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Branchen | Russland | Konjunktur

Wie entwickeln sich Russlands wichtigste Wirtschaftszweige 2022?

Deutsche Unternehmen können in Russland 2022 wieder bessere Geschäftschancen erwarten. Die wichtigsten Wirtschaftszweige zeigen positive Wachstumssignale.

Von Gerit Schulze, Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Halbleitermangel bremst Russlands Autobauer

    Russlands Kfz-Industrie lässt die Coronarezession allmählich hinter sich. Durch fehlende Elektronikbauteile kommt es zu Produktionsausfällen. Die Regierung fördert die E-Mobilität.

    Das globale Defizit an Halbleitern und Elektronikbauteilen lässt die Bänder in Russlands Autowerken zeitweise stillstehen. Marktführer AwtoVAZ und Volkswagen mussten im September 2021 für mehrere Wochen die Fertigung aussetzen. Der Hersteller von leichten Nutzfahrzeugen (Light Commercial Vehicles - LCV) GAZ liefert seine Fahrzeuge derzeit ohne Mikrochips aus und rüstet diese nach, sobald die Lieferengpässe behoben sind. Branchenkenner rechnen damit, dass die Halbleiterkrise bis mindestens Mitte 2022 anhalten wird.

    BMW erteilt den Plänen für ein eigenes Werk eine endgültige Absage und will stattdessen seine langjährige Zusammenarbeit mit Awtotor in Kaliningrad weiter ausbauen. Doch seit Juli 2021 erhält der Auftragsfertiger keine Erstattung der Entsorgungsabgabe auf lokal montierte BMW-Modelle mehr, was die Premiumlimousinen verteuert und ihren Import attraktiver macht. ZF Kama steckt 12,5 Millionen Euro in den Aufbau einer Fertigung von Automatikgetrieben in Nabereschnyje Tschelny. Der deutsche Zulieferer für Nutzfahrzeuge SAF-Holland errichtet bis 2022 in Moskau ein Werk zur Fertigung von Scheiben- und Trommelbremsen für Lkw.

    Behörden verschärfen Kontrolle des Lokalisierungsgrades

    Zur Überprüfung der strengen Lokalisierungsanforderungen will sich das Industrieministerium künftig nicht mehr nur auf Angaben der Hersteller verlassen. Stattdessen sollen Kfz „Made in Russia“ zerlegt werden, um die lokal erbrachten Prozessschritte wie Schweißen, Lackieren oder Montage nachvollziehen zu können. Zudem müssen Bauteilelieferanten mit unangekündigten Kontrollbesuchen rechnen. Nur ab einem bestimmten Lokalisierungsgrad haben Autobauer Ansprüche auf staatliche Subventionen.

    Mangel an Neuwagen drosselt Kfz-Absatz

    Die Verkäufe von Pkw und LCV werden 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 9,8 Prozent auf rund 1,6 Millionen Einheiten steigen, erwartet die Association of European Businesses (AEB). Damit knüpft der Automarkt beinahe an das Niveau vor der Coronakrise an. Für 2022 sind die Erwartungen jedoch zurückhaltend. Seit Juli 2021 sinken die monatlichen Verkaufszahlen, bedingt durch die hohen Basiswerte aus den Vorjahresmonaten und wegen des Defizits an Neuwagen aufgrund der Chipkrise. Zudem wird 2022 die angekündigte Anhebung der Entsorgungsabgabe voraussichtlich in Kraft treten und damit Importwagen verteuern.

    Um den Pkw-Absatz anzukurbeln, erwägt Industrieminister Denis Manturow, die seit August 2021 ausgesetzten Absatzfördermaßnahmen ab Januar 2022 wieder in Kraft zu setzen. Für Programme zur Vergabe vergünstigter Kredite und zum vergünstigten Leasing stehen rund 120 Millionen Euro zur Verfügung.

