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Gute Aussichten für Israels Cyberbranche
Die auf Datensicherheit spezialisierten Unternehmen zogen 2021 Rekordinvestitionen an. Die weltweite Digitalisierung schafft gute Voraussetzungen für rasches Umsatzwachstum.
12.01.2022
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Die israelische Cyberbranche konnte ein erfolgreiches Jahr 2021 verbuchen und blickt zuversichtlich in die Zukunft. Das ist nicht zuletzt einem massiven Investoreninteresse geschuldet. Nach Angaben der auf den Wagniskapitalmarkt spezialisierten Marktforschungsfirma IVC lagen die in israelischen Cyberfirmen getätigten Investitionen in den ersten drei Quartalen 2021 bei 4,5 Milliarden US-Dollar (US$). Das waren 65 Prozent mehr als im gesamten Jahr 2020 beziehungsweise das 2,6-Fache des 2019 verzeichneten Standes.
Aufwärtstrend hält an
Diese Entwicklung zeigt übrigens auch, dass das Coronajahr 2020 den Aufwärtstrend der Cyberinvestitionen in Israel nicht abgebremst hat. Das Gros des in die Branche fließenden Kapitals kommt aus dem Ausland.
Nach Angaben des israelischen Cyberexperten und ehemaligen Chefs der nationalen Direktion für das Cyberwesen (Israel National Cyber Directorate) Eviatar Matania, zog Israel 2020 rund 40 Prozent aller weltweit getätigten privatwirtschaftlichen Cyberinvestitionen auf sich. Matania betonte, dieser Erfolg sei die Folge eines mehrjährigen nationalen Entwicklungsprogramms für die Branche.
Übernahme mit Modellcharakter
Ein herausragendes Beispiel für ausländische Investitionen in die israelische Cybertechnologie 2021 war die im November 2021 vereinbarte Übernahme von Mehrheitsanteilen an dem israelischen Datensicherheitsspezialisten XM Cyber durch die deutsche Schwarz-Gruppe. Medienberichten zufolge lag der Wert der Übernahme von XM Cyber bei 700 Millionen US$.
Bei der Bekanntmachung der Transaktion begründete der deutsche Konzern sein Interesse an der israelischen Firma wie folgt: „XM Cyber unterstützt mit innovativen Herangehensweisen beim Schutz vor Cyberangriffen. Das Unternehmen simuliert Angriffspfade in verwundbare Teile des IT-Systems, um diese zu schließen. Für die Schwarz-Gruppe ist auch das umfangreiche Know-how in Bezug auf die Absicherung komplexer Hybrid-Cloud-Systeme ein wichtiger Aspekt der Partnerschaft.“ Die Zusammenarbeit mit XM Cyber ergänze zudem die Sicherheitskomponenten der digitalen Geschäftsmodelle der Schwarz-Gruppe.
Aus israelischer Sicht hat die Transaktion Modellcharakter. Wie die israelische Firma erklärte, biete ihr die Partnerschaft mit der internationalen Marktkraft des größten europäischen Handelsunternehmens im Rücken die Möglichkeit, Innovationen schneller voranzutreiben und ihre Position im globalen Cybersecuritymarkt weiter ausbauen. Wie XM Cyber können auch andere israelische Firmen von strategischen Partnerschaften mit international agierenden Großunternehmen Nutzen ziehen.
Im Januar 2022 kam es zu einer weiteren Großübernahme: Der Technologiekonzern Google gab die Übernahme der israelischen Cybersecurityfirma Simplify bekannt. Medienberichten zufolge liegt der Wert der Transaktion bei 500 Millionen US$.
Prominente Rolle in der Exportwirtschaft
Schätzungen der Cyberexporte für 2021 liegen bisher nicht vor. Im Jahr 2020 beliefen sie sich nach Angaben der Nationaldirektion für das Cyberwesen auf knapp 6,9 Milliarden US$. Das entsprach 16,4 Prozent aller israelischen Exporte hochtechnologischer Waren und Dienstleistungen beziehungsweise 6 Prozent der gesamten Waren- und Dienstleistungsausfuhr des Landes.
Israelische Fachkreise gehen davon aus, dass der Weltmarkt in den kommenden Jahren weiter expandieren wird. In einem 2021 veröffentlichten Positionspapier nannte die Cyberdirektion den Schutz der Infrastruktur und der Lieferketten, den Datenschutz der nächsten Generation und die Bekämpfung von Cyberkriminalität als Bereiche, die besonders entwicklungsbedürftig seien und in denen Israel an Lösungen mitarbeiten könne.
Das bedeutet nicht, dass die israelische Cyberbranche auf keine Probleme stoßen kann. So etwa erklärte Yanai Oron, Partner der Wagniskapitalfirma Vertex Ventures Israel, gegenüber der israelischen Wirtschaftszeitung Calcalist, er erwarte in den kommenden Jahren eine Konsolidierung der Cyberbranche. Zwar bleibe Cyber angesichts der immer stärkeren Digitalisierung attraktiv für Investoren, und auch seine Firma werde weiterhin in die Branche investieren. Allerdings werde sie darauf achten, sich nicht in Unternehmen zu engagieren, die von der Konsolidierung negativ betroffen zu werden drohten.
Skandal um Angriffscyber
Das Jahr 2021 brachte auch einen Skandal um das Cyberunternehmen NSO mit sich. Wie internationale Medienrecherchen ergaben, hat die Firma Spionagesoftware für Mobiltelefone unter anderem an Regierungen verkauft, die sie unter anderem zur Beobachtung politischer Gegner oder ausländischer Politiker verwendeten. Im Gefolge des Skandals setzte die US-amerikanische Regierung NSO auf eine Sanktionsliste.
Durch die Affäre sah sich das für die Genehmigung von Cyberexporten zuständige israelische Verteidigungsministerium im Dezember 2021 veranlasst, eine Verschärfung der Exportkontrollen anzukündigen.
Indessen betonen israelische Kommentatoren, der NSO-Skandal solle nicht überbewertet werden. Erstens seien nicht nur israelische, sondern auch Firmen aus anderen Ländern auf dem Marktsegment der Angriffssoftware tätig. Zweitens gebe es nach wie vor einen großen legitimen Markt für Angriffscyber und drittens handele es sich dabei nur um eines von vielen Produkten der israelischen Cyberbranche.
Cyberbranche gut etabliert
Wie aus der Datenbank der gemeinnützigen israelischen Hightechorganisation hervorgeht, waren Ende 2021 in Israel 452 Firmen im Bereich der Cybersecurity tätig. Im Vergleich zum gesamten israelischen Hightechsektor ist die Cyberbranche relativ gut etabliert. So beschäftigen nur 36 Prozent aller Cybersecurityfirmen bis zu zehn Mitarbeiter, während es bei Hochtechnologiefirmen insgesamt 57 Prozent sind. Am oberen Ende der Größenskala haben 9 Prozent der Cyberunternehmen eine Belegschaft von mehr als 200 Personen, während der entsprechende Anteil im Hochtechnologiesektor als Ganzes bei nur knapp 4 Prozent liegt.