Branchen | Polen | Energiewende
25 Milliarden Euro für Polens Energietransformation
CO2-Zertifikate treiben die Energiepreise nach oben. Auch die Staatskasse profitiert vom Emissionshandel. Polens Regierung möchte die Einnahmen in Energieprojekte investieren.
27.04.2022
Von Christopher Fuß | Warschau
Polen will mithilfe eines nationalen Transformationsfonds (Fundusz Transformacji Energetyki; FTE) bis Ende 2031 rund 25 Milliarden Euro für den Umbau des heimischen Energiesektors bereitstellen. Das Ziel ist eine emissionsärmere und effizientere Energieversorgung. Die nötigen Mittel stammen aus dem Verkauf von CO2-Zertifikaten. Laut den Plänen des Umweltministeriums werden in den Fonds 40 Prozent aller Gelder fließen, die Polen mit dem Handel von Emissionsrechten im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) einnimmt.
Die Preise für CO2-Zertifikate haben sich allein zwischen 2021 und 2022 mehr als verdoppelt. In der Folge sind die Energierechnungen von Unternehmen und Privathaushalten deutlich gestiegen. Der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki wirbt auf europäischer Ebene für eine Reform des ETS und Senkung der Zertifikatspreise.
Kritiker merken an, dass Polens Staatshaushalt von den steigenden Einnahmen aus den Zertifikatsverkäufen profitiert. Mit dem FTE würde zumindest ein Teil der Gelder in die Modernisierung des Energiesektors fließen. Emissionsneutrale Strom- und Wärmeproduzenten müssen keine Zertifikate einkaufen. Die Energiepreise könnten dadurch zumindest stabil bleiben.
Sicherheitsbedenken sorgen für Verzögerungen
Die Idee zur Gründung des Transformationsfonds ist nicht neu. Schon 2021 beriet Polens Regierung einen Gesetzesentwurf. Die Pläne stießen damals auf Kritik. So merkte beispielsweise der einflussreiche Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jarosław Kaczyński, an, man müsse den vorgeschlagenen Mechanismus zur Mittelvergabe auf "Bedrohungen durch Lobbyeinflüsse" überprüfen. Die Wirtschaftszeitung Puls Biznesu vermutete, hinter der Äußerung stecke die Befürchtung, dass private Industrieunternehmen einen Großteil der Mittel in Anspruch nehmen könnten.
Laut Gesetzesvorschlag 2021 | Laut Gesetzesvorschlag 2022 |
---|---|
Kernenergie | Kernenergie |
Erneuerbare Energien | Erneuerbare Energien |
Stromnetze | Stromnetze |
Kraft-Wärme-Kopplung und Fernwärme | Wärmeerzeugung und Wärmenetze |
Gaskraftwerke | Gaskraftwerke |
Energiespeicherung | Strom- und Wärmespeicher |
Energieeffizienz | Energieeffizienz |
CO2-Abscheidung und -speicherung | CO2-Abscheidung und -speicherung |
- | Müllverbrennung zur Wärmeversorgung |
- | Industrieabwärme zu Heizzwecken |
- | Wasserstoff |
Das Umweltministerium hat den Gesetzentwurf mittlerweile überarbeitet und Mitte April 2022 eine neue Version vorgestellt. Anders als ursprünglich geplant, könnte der Fonds auch Projekte aus den Bereichen Müllverbrennung oder Wasserstoff unterstützen. Unverändert gegenüber den Plänen von 2021 bezuschusst der FTE Investitionen in erneuerbare Energien, Kernenergie oder in Strom- und Wärmenetze. Bereits 2023 sollen erste Projekte zusammen über 550 Millionen Euro erhalten.
Anteile statt Subventionen
Stark modifiziert hat das Umweltministerium die Art der Mittelvergabe. Zuständig für die Verwaltung der Gelder wäre Polens nationaler Umweltfonds (Narodowy Fundusz Ochrony Środowiska i Gospodarki Wodnej; NFOŚiGW). Im ersten Entwurf des FTE hieß es, Projekte würden mit Zuschüssen oder Darlehen unterstützt. Neu ist nun, dass der NFOŚiGW Anteile oder Anleihen von Projektträgern erwerben kann, die sich nicht im Staatsbesitz befinden. Puls Biznesu erklärt, damit gewinne der Umweltfonds mehr Kontrolle über den tatsächlichen Einsatz der Mittel.
