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Grünes Bauen entwickelt in Israel Breitenwirkung
Im September 2023 tritt die grüne Baunorm in vollem Umfang in Kraft. Das schafft neue Chancen auch für ausländische Anbieter von Bauprodukten und Dienstleistungen.
13.01.2023
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Nach einer längeren Phase der freiwilligen Verpflichtung macht Israel nachhaltige Bauweise landesweit zum Gesetz. Die Pflicht zum nachhaltigen Bauen wird in zwei Phasen eingeführt. Das erste Stadium trat im März 2022 in Kraft, das zweite läuft am 1. September 2023 an.
Beschaffungsstruktur der Bauwirtschaft ändert sich
Über die Bedeutung der gesetzlichen Verankerung grünen Bauens sprach Germany Trade and Invest mit Nogah Hertz und Omer Lavi, Direktoren der Abteilung für grünes Bauen beim israelischen Rat für grünes Bauen (Israeli Green Building Council - ILGBC). Der ILGBS setzt sich als Nichtregierungsorganisation seit Langem für nachhaltige Bauweise ein.
Nach Prognose des ILGBS wird die gesetzliche Verbindlichkeit der Norm die Bauwirtschaft erheblich beeinflussen. Nicht nur würden die Grundsätze nachhaltigen Bauens eine viel größere Breitenwirkung als bisher entwickeln und in allen Teilen des Landes zur Anwendung kommen. Vielmehr werde die grüne Baunorm auch anderen relevanten Vorschriften zu mehr Geltung verhelfen.
Bei diesen handele es sich um die Normen 1045 und 5822. Erstere stellt Grundsätze für thermische Isolierung von Gebäuden auf. Zwar ist sie gesetzlich verbindlich, doch sei sie, so der Rat für grünes Bauen, bisher nur teilweise eingehalten worden. Dank des nunmehr verbindlichen Charakters der Norm für grünes Bauen werde auch die Durchsetzung angemessener thermischer Isolierung in weit höherem Maß garantiert.
Die Norm 5822 wiederum legt Kriterien für die Einstufung von Gebäuden nach Energieeffizienz fest. Sie ist eine freiwillige Norm. Durch die gesetzliche Verbindlichkeit der grünen Baunorm ist indessen zu erwarten, dass ihre Bestimmungen strikter als bisher angewandt werden. Zudem sind Bauunternehmen seit 2022 verpflichtet, Wohnungskäufern die der jeweiligen Wohnung zuerkannte Energieeffizienzstufe mitzuteilen.
Schnelle Expansion erwartet
Die Bestimmungen zum grünen Bauen sind in der vom israelischen Normeninstitut (Standards Institution of Israel) erstellten Norm 5821 verankert. Diese wurde erstmals 2005 erlassen und im Lauf der Zeit mehrmals revidiert und erweitert. Allerdings war sie bis 2022 nicht gesetzlich verbindlich. So waren Bauunternehmen und Investoren zu ihrer Einhaltung nicht verpflichtet. Das ändert sich nun. Deshalb ist zu erwarten, dass nachhaltiges Bauen rapide expandieren wird. Die Norm gilt für Wohnhäuser, Bürohäuser, Handelsgeschäfte, Krankenhäuser und Kliniken, Hotels und Herbergen sowie Gebäude für öffentliche Zusammenkünfte.
Zweckbestimmung | Größe in Quadratmetern /Anmerkungen |
---|---|
In Kraft seit 1.3.2022: | |
Wohnhaus | gilt nur für Hochhäuser 1 |
Bürogebäude | ab 5.000 |
Handelsgeschäft | ab 5.000 |
Krankenhaus | ab 3.000 |
Klinik | ab 1.000 |
Beherbergung von Touristen | ab 5.000 |
Gebäude für öffentliche Zusammenkünfte außer von Kommunalverwaltungen errichtete Gebäuden | ab 1.000 |
Akademische Bildungseinrichtung | ab 1.000 |
Schule/Kindergarten | ab 1.000 |
Tritt am 1.9.2023 in Kraft: | |
Wohnhaus | Gilt auch dann, wenn es sich um kein Hochhaus handelt und der israelischen Definition entspricht 2 |
Beherbergung von Touristen | zwischen 1.200 und 5.000 |
Bürohaus | zwischen 1.000 und 5.000 |
Handelsgeschäft | zwischen 1.000 und 5.000 |
Nachfrageänderungen für ausländische Lieferanten
Der ILGBS erwartet, dass die neue Rechtslage das Beschaffungswesen der Bauwirtschaft spürbar tangiert. Das gelte nicht zuletzt für Baumaterialien wie Baublöcke, Beton, Verglasung, Verkleidungen und Farben. Bei diesen werden neben ihrem Beitrag zur Energieeffizienz auch die Umwelt- und die Gesundheitsverträglichkeit geprüft.
Energie verbrauchende Aggregate wie Klimaanlagen und Heizungen werden ebenfalls den Normen genügen müssen. Ferner werden Inneninstallationen und Bewässerungssysteme für zum Gebäude gehörende Grünflächen unter die Lupe genommen, nicht zuletzt mit Blick auf ihre Wassereffizienz.
Israel importiert einen Großteil der Baumaterialien und Gebäudeausrüstungen. Daher verändert striktere Durchsetzung nachhaltiger Bauweise zugleich den Importbedarf. Auch auf Labors, die die Normkonformität von Baumaterialien und Bauzubehör bestätigen müssen, kommt erhöhter Arbeitsaufwand zu.
Geschäftschancen für Dienstleister
Veränderungen, so der ILGBS, ergäben sich zudem bei der Nachfrage nach baurelevanten Dienstleistungen. Dazu gehören insbesondere Dienste von Architekten, Bauingenieuren, Energieberatern und Umweltschutzexperten. Der Rat für grünes Bauen geht davon aus, dass eine umfassende Durchsetzung nachhaltiger Bauweise den Zukauf ausländischen Know-hows steigern wird. Daher könne es für ausländische Dienstleister sinnvoll sein, Bereiche zu prüfen, in denen sich für sie Geschäftschancen auf dem israelischen Markt ergäben.
Auch städtische Erneuerung betroffen
Die Norm gilt für neue Gebäude inklusive der sogenannten städtischen Erneuerung. In deren Rahmen werden alte Gebäude abgerissen und mit einer größeren Zahl von Wohneinheiten neu gebaut oder erdbebenfest gemacht und in der Regel um zwei oder drei Etagen aufgestockt.
Da die städtische Erneuerung im dicht bebauten Israel eine wichtige Rolle für den Wohnungsbau spielt, ist ihre Einbeziehung in die grüne Baunorm von großer Bedeutung. Ferner müssen Ausbau- und Renovierungsmaßnahmen, die einer Genehmigungspflicht unterliegen, den Anforderungen der grünen Baunorm genügen.
Kein völliges Neuland
Der ILGBS betont, dass es in Israel durchaus Unternehmen gebe, die mit grünem Bauen vertraut seien. Das sei vor allem dem sogenannten Forum 15 zu verdanken, einer Dachorganisation von 15 großen Städten. Sie knüpfen die Erteilung von Baugenehmigungen bereits seit 2013 an die Erfüllung der Norm 5821. Voller Ersatz für eine landesweite gesetzliche Pflicht sei das jedoch nicht gewesen. Daher bedeute der Regierungsbeschluss, die grüne Norm verbindlich zu machen und sie vollumfänglich anzuwenden, einen Durchbruch.