Die Visegrád-Länder: Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn
Vier Länder im Wandel
Die sogenannten Visegrád-Staaten - Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn - sind zusammen Deutschlands wichtigste Handelspartner.
02.06.2023
Für deutsche Unternehmen ergeben sich in diesen Ländern vielfältige Absatz- und Beteiligungschancen. Die Transformation zu nachhaltigen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften ist für die emissionsintensiven Volkswirtschaften eine besondere Herausforderung. Hinzu kommen Personalmangel, technologischer Wandel und wachsender Wettbewerbsdruck. Die Unternehmen reagieren darauf mit verstärkter Automation und Innovation. Will sich die Region zukunftsfest aufstellen, benötigt sie neue Technologien. Bei dieser enormen Investitionsanstrengung wird sie durch EU-Gelder unterstützt.
Auch als Beschaffungsmarkt in unmittelbarer Nachbarschaft haben die vier Länder viel zu bieten. Mit ihrer breiten Produktpalette und Sourcing-Möglichkeiten in vielen Branchen sind sie etablierte Stützen im deutschen Einkauf. Nicht ohne Grund wird die Region in Umfragen als zuverlässige Alternative genannt, wenn es darum geht, Lieferketten zu verkürzen oder zu diversifizieren.
Diese Publikation gibt Ihnen einen Überblick über wesentliche Faktoren und Trends, die in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn die wirtschaftliche Entwicklung der nächsten Jahre prägen werden. Erfahren Sie, wie deutsche Unternehmen daran partizipieren können und wo die Risiken liegen.
In den zurückliegenden drei Jahrzehnten haben Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn einen tiefgreifenden sozioökonomischen Wandel gemeistert. Die Aussichten bleiben vielversprechend, der geopolitischen Zeitenwende und den weltwirtschaftlichen Turbulenzen zum Trotz. Im technologischen Übergang zum klimaneutralen Wirtschaften und einer digital vernetzten Produktion liegen für die Region Herausforderung und Perspektive zugleich.
Der Aufholprozess verlief mit beeindruckender Dynamik. Die Wirtschaftsleistung der vier Länder wuchs abgesehen von einzelnen Dellen über lange Zeiträume hinweg jährlich deutlich schneller als im europäischen Vergleich. Der Lebensstandard gemessen als Bruttoinlandsprodukt pro Kopf steigt und ist höher als in den meisten anderen jüngeren EU-Ländern. In boomenden Metropolen wie Warschau oder Prag liegt er weit über dem EU-Durchschnitt.
Als sogenannte Visegrád-Gruppe (V4) haben die vier Länder in den 90er Jahren gemeinsam auf die Aufnahme in die EU hingearbeitet, der sie 2004 beitraten. Seither sind sie vor allem mit Deutschland ökonomisch immer enger verflochten. Auch bei ihnen trägt das verarbeitende Gewerbe jeweils zu hohen Anteilen zur Bruttowertschöpfung bei. Industrieerzeugnisse spielen daher traditionell eine wichtige Rolle im beiderseitigen Handel.
Schon gewusst?
Im Jahr 1991verabredeten die heute vier Länder im ungarischen Schloss Visegrád, die Zusammenarbeit in Bereichen wie Wirtschaft, Sicherheit und Kultur zu fördern.
Bilateraler Handel erreicht Rekordniveau
Seit 2004 hat sich der Warenhandel zwischen Deutschland und den V4-Staaten wertmäßig mehr als verdreifacht auf über 380 Milliarden Euro im Jahr 2022. Das macht den V4-Raum zu Deutschlands wichtigstem Handelspartner, vor Schwergewichten wie China (rund 300 Milliarden Euro) oder den USA (250 Milliarden Euro). Deutschland wiederum ist für jedes der vier Länder Handelspartner Nummer eins. Mit Anteilen zwischen 20 und 30 Prozent an ihren Gesamtausfuhren ist für sie der deutsche Markt entscheidend. Umgekehrt kauften sie 2022 deutsche Waren im Wert von fast 189 Milliarden Euro. Ein nicht geringer Teil dieses Warenaustauschs geht auf Intrafirmenhandel zurück.
Deutsche Unternehmen haben zahlreiche Niederlassungen in der Region aufgebaut, die mit ihren Mutter- und Schwesterunternehmen im Austausch stehen. Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in den V4-Ländern belief sich der Deutschen Bundesbank zufolge 2020 auf knapp 90 Milliarden Euro. Deutschland ist vom Bestand her größter ausländischer Investor in Ungarn, zweitgrößter in Polen, drittgrößter in Tschechien und viertgrößter in der Slowakei. Bei der Zahl der Niederlassungen steht Deutschland als Direktinvestor im gewerblichen Bereich in Polen, Tschechien und Ungarn an 1. Stelle, in der Slowakei auf Rang 2 hinter Tschechien.
V4-Länder behaupten sich in schwierigem Umfeld
Pandemiebedingte Einschränkungen und Lieferkettenprobleme haben die Wachstumsdynamik der Region seit 2020 beeinträchtigt. Dafür hat die Digitalisierung einen Schub erhalten. Staatliche Maßnahmen konnten viele Pandemiefolgen abfedern, ließen aber den öffentlichen Schuldenstand ansteigen. Schwächen in den Gesundheitssystemen, die die Coronakrise offenlegte, begegnen die Länder dank der EU-Aufbaumittel mit kräftigen Investitionen.
Die Folgen von Russlands Krieg dämpfen die Postcorona-Erholung. Als Nachbarländer spielen die V4 eine wichtige Rolle bei der Hilfe für die Ukraine und ihre Menschen. Zusammen haben sie bisher mehr als 1,5 Millionen Geflüchtete aufgenommen, besonders Polen und Tschechien. Kriegsbedingt hohe Energiepreise und die deutlich gestiegene Inflation setzen Unternehmen und Bevölkerung weiterhin zu. Doch erweisen sich die Arbeitsmärkte mit Arbeitslosenquoten zwischen 2,5 Prozent in Tschechien und 6 Prozent in der Slowakei als robust.
Megatrends schaffen Absatzchancen
Wegen des allgegenwärtigen Fachkräftemangels steigen die Lohnkosten in allen vier Ländern seit Jahren. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, automatisieren Unternehmen Arbeitsprozesse und investieren in Roboter. Industrie 4.0 ist ein wichtiges Feld und Deutschland ein gefragter Technologielieferant. Zugleich wachsen in der Region Technologieunternehmen mit eigenen Lösungen heran. Sie streben in westliche Märkte, wobei Deutschland als größter Markt der EU nebenan liegt. Nicht nur der digitale Wandel, auch die Transformation zur Nachhaltigkeit wird als Chance begriffen, um Forschung in konkrete Produkte zu verwandeln und mehr Wertschöpfung im eigenen Land zu generieren.
