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Mittlerer Korridor könnte der Nordroute den Rang ablaufen
In Kasachstan werden die Frachtströme zunehmend zum Kaspischen Meer verlagert. Es ist geplant, die Flotte deutlich aufzustocken und einen Containerhub zu errichten.
25.07.2022
Von Jan Triebel | Almaty
Die Suche nach geeigneten Ausweichrouten zu Land für den Frachtverkehr zwischen Ost und West hat spätestens mit Beginn des Krieges, den Russland seit Ende Februar 2022 gegen die Ukraine führt, neu an Fahrt aufgenommen. Dabei gilt der intermodale Verkehrskorridor über das Kaspische Meer und durch den Südkaukasus als chancenreichste Alternative zur Nordroute. Der Weg von Westchina nach Europa via Kasachstan und Russland ist auch als eurasische Landbrücke bekannt.
Experten halten es mittlerweile für möglich, dass die häufig auch als Mittlerer Korridor bezeichnete Route durch eine gezielte Erweiterung langfristig die nördliche Asien-Europa-Trasse sogar ersetzen könnte. Für diese Einschätzung spricht, dass aktuell kaum jemand mit einer zügigen Normalisierung der Lage in der Ukraine rechnet. Weitere Sanktionen gegen Russland sind möglich.
Kaspisches Meer zukünftig als „Zugang zu Europa“
In einer aktuellen Analyse stellt der renommierte US-Thinktank The Jamestown Foundation den starken Bedeutungszuwachs für den Warenhandel zwischen Ost und West klar heraus: „…der Mittlere Korridor ist nicht mehr nur eine alternative Transitroute, er ist eine unabdingbare Notwendigkeit.“ Und speziell für Kasachstan sei absehbar, dass das Kaspische Meer zunehmend die Rolle als „Zugang zu Europa“ übernehmen werde.
In den letzten Jahren spielte der Mittlere Korridor nur eine Nebenrolle. Mehr als 90 Prozent des gesamten Frachtaufkommens zu Land zwischen Ost und West wurde über die nördliche Route abgewickelt. Demgegenüber liefen laut der Vereinigung Trans-Caspian International Transport Route (TITR) 2021 nur etwa 535.000 Tonnen, darunter 25.200 Container mit 20 Fuß Länge (Twenty-foot equivalent; TEU), über den Mittleren Korridor. Angesichts der aktuellen Entwicklung rechnet die TITR für 2022 bereits mit einer deutlichen Steigerung auf 3,2 Millionen Tonnen.
Mittelfristig könnte der Güterumschlag entlang des Mittleren Korridors die Marke von 10 Millionen Tonnen pro Jahr übertreffen, darunter etwa 200.000 TEU-Container. Um dieses Aufkommen bewältigen zu können, muss vor allem Kasachstan die Umschlagskapazitäten seiner beiden Kaspi-Häfen Aktau und Kuryk spürbar aufstocken.
Neuer Containerterminal für Hafen Aktau geplant
Ein erster Schritt dazu soll ein neuer Containerhub mit einer Kapazität von zunächst 100.000 TEU-Container pro Jahr im Hafen Aktau sein. PSA International aus Singapur hat bereits seinen Einstieg bei diesem Projekt signalisiert. In Europa ist PSA vor allem als Betreiber von fünf Terminals im zweitgrößten europäischen Tiefseehafen Antwerpen bekannt.
Allein mit zusätzlichen Abfertigungskapazitäten dürfte es aber nicht getan sein. Auch länderübergreifend sind Maßnahmen vonnöten, um den Warenumschlag und Arbeitsabläufe zu optimieren sowie die Zollabfertigung und Handlingtarife zu harmonisieren.
