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Polens Offshore-Windsektor zieht Unternehmen an
Polnische und internationale Firmen kämpfen um neue Zulassungen für den Bau von Offshore-Windparks in Polens Ostsee - trotz Kritik an den Vergabekriterien und schrumpfenden Margen.
03.05.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Die Konzessionen für die elf neuen polnischen Offshore-Gebiete stoßen auf großes Interesse. Ende April 2022 hatten mindestens 19 Unternehmen Bewerbungsunterlagen bei Polens Infrastrukturministerium eingereicht. Das Ministerium wählt für jede Fläche einen Investor aus. Bis voraussichtlich Mitte Mai 2022 können potenzielle Investoren Angebote vorlegen.
Die Gewinner der Vergabeverfahren dürfen in den ausgeschriebenen Gebieten ihre Projekte für Offshore-Windparks weiter vorantreiben. Außerdem können die Unternehmen an den geplanten Energieauktionen in den Jahren 2025 und 2027 teilnehmen. Im Rahmen dieses staatlichen Fördermechanismus ersteigern die Energieversorger einen festen Abnahmepreis je Megawattstunde bei der polnischen Netzregulierungsbehörde (Urząd Regulacji Energetyki; URE).
Unternehmenssitz | Unternehmen 1) |
---|---|
Dänemark | Copenhagen Infrastructure Partners; Ørsted |
Deutschland | Sea Wind Holding; RWE; WPD |
Frankreich | EDF; Engie; Total; Qair |
Irland | Simply Blue Group |
Norwegen | Equinor |
Polen | Baltex; PKN Orlen; PGE; Tauron; ZE PAK |
Portugal | EDPR |
Schweden | Eolus Vind |
Spanien | Acciona; Iberdola |
UK | Shell, SSE Group |
Bereits in den vergangenen Jahren hat Polen in seiner ausschließlichen Wirtschaftszone mehrere Abschnitte für die Entwicklung von Offshore-Windparks freigegeben. Insgesamt neun Gebiete gingen bis 2021 an fünf Unternehmen und Konsortien, darunter die deutsche RWE.
Polnische Staatsunternehmen konkurrieren um Zuschläge
Auf die neuen 11 Offshore-Flächen bewerben sich auch die polnischen Energieversorger PKN Orlen, PGE und Tauron. Die drei Staatsbetriebe verarbeiten bislang hauptsächlich fossile Brennstoffe und wollen auf emissionsfreie Energiequellen umsteigen.
Wie schon bei der ersten Vergaberunde 2021 haben sich auch diesmal mehrere Konsortien gebildet. Polens privater Kohleförderer ZE PAK schloss sich beispielsweise mit dem dänischen Windkraftunternehmen Ørsted zusammen. Der französische Mineralölkonzern Total und das polnische Bergbauunternehmen KGHM einigten sich im April 2022 darauf, bei Offshore-Projekten zu kooperieren. Die deutsche Seawind bringt sich gemeinsam mit der spanischen Iberdola in Stellung. Auch RWE hat neue Anträge für Konzessionen eingereicht.
Die Anwaltskanzlei DWF schätzt, dass im Laufe der zweiten Jahreshälfte 2022 das polnische Infrastrukturministerium für alle 11 Gebiete eine Entscheidung treffen wird. Erhält ein Unternehmen den Zuschlag, bedeutet das nicht, dass sofort gebaut werden kann. Investoren müssen weitere Dokumente wie Umweltbescheinigungen und Netzanschlussverträge einholen. Weitere Konzessionen wird das Ministerium laut DWF voraussichtlich erst in einigen Jahren ausschreiben.
Vergabekriterien sorgen für Unmut
Für jedes der neuen 11 Offshore-Gebiete gibt es mehr als einen Bewerber. Eine Verordnung regelt, nach welchen Kriterien das Infrastrukturministerium den Zuschlag erteilt. Das Regelwerk stößt bei Wirtschaftsverbänden wie der Arbeitgebervereinigung Konfederacja Lewiatan oder dem polnischen Windenergieverband (Polskie Stowarzyszenie Energetyki Wiatrowej; PSEW) auf Kritik.
