Sie sind ein ausländisches Unternehmen, das in Deutschland investieren möchte?

Markets International 3/24 I Kuba I Investitionsklima

Kapitalismus in Kuba?

Im sozialistischen Kuba ist der Staat für einen Großteil der wirtschaftlichen Aktivität zuständig. Seit 2021 dürfen aber Privatfirmen mit bis zu 100 Mitarbeitern gegründet werden – ­deren Anzahl ist zuletzt rasant gestiegen. Läutet das die wirtschaftliche Wende ein?

Von Edwin Schuh | Havanna

Havannas Stadtbild verändert sich. Bei meinem letzten Aufenthalt vor knapp zwei Jahren hatte ich noch Probleme, eine Flasche Wasser zu kaufen. Da es keine Läden gab, blieb nur die teure Hotelbar. Doch heute, im Frühling 2024, reihen sich in der Altstadt Havannas kleine Kioske, Cafés, Bäckereien und sogar größere Lebensmittelgeschäfte aneinander. 

Jungunternehmerin Fanette Arteaga importiert Kaffeebohnen und Espressomaschinen aus Italien. Jungunternehmerin Fanette Arteaga importiert Kaffeebohnen und Espressomaschinen aus Italien. | © Edwin Schuh

Europäische Firmen stark im Rennen

Eines der Cafés gehört Fanette Arteaga. „Wir haben 2019 eröffnet und konnten seit 2021 dank des neuen Gesetzes für Privatunternehmen expandieren – inzwischen haben wir vier Filialen“, berichtet sie stolz. Aufgrund des Handelsembargos der USA gibt es in Kuba zum Beispiel keine Starbucks-Niederlassungen und auch sonst kaum Konkurrenz für ihre Kette Sabor Café. Allerdings: „Wegen der mangelnden lokalen Produktion müssen wir so gut wie alles importieren, die Kaffeebohnen beispielsweise beziehen wir aus Italien“, so Arteaga. Kubaner hätten eine Vorliebe für starken Kaffee und in Italien werde er entsprechend geröstet, sagt sie. Auch ihre Espressomaschinen stammen aus Italien, ein Gerät für Zimtzeichnungen im Cappuccino-Schaum hat die Unternehmerin hingegen aus Deutschland importiert. „Wir möchten möglichst schnell expandieren, da die Lavazza-Kette aus Italien bereits Cafés in Kuba plant“, sagt Arteaga zu ihren Zukunftsplänen.

Der Fischhandel El Pescaito von Nino de la Guardia floriert ebenfalls. Während ich in Havannas Stadtteil Playa seinen Laden und die dahinterliegende Produktionsanlage besichtige, gehen Kunden ein und aus. „Wir haben 2021 eröffnet und sind seitdem stark gewachsen. Derzeit haben wir zehn Angestellte“, sagt de la Guardia. Das Unternehmen kauft frisch gefangenen Fisch von lokalen Fischern, schneidet Filets zurecht und friert diese ein. Damit beliefert El Pescaito Restaurants, Hotels und private Haushalte. „Vor Kurzem haben wir aus Spanien eine Maschine erworben, um den Fisch luftdicht zu verpacken“, sagt de la Guardia.

Markets International Ausgabe 3/24

Markets International 03/24

Dieser Beitrag stammt aus der Zeitschrift Markets International, Ausgabe 3/2024. Erfahren Sie, welche weitere Beiträge die Ausgabe für Sie bereit hält.

Zur Markets International 3/24

Mehr als 11.000 Privatfirmen gegründet

Privatfirmen wie Sabor Café und El Pescaito waren in Kuba vor einigen Jahren noch undenkbar. Fidel Castro schaffte nach der kubanischen Revolution 1959 den Privatsektor ab und verstaatlichte alle Wirtschaftssektoren. Erst als mit dem Ende der Sowjetunion auch deren Unterstützung wegfiel und Kuba in eine schwere Wirtschaftskrise stürzte, ließ die Regierung ab den 1990er-Jahren schrittweise mehr privatwirtschaftliches Engagement zu. Die Anfänge machten kleine Privatküchen (Paladares) und die Vermietung von Fremdenzimmern an Touristen (Casas particulares).

Das im August 2021 erlassene Dekret ermöglicht jedoch eine neue Dimension für den kubanischen Privatsektor. Bereits 11.056 Mipymes – wie die kleinen und mittleren Unternehmen auf Spanisch abgekürzt werden – sind im April 2024 in einem Dokument des kubanischen Wirtschaftsministeriums aufgelistet. Das sind 43 Prozent mehr als noch vor einem Jahr. Neben Lebensmittelgeschäften wurden auch Handwerksbetriebe, Agrarproduzenten und sogar Softwarefirmen ins Leben gerufen. Offiziellen Angaben zufolge stellen die Privatunternehmen inzwischen 15 Prozent der Arbeitsplätze und machen 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Karibikinsel aus.

