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Wirtschaftsumfeld | Polen | Lieferketten

Polens Wirtschaft spürt erste Folgen des Krieges in der Ukraine

Unternehmen in Polen setzen sich dafür ein, dass ukrainische Flüchtlinge unbürokratisch eine Beschäftigung aufnehmen können. Einige Firmen kämpfen mit unterbrochenen Lieferketten. 

Von Christopher Fuß | Warschau

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine befinden sich zahlreiche Menschen auf der Flucht. Der polnische Grenzschutz meldet, dass bis zum 4. März 2022 über 672.500 Schutzsuchende die Grenze nach Polen überschritten haben. Sollte der Krieg länger andauern, rechnet der polnische Thinktank Polityka Insight mit Flüchtlingszahlen in Millionenhöhe.

Arbeitsmarkt für ukrainische Flüchtlinge öffnen

Während sich an der polnisch-ukrainischen Grenze zahlreiche Hilfsinitiativen um die Betroffenen kümmern, bereitet Polens Sozialministerium zusammen mit Wirtschaftsverbänden Änderungen im Arbeitsrecht vor. Das Ziel: Flüchtlinge aus der Ukraine in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

Wie das Wirtschaftsportal Business Insider berichtet, müssen Ukrainer normalerweise über die polnische Botschaft in der Ukraine ein Visum beantragen, um legal in Polen arbeiten zu können. Das ist seit Beginn des Krieges nicht mehr möglich. Die geplante Reform sieht laut Business Insider vor, dass Personen aus der Ukraine bei Einreise ein Recht auf Arbeit erhalten. Ein Arbeitgeber müsste Behörden informieren, wenn er Ukrainer beschäftigt. Personalberater fordern, Aufenthaltstitel von Ukrainern, die schon länger in Polen arbeiteten, automatisch zu verlängern. Über 627.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ukrainer gab es Ende 2021 in Polen.

Aus der Ukraine fliehen vor allem Frauen und Kinder. Ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht mehr verlassen. Ein Mangel an Arbeitskräften herrscht in Polen laut Angaben der Tageszeitung Rzeczpospolita vor allem in männlich dominierten Berufen. Hierzu gehören der Bausektor und das Transportgewerbe. Untersuchungen zufolge gehen rund 85 Prozent aller Ukrainer in Polen einer körperlichen Arbeit nach. Die Personalvermittlung Gremi Personal erinnert in der Rzeczpospolita, dass bisher etwa 70 Prozent der Stellenangebote für Ausländer an Männer gerichtet sind.

Das bedeutet nicht, dass in anderen Industriezweigen keine Arbeitskräfte gesucht werden. Laut der polnischen Nationalbank NBP meldeten im 4. Quartal 2021 fast 50 Prozent der Unternehmen in Polen unbesetzte Stellen. Eine Herausforderung könnte die Anerkennung von Ausbildungen werden. Bereits vor Ausbruch des Krieges gingen die wenigsten Ukrainer in Polen ihren erlernten Berufen nach. Die Anerkennung von Bildungstiteln ist wegen der in beiden Ländern unterschiedlichen Bildungssysteme schwierig.

Arbeitgeber melden Abwanderung von Ukrainern

Schätzungen zufolge sind in den ersten Kriegstagen 30.000 Ukrainer aus Polen zurück in die Ukraine gegangen. Sie wollen sich der ukrainischen Armee anschließen. Die Abwanderung spüren Speditionsunternehmen. Wie der Logistikverband Polens (Transport i Logistyka Polska; TLP) berichtet, fuhren zu Beginn der Kampfhandlungen 105.000 Ukrainer in Lkw mit polnischer Zulassung. Bis zu 30 Prozent dieser Beschäftigten hätten nach Kriegsausbruch unbezahlten Urlaub beantragt, um in die Ukraine zurückzukehren. 

Aus Polens Bauindustrie kommen gemischte Signale. 2021 beschäftigte die Branche etwa 373.000 Ukrainer. Die polnische Tochtergesellschaft des österreichischen Bauriesen PORR äußerte gegenüber der Rzeczpospolita "PORR beschäftigt etwa 70 Arbeitnehmer aus der Ukraine. Die Abwanderung schätzen wir auf 15 Prozent. Bei Subunternehmen vermuten wir den Anteil der ukrainischen Arbeitnehmer auf etwa 70 Prozent, die Abwanderung auf 40 bis 50 Prozent. Es gibt Herausforderungen, aber im Moment verursachen sie keine größeren Komplikationen."

Lieferketten sind unterbrochen

Schwerer ins Gewicht fallen könnten fehlende Materialien und Rohstoffe. Das Problem betrifft nicht nur die Bauindustrie. Volkswagen stellt die Produktion in zwei Fabriken in Polen zeitweise ein. Der Grund sollen laut Rzeczpospolita fehlende Kabelbäume aus der Ukraine sein. Ausbleibende Lieferungen von Stahl und Metall könnten ebenfalls für Probleme sorgen. Über 10 Prozent aller polnischen Importe von Stahl und Eisen kommen aus Russland und der Ukraine.

Neben Metallwaren kauft Polen in Russland vor allem Energieträger. Tatsächlich versucht Polens Regierung seit Jahren, die Abhängigkeit von russischen Energieimporten zu verringern. Dennoch ist Russlands herausragende Stellung am polnischen Energiemarkt nicht zu übersehen. Wie aus Daten des Thinktanks Forum Energii hervorgeht, deckt Polen 63 Prozent seines Bedarfs an Erdöl über russische Importe. Bei Erdgas sind es 44 Prozent und bei Kohle immer noch 15 Prozent.

Gas will Polen ab Ende 2022 über die neue Pipeline Baltic Pipe aus Norwegen beziehen. Zusätzlich kann Polen über LNG-Terminals in Świnoujście Flüssiggas aus Qatar oder den USA einkaufen. Forum Energii fasst zusammen: "Es ist möglich, die Kohleimporte aus Russland auszusetzen. Für Gas bräuchten wir ein paar Monate. Bei Erdöl wird es am schwierigsten sein, [neue Lieferanten zu finden]." Polens Premierminister Mateusz Morawiecki hat bei der Europäischen Kommission bereits einen Stopp von Kohleimporten aus Russland beantragt.

Die Ukraine wiederum ist für Polen ein wichtiger Lieferant von Lebensmitteln. Artur Waraksa, Experte der ING Bank Śląski erklärt im Zeitungsinterview: "In einigen Produktkategorien, wie zum Beispiel bei Raps, Rapsöl oder Geflügel, steht die Ukraine ganz oben auf der Liste von Einkäufern in Polen."

Polens Wirtschaft wächst 2022 voraussichtlich langsamer

Nicht ohne Folgen bleibt der Krieg für Polens Währung. Der Złoty schwächelt bereits seit Ausbruch der Coronapandemie. Mit Beginn der Kampfhandlungen im Nachbarland fiel der Wert um weitere 6 Prozent. Die Zentralbank NBP verkaufte Währungsreserven, konnte den Kurs aber nur kurzfristig stabilisieren. Auch die Währungen der Nachbarn Tschechien und Ungarn mussten Verluste hinnehmen. Ein schwacher Złoty verteuert Importe, auch aus Deutschland.

Der staatliche Entwicklungsfonds (Polski Fundusz Rozwoju; PFR) schätzt, dass aufgrund des Krieges Polens Wirtschaftswachstum 2022 bei 3 Prozent liegen wird. Die Europäische Kommission prognostizierte Ende 2021 noch ein Wachstum von 5,2 Prozent.  

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