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Marokko gewinnt als Beschaffungsmarkt an Bedeutung
In vielerlei Hinsicht wird das Königreich als Beschaffungsmarkt immer interessanter. Die Angebotspalette steigt - in klassischen Sektoren, aber auch in neuen Nischen.
04.04.2023
Von Michael Sauermost | Casablanca
Marokko bietet sich durch seine geographische Nähe und moderne Häfen für den Handel zwischen Europa und Afrika an. Die Regierung fördert außerdem die Diversifizierung und Modernisierung der Industrie. Der Fokus liegt auf dem Automobilsektor, elektronischen Erzeugnissen, der Luft- und Raumfahrt sowie der Textilbranche.
Voraussetzungen für den Einkauf in Marokko passen
Der Standort ist nicht länger nur für Investoren interessant. Mittlerweile haben industrielle Einkäufer, Logistiker und Supply Chain Manager das Königreich im Visier. Bislang sind es vor allem Unternehmen aus Frankreich und Spanien, die Marokko als Beschaffungsmarkt intensiver nutzen. Nachdem sich, durch die Coronapandemie initiiert, die weltweiten Lieferketten neu sortieren, blicken jedoch verstärkt auch deutsche Firmen auf Marokko.
Das Königreich ist bereits stark in den Welthandel eingebunden. Mithilfe zahlreicher Handelsabkommen wurde ein reger Austausch mit Partnerländern etabliert. Dem Abkommen mit der EU kommt ein besonderer Stellenwert zu. Mit den USA gibt es ebenso ein Handelsabkommen. Die Voraussetzungen für eine effiziente Logistik haben sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Der Tiefseehafen Tanger Med wurde mehrfach ausgebaut und modernisiert. Inzwischen hat er sich zum produktivsten Mittelmeerhafen entwickelt. Industriezonen sind dort wie auch an anderen Umschlagplätzen angesiedelt. Diese "Zones d´Accélération Industrielles" bieten auch Anreize für Exportunternehmen.
Allerdings steht der Beschaffungsmarkt Marokko vor anspruchsvollen Herausforderungen. Die EU führt eine CO₂-Ausgleichsabgabe für Lieferungen in die EU ein. Energieintensive Waren, bei deren Produktion CO₂ freigesetzt wurde, erhalten in Zukunft einen Aufpreis. Wenn die Produktion dagegen ohne CO₂ erfolgt, wird bei der Einfuhr in die EU keine Abgabe fällig. Verschiedene lokale Unternehmen haben begonnen, sich darauf vorzubereiten. So kündigte der Phosphatriese OCP umfassende Investitionen zur Dekarbonisierung für 2023 bis 2027 an. Düngemittel standen im Königreich 2021 immerhin für etwas mehr als 15 Prozent der Gesamtexporte.
Die Coronapandemie hat Marokko neu positioniert
Die Coronakrise und auch der Krieg in der Ukraine haben dazu geführt, dass weitere Unternehmen Marokko als attraktiven Nearshoring-Standort entdeckt haben. Teilweise hatten die Unternehmen bisher ihre Geschäftsbeziehungen nach Marokko über Tochterunternehmen in Frankreich oder Spanien abgewickelt. Inzwischen nutzen die Unternehmen aber verstärkt den direkten Kontakt von Deutschland nach Marokko.
Die Regierung sieht große Chancen darin, das Land als Industrie- und Exportnation breiter aufzustellen. Der "Plan de Relance Industriel 2021-23" zielt auf die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ab. Marokkanische Eigenfertigung soll gezielt gefördert werden. Das Label "Made in Morocco" soll im In- und Ausland bekannter gemacht werden. "Morocco NOW" lautet eine Initiative der staatlichen Investitions- und Exportförderagentur AMDIE (Agence Marocaine de Développement des Investissements et des Exportations). Als Schlüsselsektoren für den Export hat die Gesellschaft Kraftfahrzeuge, Luftfahrttechnik, Textilien, Nahrungsmittelverarbeitung, Pharma und IT-Outsourcing identifiziert.
Eine weitere bedeutende Entwicklung für das zukünftige Angebot von Industriegütern in Marokko ist das Regierungsziel zur Förderung der Importsubstitution. Durch die Förderung der lokalen Industrie - auch im Zulieferbereich - soll die Einfuhrbelastung reduziert werden. Beispielsweise sollen lokale Lieferanten von elektronischen Geräten oder Verpackungsmaterialien gezielt gefördert werden.
Das Industrieministerium hat verschiedene Segmente identifiziert, die für die Umsetzung prädestiniert sind. Auch der Nahrungsmittelverarbeitung kommt dabei ein großer Stellenwert zu. Im Ergebnis dürften auch die exportorientierten Unternehmen von dieser Entwicklung profitieren.
Auch im Energiesektor entsteht neues Potenzial: In Zukunft soll grüner Wasserstoff aus Marokko im internationalen Warenkorb erscheinen. Im Sommer 2020 wurde ein entsprechendes Abkommen mit Deutschland unterzeichnet.
Geeigneter Ansprechpartner in Sachen Beschaffung aus dem Ausland ist der Verband der marokkanischen Exporteure ASMEX (Association Marocaine des Exportateurs). Auf der Website Export Morocco kann nach einzelnen Produkten recherchiert werden. Die Association Marocaine de la Communauté Achats (AMCA) ist ein gemeinnütziger Berufsverband, dessen Ziel es ist, Einkäufer zusammenzubringen, um die Einkaufsfunktion zu fördern und zu professionalisieren.
