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Gründerszene eilt ihrem Potenzial hinterher

Gemessen an der Wirtschaftskraft und der Zahl der Hochschulabgänger müsste Marokko eigentlich mehr Start-ups aufweisen. Erfolge sind dennoch vorweisbar.

Von Ullrich Umann | Casablanca

Marokkos Start-up-Szene verzeichnet einen leichten Aufschwung. Das zeigt sich unter anderem an Produkten und Dienstleistungen, die den Alltag und das Geschäftsleben vereinfachen. Dazu gehören Fahr- und Lieferdienste, verschiedene Formen des Onlinehandels oder auch B2B-Leistungen, womit Lieferketten sicherer und vor allem schneller werden. Auch haben Start-ups die Zahl der mobilen Applikationen mit marokkanischen Labels sichtbar erhöht. 

Kunden bevorzugen nationale Brands

Ausländische Branchenriesen wie Uber aus den USA oder auch Delivery Hero aus Deutschland haben sich im marokkanischen Start-up-Markt eingekauft, obwohl Experten mit mehr Übernahmen gerechnet hatten. Eine Besonderheit ist dabei, dass die ausländischen Investoren ihre neu erworbenen marokkanischen Niederlassungen und deren Marken unangetastet lassen. Dies hat sich als geschickter Schachzug erwiesen, auf den die marokkanischen Kunden sehr positiv reagiert haben.

Im Vergleich zu anderen afrikanischen Ländern, etwa Nigeria, hat Marokko nach Meinung von Fachleuten sein vorhandenes Potenzial längst noch nicht ausgeschöpft. Vom wirtschaftlichen Entwicklungsgrad und der Zahl der Hoch- und Fachschulabsolventen hätten in Marokko in den letzten Jahren mehr Unternehmensgründungen stattfinden können. 

Risikobereitschaft wenig ausgeprägt

Salma Kabbaj, Mitbegründerin und CEO des seit 2015 bestehenden und in Casablanca ansässigen panafrikanischen Inkubators Impact Lab führt das relative Zurückbleiben Marokkos unter anderem auf soziokulturelle Gründe zurück. So würden marokkanische Bildungseinrichtungen Schülern und Studenten nicht unbedingt beibringen, dass zum Berufsleben auch das Eingehen von Risiken gehört und erst recht nicht, dass ein wirtschaftliches Scheitern Bestandteil des Wettbewerbs und damit normal sein kann: "Unsere Studenten streben eine lebenslange und sichere Anstellung im öffentlichen Dienst oder in einem Großunternehmen an. Unternehmertum kommt im Leben erst als Plan B in Frage."

Dies erkläre zusätzlich, warum selbst erfolgreiche marokkanische Unternehmensgründer nur ungern den Schritt ins Ausland wagen, obgleich ihr Unternehmen dadurch schneller wachsen könnte. "Wir müssen unsere Partner im Inkubator regelmäßig auf die Zweckmäßigkeit eines Auslandsengagements hinweisen."

Rahmenbedingungen für Gründer verbessert

Insgesamt ist es für Unternehmensgründer und Inkubatoren laut Salma Kabbaj im Vergleich von vor zehn Jahren einfacher geworden, Projekte anzustoßen und auch erfolgreich fortzusetzen. "Die Qualität der Projekte ist deutlich gestiegen. Heute haben wir es mit Unternehmern zu tun, die über solide Fachkenntnisse verfügen und damit bessere Chancen haben, ihre Projekte zur Marktreife zu bringen.“ 

Die Betreuung erfolgreicher marokkanischer Start-ups wie zum Beispiel Chari (Einzelhandelsplattform in Marokko, Tunesien und Côte d'Ivoire), Freterium (Transport Management Software) und WaystoCap Maroc (Handelsplattform) hat inzwischen der US-Inkubator Y Combinator übernommen. Salma Kabbaj ist stolz auf diese Entwicklung, denn generell stellt Marokko nach ihrer Meinung kein einfaches Ökosystem für Start-ups dar. Umso höher ist es zu bewerten, dass sich renommierte Inkubatoren für lokale Start-ups interessieren.

Seit dem Ende der Coronapandemie fließen mehr Fördergelder, darunter in Plattformen und ebenfalls in Inkubatoren und in Start-up-Zentren. Die Mittel stammen aus verschiedenen Quellen, darunter von marokkanischen Regierungseinrichtungen und Ministerien, aber auch aus dem Ausland, etwa von der Deutschen Gesellschaft für wirtschaftliche Zusammenarbeit (GIZ) oder der Europäischen Union.

Privates Risikokapital ist nach wie vor rar. Und das ist ein Problem, denn daran lässt sich nach Ansicht von Experten der Reifegrad der marokkanischen Gründerszene ablesen. Offensichtlich haben Banken, Investitionsfonds und private Kapitalgeber nicht genügend Vertrauen in die marokkanische Gründerszene gefasst. Treten private Kaitalgeber in Erscheinung, dann nur im Konsortium mit staatlichen Fördereinrichtungen, womit ein Teil des Risikos auf die öffentliche Hand übertragen wird.

Ein Beispiel für eine gelungene Fremdfinanzierung bietet der Risikokapitalfonds der Mohammed VI Polytechnischen Universität, UM6P Ventures. Dieser investierte in PayLik, ein Fintech-Start-up. Paylik bietet eine innovative Lösung, die Arbeitnehmern sofortigen Zugang zu einem Teil ihres Gehalts über die Prepaid-Karte namens Paylik ermöglicht. 

In einer Erklärung von UM6P Ventures heißt es, dass das Start-up das herkömmliche Gehaltszahlungsmodell neu definiert, indem es den Mitarbeitern ermöglicht, mehrmals im Monat auf ihr Einkommen zuzugreifen und so den finanziellen Stress, der durch den typischen 30-tägigen Gehaltszyklus verursacht wird, zu mindern. 

Digitalisierung befördert Start-up-Szene

Die meisten marokkanischen Start-ups bieten ihre Dienstleistungen und Produkte über das Internet an, etwa in Form einer virtuellen Handelsplattform, als mobile Ticketkasse oder auch als Liefer- beziehungsweise Taxidienst. Die zunehmende Digitalisierung des öffentlichen und Geschäftslebens kommt den internetgestützten Dienstleistungen sehr gelegen. 

Generell setzt sich in der marokkanischen Politik und Wirtschaft die Erkenntnis durch, dass die Digitalisierung kein "nice to have", sondern ein "must be" ist. Neben der Digitalisierung kommt den Start-ups der Smartphone-Boom zugute: in Marokko kamen 2020 auf 1.000 Einwohner 1.339 Mobiltelefonanschlüsse.

Nach dem geeignetsten Standort zur Gründung eines B2B-Start-ups befragt, empfiehlt Salma Kabbaj die 3,5-Millionen-Metropole Casablanca, "weil hier die übergroße Zahl der Unternehmenskunden zu finden ist, auch wenn es in Marokko schönere Plätze zum Leben gibt". Anders sieht es für Agrotech-Start-ups aus, die besser in Agadir oder Meknes aufgehoben seien.

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