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Hochtechnologie in Krisenstimmung
Israels Hightech rutscht in eine Schwächephase. Das droht nachhaltige Schäden nach sich zu ziehen. Der Abschwung kann aber auch Möglichkeiten zum Engagement schaffen.
24.06.2022
Von Wladimir Struminski | Jerusalem
Die gedrückte Stimmung auf dem US-Kapitalmarkt und in der US-Wirtschaft als Ganzes bleibt nicht ohne Folgen für Israels Hightechsektor. Denn dieser hängt weitgehend vom Geldzufluss aus den Vereinigten Staaten und von US-amerikanischen Kunden ab. Experten befürchten einen erheblichen Rückgang der Investitionsmittel. Vor allem kleinere Unternehmen gelten als gefährdet.
Abhängigkeit von den USA
Die Abhängigkeit des israelischen Hightechsektors vom US-Kapital ist groß. So werden mehr als 80 israelische Unternehmen an der Technologiebörse NASDAQ gehandelt, unter ihnen viele Schwergewichte der israelischen Wirtschaft. Damit stellt das kleine Israel das zweitgrößte ausländische NASDAQ-Kontigent nach China. Die Börse ist eine wichtige Finanzierungsquelle für Israels Hochtechnologie.
Auch bei den Exits israelischer Firmen liegen Käufer aus den USA vorn. Im Jahr 2021 stammten nach Angaben der auf den Wagniskapitalmarkt spezialisierten Wirtschaftsforschungsfirma IVC Research Center 59 Prozent der in den Erwerb israelischer Hightechfirmen investierten Kapitalmittel aus den Vereinigten Staaten. Israelisches Kapital stellte lediglich 13,2 Prozent der Investitionsmittel, während weitere 27,8 Prozent auf den Rest der Welt entfielen.
Rund zwei Drittel der rund 400 von ausländischen Konzernen in Israel betriebenen Forschungs- und Entwicklungszentren gehören US-amerikanischen Firmen. Zudem ist der US-Markt mit Abstand der Hauptabnehmer israelischer Hochtechnologie, sodass eine Rezession in den USA massiv auf die Absatzchancen israelischer Firmen durchschlägt. Zusätzlich werden nichtamerikanische Hightechinvestoren vom Verhalten der Anleger aus den USA beeinflusst.
Das Tief zieht heran
Erste Anzeichen einer Verlangsamung des israelischen Hightechsektors sind bereits zu beobachten. Nach Angaben von IVC Research Center kam es im ersten Quartal 2022 zu einer Abkühlung der Kapitalaufnahme durch israelische Firmen. Der Betrag, den sie in den Monaten Januar bis März aufnehmen konnten, habe mit 5,6 Milliarden US-Dollar (US$) um 14 Prozent unter dem durchschnittlichen Quartalswert des Vorjahres gelegen. Auch der Durchschnittswert der Übernahmen sei nach anderthalb Jahren nahezu ununterbrochenen Wachstums geschrumpft: Nach IVC-Zahlen lag er um 31,3 Prozent unter dem Stand des Vierteljahres 2021.
Als ein weiteres Indiz gilt die Ausfuhr von Hightechdiensten. Mit 44,4 Milliarden US$ machten sie 2021 rund 31 Prozent der gesamten israelischen Waren- und Dienstleistungsexporte aus. Zugleich ist der Anteil der Forschung und Entwicklung an der Gesamtleistung der Hightechdienste besonders hoch. Deshalb sind ihre Ausfuhren der führende Gradmesser für die weltweite Nachfrage nach israelischem Know-how.
Mehrere Risikofaktoren
Nun wird eine längere Durststrecke erwartet. Nach Meinung von Zeev Holtzman, Gründer von IVC Research, werden Kapitalgeber von israelischen Technologiefirmen künftig nicht nur weniger Investitionsmittel zur Verfügung stellen, sondern auch eine Neubewertung der Chancen und Risiken einzelner Investitionen vornehmen.
Eine verminderte Investitionsneigung, darunter auch bei institutionellen Investoren und Wagniskapitalfonds, dürfte jüngere Unternehmen besonders hart treffen, die noch keine ausreichenden Verkaufseinnahmen vorweisen, um die Krise weitgehend aus eigener Kraft zu überstehen. Das bedeutet, dass die Innovationstätigkeit vieler Start-ups geschwächt wird, was sich negativ auf das langfristige Wachstum der Hightechbranche auszuwirken droht.
Ein weiteres Langfristrisiko sind Entlassungen. Die auf den Hightechsektor spezialisierte Beratungsfirma Tefen IL (Israel) erwartet, dass 5 bis 10 Prozent der Mitarbeiter während der Flaute ihren Arbeitsplatz verlieren. Ein solcher Personalabbau würde eine schnelle Rückkehr zum Wachstum nach der Überwindung der Schwächephase erschweren. Schließlich, so Tali Shem Tov, Generaldirektorin der Software- und Beratungsfirma Code Value, in einem Beitrag für die Wirtschaftszeitung Globes, könnten Kapitalgeber auch nach Überwindung der Krise längerfristig größere Vorsicht gegenüber Investitionen walten lassen.
Chancen in der Krise
Dennoch müssen die Krisenerscheinungen in eine richtige Perspektive gerückt werden. Für die starke und auf dem Weltmarkt gut etablierte israelische Hightechbranche sind sie nicht existenzbedrohend. Sie wird auch künftig eine Haupttriebfeder der Wirtschaftsentwicklung in Israel bleiben.
Zudem ist die Investitionsschwäche nicht allumfassend. So etwa erklärte der Intel-Konzern gegenüber der Wirtschaftszeitung Globes, an seinen bisherigen Plänen für einen erheblichen Ausbau der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit in Israel festzuhalten.
Für ausländische Kapitalgeber, die willens und imstande sind, antizyklisch zu investieren, kann ein Finanzierungsengpass der israelischen Branche Chancen zu günstigerem Zukauf israelischer Technologie oder zur Übernahme israelischer Firmen schaffen. Auch strategische Partnerschaften könnten zu vorteilhaften Bedingungen möglich sein.