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Interview | Griechenland | Arbeitsrecht

"Die digitale Arbeitskarte bringt große Veränderungen mit sich"

Im Interview erklärt die Expertin für Arbeitsrecht, Chrysiis Poulakou, wie Griechenland der Schwarzarbeit einen Riegel vorschieben will und was es mit der Sechstagewoche auf sich hat.

Von Michaela Balis | Athen

Chysiis Poulakou, Rechtsanwältin, Ad Hoc Legal, Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten Chysiis Poulakou, Rechtsanwältin, Ad Hoc Legal | © Giorgos Vitsaropoulos

Chrysiis Poulakou ist Rechtsanwältin und Gründerin der Anwaltskanzlei Ad Hoc Legal in Athen. Seit 1999 berät sie griechische und deutsche Unternehmen in Griechenland zum Arbeitsrecht.

Frau Poulakou, wird das griechische Arbeitsrecht in der Praxis angewendet?

Die Regeln zum Arbeitsrecht werden allgemein eingehalten. Große und mittlere Unternehmen sind gewillt, ein angenehmes und faires Arbeitsumfeld zu schaffen, das nicht gegen das Gesetz verstößt. Das kann ich dank meiner langjährigen Erfahrung mit den Unternehmen bestätigen. Bei kleinen Unternehmen kann dieser Standard abweichen. Entweder, weil sie bei dem Versuch, Lohnkosten einzusparen, Fehler begehen oder es verpassen, die zahlreichen und unterschiedlichen Verpflichtungen der Arbeitgeber rechtzeitig zu erfüllen.

Klingt, als wäre die Umsetzung der Vorgaben nicht ganz einfach für die Unternehmen?

Obwohl sich die Arbeitgeber bemühen, die Gesetze konform anzuwenden, treten häufig Probleme bei der Anwendung der Rechtsvorschriften auf. Das liegt an der Vielzahl der Rechtsakte, die meistens kompliziert und unpräzise formuliert sind. Um die Gesetze zu erklären, veröffentlicht das Ministerium für Arbeit und Soziales interpretative Rundschreiben. Diese Schreiben sind weder für die unabhängigen Kontrollbehörden noch für die Gerichte bindend. Die Arbeitgeber sind aus formaler Sicht nicht verpflichtet, sich an die Rundschreiben zu halten, da es sich um „Meinungen“ des Ministeriums handelt. Für die Auslegung der Gesetze sind allein die Gerichte zuständig. Die Interpretationen des Ministeriums sind nicht immer eindeutig. Dennoch werden Unternehmen danach kontrolliert. Dieser Prozess ist bei Gericht fehleranfällig und führt zu einer verzerrten Entscheidungsgrundlage. Das zeigte sich in zahlreichen Gerichtsurteilen.

Bei welchen arbeitsrechtlichen Themen zeigen sich diese Schwierigkeiten besonders deutlich? 

Aus Sicht der Arbeitsaufsichtsbehörde ist es der Arbeitsschutz. Darunter fallen Arbeitsunfälle, die Schwarzarbeit und das sogenannte „Trafficking“, der illegale Handel mit Arbeitskräften durch Subunternehmer. Arbeitgeber wiederum würden die Überschreitung der Arbeitszeit anführen. Aber auch die gesetzlichen Regelungen für Überstunden tragen dazu bei, da sie in bestimmten Fällen im Voraus gemeldet werden müssen. Der Fokus des Arbeiterverbands würde sich auf die nicht angemeldete oder nicht richtig angegebene Beschäftigung konzentrieren. Das bedeutet beispielsweise, dass Arbeitnehmer als Teilzeitbeschäftigte gemeldet sind, in der Tat jedoch in Vollzeit arbeiten.

Spielt das Thema Schwarzarbeit eine große Rolle in Griechenland?

