch Subventionen erreicht wurde (Artikel 284). Die ausschreibenden Stellen müssen ermächtigt sein, ökologische, arbeitsbezogene und soziale Erwägungen in ihre Vergabeentscheidung mit einzubeziehen. Allerdings muss dies mit den Regelungen des Abkommens zur öffentlichen Beschaffung vereinbar und in der Ausschreibung ausdrücklich angekündigt sein (Artikel 285).    

    Artikel 286 sieht Verbesserungen bei der Überprüfung von Vergabeentscheidungen vor. So müssen die Angehörigen der Überprüfungsgremien die Garantie haben, nicht während der Laufzeit ihres Mandats gegen ihren Willen abberufen zu werden. Außerdem muss mindestens ein Mitglied die Befähigung zum Richteramt oder eine vergleichbare Qualifikation haben. Zahlreiche weitere ergänzen ausdrücklich das GPA und sollen effektiveren Rechtsschutz ermöglichen.

    Erweitertes Diskriminierungsverbot

    Eine Besonderheit enthalten die Artikel 287 und 288: hier gilt das allgemeine Diskriminierungsverbot (Gebot der Inländerbehandlung) auch für Vergaben, die nicht von den Regelungen des Abkommens erfasst sind. Dies kann beispielsweise relevant werden für Beschaffungen, die unterhalb der Schwellenwerte sind.

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

  • Anerkennung von Berufsqualifikationen post-Brexit

    Das System der europäisch-britischen Anerkennung von Berufsqualifikationen befindet sich im Umbruch. Das Freihandelsabkommen EU-VK gibt lediglich einen Rahmen vor.

    Viele Berufe setzen den Nachweis einer bestimmten Qualifikation voraus – die so genannten regulierten Berufe. Eine Übersicht der im Vereinigten Königreich (VK) regulierten Berufe und Berufsbezeichnungen gibt es unter diesem Link. Innerhalb der Europäischen Union gibt es ein Regelwerk zur gegenseitigen Anerkennung von Qualifikationen. So wird verhindert, dass eine in einem Land erworbene Qualifikation im anderen Land von Grund auf neu erworben werden muss. Als Konsequenz des Brexit hat das VK den Zugang zu diesem Regelwerk verloren.

    Berufsqualifikationen im Austrittsabkommen

    Bürgerinnen und Bürger aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU), die vor dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember 2020 eine Anerkennung ihrer Berufsqualifikation im VK erreicht haben, dürfen diesen Beruf weiterhin im VK ausüben und die Berufsbezeichnung führen. Denn Anerkennungsentscheidungen aus der Zeit vor dem Ende der Übergangsphase behalten ihre Gültigkeit. Das regelt Artikel 27 des Austrittsabkommens zwischen der EU und dem VK vom 12. November 2019. Laufende Verfahren, soweit sie vor dem Ende der Übergangsphase begonnen haben, werden nach den europäischen Regeln durchgeführt und entschieden (Artikel 28 des Austrittsabkommens).

    Wie werden aktuelle Anträge auf Anerkennung behandelt?

    Das VK hat durch den European Union (Withdrawal) Act 2018 weite Bereiche des EU-Rechts in nationales Recht überführt, wo erforderlich mit einigen Anpassungen. Unter dieses Regime fällt auch die Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen. Somit gelten aktuell die European Union (Recognition of Professional Qualifications) Regulations 2015 in der Fassung der Änderung durch die Recognition of Professional Qualifications (Amendment etc.) (EU Exit) Regulations 2019 weitestgehend fort. Die britische Seite beschreibt die aktuelle Handhabung jedoch als vorübergehendes System für die Anerkennung. Mittelfristig plant sie eine umfassende Reform.

    Aktuell werden Anträge allerdings noch nach diesem System bearbeitet. Die zuständigen britischen Behörden müssen Anträge auf Anerkennung von EU-Qualifikationen also weiterhin entgegennehmen. Wenn Niveau, Inhalt und Umfang der Qualifikation vergleichbar sind, wird die Anerkennung auch weiterhin erteilt. Die zuständige britische Behörde soll die Antragsteller über die Anforderungen, das Verfahren und die Formalitäten der Anerkennung informieren und das Verfahren so weit wie möglich elektronisch abwickeln. Sie fungiert überdies als einheitliche Ansprechpartnerin für die jeweilige Profession.

