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Europa kann Metallimporte aus Russland noch nicht völlig ersetzen
Russland ist ein wichtiger Lieferant von Metallen. Die Automobil- und Elektronikindustrie sowie der Flugzeug- und Maschinenbau können ihre Abhängigkeit erst mittelfristig senken.
23.05.2023
Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin
- Deutschland bleibt auf Eisen und Stahl aus Russland angewiesen
- EU erweitert Einfuhrbeschränkungen für russische Metallerzeugnisse
- Russlands Metallproduktion und -export rückläufig
- Russisches Aluminium vorerst von EU-Sanktionen verschont
- Europa bleibt abhängig von Nickel und Palladium aus Russland
- Airbus verzichtet auf Titan aus Russland
Metalle gehören nach fossilen Energieträgern zu den wichtigsten Exportgütern Russlands. Bei Eisen und Stahl, Aluminium, Nickel, Palladium und Titan hält das größte Flächenland signifikante Weltmarktanteile.
Deutschland bleibt auf Eisen und Stahl aus Russland angewiesen
Die Bundesrepublik deckt nach Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine noch immer einen Großteil ihres Bedarfs an Eisenerz, Rohmetallen und metallhaltigen Vorprodukten aus Russland. Die deutschen Einfuhren von Eisen und Stahl aus dem größten Flächenland der Welt gingen im Jahr 2022 mengenmäßig um mehr als das Vierfache zurück. Im Wert sank der Import jedoch nur um das 2,5-fache. Die Preise für russische Metalle schwanken seit Kriegsbeginn stark.
EU erweitert Einfuhrbeschränkungen für russische Metallerzeugnisse
Die Europäische Union (EU) verhängte im 4. und 5. Sanktionspaket vom März 2022 ein Importverbot für bestimmte Eisen- und Stahlerzeugnisse aus Russland. Betroffen sind unter anderem Walz- und Spannstahl, kalt- und warmgewalzte Bleche aus nicht legiertem oder legiertem Stahl, Stahlrohre, Bleche mit metallischem Überzug oder Stäbe und Leichtprofile aus rostfreiem Stahl. Mit dem 9. Sanktionspaket vom Dezember 2022 erließ der Staatenbund weitere Einfuhrbeschränkungen für russische Fertig- und Halbfertigprodukte aus Stahl. Für einige Halbzeuge gelten Übergangsfristen bis 30. September 2024. Bis dahin dürfen russische Halbfabrikate weiter eingeführt werden, allerdings nur in Mengen, die nicht über dem Niveau von 2021 liegen.
Die von der EU und den USA sanktionierten Oligarchen Oleg Deripaska (Rusal), Alexej Mordaschow (Severstal) und Alischer Usmanow (Metalloinvest) sind an Russlands größten Metallurgiekonzernen beteiligt. Doch nur wenn die sanktionierte Person die tatsächliche Kontrolle oder Mehrheitsbeteiligung auf das Unternehmen ausübt, unterliegt ein Konzern auch den personenbezogenen Beschränkungen. Eine Prüfung, ob die sanktionierte Person faktisch die Kontrolle ausübt, ist somit zwingend erforderlich.
Russlands Metallproduktion und -export rückläufig
Die Stahlproduktion in Russland sank 2022 gegenüber dem Vorjahr um 7,2 Prozent auf 71,5 Millionen Tonnen, meldet die World Steel Association. Für das Jahr 2023 erwartet der Verband ein ähnliches Ergebnis. Von Produktionseinbußen betroffen sind vor allem diejenigen Unternehmen, die sich vor Inkrafttreten der Sanktionen auf den Export von Metallerzeugnissen in die EU spezialisierten, wie Severstal (Gebiet Wologda), NLMK (Gebiet Lipezk) oder Chelpipe (Gebiet Tschejabinsk).