Kreativität beim Einkauf ist gefragt

Laendercheck_Kuba_klein Laendercheck_Kuba_klein

So viel privates Engagement könnten deutsche Unternehmen nutzen. Denkbar wären etwa Lieferungen wie Rohmaterialien, Küchengeräte oder kleinere Maschinen für die Lebensmittelproduktion. Für viele der kubanischen Privatfirmen ist es eine Herausforderung, solche Dinge zu erhalten. „Obwohl Kuba einst ein wichtiger Zuckerproduzent war, müssen wir unseren Zucker heute importieren. Auch Geschirr und Pappbecher für Coffee to go kaufen wir im Ausland“, sagt Arteaga von Sabor Café. 

Wegen der Devisenbeschränkungen und da Kubaner kein Bankkonto im Ausland eröffnen dürfen, müssen die Jungunternehmer kreative Wege gehen. „Unsere Einnahmen in Peso wechseln wir in US-Dollar, die dann jemand bar ins Ausland bringt. So finanzieren wir unsere Importe“, erzählt mir ein Repräsentant von Envacaribe, eine Mipyme, die sich auf Verpackungslösungen und Dosieranlagen für den Lebensmittelbereich spezialisiert hat.

Hinter der Öffnung der Wirtschaft für den Privatsektor steckt ein Kalkül der Regierung: Die sozialistische Planwirtschaft deckt den ­Bedarf des Landes an grundlegenden ­Produkten wie Lebensmitteln, Strom, Benzin und Medikamente nicht mehr ab. Die rund 2.000 Staatsbetriebe arbeiten meist ineffizient und ­defizitär. Im Grunde verdient Kuba nur durch den Tourismus und den Export von Zigarren, Rum und Nickel Geld. Doch damit können sie nicht genügend Devisen für Importe benötigter Produkte erwirtschaften. Nun erhofft sich ­die Regierung, dass die Privatunternehmen zum Beispiel Lebensmittel in Kuba produzieren. In diesem Bereich ist das Land bislang zu etwa ­70 Prozent von Importen abhängig.

Das neue KMU-Gesetz in Kuba

  1. Das Gesetz: Im August 2021 erließ die kubanische Regierung das Dekret 46. Es ermöglicht die Gründung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) mit bis zu 100 Angestellten.
  2. Die Rechtsform: Die Sociedad de Responsabilidad Limitada (SRL) ähnelt der deutschen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH).
  3. Die Kategorien: Es gibt Kleinstunternehmen (bis zehn Mitarbeiter), Kleinunternehmen (11 bis 35 Mitarbeiter) und mittelständische Unternehmen (36 bis 100 Mitarbeiter).
  4. Die Branchen: KMU dürfen nur in Sektoren tätig sein, die die Regierung nicht als strategisch ansieht. Ausgenommen sind unter anderem der Gesundheitssektor, Telekommunikation, Medien, Bergbau, Großhandel sowie die Wasser- und Energieversorgung.
  5. Die Tätigkeiten: KMU dürfen im- und exportieren, im Inland Bankkonten führen und auf rechtmäßige Finanzierungsquellen zugreifen.
  6. Der Spielraum: KMU sind – abgesehen von den oben genannten Einschränkungen – frei in der Wahl ihrer Produkte und Dienstleistungen, Lieferanten und Kunden, der Preise, der Anzahl ihrer Mitarbeiter und deren Löhne. Sie können zum Wachstum ihres Geschäfts investieren.

Die Notlage wird in Havanna sichtbar, obwohl die Hauptstadt für die Regierung eigentlich Priorität hat: Der Benzinmangel sorgt für lange Schlangen an den Bushaltestellen, da nur noch hin und wieder ein öffentlicher Bus vorbeifährt. In staatlichen Lebensmittelläden und Apotheken sind leere Regale üblich. Der Blick von meinem Hotelzimmer über die Altstadt Havannas zeigt ein desolates Bild. Fast alle Gebäude sind verfallen, viele nicht einmal mehr bewohnbar – es mangelt an Baumaterialien für deren Instandhaltung.

