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Grüner Stahl kommt demnächst aus Marokko
Marokkos Stahlindustrie möchte nicht mehr nur Baustähle liefern. Investiert wird daher in höherwertige Legierungen und vor allem in grünen Stahl.
20.06.2024
Von Ullrich Umann | Casablanca
Marokkos Stahlwerke können für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau sowie für deutsche Unternehmen der Energie- und Elektrotechnik in mehrerer Hinsicht interessant werden. So investiert die Stahlindustrie 2024 wesentlich mehr als noch im Vorjahr, da unter anderem die Bauwirtschaft als der hauptsächliche Abnehmer im laufenden Jahr wieder mehr Stahlerzeugnisse bestellt.
Stahlindustrie investiert in grüne Energie
Zum einen investieren die Stahlkocher in ihren Kapitalstock und benötigen dafür hochwertige Technologiegüter, darunter aus Deutschland. Zum anderen erhöht die Branche den Anteil grüner Energie am Schmelz- und Verarbeitungsprozess, wozu die beste verfügbare Technologie zur Erzeugung, Speicherung und Übertragung von Strom aus erneuerbaren Quellen importiert wird. Investiert wird ebenfalls in die Produktion von Industriegasen.
Darüber hinaus diversifizieren die marokkanischen Stahlunternehmen ihre ausländischen Bezugsquellen für Eisen- und Stahlschrott, den sie vorrangig für die Erzeugung neuer Stahlerzeugnisse als Ausgangsmaterial nutzen. Im Schnitt lagen die jährlichen Importe von Stahl- und Eisenschrott bei 0,45 Millionen Tonnen. Aus inländischen Quellen wurden pro Jahr 0,65 Millionen Tonnen bezogen, womit insgesamt 1,1 Millionen Tonnen eingeschmolzen und wiederverwendet wurden. Diese Menge soll sich nun durch zusätzliche Schrotteinfuhren ausweiten.
Import von Eisenschrott soll steigen
Insbesondere der schnell wachsende Stahlkocher Riva Industrie sucht zusätzliche Bezugsquellen für Eisenschrott, darunter ausdrücklich auch in Deutschland. Mit den Mehrbezügen soll eine bessere Auslastung der Guss- und in Folge auch der Walzkapazitäten erzielt werden: Im Stranggussverfahren lag die Kapazitätsauslastung im Branchendurchschnitt im Jahr 2022 bei 42,5 Prozent, wie der Fachverband ASM errechnete. Um rentabel zu arbeiten, wird laut OECD eine Auslastung von mindestens 61 Prozent benötigt.
Das in den Stahlwerken am häufigsten anzutreffende Produktionsverfahren ist das Stranggießen. Zur Anwendung gelangen zum einen der Knüppel- und Vorblockstrangguss zur Erzeugung runder beziehungsweise quadratischer Querschnitte (sogenannte Knüppel) und profilförmige Querschnitte - aus ihnen werden Stangen, Drähte und Profile für die Bauindustrie gefertigt. Zum anderen kommt der Brammenstrangguss zur Anwendung, aus denen rechteckige Stränge mit großer Breite (bis über 2.600 Millimeter) und kleiner Dicke (bis 600 Millimeter) zur Weiterverarbeitung zu Blechen und Flachprofilen erzeugt werden.
Um ihre Marktanteile auszubauen, setzen einige Stahlkocher auf die Erzeugung grünen Stahls. Das Unternehmen Sonasid mit Produktionen in Jorf Lasar, Nador und Berrechid verwendet bereits 88 Prozent Strom aus erneuerbaren Quellen. Derzeit wird an einer weiteren Erhöhung dieser Anteile gearbeitet, wozu am Standort Nador eine Fotovoltaik-Anlage im Wert von 1,5 Millionen Euro errichtet wird. Weiterhin investiert Sonasid in Nador in eine Stahldrahtziehanlage, wofür der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal, der Anteile an Sonasid hält, technische Hilfe leistet.
Stahlkocher diversifizieren Geschäftsfelder
Auch das Unternehmen Riva Industrie möchte den Anteil grünen Stroms, der beim Schmelz- und Verarbeitungsprozess verwendet wird, auf 100 Prozent steigern. Aus diesem Grund bereitet Riva die Gründung einer eigenen Tochterfirma zur Erzeugung grünen Stroms vor, um dieses Geschäftsfeld auszulagern und damit effizienter zu gestalten.
Die Stahlkocher investieren neben der Modernisierung und Dekarbonisierung der Stahlschmelze in die Diversifizierung ihrer Produkt- und Dienstleistungspalette. Riva Industrie erweitert zum Beispiel am Standort Jorf Lasfar seine Erzeugeranlagen für Sauerstoff, Stickstoff und Argon. Darüber hinaus baut das Unternehmen die Hafeninfrastruktur in Lorf Jasfar für den schnelleren Import von Eisenschrott und die Verschiffung fertiger Stahlerzeugnisse aus.
Teil der Diversifizierung von Riva ist ebenfalls die Umstellung der Dienstwagen- und Lkw-Flotte auf Elektroantrieb, wofür aktuell geeignete Lösungen gesucht werden. Zu den weiteren Investitionsvorhaben gehört eine Anlage zum Zerlegen gebrauchter Rotorblätter aus Windkraftanlagen in ihre Materialbestandteile. Damit will Riva zu einem führenden Anbieter dieser Recyclingdienstleistung für den gesamten Mittelmeerraum und Teile Europas werden.