Der russische Export von Eisenerz ging im Jahr 2022 um 39 Prozent auf 13,6 Millionen Tonnen zurück, analysiert der Branchendienst Metals & Mining Intelligence. Obwohl Eisenerz aus Russland noch keinen EU-Sanktionen unterliegt, brachen die Ausfuhren nach Europa um das Vierfache auf 2,9 Millionen Tonnen ein. Lokalen Produzenten gelang es nicht, alle weggebrochenen EU-Exporte nach China umzulenken.
Russisches Aluminium vorerst von EU-Sanktionen verschont
Russland deckt bei Aluminium rund 15 Prozent des weltweiten Bedarfs, analysiert die Citibank. Das Metall kommt vor allem im Flugzeugbau und in Haushaltsgeräten zum Einsatz. Nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine gingen die Preise für Aluminium an der Londoner Metallbörse LME durch die Decke und stiegen auf rund 4.000 US-Dollar (US$) pro Tonne. Ein Jahr später pendelte sich der Preis wieder bei rund 2.300 US$ für eine Tonne ein.
Die EU erließ in den ersten 10 Sanktionspaketen noch kein Einfuhrverbot für Aluminium aus Russland. Jedoch fordern Polen und die Baltischen Staaten ein Embargo auf das Leichtmetall im 11. Paket, das für Ende Mai 2023 angekündigt ist. Die USA verhängten ab 10. März 2023 einen Einfuhrzoll von 200 Prozent auf Aluminium aus Russland. Kanada erließ ein Einfuhrverbot auf russische Aluminiumerzeugnisse.
Die Ball Corporation veräußerte ihr Russlandgeschäft an den lokalen Produzenten von Haushaltschemikalien, Amest Group, für rund 500 Millionen Euro. Damit verlässt der weltgrößte Hersteller von Aluminiumdosen das größte Flächenland der Erde.
Europa bleibt abhängig von Nickel und Palladium aus Russland
Russland ist einer der wichtigsten Hersteller von Metallen der Platingruppe. Aus dem größten Flächenland kommt ein Zehntel des weltweit benötigten Eisen-Platinmetalls, das vor allem in Batterien für E-Mobile verwendet wird. Russland deckt zudem rund ein Viertel des weltweiten Bedarfs an Palladium. Das Metall wird in Katalysatoren und in der Elektronikindustrie eingesetzt. Der Palladiumpreis liegt ein Jahr nach Kriegsausbruch rund 10 Prozent höher.
Zudem ist Russland der drittgrößte Nickel-Exporteur der Welt. Nach Kriegsbeginn kletterte der Preis für eine Tonne Nickel auf der Londoner Metallbörse LME kurzzeitig auf rund 44.000 US$. Ein Jahr später liegen die Preise mit rund 25.000 US$ etwa auf dem gleichen Niveau wie vor dem 24. Februar 2022. Deutschland bezieht rund 40 Prozent seiner Nickelimporte aus Russland.
Weder Nornickel noch sein Hauptaktionär Wladimir Potanin wurden bisher mit EU-Sanktionen belegt, weil russische Nickellieferungen zurzeit nicht ersetzt werden können. Dennoch will sich Nornickel stärker auf China, die Türkei und Marokko als Absatzmärkte umorientieren.
Airbus verzichtet auf Titan aus Russland
Russland ist der drittgrößte Hersteller von Titan weltweit und hält einen Marktanteil von rund 13 Prozent. Die Ukraine liefert weitere 3 Prozent. Das Leichtmetall wird in Motoren, Triebwerken und Tragflächen von Flugzeugen verbaut.
Aktuell unterliegen weder Titan aus Russland noch der weltgrößte Titanproduzent VSMPO-AVISMA einem EU-Einfuhrembargo. Doch Airbus kündigte an, sich von russischen Titanlieferungen unabhängig machen zu wollen. Damit tut es Europas größter Luft- und Raumfahrtkonzern seinem US-Konkurrenten Boeing gleich, der bereits im März 2022 den Kauf von Titan aus Russland stoppte. Der US-Metallproduzent Arconic veräußerte sein Russlandgeschäft für 230 Millionen US$ an VSMPO-AVISMA.