Special Neuseeland Wege aus der Coronakrise
Konjunktur und wichtigste Branchen
Neuseeland will künftig auf Lockdowns verzichten. Die Wirtschaft soll im Jahr 2022 um rund 4 Prozent wachsen. (Stand: 3. Dezember 2021)
Von Heiko Stumpf | Sydney
Neuseeland kann sich wieder schrittweise aus den Coronabeschränkungen befreien. Ein Ausbruch der Delta-Variante hatte ab Mitte August 2021 zu strengen Infektionsschutzmaßnahmen geführt, die insbesondere den Großraum Auckland betroffen hatten.
Bei der Pandemiebekämpfung hat Neuseeland bislang mit einem vierstufigen Warnsystem gearbeitet. In der Metropole Auckland galten dabei seit August 2021 durchgehend die Warnstufen 3 oder 4, welche die Stadt in einen strengen Lockdown versetzten. Zudem wurde Auckland von den restlichen Landesteilen abgeriegelt.
Der Großraum Auckland erwirtschaftet mit rund 1,6 Millionen Einwohnern etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Dabei ist Auckland nicht nur ein Finanzzentrum, sondern mit seinen ausgedehnten Industriegebieten auch mit Abstand wichtigster Standort für das verarbeitende Gewerbe.
Regierung muss sich von Null-Covid-Strategie verabschieden
Anders als bei vorherigen Lockdowns reichten die verhängten Maßnahmen jedoch nicht aus, um die hoch infektiöse Delta-Variante zu besiegen. Das Infektionsgeschehen wurde zwar deutlich eingedämmt, allerdings konnte die lokale Ausbreitung nicht vollständig gestoppt werden. Die Regierung von Premierministerin Jacinda Ardern sah sich dadurch gezwungen, ihre bisherige Eliminierungsstrategie in Bezug auf Covid-19 aufzugeben.
Seit dem 3. Dezember 2021 gilt in Neuseeland ein dreistufiges Ampelsystem unter dem Namen Covid-19 Protection Framework. Lockdownmaßnahmen soll es für Personen mit vollständigem Impfschutz in diesem Rahmen nicht mehr geben. Die Zirkulation des Coronavirus in der lokalen Bevölkerung wird dabei in Kauf genommen. Dies ist deshalb möglich, weil die Immunisierungsrate unter der impffähigen Bevölkerung mittlerweile bei rund 90 Prozent liegt.
Zone | Lage | Einschränkungen |
---|---|---|
Grün | Geringe Fallzahlen; geringe Auslastung des Gesundheitssystems | Einzelhandel: keine; Gastronomie/Veranstaltungen: keine bei Verwendung des My Vaccine Pass; maximal 100 Personen, falls keine Verwendung des My Vaccine Pass |
Orange | Hohe Fallzahlen; hohe Auslastung des Gesundheitssystems | Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und öffentlich zugänglichen, geschlossenen Räumen; Einzelhandel: 1 Meter Abstandsgebot; Gastronomie/Veranstaltungen: keine bei Verwendung des My Vaccine Pass; maximal 50 Personen, falls keine Verwendung des My Vaccine Pass |
Rot | Hohe Fallzahlen; drohende Überlastung des Gesundheitssystems | Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr und öffentlich zugänglichen, geschlossenen Räumen; Einzelhandel: 1 Meter Abstandsgebot; Gastronomie/Veranstaltungen: maximal 100 Personen und 1 Meter Abstandsgebot bei Verwendung des My Vaccine Pass; falls keine Verwendung des My Vaccine Pass, ist in der Gastronomie nur kontaktloser Verkauf möglich, Veranstaltungen sind beschränkt auf maximal 25 Personen |
Auckland wird dabei zunächst als rote Zone eingestuft. Die Hauptstadt Wellington und die gesamte Südinsel gelten als orange Zonen. Genaue Informationen zum Covid-19 Protection Framework stellt die Regierung von Neuseeland zur Verfügung.
Konjunkturelle Lage zeigt sich insgesamt robust
Die wirtschaftliche Entwicklung fällt 2021 durch den langen Lockdown in Auckland schwächer aus. Vor dem Ausbruch der Delta-Variante hatten Volkswirte für 2021 beeindruckende Wachstumsraten von über 6 Prozent prognostiziert. Mittlerweile wurden die Vorhersagen für 2021 auf rund 4,7 Prozent gesenkt.