    Allerdings wurden im Zuge der austrittsbedingten Änderungen einige Erleichterungen der Regulations aus 2015 gestrichen. Dies betrifft insbesondere Vereinfachungen für die gelegentliche und vorübergehende Erbringung regulierter Dienstleistungen im VK. Außerdem wurden zahlreiche Professionen vom Geltungsbereich ausgenommen. Dies betrifft insbesondere viele Heilberufe sowie Architekten, Abschlussprüfer und Notare (u.a.). In solchen Fällen kommt es gegenwärtig darauf an, ob der jeweilige Abschluss in Anhang V der Richtlinie 2005/36/EG gelistet ist. Falls ja, gewährleistet die britische Seite eine „beinahe automatische Anerkennung“, vgl. die Hinweise der britischen Regierung zu Architekten und Gesundheitsberufen.

    Was regelt das Freihandelsabkommen zu Berufsqualifikationen?

    Artikel 158 des Abkommens über Handel und Zusammenarbeit EU-VK betont zunächst die Souveränität der Vertragsparteien: Das Recht, für das eigene Gebiet Regulierungen der Berufsqualifikationen vorzunehmen, wird durch das Abkommen nicht beeinträchtigt (Absatz 1). Das Abkommen hindert die Vertragsparteien also insbesondere nicht daran, bestimmte Qualifikationsanforderungen für bestimmte Tätigkeiten vorzusehen.

    Unter Beachtung dieser Voraussetzung können Berufsverbände oder Behörden, soweit sie für einen bestimmten Tätigkeitsbereich zuständig sind, gemeinsame Empfehlungen für eine gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen verfassen und dem Partnerschaftsrat vorlegen. Anhang 24 enthält unverbindliche Leitlinien für Inhalte solcher Vereinbarungen. Ist der Partnerschaftsrat der Ansicht, dass die Vereinbarung mit den Regelungen des Titels II des Abkommens in Einklang steht, kann er die Vereinbarung durch Beschluss als Anhang zum Abkommen annehmen, mit der Folge, dass die Vereinbarung Teil des Abkommens – und somit verbindlich – wird.

    Der Weg zu solchen verbindlichen Regelungen dürfte allerdings einige Herausforderungen enthalten. Dies insbesondere deswegen, weil auf europäischer Seite die Berufe regelmäßig auf der Ebene der Mitgliedstaaten reguliert sind, in Bundesstaaten wie Deutschland in einigen Fällen sogar auf Landesebene. Das Abkommen sieht hingegen eine Vereinbarung auf der Ebene der Vertragsparteien vor, also auf europäischer Ebene. Dass bei solchen Vereinbarungen unterschiedliche Anerkennungsmechanismen zu beachten sind, sieht das Abkommen ausdrücklich vor, siehe zum Beispiel Abschnitt B Ziffer (8) des Anhangs 24. Hier dürfte einiges an Abstimmungsbedarf existieren, und es wird abzuwarten sein, ob es zeitnah zu Ergebnissen kommt. Immerhin haben das britische Architects Registration Board und der Architects Council of Europe eine gemeinsame Taskforce ins Leben gerufen, die mit den Vorbereitungen für eine Vereinbarung beauftragt ist. Die Law Society für England & Wales erklärt ebenfalls, sich mit dem Council of European Bars and Law Societies in Verbindung setzen zu wollen.

    Offenbleiben muss derweil bis auf Weiteres die Frage, ob auch bilaterale Anerkennungsvereinbarungen z.B. zwischen britischen und deutschen Behörden oder Kammern möglich sind. Eine ausdrückliche Erlaubnis findet sich nicht, allerdings auch kein ausdrückliches Verbot.

    Zum Thema:

    Von Karl Martin Fischer | Bonn

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