Die Dekarbonisierung fordert die immer noch sehr kohlenstoffintensiven Volkswirtschaften der V4 besonders. Bis 2050 will die EU klimaneutral sein. Als Meilenstein sollen die Mitgliedsstaaten ihre Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent senken. Das erzwingt einen strukturellen Wandel der für die Region wichtigen Automobilindustrie, die sich auf Elektromobilität umstellt. Was das heißt, veranschaulichen die Zahlen: 2022 produzierten die Autohersteller in den vier Ländern über 2,8 Millionen Pkw. Das ist über ein Viertel der Produktion in der EU. Bei der Autoproduktion steht Tschechien auf Rang 3, die Slowakei auf Rang 4 in Europa.
Auswahl zukunftsbezogener Kennzahlen
Indikator
Deutschland
Polen
Tschechien
Slowakei
Ungarn
F&E-Ausgaben (Anteil am BIP* in Prozent)
3,13
1,44
2,00
0,93
1,65
Rang im Global Innovation Index
8
38
30
46
34
Roboter pro 10.000 Beschäftigte (2021 im verarbeitenden Gewerbe)
397
63
169
143
115
Energieintensität (Energieintensität des BIP in Kilogramm Rohöleinheit pro 1.000 Euro, in kettengebundenen Mengen, 2015)
92,2
204,0
224,8
199,4
201,7
CO2-Intensität der Wirtschaft (Tonnen Kohlendioxidäquivalent pro Million Euro BIP
235
748
619
434
497
* BruttoinlandsproduktQuelle: Eurostat 2023, Global Innovation Index 2022, World Intellectual Property Organization WIPO 2022, International Federation of Robotics 2023, Statista 2023, Science Direct 2021, Umweltbundesamt 2020
EU-Gelder unterstützen die Modernisierung
Einer der wichtigsten Treiber bei der wirtschaftlichen Modernisierung und dem Ausbau klimafreundlicher Technologien sind die Fördergelder der EU. Die V4-Länder können bis 2027 auf mindestens 175 Milliarden Euro aus den Struktur- und Kohäsionsfonds sowie dem Wiederaufbaufonds zurückgreifen. Obendrauf kommen Gelder aus weiteren Instrumenten wie dem Modernisierungsfonds. Die Mittel fließen in Programme für den Ausbau erneuerbarer Energien und Verbesserung der Energieeffizienz, unterstützen innovatives Unternehmertum, helfen beim Erneuern der Infrastruktur oder fördern Kooperationen bei Forschung und Entwicklung. Auch für den Kohleausstieg stehen Gelder zur Verfügung.
Auf der Agenda bleibt der Ausbau von Verkehrswegen, stärker als bislang auch auf den Nord-Süd-Achsen europäischer Korridore. Neben Fernstraßen geht es um Hochgeschwindigkeitsstrecken für die Eisenbahn. Luftdrehkreuze und moderne Containerterminals sollen die Region noch besser vernetzen.
In dieser großen Transformation investieren Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn in eine neue technologische Basis. Der Anpassungsbedarf betrifft Gebäude, Maschinen, Energiesysteme, Produktionsprozesse, Infrastrukturen und nicht zuletzt das Bildungswesen. Es ist ein breites Spektrum, in dem deutsche Anbieter von Maschinen, Ausrüstungen, technologischen Lösungen oder Planungsleistungen Geschäft und Kooperationspartner finden können.
Globale Krisen konnten Polens Wachstumskurs nicht ausbremsen. Investitionen im Energiesektor, in der Infrastruktur und in der Automatisierungstechnik versprechen neue Impulse. Gleichzeitig will das Land stärker mit Partnern in der Region kooperieren. Wie erfolgreich die Entwicklungsstrategie sein wird, hängt auch von EU-Geldern ab.
Polens Wirtschaft hat in den vergangenen Jahren eine gewaltige Aufholjagd vollzogen. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes wuchs seit dem EU-Beitritt um mehr als das Zweieinhalbfache - und damit fast doppelt so schnell wie im europäischen Durchschnitt. Auch der Handel mit internationalen Partnern zog an. Polen importiert und exportiert heute mehr Waren als je zuvor. Das Außenhandelsvolumen stieg seit 2004 um mehr als das Vierfache.
Der Erfolg des mit Abstand größten Binnenmarktes in der Visegrád-Gruppe fußt auf mehreren Säulen. Das Land profitiert von der Mitgliedschaft in EU und NATO. Polen nutzt europäische Fördergelder, um Straßen, Schienen, Gebäude und Unternehmen zu modernisieren. Die europäische Kontrollbehörde OLAF bestätigt, dass die Gelder effizient zum Einsatz kommen. Die geografische Nähe zu Deutschland und anderen westeuropäischen Absatzmärkten zieht in Kombination mit Zuschüssen internationale Investoren an. Hinzu kommt eine dezentrale Industrie- und Forschungslandschaft, die genug Raum für lokale Spezialisierungen lässt.
Schon gewusst?
Polen belegte Platz 5 in der Rangfolge deutscher Außenhandelspartner 2022.
Energie ist nicht das einzige Zukunftsthema
Anders als in vielen europäischen Ländern wächst in Polen die Industrie. Fabriken wollen modern und zukunftssicher produzieren. Das erhöht den Bedarf an Spitzentechnologie - auch aus Deutschland. Unternehmen fragen außerdem zunehmend nach emissionsarmer Energie. Die Kohlenation Polen steht unter Druck.
Windräder benötigen an Land nach einer Gesetzesänderung weniger Abstand zur übrigen Bebauung. In der Ostsee entstehen neue Offshore-Anlagen. Dank Kaufprämien boomen Solarpaneele und Wärmepumpen. In ehemaligen Bergbaugebieten sollen Fotovoltaikfarmen und Elektrolyseure Wasserstoff produzieren. Damit auch bei ungünstigen Wetterbedingungen nicht die Lichter ausgehen, will Polen alte Kohlekraftwerke durch Gas ersetzen. Zudem soll künftig auch Atomkraft eine wichtige Rolle im Energiemix spielen. Die staatliche Netzagentur hat milliardenschwere Investitionen angekündigt, damit die neuen Energiequellen angeschlossen werden können. Der Leitungsausbau ist auch nötig, um die wachsende Flotte an Elektroautos und -bussen mit Strom zu versorgen.
Polen sieht großes Potenzial im Handel mit Nord- und Südeuropa. Anders als auf der Ost-West-Achse fehlen aber gute Verkehrswege. Das dürfte sich ändern. Über 1.000 Kilometer an Autobahnen stehen auf Polens Investitionsliste, genauso wie neue Bahntrassen. Geplant sind nicht nur Anbindungen an das Baltikum oder die Slowakei. Für die Zeit nach dem Krieg gibt es Überlegungen, Normalspurschienen von Polen bis nach Lwiw oder Kyjiw in der Ukraine zu bauen. Ein wachsender regionaler Verkehr könnte ähnlich wie an der deutsch-polnischen Grenze den Bedarf an Umschlaghallen und Technik für die Intralogistik erhöhen.