Im Jahr 2022 dürfte sich ein breiter Aufschwung manifestieren. Die Geschäftsbank Westpac erwartet eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Höhe von real 4,6 Prozent. Etwas vorsichtiger sind die Volkswirte der OECD mit einer Wachstumsprognose von real 3,9 Prozent.
Fehlende Zuwanderung führt zu Fachkräftemangel
Der Arbeitsmarkt befindet sich in sehr guter Verfassung. Im 3. Quartal 2021 herrschte mit einer Erwerbslosigkeit von lediglich 3,4 Prozent Vollbeschäftigung. In vielen Branchen klagen Unternehmen über Personalmangel, insbesondere da aufgrund der geschlossenen Landesgrenze keine Zuwanderung von Fachkräften möglich ist.
Einige Sektoren wie die Bauwirtschaft arbeiten bereits an der Kapazitätsgrenze. Zusammen mit Engpässen in den internationalen Lieferketten sorgt dies für Preisdruck. Im September 2021 stieg die Inflation auf 4,9 Prozent. Die Zentralbank reagierte mit einer Erhöhung des Leitzinses in zwei Schritten auf 0,75 Prozent.
Insbesondere der Wohnungsbau läuft auf Hochtouren. Aufgrund des hohen Bevölkerungswachstums in den vergangenen Jahren herrscht in Neuseeland Wohnungsmangel. Die erteilten Baugenehmigungen bewegten sich im 1. Halbjahr 2021 auf Rekordniveau.
Die Regierung forciert den sozialen Wohnungsbau und will in den kommenden fünf Jahren 8.000 neue Wohneinheiten errichten. Insgesamt stehen dafür umgerechnet rund 3,2 Milliarden US-Dollar (US$) zur Verfügung. Mit dem im März 2021 vorgestellten Housing Acceleration Fund werden zusätzliche 2,4 Milliarden US$ ausgeschüttet. Die Gelder fließen in die Erschließung von neuem Bauland, insbesondere für begleitende Infrastruktur wie Zugangsstraßen oder Abwasser- und Wasserleitungen.
Gute Stimmung herrscht auch im Agrarsektor. Die neuseeländischen Milchbauern profitieren von guten Produktionsbedingungen und hohen Weltmarktpreisen. Die lokale Milchproduktion erreichte in der Saison 2020/21 (Juni bis Mai) mit rund 21,7 Millionen Tonnen einen Rekord. Für die kommende Saison wird ein weiteres Plus von etwa 2 Prozent prognostiziert. Auch die Weltmarktpreise für Rind- und Lammfleisch steigen deutlich an.
Der Anbau von Obst und Gemüse verzeichnet weiterhin hohe Flächenzuwächse. Für Äpfel und Birnen wird bis 2030 ein Anstieg der bepflanzten Fläche von zurzeit etwa 10.800 Hektar auf rund 15.000 Hektar erwartet. Auch der Anbau von Kiwifrüchten und Avocados expandiert.
Die gute Einnahmeentwicklung in der neuseeländischen Landwirtschaft dürfte auch dem Absatz von Landtechnik zugutekommen. Die Verkaufszahlen von Traktoren könnten 2021 um einen hohen zweistelligen Wert wachsen. Im 1. Halbjahr 2021 gab es bereits ein Absatzplus von 35 Prozent.
Tourismussektor leidet unter Grenzschließung
Umgekehrt leidet die wichtige Tourismusbranche nachhaltig unter der Coronakrise. Vor der Pandemie trug die Branche als wichtigster Exportsektor rund 6 Prozent zur BIP-Entstehung bei. Nun fällt das Geschäft mit den in der Regel etwa 4 Millionen internationalen Gästen pro Jahr komplett aus. Zwar steigt der Inlandstourismus, doch dieser kann die milliardenschweren Verluste nicht voll kompensieren.
Die Regierung agiert bei der Öffnung der internationalen Grenze sehr vorsichtig. Deshalb ist erst in der zweiten Jahreshälfte 2022 mit einer Erholung im Tourismussektor zu rechnen.