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Westliche Industriestaaten wollen Preisdeckel für Russlands Erdöl
Moskau erzielt Rekorderlöse mit der Ausfuhr fossiler Brennstoffe. Devisenbringer Nummer eins ist Erdöl. Die G7-Staaten wollen mit einem Preisdeckel Russlands Einnahmen begrenzen.
09.09.2022
Von Hans-Jürgen Wittmann | Berlin
Russland ist nach den USA und Saudi-Arabien der drittgrößte Ölproduzent der Welt. Rund ein Sechstel des weltweit ausgelieferten schwarzen Goldes stammt aus dem größten Flächenland der Erde. Nach Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine bleiben die Förder- und Exportmenge auf hohem Niveau. Russland fördert rund 10,6 Millionen Barrel Öl und Kondensate pro Tag (bpd) und erreicht damit beinahe das Vorkriegsniveau von 11 Millionen bpd. Rund 7,4 Millionen bpd gingen in den Export, meldet die Internationale Energieagentur (IEA). Davon rund 2,1 Millionen bpd nach Europa.
Mittelfristig dürften das schrittweise Einfuhrverbot der Europäischen Union (EU) für Rohöl ab 5. Dezember 2022 und für Ölprodukte ab 5. Februar 2023 sowie das westliche Technologieembargo der russischen Ölindustrie großen Schaden zufügen, erwartet die IEA. Kurzfristig garantieren Preisnachlässe an außereuropäische Abnehmer dem Kreml jedoch stabile Erlöse. Steuern auf Erdölexporte generieren rund ein Fünftel des russischen Staatshaushalts.
Einnahmen aus Rohstoffexporten übersteigen Kriegskosten
In den ersten sechs Monaten nach dem Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erzielte Russland mit dem Export fossiler Energieträger trotz sinkender Ausfuhrmengen Einnahmen von rund 158 Milliarden Euro. Das errechnete die finnische Denkfabrik Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA). Etwa zwei Drittel dieser Einnahmen stammen aus Erdölexporten. Mit 85 Milliarden Euro ist die EU der Hauptabnehmer russischer Rohstoffe, vor China mit 35 Milliarden Euro. Deutschland überwies im genannten Zeitraum rund 19 Milliarden Euro nach Russland. Die Einnahmen aus Rohstoffexporten übersteigen damit deutlich die Kriegskosten von rund 100 Milliarden Euro in den ersten sechs Monaten, berechnete CREA.
G7-Staaten planen Einführung des Ölpreisdeckels
Die sieben führenden demokratischen Industrieländer (G7) wollen die Einnahmen des Kreml aus Rohstoffexporten schmälern und damit die Finanzierung des Krieges erschweren. Dazu planen sie eine Obergrenze für den Preis, den Russland für Ölexporte verlangen kann. Die Finanzminister der G7-Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Deutschland, Frankreich, Italien und Japan beschlossen am 2. September 2022 die Einführung eines Preisdeckels ab 5. Dezember 2022. Der Transport von aus Russland stammendem Rohöl und Ölprodukten per Schiff soll nur noch dann gestattet sein, wenn diese zu einem Preis gekauft werden, der nicht oberhalb des Preisdeckels liegt.
Der Preis soll so definiert werden, dass Russlands Ölfirmen noch ihre Selbstkosten decken können. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass der Weltmarkt weiter mit Erdöl versorgt wird und die Energiepreise stabil bleiben. Zugleich soll der Staat keine Steuereinnahmen auf Ölexporte mehr generieren können. Branchenkenner erwarten den Preisdeckel bei rund 60 US-Dollar (US$) pro Barrel der Sorte Urals. Die Förderkosten in Russland liegen je nach Lagerstätte zwischen 15 und 40 US$ je Barrel.
Zur Durchsetzung der Maßnahmen steht den G7-Staaten ein breiter Instrumentenkasten zur Verfügung. Sie könnten alle Dienstleistungen, die den Transport von russischem Rohöl ermöglichen, verbieten. Unternehmen aus Drittstaaten, die Öl zu höheren Konditionen als dem Preisdeckel kaufen, könnten mit sekundären Sanktionen belegt werden. Ein Großteil der Reedereien, Versicherungs- und Zertifizierungsunternehmen, die für den Betrieb einer Tankerflotte nötig sind, sitzt in westlichen Ländern - ein mächtiger Hebel, um die Ölexporte aus Russland zu beschneiden. Dessen Flotte ist nicht groß genug, um das gesamte Exportvolumen zu verschiffen. Im Juli 2022 waren laut CREA mehr als 60 Prozent der Tanker, die russisches Öl geladen hatten, im Besitz europäischer Firmen.
Russland kündigt Gegenmaßnahmen an
Moskau droht als Antwort auf den Ölpreisdeckel mit Gegenmaßnahmen. So soll die Ausfuhr von Öl, Ölderivaten, Gas und Kohle an alle Länder und Unternehmen, die diesen Mechanismus mittragen, eingestellt werden, drohte Präsident Wladimir Putin auf dem Fernöstlichen Wirtschaftsforum in Wladiwostok an. Stattdessen sollen die Lieferungen an befreundete Staaten in Asien umgeleitet werden, ergänzte Energieminister Nikolaj Schulginow. Der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates, Dmitri Medwedew, warnte Europa, die Gaslieferungen einzustellen, wenn eine Preisobergrenze auf Erdöl eingeführt werden sollte.
Zudem dürfte Russland noch intensiver versuchen, die Sanktionen auszuhebeln. Es tauchen bereits Medienberichte auf, nach denen Rohöl auf hoher See auf andere Schiffe verladen wird, um die Herkunft zu verschleiern. In anderen Fällen wird russisches Öl in Drittländern raffiniert oder mit Öl anderer Herkunft vermischt und dann in Länder verkauft, die Sanktionen verhängt haben.
Abnehmer in Asien könnten Preisobergrenze nicht mittragen
Damit der Ölpreisdeckel seine volle Wirkung entfalten kann, müssen große Abnehmer außerhalb der G7-Gruppe mit ins Boot kommen, die bisher die Sanktionspolitik des Westens nicht mittragen. Wenn genügend Länder an Bord sind - so die Hoffnung - werden weitere blockfreie Staaten sich weigern, Öl zu Marktpreisen aus Russland zu beschaffen. Zumindest müsste Russland den nicht am Preisdeckel beteiligten Ländern noch höhere Rabatte anbieten. Kurz nach Kriegsbeginn lag der Preisabschlag für die russische Ölsorte Urals gegenüber der Referenzsorte Brent bei 35 US$ pro Barrel. Anfang September 2022 betrug der Abstand laut finnischem Ölkonzern Neste noch 22 US$.
Vor allem China und Indien stehen im Fokus. Nach einem sprunghaften Anstieg im Frühjahr erreichte Chinas Import von russischem Öl im Juni 2022 seinen Höhepunkt mit 1,3 Millionen bpd, meldet die Analyseagentur Kpler. Im Juli ging die Menge auf 0,8 Millionen bpd zurück.
In Indien stieg Russland im Juni 2022 mit 1 Million bpd zum zweitgrößten Rohöllieferanten nach dem Irak auf. Das südasiatische Land verzehnfachte seine Öleinfuhren aus Russland seit Kriegsbeginn wegen der attraktiven Preisabschläge.