    Regierung fördert Entwicklung der E-Mobilität

    Auf Russlands Straßen verkehren erst rund 11.000 Elektroautos. Doch die Nachfrage nach E-Mobilen wächst. In den ersten zehn Monaten 2021 wurden 845 neue E-Autos verkauft – ein Plus von 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Den Absatz ankurbeln sollen ein Rabatt auf den Kaufpreis von 25 Prozent sowie vergünstigte Autokredite oder die Befreiung von Maut- und Parkgebühren. Durch das Auslaufen des Nullzollsatzes in der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) für importierte Elektromobile wird ab Januar 2022 jedoch ein Einfuhrzoll von 15 Prozent fällig. Diese Maßnahme drückt den E-Mobil-Absatz.

    Die Regierung verabschiedete Ende August 2021 ein Konzept zur Entwicklung der E-Mobilität. Ziel ist es, Russland zu einem weltweiten Vorreiter bei der Elektromobilität zu machen. Bis 2024 sollen pro Jahr 25.000 E-Autos vom Band rollen und 9.400 Ladestationen errichtet werden. Ab 2030 soll bereits jeder zehnte Neuwagen ein E-Auto sein. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, stehen 7,1 Milliarden Euro bereit.

    Derzeit wird in Russland noch kein Elektromobil serienmäßig gefertigt. Awtotor plant ab 2023 die Montage von Elektroautos der koreanischen OEM Hyundai und Kia und erweitert sein Engagement im Rahmen des Sonderinvestitionsvertrags. Der Lkw-Gigant Kamaz plant ab 2024 den Serienstart des Elektro-Pkw-Modells Kama-1. Die Batterien für E-Mobile „Made in Russia“ soll Renera liefern. Die Rosatom-Tochter errichtet bis 2025 eine Batteriezellenfertigung im Gebiet Kaliningrad.

    Aktuelle Projekte in der russischen Kfz- und Zulieferindustrie

    Projekt/Region

    Investition (Mio. Euro)

    Projektstand

    Projektbetreiber

    Bau einer Batteriezellenfertigung / Gebiet Kaliningrad

    258,6

    Geplante Inbetriebnahme: 2025

    Renera (gehört zu Rosatom)

    Produktion von Elektromobilen und Bauteilen / Gebiet Kaliningrad

    242,4

    Im Rahmen des 2019 geschlossenen Sonderinvestitionsvertrags; geplante Inbetriebnahme: 2023

    Awtotor

    Ausbau der Produktion von Reifen / Gebiet Jaroslawl

    95,7

    Geplante Inbetriebnahme: 2026

    Cordiant

    Erweiterung der Motorenproduktion um den 1,4 Liter TSI-Motor / Gebiet Kaluga

    70

    Im Rahmen des 2019 unterzeichneten Sonderinvestitionsvertrages; geplante Inbetriebnahme: 2024

    Volkswagen 

    Erweiterung der Produktion von Achsen und Bremsen / Moskau

    k.A.

    Geplante Inbetriebnahme: 2022

    SAF-Holland SE

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Bauwirtschaft kämpft mit steigenden Kosten

    Großprojekte beim Wohnungs- und Infrastrukturbau kurbeln das Wachstum der Branche an. Wachsende Personal- und Materialkosten verteuern jedoch Bauvorhaben.

    Seit Ausbruch der Coronapandemie fehlen landesweit rund 2 Millionen Arbeitskräfte auf dem Bau, davon allein 200.000 in der Hauptstadt Moskau. Unternehmen werben sich gegenseitig Fachkräfte ab, die Kosten steigen. Laut einer Umfrage des Jobportals Zarplata.ru ist nicht mit einer baldigen Entspannung der Situation zu rechnen. Um den Mangel an Arbeitsmigranten auszugleichen, setzt die Moskauer Stadtregierung daher verstärkt auf technische Lösungen, effizientere Prozesse und eine bessere Ausbildung.

    Die weltweit steigenden Preise auf Baustoffe wie Beton, Holz oder Metall drücken auf die Gewinnmarge. Im 1. Halbjahr 2021 kosteten Baustoffe rund ein Fünftel mehr als im Dezember 2020. Branchenkenner erwarten, dass sich die Preise im Jahresverlauf 2022 auf einem höheren Niveau als vor der Coronakrise einpendeln werden.