Das Schienennetz wurde lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Die Strecken in Polen sind in den allermeisten Fällen nicht auf Hochgeschwindigkeitszüge ausgelegt. Das könnte sich bald ändern. Polen will 1.800 Schienenkilometer neu verlegen oder sanieren. Ein Ziel lautet, Geschwindigkeiten von mindestens 250 Kilometern pro Stunde zu ermöglichen. Die großen Beförderungsunternehmen des Landes kündigen Investitionen in moderne Züge an. Die Projekte sind aber auf EU-Gelder angewiesen.
Das polnische Fernstraßennetz hat bereits gewaltige Entwicklungsschübe hinter sich. Heute sind die Autobahnen Polens sechsmal so lang wie 2004. Im Umfeld der Hauptverkehrswege lassen sich ausländische Produktionsfirmen nieder. Sie rüsten ihre Werke mit modernster Technik aus. Das nützt auch deutschen Lieferanten. Polnische Firmen wollen mithalten und setzen auf Automatisierung. Der Nachholbedarf ist groß. Es gibt in Polen deutlich weniger Industrieroboter als beispielsweise in Tschechien. Gleichzeitig erreichen die jährlichen Lohnzuwachsraten zweistellige Werte. Das erhöht den Bedarf nach automatisierten Produktionslinien - um Personal und damit Kosten zu sparen. Polens Regierung hilft mit Steuererleichterungen und Zuschüssen für Industrieroboter nach.
Die Modernisierungsstrategie trage bereits erste Früchte, berichtet Dr. Lars Gutheil, Geschäftsführer der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer (AHK Polen): "Fast alle Branchen, von der Automobilindustrie über die Metall- und Kunststoffverarbeitung bis hin zur chemischen Industrie, investieren. Laut Untersuchungen hat es Polen im Jahr 2022 erstmals unter die 15 dynamischsten Märkte für Industrieroboter geschafft. Das ist ein beeindruckender Erfolg."
Großes Potenzial und einige Fragezeichen
Nicht nur die Industrie Polens lockt mit neuen Absatzchancen. Auch bei der medizinischen Versorgung tut sich etwas. Das Land will die öffentlichen Gesundheitsausgaben schrittweise erhöhen. Gleichzeitig boomen private Medizindienstleister, auch weil immer mehr Unternehmen ihren Beschäftigten Zusatzversicherungen anbieten. Neue Medikamente landen auf der Erstattungsliste. Staatliche Sonderfonds helfen Praxen und Kliniken, Medizintechnik einzukaufen und Prozesse zu digitalisieren. Die papierlose Patientenakte bleibt aber für viele Einrichtungen eine Herausforderung.
Auch die Berufsbildung in Polen steht vor großen Aufgaben. Anders als in Deutschland gibt es kein duales System. Das ändert sich langsam. Firmen starten in ihrem Umfeld regionale Bildungsinitiativen und kooperieren mit Berufsschulen. Deutsche Automobilhersteller treiben das Thema voran. Die Unternehmen wollen dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenwirken.
Drei Faktoren werden voraussichtlich über die Zukunft von Polens Wirtschaft mitentscheiden. Dazu gehört erstens, wie konsequent das Land seinen Modernisierungsprozess vorantreibt. Die Energietransformation verläuft nicht ohne Rückschläge. Der Strukturwandel in Kohleregionen sorgt immer wieder für gesellschaftliche Konflikte. Zweitens könnten unklare Rahmenbedingungen wie zum Beispiel bei der Steuergesetzgebung die Unternehmen abschrecken. In der Vergangenheit hat das Land einige weitreichende Wirtschaftsreformen sehr kurzfristig auf den Weg gebracht - zum Unmut vieler Betriebe. Drittens hängen mehrere geplante Investitionen Polens an EU-Geldern. Die Mittel fließen nicht alle auf einmal, sondern in Tranchen. Voraussetzung ist, dass Polen verschiedene mit der Europäischen Kommission vereinbarte Reformen umsetzt. Je zügiger das Land die versprochenen Gesetze auf den Weg bringt, desto schneller stehen Gelder bereit für Projekte, von denen auch deutsche Zulieferer profitieren können.
Geografisch im Herzen Europas gelegen, ist die Tschechische Republik überaus handelsoffen und ein natürlicher Logistikhub. Die lange Maschinenbautradition, viel technologischer Sachverstand und eine starke Position der Industrie bilden die Basis der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Deutschland. Tschechien ist Deutschlands zehntwichtigster Handelspartner. Maschinen, Fahrzeuge und ihre Teile dominieren dabei.
Mit den Pkw-Werken von Škoda Auto, Hyundai und Toyota sowie Hunderten von Zulieferern spielt die Kraftfahrzeugbranche in Tschechien zwar die Hauptrolle im verarbeitenden Gewerbe. Doch ist die Industriestruktur breit angelegt, mit zuverlässigen Stützen auch im Maschinenbau, der Metallverarbeitung, Elektronik und Elektrotechnik, Kunststoffverarbeitung oder Nahrungsmittelerzeugung.
Eine pragmatische Ansiedlungspolitik und das Potenzial tschechischer Firmen haben viel ausländisches Kapital ins Land gebracht. Besonders stark vertreten ist es im verarbeitenden Gewerbe, wo die Niederlassungen ausländischer Unternehmen fast 70 Prozent der Umsätze verzeichnen. In den anderen Wirtschaftszweigen sind es zwischen 10 und 40 Prozent. Wegen der vergleichsweise niedrigen Arbeitskosten galt Tschechien anfangs als verlängerte Werkbank für ausländische Investoren. Doch sind Forschung und Entwicklung (F&E) längst nachgezogen.
Seit 2010 haben sich die F&E-Ausgaben in ausländisch dominierten Firmen fast verdreifacht, in rein tschechischen praktisch verdoppelt, stellte das Tschechische Statistikamt fest. Gemeinsam stemmen sie 63 Prozent der Forschungsaufwendungen. Insgesamt erreichten diese 2021 erstmals 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und liegen deutlich höher als in den anderen V4-Staaten. Ein Beispiel: Das Brünner Technologiezentrum des US-Konzerns Honeywell wird ab 2023 mit Partnern im Rahmen des EU-Programms Clean Aviation einen Wasserstoffantrieb für Flugzeuge entwickeln. Tschechiens Luft- und Raumfahrtbranche ist innovationsstark. Nicht ohne Grund wurde Prag Sitz der EU-Agentur für das Weltraumprogramm (EUSPA), die gegenwärtig expandiert und in ein neues Gebäude investiert.
Schon gewusst?