Der wachsende Kapitalismus offenbart jedoch auch eine Schattenseite: Es entsteht ein neues soziales Gefälle. „Früher waren fast alle relativ arm, aber hatten genug, um zu überleben. Heute sieht man auf der Straße Leute, die im Müll nach Essen wühlen“, sagt ein deutscher Expat in Havanna, der anonym bleiben möchte. Zwar bieten die privaten Lebensmittelgeschäfte reichlich Auswahl – allerdings zu europäischen Preisen. „Nur wer im Privatsektor arbeitet oder über sonstige Einnahmen verfügt, zum Beispiel durch Verwandte im Ausland, kann sich das leisten“, so der Gesprächspartner.

Staatsangestellte, die den derzeitigen Mindestlohn von 2.100 kubanischen Pesos monatlich – umgerechnet 6,40 Euro – erhalten, bleiben außen vor. Sie sind auf das spärliche Lebensmittelpaket (libreta) der Regierung angewiesen, das jedem Haushalt zusteht. Selbst Ärzte verdienen nur den dreifachen Mindestlohn und suchen sich andere Einnahmequellen. „Mein Arzt behandelt mich nur, wenn ich ein hohes Trinkgeld zahle“, beschwert sich ein Taxifahrer bei mir.

Fachleute sind sich dennoch sicher: Nach und nach könnte Kuba in die Fußstapfen Vietnams treten, wo der Privatsektor seit der Jahrtausendwende immer mehr an Bedeutung gewonnen und zu mehr Wohlstand geführt hat. Demokratische Wahlen, die es in Kuba zuletzt 1948 gegeben hat, sind zwar noch nicht in Sicht. Aber der Privatsektor lässt die Bevölkerung einen Hauch von Freiheit und Selbstbestimmung erahnen, die sie womöglich irgendwann auch im politischen System einfordern wird.

Bis es so weit ist, erlebt das Land aufgrund der schwierigen Lebensumstände eine Auswanderungswelle historischen Ausmaßes. Allein seit 2021 haben nach Angaben der US-Grenzschutzbehörde mehr als eine halbe Million Kubaner das Land in Richtung USA verlassen, das entspricht rund fünf Prozent der Bevölkerung. Vor allem junge, gut ausgebildete Leute wandern aus – mit ihnen geht auch ein Teil der Zukunft des Landes. 

"Kuba hat Potenzial, wenn die richtigen Weichen gestellt werden"

Frank Rückert, deutscher Botschafter in Havanna Frank Rückert, deutscher Botschafter in Havanna | © Edwin Schuh/privat

Der deutsche Botschafter Frank Rückert in Havanna über die aktuelle wirtschaftliche Lage Kubas und die Motivation der Regierung.

Wie beurteilen Sie die derzeitige wirtschaftliche Situation in Kuba?

Die kubanische Regierung selbst beschreibt die wirtschaftliche und soziale Situation des Landes als schwierig und sucht nach Auswegen aus der komplexen Lage. Wir sehen eine Reihe von Ansätzen und Veränderungen, die grundsätzlich in die richtige Richtung weisen, wie etwa mehr Spielräume für die kubanische Privatwirtschaft, das Werben um ausländische Investoren und das Ziel, dass wieder mehr im Land produziert wird für den eigenen Bedarf und für den Export.

Warum lässt die kubanische Regierung jetzt mehr Privatwirtschaft zu?

Zur Wahrheit gehört, dass Kuba schon vor Jahren private Unternehmungen in gewissem Umfang zugelassen hat, als Einzelunternehmer, die Cuentapropistas. Diese und andere Erfahrungen haben verdeutlicht, dass private Unternehmer und Betriebe nicht das Problem sind, sondern wichtiger Teil der Lösung sein können.

Sehen Sie in den kleinen und mittelständischen Privatunternehmen mögliche Geschäftspartner für deutsche Firmen?

Auf jeden Fall. Die deutsche Wirtschaft hat auch in Kuba einen ausgezeichneten Ruf. Wir wissen, dass kubanische Privatunternehmen an Geschäften mit deutschen Firmen interessiert sind und auch umgekehrt. 

Was zeichnet kubanische Unternehmer aus?

Kubaner beeindrucken in vielerlei Hinsicht und dazu gehört auch ihr Unternehmertum, ihr Improvisationstalent und ihre Aufgeschlossenheit für Neues. Kuba hat Potenzial, vorausgesetzt jetzt werden die richtigen Weichenstellungen getroffen.

 

nach oben
Feedback
Anmeldung

Bitte melden Sie sich auf dieser Seite mit Ihren Zugangsdaten an. Sollten Sie noch kein Benutzerkonto haben, so gelangen Sie über den Button "Neuen Account erstellen" zur kostenlosen Registrierung.