Branchen | Lateinamerika | Digitalisierung
Lateinamerikas Fabriken sind nur teilweise digital
Die Region macht allmählich Fortschritte beim Thema Industrie 4.0. Inwieweit sind deutsche Firmen an diesem Prozess beteiligt?
30.01.2023
Von Edwin Schuh | Mexiko-Stadt
Industrie 4.0 ist weltweit auf dem Vormarsch. Smarte Sensoren, künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und Big Data helfen, die Produktionsprozesse zu verbessern. Digitale Zwillinge von Maschinen, Produktionslinien oder ganzer Fabriken tragen dazu bei, die Ausfallzeiten von Maschinen zu minimieren, die Wartung zu optimieren und den Energieverbrauch zu senken.
Knapp ein Drittel der Unternehmen hat moderne Produktionsprozesse
Im Vergleich zu den führenden Industrieländern in Asien, Europa und Nordamerika zählt Lateinamerika zu den Nachzüglern bei der Einführung digitaler Produktionstechnologien. Dies zeigt der Industrial Development Report 2022 der Organisation der Vereinten Nationen für industrielle Entwicklung (UNIDO). Auch wenn Länder wie Mexiko, Brasilien, Argentinien oder Chile über eine bedeutende industrielle Basis verfügen, so haben nur rund 30 Prozent der Unternehmen in der Region ihre Produktion automatisiert und digitalisiert, schätzt die UNIDO. Entsprechend produzieren 70 Prozent der Firmen weiterhin analog oder mit einfacher Mechanisierung. Es besteht also noch deutlicher Nachholbedarf - den deutsche Firmen helfen, zu verringern.
Deutscher Anbieter von Industriesensoren expandiert in Lateinamerika
Eines dieser Unternehmen ist die Firma Pepperl+Fuchs, ein Hersteller industrieller Sensoren für die Fabrik- und Prozessautomatisierung. Unter der Marke Sensorik 4.0 verkaufen die Mannheimer Sensoren, die Daten aus Maschinen und Anlagen nahtlos an verschiedenste Softwaresysteme in der Cloud übertragen.
"Lateinamerika ist beim Thema Industrie 4.0 schon ziemlich weit fortgeschritten und der Großteil unserer dort verkauften Sensoren verfügt über einen IO-Link - eine Schnittstelle, um die gewonnenen Daten an die Cloud zu senden", sagt René Morales, Geschäftsführer für Lateinamerika von Pepperl+Fuchs, im Interview mit GTAI. Neben der Automobilindustrie gehören der Logistikbereich, der Bergbau, die Nahrungsmittelindustrie und der Pharmasektor zu den Kunden des Unternehmens. "Etwa 42 Prozent unserer Verkäufe in Lateinamerika entfallen auf Brasilien, gefolgt von Mexiko mit 37 Prozent, Argentinien mit 11 Prozent und Kolumbien mit 4 Prozent. Die restlichen Länder des Kontinents kommen zusammen auf einen Anteil von 6 Prozent - wobei sich neben Chile auch Peru und Guatemala hervorheben", erklärt der Manager.
Mexiko ist in der Region Spitzenreiter bei Industrierobotern
Vernetzte Industrieroboter sind ein wichtiges Element von Industrie 4.0. Sie erleichtern die Arbeit in der Fabrik und minimieren Unfallrisiken. Nach Angaben des Internationalen Robotikverbandes IFR (International Federation of Robotics) waren Ende 2020 allerdings nur 2,2 Prozent des weltweiten Bestandes an Industrierobotern in Lateinamerika installiert.
Davon entfielen wiederum etwa zwei Drittel auf Mexiko, das im weltweiten Ranking der Länder mit den meisten Robotern sogar Platz neun belegt. Auch Brasilien und Argentinien verfügen über relevante Bestände an Industrierobotern. Allerdings besteht selbst beim regionalen Spitzenreiter Mexiko noch viel Luft nach oben: So sind laut dem IFR dort je 10.000 Angestellten in der Kfz-Industrie nur 377 Roboter installiert, während das Nachbarland USA auf 1.528 Roboter kommt.
Land | 2018 | 2019 | 2020 |
---|---|---|---|
Lateinamerika* gesamt, darunter | 49.893 | 56.209 | 60.358 |
Mexiko | 32.713 | 37.275 | 40.638 |
Brasilien | 14.179 | 15.303 | 16.117 |
Argentinien | 2.504 | 3.064 | 3.002 |
Chile | 211 | 250 | 262 |
Kolumbien | 196 | 220 | 235 |
Peru | 49 | 58 | 68 |
Puerto Rico | 16 | 16 | 20 |
Venezuela | 25 | 23 | 16 |
Bosch Rexroth bietet in Lateinamerika den kollaborativen Roboter (Cobot) APAS (Automatic Production Assistant) an, der in Fabriken eng mit Menschen zusammenarbeitet. In den kommenden Jahren wird das Unternehmen rund 215 Millionen US-Dollar (US$) in den Bau eines neuen Werks im mexikanischen Querétaro investieren. Rund 900 Mitarbeiter sollen dort künftig Ausrüstungen für die Automatisierung von Fabriken herstellen. "Bosch wird eines der ersten Unternehmen sein, das in Mexiko moderne Ausrüstungsgüter für die Industrie herstellt. Damit tragen wir zum Wandel in Richtung Industrie 4.0 bei", sagte René Schlegel, Geschäftsführer von Bosch México, bei der Ankündigung des Investitionsprojekts im September 2022.
Volkswagen investiert in die Digitalisierung seiner Werke in Nordamerika
Die zunehmende Bedeutung digitaler Technologien und intelligenter Roboter wird auch am Beispiel von Volkswagen deutlich: Der Automobilkonzern investiert zwischen 2021 und 2025 rund 1 Milliarde US$ in seine drei Werke in Nordamerika (Chattannooga/USA, Puebla/Mexiko und Silao/Mexiko). Damit sollen eine cloudbasierte Software, intelligente Roboter und künstliche Intelligenz in die Produktionsprozesse integriert werden. "Wir stoßen unsere digitale Transformation an, damit die Volkswagen-Werke in Nordamerika effizienter, nachhaltiger und besser verknüpft sind", so Johan de Nysschen, Chief Operating Officer (COO) in Nordamerika gegenüber dem Wirtschaftsmagazin Forbes. Beispielsweise verwendet Volkswagen in seinem Werk in Puebla inzwischen Cobots zur Messung von Abständen bei der finalen Inspektion produzierter Fahrzeuge.
Ein anderes Bild zeichnet Andreas Voelker, Geschäftsführer von Thyssenkrupp Automation Engineering in Mexiko. Denn in der Praxis bestehe zumindest in der Automobilindustrie in Lateinamerika noch Nachholbedarf bei der Digitalisierung. "Seit gut vier Jahren entstehen kaum neue Kfz-Werke, stattdessen bauen die Automobilhersteller bestehende Produktionslinien um. Neue Möglichkeiten ergeben sich jedoch mittelfristig dank des Umstiegs der Hersteller auf Elektromobilität", erwartet Manager Voelker. Die Thyssenkrupp-Sparte bietet 4.0-Lösungen wie die intelligente Nutzung von Produktionsdaten, innovative Automatisierungsmöglichkeiten und digitale Zwillinge der realen Produktionsanlage an und liefert Turnkey-Projekte für die Montage von Antriebssträngen und Batterien.
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