817 Kilometer gemeinsame Grenze haben Tschechien und Deutschland.
Innovationsleistung nimmt zu
Geht es nach den Daten des Europäischen Innovationsanzeigers, hat die Innovationsleistung 2022 so zugelegt wie sonst nur noch in Irland und Finnland. Er zählt Tschechien zu den moderaten Innovatoren. Das Land strebt aber in den Wertschöpfungsketten ganz nach oben. Chancen auf staatliche Förderung haben nur noch Projekte, die strategisch sind oder F&E unter Nutzung von Schlüsseltechnologien etablieren, Innovationen und höher vergütete Arbeitsplätze mit sich bringen.
Zur Weltspitze gehört Tschechien zum Beispiel im 3D-Druck mit innovativen Herstellern wie Prusa Research oder in der Elektronenmikroskopie mit Tescan, dem Brünner Entwickler und Produzenten von Rasterelektronenmikroskopen. In der Pandemie machte sich der Vorsprung in der angewandten Nanotechnik bezahlt, da rasch eine Produktion von Filtern und Masken starten konnte. Das Anwendungspotenzial geht aber weit darüber hinaus. In Olomouc entwickelt das Institut für fortgeschrittene Technologien CATRIN in internationaler Zusammenarbeit Nanomaterialien, die in Superkondensatoren bei der Energiespeicherung zum Einsatz kommen oder solche, die Schwermetalle im Wasser aufspüren und liquidieren.
Erste Einhörner in der Start-up-Szene
Wichtige Innovationsimpulse kommen aus der IT-Branche und einem regen Start-up-Ökosystem. Unter den 50 am schnellsten wachsenden Techunternehmen in Mittel- und Osteuropa zählte Deloitte 2022 ein Dutzend tschechische Firmen, darunter auf Rang 1 das tschechische Fintech FTMO, eine sich rasant entwickelnde Proprietary Trading-Plattform. Inländische und ausländische Risikokapitalgeber sind auf den Geschmack gekommen. So konnten die ersten über 1 Milliarde Dollar schweren Einhörner heranwachsen: Sicherheitssoftwareentwickler Avast, der 2022 mit der amerikanischen NortonLifeLock fusionierte; Onlinesupermarkt Rohlik.cz, der als Knuspr.de nach Deutschland expandiert. Jüngstes Exemplar wurde 2022 die cloudbasierte Produktmanagementplattform Productboard.
Chancen für deutsche Unternehmen
"Für deutsche Unternehmen bleibt Tschechien ein wichtiger Investitionsstandort, ein wachsender Absatz- und Beschaffungsmarkt", urteilt Bernard Bauer, Geschäftsführer der AHK Tschechien. Neue Anknüpfungspunkte sieht er etwa in 5G-Anwendungen, wie sie grenzüberschreitend Tschechien und Bayern erproben wollen oder in einer engeren Zusammenarbeit bei der Elektro- und Wasserstoffmobilität.
Die schwächelnde Konjunktur wird 2023 die Investitionsdynamik dämpfen. Doch zwingende Themen bleiben: Der Personalmangel fördert Investitionen in die Automatisierung. Der Gebäudebestand muss energieeffizient saniert werden. Die hohe Energieintensität erfordert effizientere Produktionstechnologien und Prozesse. Projekte werden durch frische EU-Fördermittel massiv unterstützt. Hinzu kommt der Modernisierungsfonds, dessen 6 Milliarden Euro bis 2030 in so ziemlich alles fließen, was Treibhausemissionen senkt: erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Speicher, Mess- und Regeltechnik, Elektrolyseure, hochwirksame Blockheizkraftwerke oder Leuchttechnik.
Deutsche Anbieter von Hocheffizienztechnologien haben gute Chancen, von dieser grünen Transformation zu profitieren. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist zusätzlich die Energiesicherheit ein Treiber. Im Trend liegen Kommunalenergetik, die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan, das Batterierecycling. Der Markt für Fotovoltaikanlagen und Wärmepumpen boomt.
Großprojekte weisen in die Zukunft
Hinzu kommen große Projekte. So startete 2022 der Bau der Prager Metrolinie D. Die Hauptstadt plant eine moderne Moldau-Philharmonie als Herz eines neuen Stadtviertels. Die Ausschreibung eines weiteren Blocks für das Atomkraftwerk Dukovany läuft. Der Energiekonzern ČEZ will 2023 über den Lithiumerzabbau im Erzgebirge entscheiden. Die Vorbereitung der Hochgeschwindigkeitszugtrassen geht in die Endphase, mit dem Bau soll es 2027 losgehen. Eine der Neubaustrecken wird die Fahrt von Prag nach Dresden auf eine Stunde verkürzen.
Der private Konsum dürfte durch die auch für 2023 erwartete hohe Inflation nachgeben. Aber er wird sich wieder erholen und damit die Konsumgüternachfrage. Das Lebensniveau liegt gemessen als BIP pro Kopf in Kaufkraftparitäten laut Eurostat bereits bei 91 Prozent des EU-Durchschnitts. Das ist deutlich höher als in den übrigen Visegrád-Staaten, aber auch in Ländern wie Spanien, Portugal oder Japan.
Die Slowakei ist die kleinste Volkswirtschaft unter den V4-Ländern. Doch gehört sie als Standort der internationalen Auto-, Maschinenbau- und Elektronikindustrie zu Deutschlands 25 wichtigsten Handelspartnern.
Deutschland liefert vom Wert her mehr Waren in die Slowakei als nach Indien, Brasilien oder Kanada. Im Jahr 2022 erreichte der gemeinsame Warenaußenhandel nominal mit über 36 Milliarden Euro einen neuen Höchstwert. Fast 640 Niederlassungen deutscher Unternehmen haben sich laut Eurostat zwischen Donau und Karpaten angesiedelt. Sie sind Katalysatoren des bilateralen Handels.
Seit 30 Jahren ein unabhängiger Staat, setzt die Slowakei als einziges V4-Land auf den Euro, der 2009 eingeführt wurde. Die Gemeinschaftswährung hat die Transaktionskosten gesenkt, was für die extrem exportorientierte Wirtschaft von großer Bedeutung ist.
Starke Abhängigkeit von der Kfz-Industrie
Besonders viele Zulieferer haben sich im Gefolge der vier Autohersteller Volkswagen Slovakia, Kia, Stellantis, Jaguar Land Rover angesiedelt. Weitere werden mit Volvo Cars kommen. Das Unternehmen investiert 1,2 Milliarden Euro in ein Werk für Elektroautos. In der Elektronikindustrie bereiteten Samsung und Foxconn den Boden für viele Komponentenhersteller. Ein Teil ist aber auf die Kfz-Industrie ausgerichtet, ebenso in der Metallbranche, dem Maschinenbau, sowie der Gummi- und Kunststoffverarbeitung.