Deutlicher Ausbau der Flotte im Gespräch
Neben weiteren Kapazitäten für den Warenumschlag in seinen zwei Häfen benötigt Kasachstan zudem zusätzliche Schiffe, um der absehbaren Zunahme an Anfragen für Gütertransporte über das Kaspische Meer gerecht zu werden. Längere Zeit war nur von zwei neuen Frachtfähren für den Roll-on-Roll-off-Verkehr (RoRo) die Rede. Mittlerweile plant das zuständige Ministerium für Industrie und die Entwicklung der Infrastruktur mit einer Flotte von zehn RoRo-Schiffen.
Wer die Fährfrachter bauen und bezahlen wird, bleibt zunächst unklar. Einzig die Absicht wurde bekannt, für dieses Projekt namhafte internationale Logistikfirmen einzubeziehen.
Kasachstans staatliche Reederei Kasmortransflot (KMTF) nutzt auf dem Kaspischen Meer:
Quellen: Kasmortransflot (KMTF) 2022; Recherchen von Germany Trade & Invest |
Hohe Nachfrage sorgt bereits für Engpässe
Wie wichtig ein gezielter Ausbau des Korridors ist, machen erste Kapazitätsengpässe deutlich, die jüngst zu Beschränkungen führten. Die staatliche Eisenbahngesellschaft Aserbaidschans ADY verhängte Mitte Juli 2022 ein mehrtägiges Transportverbot für alle vom Kaspischen Meer kommenden Waren. Betroffen waren die Verbindungen zwischen Aktau und Kuryk mit Aljat in Aserbaidschan sowie zwischen Aljat und Turkmenbaschy in Turkmenistan. Dort werden seit einiger Zeit vermehrt Containerladungen aus Usbekistan umgeschlagen.
Dem Vernehmen nach fehlten vor allem Schiffe, um der hohen Nachfrage gerecht zu werden. Auch beklagte ADY verstopfte Gleisanlagen auf beiden Seiten des Kaspischen Meers. Leerwaggons hätten sich wegen gehäufter Probleme mit Überstellfahrten zum Ursprungsort zurückgestaut.
Finnischer Logistiker mit wöchentlichem Containerdienst
Ein Beispiel für internationale Transportfirmen, die mittlerweile für Teile ihrer China-Fracht den Mittleren Korridor nutzen, ist die finnische Nurminen Logistics. Das Unternehmen brachte dort einen ersten Containerzug Anfang Mai 2022 gemeinsam mit der staatlichen kasachischen Eisenbahngesellschaft KTZ erfolgreich auf den Weg.
Der Zug startete im zentralchinesischen Chongqing und endete nach rund 9.000 Kilometer im südfinnischen Kouvola, einem wichtigen Eisenbahnknotenpunkt für ganz Nordeuropa. Mittlerweile offeriert Nurminen Logistics Containertransporte auf dieser Route regelmäßig einmal pro Woche.
Kasachische Eisenbahnen testen Routen in Richtung Süden
KTZ hat neben dem Mittleren Korridor in den letzten Monaten auch weitere Alternativrouten ausprobiert. So fuhr ein Containerzug im Juni 2022 von Pawlodar im Nordosten Kasachstans nach Payas an der türkischen Ostküste des Mittelmeers. Die rund 6.300 Kilometer lange Reise führte durch Turkmenistan und Iran. KTZ will Containerzüge auf dieser Route demnächst regelmäßig einsetzen. Abgezielt wird dabei vor allem auf Abnehmer in der Türkei und in Ländern am Persischen Golf.
Ein weiterer Testzug legte Anfang Juli 2022 mehr als 8.000 Kilometer zurück. Er startete, überwiegend beladen mit Baumaterialien aus Russland, an der kasachisch-russischen Grenze und endete in Indien. Ziel war der Jawaharlal-Nehru-Hafen, der zur Metropolregion Mumbai gehört. Die Route führte ebenfalls durch Turkmenistan und Iran. Vom südiranischen Hafen Shahid Rajaee an der Straße von Hormus legten die Container das letzte Teilstück nach Indien per Schiff zurück.