In der Tourismus- und Lebensmittelbranche, aber auch in der Landwirtschaft sowie im Bauwesen ist Schwarzarbeit ein präsentes Problem. Dank zahlreicher Kontrollen in der Vergangenheit ist sie schon deutlich zurückgegangen. Es müssen jedoch noch weitere Schritte unternommen werden. 

Griechenland führte ab dem 1. Juli 2022 die digitale Arbeitskarte ein. Sie soll dazu dienen, die Schwarzarbeit und nicht rechtmäßige Überstunden zu stoppen. Frau Poulakou, konnte die Einführung der digitalen Arbeitskarte die oben genannten Probleme lösen?

Die Erfassung der Arbeitszeit durch die digitale Arbeitskarte und die Bezahlung der gemeldeten, tatsächlich geleisteten Stunden bringt in vielen Unternehmen eine große, teils nicht erwünschte Veränderung mit sich. Beispielsweise können manche Zusatzleistungen (verlängerte Mittagspausen, Fitnessstudio oder Massagen) den Mitarbeitenden nicht mehr angeboten werden. Trotz anfänglicher Probleme läuft die Umsetzung aber recht gut. Es gibt immer noch offene Themen, die dringender Verbesserungen bedürfen, beispielsweise die Höhe der Strafgelder.

Kommen wir zu einem anderen Thema. Den Medien konnte man entnehmen, dass Griechenland die Sechstagewoche eingeführt hat. Wie kam es dazu? 

Es handelt sich um ein großes Missverständnis: Der Arbeitgeber hat nämlich die Möglichkeit keine Sechs-, sondern eine Fünftagewoche einzuführen. Das geht aus dem Nationalen Allgemeinen Tarifvertrag vom 26.2.75, der durch das Gesetz 133/1975 ratifiziert wurde, hervor. Bis dahin war es in Griechenland nämlich die Regel sechs Tage pro Woche zu arbeiten. Der Artikel 2 des Rechtsaktes vom 29.12.80 sieht vor, dass durch Tarifverträge oder Schiedssprüche die Fünftagewoche sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor eingeführt werden kann. Anschließend wurden viele Tarifverträge abgeschlossen, die zu fünf Tagen die Woche verpflichten.

Und wie erkenne ich, welche Regelung in meinem Unternehmen greift?

Hierfür müsste man prüfen, ob ein Gesetz oder eine andere entsprechende Bestimmung in Kraft ist. Aber selbstverständlich muss die Fünf- oder Sechstagewoche auch im Arbeitsvertrag geregelt werden, da es ein verpflichtender Baustein bei dessen Erstellung ist.

Die Artikel 25 und 26 des neuen Gesetzes 5053/2023 sehen eine Beschäftigung am 6. Wochentag für Betriebe vor, die eine Fünftagewoche anwenden und

  • ihre Produktionsanlagen im Dauerbetrieb haben, 
  • die nicht im Dauerbetrieb sind, jedoch in der Lage sind von Montag bis Samstag 24 Stunden in Schichtarbeit zu funktionieren.

Können Sie Letzteres näher erläutern?

In beiden Fällen ist die Beschäftigung am 6. Tage eine Ausnahme. Dafür wird ein Lohnzuschlag von 40 Prozent fällig. Überstunden dürfen an diesem Tag nicht geleistet werden. Dass es sich um eine Ausnahme handelt, zeigt sich darin, dass der Arbeitsvertrag bei einer Sechstagewoche geändert werden müsste. Beispielsweise müssten unter anderem zusätzliche Urlaubstage gewährt werden. Auch würden andere Regelungen für die Überstunden gelten. 

Es sollte jedoch klar sein, dass die Beschäftigung an sechs Tagen nie verboten war, aber auch nicht die Regel ist. Die Arbeitszeit beträgt nach wie vor 40 Stunden pro Woche, unabhängig davon, ob es sich um eine Sechs- oder Fünftagewoche handelt. Die Arbeitsstunden werden nur anders auf die Woche verteilt. 

Vielen Dank für das Gespräch.

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