Stärker als die anderen V4-Länder hat sich die Slowakei an die Autoindustrie gebunden. Auf über 50 Prozent der Industrieumsätze beziffert der Verband der Automobilhersteller den Anteil der Kfz- und Teilehersteller, unter Einrechnung der Zulieferer auch anderer Branchen. An den Exporten halten diese 42 Prozent. Bei der Pkw-Herstellung liegt das Land auf Rang 4 in der EU und ist bei der Produktion pro Kopf Weltmeister.
Schon gewusst?
184 Fahrzeuge pro 1.000 Einwohner produziert die Slowakei - so viel wie kein anderes Land.
Neue Investitionen unterstützen Diversifizierung
Der industrielle Radius reicht über den Fahrzeugbau hinaus, wie neue Investitionen bestätigen. Besonders die Kühl- und Heiztechnik expandiert und setzt auf Wärmepumpen - mit Vaillant Group in Senica, Stiebel Eltron in Poprad oder Hoval in Istebné. Die Nähe zu den europäischen Kunden wird wichtiger. So hat Siemens Healthineers seinen Forschungsstandort im ostslowakischen Košice um seine erste Fertigung für Ultraschallsysteme in Europa ergänzt. Dadurch entfällt der Luftfrachttransport aus Asien.
Überhaupt gewinnt der Osten der Slowakei an Dynamik, wo Elektronik und Kfz-Elektrik bereits ein Schwerpunkt sind. Bosch eBike Systems baut bis Ende 2023 in Prešov eine Produktion von E-Bike-Motoren auf. Volvo startet bei Košice mit seiner Großinvestition in die Elektromobilität. Dies trägt dazu bei, das strukturelle West-Ost-Gefälle des Landes abzubauen.
"Die Slowakei ist ein Markt mit vielen Chancen für deutsche Unternehmen", sagt Peter Kompalla, Geschäftsführer der AHK Slowakei. Wer Lieferanten suche, stoße auf ein breites Spektrum, das von Aminosäuren über Zahnräder bis hin zu IT-Sicherheitssystemen reiche. Auf der Absatzseite sieht Kompalla neue Geschäftsfelder, die sich aus dem Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsdruck ergeben.
Für die digitale Transformation setzt das Land allein an EU-Aufbaugeldern bis 2026 rund 1,3 Milliarden Euro ein - etwa für ein Netz aus digitalen Innovation-Hubs. Die Hubs konzentrieren sich auf die Digitalisierung kleiner und mittlerer Unternehmen, verbreiten die Nutzung von Cloud Computing, Big Data sowie Technologien der künstlichen Intelligenz.
Wind, Sonne und Geothermie als neue Quellen
Zu der digitalen kommt die grüne Transformation. Für die Slowakei bleibt Kernkraft einer der Schlüssel zu einer kohlenstoffarmen Zukunft. Im Februar 2023 ging ein neuer Reaktorblock im Atomkraftwerk Mochovce ans Netz, der vierte folgt in zwei Jahren. Auch erneuerbare Quellen werden ausgebaut. Solarparks planen die Stromgesellschaften Slovenské elektrárne und JESS. In Bewegung kommen Windenergie und potenziell die Geothermie. Der Energiekonzern SPP will bis 2025 rund 65 Millionen Euro in Windparks investieren. Viele Firmen versuchen durch Eigenproduktion ihre Energiekosten zu senken und bewerben sich um EU-Fördergelder.
Dekarbonisierung betrifft auch industrielle Prozesse, Anlagen und Gebäude. Die Slowakei dotiert hier Effizienz etwa bei Kreislauflösungen, dem Austausch von Ausrüstungen durch neueste Technologien oder der Wasseraufbereitung. Gefordert ist besonders U.S. Steel, der größte Emittent von Treibhausgasen, der zwei seiner drei Hochöfen durch elektrische Lichtbogenöfen ersetzen will.
Fördergelder schieben Infrastrukturprojekte an
Den Investitionsstau im Gesundheitssektor beziffert der Staat auf 5 Milliarden Euro. Aus dem Aufbauplan fließen 1,1 Milliarden Euro in den Bau von zwei Universitätskrankenhäusern und die Modernisierung verschiedener Kliniken. Im Schienenverkehr betrifft der Investitionsbedarf 8 Milliarden Euro. Es geht um Modernisierung, Elektrifizierung und Ausbau. Die Regierung hat prioritäre Investitionsprojekte in Autobahn- und Eisenbahnbau definiert und über einen Zeitplan bis 2030 mehr Planungssicherheit geschaffen. Sie läutete die neue Phase der EU-Kohäsions- und Strukturförderung ein und will noch 2023 ein wahres Feuerwerk von 138 Calls starten. Über diese sollen 5,8 Milliarden Euro ausgeschrieben werden, fast die Hälfte der verfügbaren Mittel.
Politische Unsicherheiten belasten jedoch zurzeit. Die Koalition, die 2020 mit dem Versprechen der Korruptionsbekämpfung an die Macht kam, ist zerbrochen. Der Populismus gewinnt an Zulauf. Das slowakische Wachstumsmodell hat erfolgreich auf ausländische Investitionen und den Export gebaut. Es stößt aber an Grenzen: Laut Eurostat ist das BIP pro Kopf in Kaufkraftparitäten 2021 auf 69 Prozent des EU-Schnitts zurückgefallen. Die Forschungsausgaben erreichen erst 0,93 Prozent des BIP (EU-Durchschnitt: 2,26 Prozent). Mit dem Impuls der EU-Aufbau- und Fördermittel will das Land auch als Innovator einen neuen Anlauf nehmen.
Ungarns Wirtschaft ist stark von internationalem Kapital geprägt. Ausländische Unternehmen haben beträchtliche Summen in Produktionsstandorte investiert. Deutschland und Ungarn sind wirtschaftlich eng verflochten und ergänzen sich in vielen Bereichen. Durch gezielte Förderung will die ungarische Regierung die Industrie auf eine neue technologische Stufe heben. Jedoch gibt es politische Risiken.
Die ungarische Industrie ist stark ausfuhrorientiert. Niederlassungen deutscher Firmen haben daran einen wesentlichen Anteil. Heute sind in Ungarn rund 2.500 deutsche Unternehmen tätig mit rund 250.000 Beschäftigten. Im deutsch-ungarischen Handel sind Maschinen und Fahrzeuge die wichtigsten Warengruppen, gefolgt von chemischen Erzeugnissen sowie elektrischen Geräten und Ausrüstungen. Auch im Bereich der Nahrungsmittel- und Agrarprodukte ist der Austausch rege.
Neben der Hauptstadt Budapest ist besonders der Nordwesten ein wichtiges Wirtschaftszentrum. Bereits seit den 90er Jahren ist Audi mit einem Pkw- und Motorenwerk in Győr vertreten. Der Konzern rüstet es aktuell auf elektrische Modellreihen um. Elektroautos sollen künftig auch am Mercedes-Standort in Kecskemét von den Bändern rollen - das Werk wird um neue Montagelinien erweitert. Andere Landesteile ziehen in der wirtschaftlichen Entwicklung nach und Großinvestitionen an. BMW etwa will im ostungarischen Debrecen ein Werk für Elektroautos bauen.