Polens staatliche Energiekonzerne scheinen zufrieden mit dem Gesetzesvorhaben zu sein. Der größte Stromproduzent PGE (Polska Grupa Energetyczna) lobt in der Tageszeitung Rzeczpospolita, dass auch der Bau von Gasanlagen finanziert wird. Die Öfen könnten später mit alternativen Brennstoffen wie Biomethan oder grünem Wasserstoff befeuert werden. Der Mineralölkonzern PKN Orlen hofft, über den Fonds Unterstützung beim Bau kleiner Atomreaktoren (Small modular reactor; SMR) zu erhalten. Für die Technologie interessieren sich auch das private Braunkohleunternehmen ZE PAK und der staatliche Kupferförderer KGHM. Das Umweltministerium lässt im Gesetz offen, welche Kernenergievorhaben finanziert werden können. Aus einem Begründungsschreiben geht aber hervor, dass Investitionen in die Atomkraft von zentraler Bedeutung sein werden.
Vertreter der polnischen Metallindustrie bewerten den neuen Gesetzesvorschlag ebenfalls positiv. Der Stahlhersteller Cognor erklärte beispielsweise, mit der Abwärme aus dem eigenen Produktionswerk könne man eine halbe Großstadt versorgen. Die Nutzung von Industriewärme ist einer der voraussichtlichen Förderschwerpunkte des FTE. Der polnische Verband der Zementhersteller (Stowarzyszenie Producentów Cementu) hat Interesse an Projekten rund um CO2-Speicherung und Abfallverbrennung signalisiert.
Transformationsfonds hilft beim schnelleren Umbau des Energiesektors
Tatsächlich könnten vom FTE wichtige Impulse für die Müllverwertung ausgehen. In einigen Gemeinden stocken Projekte für den Bau von Verbrennungsanlagen wegen fehlender Gelder. Gleichzeitig kämpft Polen mit wilden Müllhalden. Fast 1.000 illegale Deponien zählt das Umweltministerium. Unklar ist, ob die Europäische Kommission Müllverbrennung als umweltfreundliche Technologie oder zumindest als Übergangstechnologie anerkennt.
Das Kohleland Polen beschleunigt nach dem russischen Angriff auf die Ukraine den Umstieg auf emissionsarme Energiequellen. Bis 2040 sollen erneuerbare Energien einen Anteil von 50 Prozent an der Stromproduktion erreichen. Bislang prognostizierte die Energiestrategie des Landes im gleichen Zeitraum einen Anteil von 40 Prozent.
Gelingen kann der schnelle Wechsel zu Technologien wie Windkraft und Fotovoltaik aber nur, wenn entsprechende Gelder bereitstehen. Allein um die Stromnetze für den Anschluss weiterer erneuerbarer Quellen vorzubereiten, will der staatliche Übertragungsnetzbetreiber PSE (Polskie Sieci Elektroenergetyczne) bis 2032 rund 7,1 Milliarden Euro ausgeben. Der FTE könnte bei der Finanzierung helfen.
Bereits heute scheint Polen einige selbstgesteckte Ziele deutlich früher zu erreichen. Noch 2021 rechnete das Land damit, bis 2040 über Offshore-Windkraftanlagen mit 9,5 Gigawatt Leistung zu verfügen. PSE geht mittlerweile davon aus, dass bereits 2032 fast 11 Gigawatt am Netz sein werden.
Der FTE ist nicht zu verwechseln mit dem europäischen Modernisierungsfonds. Auch der Modernisierungsfonds stellt Gelder aus dem Zertifikatehandel für Polens Energietransformation bereit. Allerdings handelt es sich um einen Finanzierungsmechanismus unter der Aufsicht von EU-Institutionen.