So erhalten Bewerber zusätzliche Punkte, wenn sie mit der Investition Treibhausgasemissionen senken. Nach Meinung von Beobachtern hilft dieser Umstand den staatlichen Energiekonzernen. Sie ersetzen beispielsweise ihre Kohlekraftwerke durch Windräder. Unternehmen, die keine fossilen Kraftwerke besitzen, würden weniger Punkte erhalten.
Außerdem belohnt der Kriterienkatalog Erfahrungen im Wasserstoffsektor. Laut Kritikern ziele dieser Punkt auf den staatlichen Mineralölkonzern PKN Orlen ab. Das Unternehmen investiert in die Wasserstoffproduktion und bewirbt sich um Wind-Konzessionen.
Branchenportale gehen davon aus, dass viele der neu ausgewiesenen Gebiete an polnische Staatskonzerne gehen werden. Trotz aller Bedenken haben Firmen aus mindestens sieben weiteren Ländern Bewerbungen eingereicht.
Absatzchancen für deutsche Unternehmen
Unabhängig vom Ausgang der Vergabeverfahren bedeutet der Offshore-Ausbau neue Geschäftsmöglichkeiten für Technologielieferanten aus Deutschland. Bei den meisten Projekten in Polens Ostsee steht noch nicht fest, wer die Windturbinen liefern wird. Eine Entscheidung gefällt haben bereits die polnische Polenergia und der norwegische Partner Equinor. Die beiden Firmen werden Turbinen von Siemens Gamesa beziehen. PKN Orlen arbeitet voraussichtlich mit dem amerikanischen Lieferanten GE zusammen.
Deutsche Exporteure, die über polnische Zulieferer oder Produktionsstätten in Polen verfügen, könnten bei den Gesprächen mit Windparkinvestoren im Vorteil sein. Hintergrund ist ein sogenannter Sector Deal. Die polnische Regierung unterzeichnete gemeinsam mit internationalen Branchenvertretern ein Abkommen. Darin versprechen Investoren wie RWE und Seawind, dass polnische Firmen ab 2030 für mindestens 50 Prozent der Wertschöpfung von Offshore-Projekten verantwortlich sein werden. Internationale Lieferanten mit polnischem Produktionsanteil können helfen, dieses Ziel zu erreichen.
Kleine Häfen und teure Materialien
Profitieren sollen auch die polnischen Häfen. Für den Umschlag von Offshore-Ausrüstung sind die Anlegestellen aber noch nicht ausgelegt. Polens Regierung wollte ursprünglich den Hafen Gdynia zum Installationshafen erweitern. Im Februar 2022 änderte das zuständige Ministerium für Staatsaktiva seine Meinung. Die Installationsarbeiten sollen nun über den Hafen Gdańsk abgewickelt werden. Ein Grund für den Richtungswechsel: In Gdynia wären deutlich umfangreichere Bauarbeiten nötig gewesen. Der Hafen Gdańsk sucht bereits Pächter für das Installationsterminal. Eine entsprechende Ausschreibung läuft noch bis Juni 2022.
Über die Häfen Łeba und Ustka werden die Investoren außerdem Wartungsarbeiten koordinieren. RWE hat sich bereits für den Hafen Ustka entschieden.
Investoren sehen sich mit einer neuen Herausforderung konfrontiert. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine sind die ohnehin hohen Preise für viele Baumaterialien noch einmal gestiegen. Unternehmen, die Windräder auf den alten Konzessionsgebieten von 2021 errichten, erhalten vom URE zwar einen festen Abnahmepreis je Megawattstunde. Die Vergütung ist laut Branchenvertretern aufgrund der steigenden Kosten aber zu niedrig angesetzt. Der Windverband PSEW plädiert für einen Inflationsausgleich.