Die Elektromobilität entwickelt eine Eigendynamik, denn parallel entstehen Batteriefabriken. Besonders fernöstliche Batteriehersteller wie Samsung SDI, SK Innovation oder CATL wollen von Ungarn aus den europäischen Markt bedienen. Daneben siedeln sich Zulieferer von Komponenten für die Batterieherstellung an. Auch bei anderen Zukunftsthemen will Ungarn mitmischen. Ein Leuchtturmprojekt ist die von der Regierung initiierte Teststrecke für autonomes Fahren in Zalaegerszeg. Der Zalazone-Technologiepark dient der Entwicklung und Erprobung autonomer Fahrzeuge, aber auch verbundener Technologien wie des Mobilfunknetzstandards 5G oder künstlicher Intelligenz für Fahrzeugsensorik. Unter anderem Bosch wird dort an der Mobilität der Zukunft arbeiten. Continental errichtet ein Entwicklungszentrum für künstliche Intelligenz in Budapest.
Schon gewusst?
9 Prozent beträgt der allgemeine Körperschaftsteuersatz in Ungarn und ist damit der geringste in der EU.
Auch für den Mittelstand attraktiv
Als Investitionsstandort ist Ungarn bei internationalen Firmen nach wie vor beliebt. Dem haben bislang auch Dissonanzen auf politischer Ebene zwischen Ungarn und der EU beim Thema Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung keinen Abbruch getan.
Neben großen Namen wie Audi, Mercedes, Bosch oder Siemens sind es immer mehr mittelständische Unternehmen, die Ungarn für sich entdecken. "Im regionalen Standortwettbewerb mit Nachbarländern wie der Slowakei weiß sich Ungarn durch vorteilhafte Konditionen zu behaupten", sagt Ilona Balogh, Leiterin Marktberatung bei der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer, die regelmäßig Standortanalysen durchführt. "Ein Vorteil ist dabei die attraktive Unternehmensbesteuerung: Die Körperschaftsteuer beträgt 9 Prozent, einer der niedrigsten Steuersätze in der EU", erläutert Balogh. Weiterhin sind die Produktions- und Energiepreise vergleichsweise günstig. Unternehmen schätzen ferner die wettbewerbsfähigen Arbeitskosten und die Leistungsbereitschaft der Beschäftigten.
Wie fast überall in Europa ist der Fachkräftemangel ein Problem. Zwar gelten ungarische Arbeitskräfte als gut ausgebildet. Sie sind kreativ, flexibel und "gut im Improvisieren", so Landeskenner. Doch ist Personal nicht überall ausreichend verfügbar. Das kann beim Aufbau oder der Erweiterung von Produktionskapazitäten zum Engpass werden, treibt aber auch die Automatisierung voran.
Strategische Industriezweige werden entwickelt
Die Regierung betreibt aktive Investitionsförderpolitik. Vorhaben, die beitragen, die Ungarns Industrie technologisch modernisieren, werden mit hohen staatlichen Zuschüssen bedacht. Diese können je nach Region und Branche bis zu 50 Prozent der Investitionskosten erreichen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Hungarian Investment Promotion Agency (HIPA) - proaktiver Partner ausländischer Investoren beim Einstieg in Ungarn. Die Ansiedlungsdynamik in der Kfz-Industrie dürfte Nachfrageimpulse in die Chemie- und Kunststoffindustrie senden. Das bietet Chancen im Anlagenbau. Allen voran will der staatliche Mineralölkonzern MOL, eines der größten Unternehmen Ungarns, bis 2030 umfangreich investieren, die Wertschöpfung in der Petrochemie erweitern und seine Bedeutung für die Kfz-Zulieferbranche erhöhen.
Erfahrungen in der Coronakrise mit unterbrochenen Lieferketten und Versorgungsengpässen wirken sich aus: Ungarns Regierung stärkt in strategisch wichtigen Branchen den Ausbau eigener Produktionskapazitäten. Dazu gehören auch der Agrarsektor, die Nahrungsmittelproduktion sowie Medizintechnik und die Pharmaindustrie. Die Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten hat eine lange Tradition. Das ungarische Unternehmen Gedeon Richter ist eine der größten Pharmafirmen Mittel- und Osteuropas. Auch internationale Pharmakonzerne wie GlaxoSmithKline oder Sanofi produzieren und forschen in Ungarn.
In der Nahrungsmittelindustrie sollen Zuschüsse ungarischen Unternehmen ermöglichen, effiziente und moderne Ausrüstungen zu beschaffen, etwa automatisierte Produktionslinien oder sparsame Bewässerungssysteme. Erhebliche Investitionen stehen im Energiesektor an. Für erneuerbare Energien verfügt Ungarn über günstige Voraussetzungen. Die Regierung fördert Solaranlagen. Die Fotovoltaikkapazitäten steigen. Auch für Windkraft soll es perspektivisch Förderung geben. Das Stromnetz muss modernisiert werden, um den Anschluss neuer regenerativer Quellen zu ermöglichen.
Politische Risiken bleiben
Viele Modernisierungsprojekte hängen an EU-Fördermitteln. Allerdings drohen Verzögerungen bei deren Auszahlung. Hintergrund sind Spannungen zwischen der Europäischen Kommission und der Regierung Viktor Orbáns. Die EU hat wiederholt Bedenken an Ungarns Rechtsstaatlichkeit geäußert. Im Raum steht auch der Vorwurf, Ungarn verwende EU-Gelder wenig transparent und gehe nicht ausreichend gegen Korruption vor. Brüssel knüpft die Zahlung der Mittel deshalb an Reformen. Bleiben diese aus, könnte es das wirtschaftliche Entwicklungspotenzial des Landes beeinträchtigen.
Unternehmen beklagen zuweilen Intransparenz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge und selektiv belastende Maßnahmen. Im Einzelhandel etwa gab es Sondersteuern oder Höchstpreisreglementierungen. Zudem scheint Budapest ausgewählte Branchen bevorzugt in ungarischer Hand sehen zu wollen und betreibt den Aufbau nationaler Champions. Das beeinträchtigt nach Einschätzung ausländischer Unternehmen das Investitionsklima. Im verarbeitenden Gewerbe wie der Kfz-Industrie hingegen können Investoren auf eine Unterstützung der Regierung zählen.
Noch überwiegen in Ungarn die Chancen. Für die angestrebte wirtschaftliche Erneuerung vieler Zweige benötigt das Land Investitionen, Know-how und technologische Kooperationen. Der deutschen Wirtschaft kommen dabei die traditionell guten und engen Verbindungen mit Ungarn zugute. Deutsche Ingenieurskunst wird in Ungarn sehr geschätzt.