Kfz-Industrie lockt weitere Investoren
Marokko hat sich zu einem Hightech-Zulieferer für die Automobil- und Luftfahrtindustrie entwickelt. Die Teile- und Komponentenhersteller kamen zunächst im Schlepptau der französischen Automobilbauer Renault und Groupe PSA ins Königreich. Nicht zuletzt die Coronakrise und die daraus resultierende Neugestaltung der Lieferketten hat dies geändert. Zumindest in diesem Bereich konnte sich Marokko bereits als Nearshoring-Standort gegen asiatische, aber auch europäische Standorte durchsetzen.
Der deutsche Hersteller Stahlschmidt weihte im Juni 2022 eine neue Fabrik in der Tanger Automotive City ein. Dort entstehen komplette Bowdenzugsysteme für Automotive- und Industrieanwendungen. Etwa 90 Prozent der Fertigung sind für den weltweiten Export vorgesehen. Dies sei alles andere als ein Einzelfall, bestätigten marokkanische Firmen bei einem deutsch-marokkanischen Roundtable im Rahmen der Branchenmesse IZB in Wolfsburg. Das Matchmaking-Event wurde im Oktober 2022 von der AHK Marokko zusammen mit der GIZ organisiert.
Verkabelungssysteme waren ein erster wichtiger Baustein der marokkanischen Automobilindustrie. Allerdings hat sich die Produktpalette im Laufe der Zeit erweitert: Reifen, Alarmsysteme, Karosserien, Tachometer, Verbrennungspumpen, Dichtungen, Rückspiegel, Batterien oder Autositze sind mittlerweile im Angebot. Allerdings tun sich die lokalen Firmen bei der Vermarktung für das internationale Geschäft bisweilen noch schwer. In der marokkanischen Ausfuhrstatistik für Kfz-Teile spielen Lieferungen nach Deutschland bislang eine ausbaufähige Rolle.
Textilsektor will an alte Erfolge anknüpfen
Die Association Marocaine des Industries du Textile et de l´Habillement (AMITH) will seine Mitglieder wieder stärker auf internationalen Märkten positionieren. Zu diesem Zweck unterstützt sie die lokalen Textil- und Bekleidungshersteller beim Marktzugang im Ausland. Die Vision des Branchenverbandes: Neben dem Marktanteil im Inland sollen auch die Exporte bis 2035 im Vergleich zu 2020 verdoppelt werden. In den letzten Jahren hatte der Sektor mit erheblichen Effizienzproblemen zu kämpfen. Marktanteile wurden an Konkurrenten, vor allem aus der Türkei, verloren.
Seinen Optimismus zieht der Verband ausgerechnet aus der Coronakrise. Durch die auferlegte Pflicht zur Maskenherstellung entdeckten die lokalen Firmen das neue Geschäftsfeld von technischen Textilien. Dieses könnte sich in Zukunft verstärkt für Lieferungen ins Ausland anbieten. Ein Anteil von knapp einem Fünftel der Mitgliedsunternehmen beschäftigt sich laut AMITH bereits mit diesem Bereich. Der Anteil von Textilien und Bekleidung an den Gesamtlieferungen Marokkos nach Deutschland lag 2022 bei einem Drittel.
Nahrungsmittel bleiben Exportschlager
Marokkos Nahrungsmittelverarbeitung gilt weiterhin als Top-Wachstumsbranche. Dies gilt mit Blick auf die lokale Produktion, aber auch Exporte. Das Königreich hat einen großen Agrarsektor, der allerdings stark von klimatischen Einflüssen abhängt. Immerhin machten im Jahr 2022 die marokkanischen Lieferungen von Nahrungsmitteln ein Viertel der Gesamtexporte nach Deutschland aus.
Die Fédération Nationale de l’Agroalimentaire (Fenagri) sieht jedoch noch erhebliches Entwicklungspotenzial. Das betrifft den Transport, die Kühlketten, die Fertigung, die Verpackung und Vermarktung. Ebenso interessant sind Produkte, die ein gewisses Alleinstellungsmerkmal haben. Dazu gehört etwa Arganöl, das vor allem in der Kosmetikindustrie verwendet wird. Außerdem sieht der Branchenverband große Chancen, den europäischen Markt mit Ökoprodukten zu versorgen. Als neues, vielversprechendes Nischensegment gelten medizinische Pflanzen.
Digitalisierung bietet neue Chancen
Die Elektronikindustrie dürfte sich zukünftig noch stärker als Bezugsquelle für ausländische Unternehmen qualifizieren. Der Hersteller Sumitomo Electric verlagerte 2022 einen Teil seiner Fertigung aus der Ukraine nach Marokko. Zukünftig dürfte das Königreich auch seine Halbleiterproduktion gezielt ausbauen. Dort gab es jüngst immer wieder Engpässe für den Automobilsektor. Der Halbleiterhersteller STMicroelectronics kündigte vor diesem Hintergrund den Ausbau seiner bestehenden Produktlinie in Bouskoura an.
Digitale Dienstleistungen im Angebot
Outsourcing ist ein wichtiger Geschäftsbereich für die marokkanische Informations- und Kommunikationsbranche (IKT). Der Dienstleistungssektor zählt rund 130.000 Arbeitsplätze und generiert Exporteinnahmen von etwa 1,4 Milliarden US-Dollar. Laut Branchenverband Fédération Marocaine de l'Externalisation des Services (FMES) wächst der Sektor derzeit jährlich um durchschnittlich 10 Prozent.
In Marokko werden die Bereiche IKT und Business Process Outsourcing (BPO) am häufigsten ausgelagert. Daneben stehen Human Resources, Kundenservice und Knowledge Process Outsourcing (KPO) im Fokus. Der Unternehmensverband CGEM (Confédération Générale des Entreprises du Maroc) sieht Marokko als zukunftsträchtigen Outsourcing-Standort und weist auf die Notwendigkeit hin, Fachleute in diesem Bereich auszubilden.