Ob pandemiebedingte Logistikprobleme, geopolitische Krisen, wachsender Protektionismus oder neue Anforderungen an Sorgfaltspflichten: Unternehmen haben einigen Grund, ihre Beschaffungsstrukturen zu überdenken und resilienter zu gestalten. Vom möglichen Trend zu kürzeren Lieferketten könnten die Visegrád-Staaten profitieren.
Als Beschaffungsmarkt sind Polen, Tschechien, die Slowakei und Ungarn für deutsche Einkäufer eine feste Größe. Auch als Standort für Auslandsinvestitionen deutscher Unternehmen ist die Region aus vielen Wertschöpfungsketten nicht wegzudenken. Die vier Visegrád-Länder (V4) stehen heute für knapp 14 Prozent der deutschen Gesamteinfuhren.
Breit gefächerte Sourcingmöglichkeiten
Deutsche Firmen können in den V4 auf ein dichtes Netz an qualifizierten Zulieferbetrieben zurückgreifen. Als Produktionsstandort erfreut sich die Region großer Beliebtheit. Regelmäßig belegen das auch Umfragen der deutschen Auslandshandelskammern in den vier Ländern.
Das gilt vor allem für die Automobilindustrie. Kfz und ihre Teile sind zentrale Exportgüter aller V4-Länder. Tschechien ist Deutschlands größter Lieferant für Autoteile. In der Slowakei werden pro Kopf so viele Pkw gebaut wie sonst nirgends auf der Welt. Und Ungarn spezialisiert sich mehr und mehr auf Elektromobilität und lockt fernöstliche Batteriehersteller an.
In der Metallbearbeitung sowie der Gummi- und Kunststoffindustrie sind die Handels- und Investitionsbeziehungen mit Deutschland ebenfalls ausgeprägt. Auch für den Einkauf im Maschinen- und Anlagenbau, der Elektrotechnik und der chemischen Industrie sind die V4 eine gute Adresse. Bei der Holzverarbeitung hat die Region einiges zu bieten. Besonders Polen ist für die Möbelindustrie interessant. Die Glas- und Keramikindustrie orientiert sich nach Tschechien, wo beide auf lange Tradition bauen. Nahrungsmittel liefern Polen und Ungarn in beachtlichem Umfang nach Deutschland. Der Sektor für unternehmensnahe Dienstleistungen wächst und ist nicht zu unterschätzen. Etliche Großstädte und Ballungszentren wie Warschau oder Budapest haben sich zu wichtigen Standorten für Servicezentren gemausert. Das gesamte Spektrum moderner Business Services ist vertreten. Bei Software und IT-Dienstleistungen muss sich die Region ebenso wenig verstecken. Daneben ist die V4-Region ein leistungsfähiger Logistikstandort.
Partner für den Mittelstand
Gerade für mittelständische deutsche Unternehmen ist Ostmitteleuropa als Beschaffungsmarkt ideal. Firmen in den V4-Ländern sind nach Einschätzung von Marktkennern beispielsweise gute Lieferanten für anspruchsvolle Sonder- und Zeichnungsteile. Die Region lohne sich besonders für kleine Losgrößen. Nicht wenige Betriebe dort fokussieren sich gezielt auf individuelle Kleinserien für Mittelständler, auch weil sie damit meist höhere Margen erwirtschaften als mit Großserienfertigung und für ihre Abnehmer strategischer Partner sein können.
Auf der Suche nach Lieferanten in Ostmitteleuropa sollten Einkäufer aber Ausdauer mitbringen. Die robuste Konjunktur der Region bringt es mit sich, dass viele Hersteller gut ausgelastet arbeiten. Kurzfristig verfügbare Produktions- und Lieferkapazitäten sind oft rar. Die deutschen Auslandshandelskammern können bei der Lieferantensuche unterstützen.
Gute Argumente für das Nearshoring
Weil das Umfeld für den globalen Handel rauer wird, wägen viele Unternehmen die Kosten und Risiken weltumspannender Lieferketten neu ab. Ein grundlegender Vorzug Ostmitteleuropas liegt im deutlich geringeren Risiko verglichen mit anderen Weltregionen. Die V4-Länder haben gute Chancen, davon zu profitieren, wenn Unternehmen Lieferketten verkürzen oder eigene Produktionsstandorte geografisch wieder näher an den Heimatmarkt heranrücken.
Neben der geografischen und kulturellen Nähe zu Deutschland punkten die V4 mit einer gut ausgebauten Verkehrsinfrastruktur. Kurze und flexible Lieferzeiten sind so in der Regel kein Problem. Von Ostmitteleuropa aus erreichen Lkw und Güterzüge Deutschland in wenigen Stunden, wohingegen Container von Asien nach Europa mit dem Schiff wochenlang unterwegs sind und Seefrachtraten in der Pandemie zwischenzeitlich enorme Preissprünge hingelegt haben.
Einkäufer wie auch Investoren schätzen die V4 für die im EU-Vergleich überdurchschnittliche Arbeitsproduktivität bei international wettbewerbsfähigen Kostenstrukturen. Allerdings stößt das durch ausländische Direktinvestitionen angetriebene Erfolgsrezept der V4-Länder an Grenzen.
Vom Fertiger zum Erfinder
Ausgeprägter Fachkräftemangel wird immer öfter zum limitierenden Faktor. Hohe Lohnzuwächse haben die Arbeitskosten in den zurückliegenden Jahren deutlich steigen lassen. Zudem wirken die Energiekosten infolge des Ukrainekriegs als Preistreiber. Wirtschaftsforscher attestieren der Region zudem, zu stark auf einzelne Zweige wie die Kfz-Industrie spezialisiert zu sein.
Um nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden, müssen die V4 ihr Wachstumsmodell neu justieren und noch stärker auf Innovation trimmen. Die zahlreichen Fertigungsstandorte hatten den V4 den Ruf einer "verlängerten Werkbank" eingebracht - ein Image, das sie ablegen wollen. Das Bild gilt längst nicht mehr. Die V4-Länder avancieren zu leistungsstarken Partnern für Forschung und Entwicklung. Auch internationale Unternehmen siedeln in wachsendem Umfang Forschungsaktivitäten in der Region an.
Die Wirtschafts- und Industriepolitik der V4-Länder arbeitet daran, den Aufstieg in den internationalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Alle Regierungen sind bestrebt, mit Investitionsanreizen ausländisches Kapital in innovationsträchtige Zukunftsbranchen zu lenken, die eine möglichst hohe Wertschöpfung vor Ort generieren. Je nach Land setzen sie Anreize für Reinvestitionen ausländisch investierter Niederlassungen, fördern Forschung und Entwicklung durch steuerliche Begünstigungen oder bezuschussen den Einsatz moderner Fertigungsverfahren, um den Technologietransfer zu forcieren.
In Zeiten der fortdauernden Internationalisierung gehört das Entsenden von Arbeitnehmern zum Alltagsgeschäft global agierender Unternehmen.
Jeder Arbeitseinsatz in der EU sowie in Norwegen, Island, Liechtenstein und der Schweiz stellt Unternehmen und ihre Personalabteilungen vor besondere Hürden. Vor allem die reformierte Entsenderichtlinie (Richtlinie (EU) 2018/957), die bis zum 30. Juli 2020 von den Mitgliedstaaten umzusetzen war, bringt aufwendige Regeln mit sich. Bereits vor 24 Jahren hat die Europäische Gemeinschaft mit der Entsenderichtlinie (Richtlinie 96/71/EG) Mindestbedingungen für die Entsendung von Arbeitnehmern zwischen den Mitgliedstaaten aufgestellt. Mittlerweile haben sich die Arbeits- und Sozialbedingungen in den Mitgliedstaaten unterschiedlich weiterentwickelt. Alle diese Gegebenheiten haben dazu geführt, dass die Entsenderichtlinie reformiert wurde.
Schon gewusst?
12 Monate sind im Regelfall die zeitliche Obergrenze bei der Entsendung.
"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort"
Dieser Reformgrundsatz soll vor Lohn- und Sozialdumping schützen. Gegen die Reform waren mitunter Polen, Ungarn und Tschechien. Im Oktober 2018 hatte Ungarn eine Nichtigkeitsklage gegen die Änderungen der Entsenderichtlinie vor dem Europäischem Gerichtshof (EuGH) eingereicht. In ihrer Klageerhebung führte die ungarische Regierung eine Reihe von Rechtsargumenten an, um die Behauptung zu untermauern, dass die angefochtene Entsenderichtlinie gegen die in den Verträgen der EU verankerte Dienstleistungsfreiheit verstoße. Danach klagte Polen. Im Dezember 2020 wies der EuGH die Nichtigkeitsklagen ab.
Entsenderichtlinie definiert neue Bestimmungen
Durch die Verwendung des Begriffes "Entlohnung" wird deutlich, dass der europäische Gesetzgeber nicht nur - wie bisher - den entsprechenden Mindestlohn für den Arbeitseinsatz einfordert, sondern daneben weitere Lohnbestandteile einbeziehen will, die in Rechtsvorschriften oder in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen festgelegt sind. Neben dem Grundgehalt besteht künftig auch ein Anspruch auf Prämien und Zulagen. Die Mitgliedstaaten wurden verpflichtet, die auf ihrem Hoheitsgebiet geltenden Lohnbestandteile auf einer offiziellen nationalen Webseite zu veröffentlichen.
Die Entsendungen sind erstmals zeitlich begrenzt. Entsendungen sollen nicht länger als 12 Monate andauern. Auf einen begründeten Antrag hin kann eine Entsendung um weitere sechs Monate verlängert werden.
Wer Mitarbeiter ins europäische Ausland entsendet, muss vieles beachten. Über die eingerichteten Meldeportale oder online abrufbare Formulare muss der Arbeitseinsatz vor Beginn der Arbeitstätigkeit gemeldet werden.
Mittlerweile sind auch in den V4-Ländern sehr viele Informationen in englischer Sprache (und zum Teil auch auf Deutsch) abrufbar. Die Frage, welche Auswärtstätigkeit meldepflichtig ist, bringt aber unterschiedliche Antworten mit sich. Dabei kann nicht generell angenommen werden, dass alle Geschäftsreisen von einer Meldepflicht befreit sind. Jedes Land hat seine eigenen Richtlinien aufgestellt und beurteilt, ob es sich um eine meldepflichtige Tätigkeit handelt oder nicht. Eine Tendenz lässt sich aber erkennen: Wo die Dienstleistung im Mittelpunkt steht (Montage, Serviceleistungen an einer Maschine), ist der Einsatz meldepflichtig. Reine Kundenbesuche oder Messebesuche sind davon befreit.
Die zuständigen Behörden sind die nationalen Arbeitsämter. In Polen gibt es eine zentrale Arbeitsinspektion (mit Sitz in Warschau), bei der alle Meldungen eingehen müssen. Auch in Ungarn müssen diese über eine zentrale Koordinationsstelle online registriert werden. In Tschechien und in der Slowakei hingegen muss die Tätigkeit der regionalen Arbeitsbehörde gemeldet werden.
Für die Meldung eines Auslandseinsatzes muss unter anderem ein bestimmter Vertreter im Tätigkeitsstaat angemeldet werden. Die Meldepflicht ist überdies immer mit Dokumentationspflichten verbunden. Während des gesamten Entsendezeitraums müssen auch einige Unterlagen aufbewahrt werden, unter anderem eine Kopie des Arbeitsvertrages und Vergütungsnachweise. Bevor ein Unternehmen eine Dienstleistung aus dem Bereich des sogenannten reglementierten Gewerbes ausüben kann, muss neben der Meldung auch eine entsprechende Dienstleistungsanzeige beantragt werden.
A1-Bescheinigung immer mitführen
Die Arbeitgeber sind durch die Verordnung (EG) 883/2004 gesetzlich verpflichtet, jede grenzüberschreitende Tätigkeit eines Mitarbeiters innerhalb der EU/EWR und der Schweiz dem zuständigen Versicherungsträger anzuzeigen. Egal wie lange die Tätigkeit dauert, der zuständige Versicherungsträger muss informiert werden. Er prüft, ob die deutschen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit für den im europäischen Ausland tätigen Arbeitnehmer weiterhin gelten. Ist das der Fall, wird er mit einer A1-Bescheinigung ausgestattet. Jedes Meeting, jeder Workshop oder Messebesuch im europäischen Ausland erfordert eine A1-Bescheinigung. Darin liegt der Unterschied zur Meldepflicht nach der Entsenderichtlinie. In Deutschland sind die Anträge auf Ausstellung einer A1-Bescheinigung ausschließlich per Onlineantrag möglich. Dies gilt auch für Selbstständige.
Neue Pflichten bestehen beim Entsendevertrag
Im deutschen Nachweisgesetz sind Informations- und Dokumentationspflichten für einen Arbeitgeber verankert. Durch die Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1152 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen wurden die Nachweispflichten des Arbeitgebers nun noch erweitert. Fällt die Entsendung in den Geltungsbereich des Arbeitnehmerentsendegesetzes, so ist der Arbeitnehmende zusätzlich über die Vergütung zu unterrichten, die er nach dem geltenden Recht im Aufnahmestaat beanspruchen darf. Ferner ist dem Arbeitnehmenden ein Link zu der offiziellen nationalen Webseite des Aufnahmestaates nach dem Binnenmarktinformationssystem (Internal Market Information System, IMI) bekannt zu geben.
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