    Nachfrage nach vergünstigten Hypothekenkrediten wächst

    Der Wohnungsbau bleibt das Zugpferd der Bauwirtschaft. Im Jahr 2022 sollen 90 Millionen Quadratmeter Wohnraum entstehen, erwartet Vizeministerpräsident Marat Chusnullin. Wichtigster Entwicklungstreiber ist das Programm zur Vergabe vergünstigter Hypothekenkredite, das bis 1. Juli 2022 verlängert wurde. Die staatliche VTB-Bank rechnet für das Gesamtjahr 2021 mit einem Vergabevolumen von rund 70 Milliarden Euro. Für das kommende Jahr erwartet das Bankhaus trotz der Leitzinserhöhung einen weiteren Anstieg der Kreditvergabe. Für Einfamilienhäuser, die zunehmend im Trend liegen, wird ein eigenes Hypothekenkreditprogramm aufgelegt.

    Verkehrswegebau profitiert von Infrastrukturanleihen

    Die Regierung gewährt Regionen vergünstigte Kredite zum Ausbau von Straßen. Bis Ende 2023 stehen rund 6 Milliarden Euro für Projekte bereit. Im Fokus steht der Transportkorridor „Europa – Westchina“ von Moskau nach Jekaterinburg. Die im Bau befindliche Strecke von Moskau nach Kasan soll 2024 fertig gestellt sein. Präsident Putin ordnete die Verlängerung der Trasse nach Tscheljabinsk und Tjumen an. Mit dem Bau dieses Teilstücks beginnt die Straßenbaubehörde Rosawtodor 2022. Für die Verlegung der Straße entlang der Schwarzmeerküste ins Hinterland (Projekt Juschni Cluster) erstellt die Autobahnbetreibergesellschaft Awtodor die Projektierung.

    Milliarden für den Ausbau des Schienennetzes

    Das Frachtaufkommen zwischen China und Europa steigt kontinuierlich. Die Schieneninfrastruktur des größten Flächenlandes der Welt muss daher erweitert und modernisiert werden. Die Russische Eisenbahn (RZD) investiert in den Ausbau der Baikal-Amur-Magistrale (BAM) und will die Fertigstellung der Polarkreisbahn beschleunigen. Zudem erwägt RZD die Planung einer weiteren Bahntrasse aus Westsibirien über den Altai nach China. Der Bau der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke von Moskau nach Sankt Petersburg über Weliki Nowgorod soll 2022 anlaufen. Bis 2027 werden die Arbeiten an der rund 680 Kilometer langen Trasse beendet sein.  

    Neue Hafenanlagen sollen Frachtumschlag steigern

    Russland will den Güterumschlag zur See erhöhen. Die Regierung treibt den Ausbau des Nördlichen Seewegs als alternative Handelsroute zum Suezkanal zwischen Europa und Asien voran. Dazu fließen Milliarden in die Modernisierung der Hafeninfrastruktur entlang der Nordmeerküste. Im Fernen Osten sollen neue Terminals das steigende Frachtaufkommen bewältigen. Jelgaugol steckt bis 2026 rund 380 Millionen Euro in einen Kohleumschlaghafen in der Region Chabarowsk. Das deutsche Unternehmen Martrade steigt in den Bau von Containerterminals am Wolgahafen Olja im Gebiet Astrachan ein.

    Flughafeninfrastruktur wird modernisiert

    Die Fluggastzahlen werden 2022 trotz Corona weiter zulegen. Die Regierung investiert in den Ausbau des landesweiten Flugverkehrsnetzes. Vor allem Regionalflughäfen erhalten einen frischen Anstrich und müssen verstärkt in Sicherheitstechnik investieren. Ansonsten droht ihnen der Lizenzentzug. Der Konzern „Wosduschnyje Worota Sewernoj Stolizi“ modernisiert den Flughafen Pulkowo in Sankt Petersburg. Nowaport errichtet im Gebiet Kemerowo für 170 Millionen Euro bis 2024 einen Regionalflughafen im Skigebiet Scheregesch.

    Aktuelle Projekte in der russischen Bauwirtschaft

    Projekt / Region

    Investitionen (Mrd. Euro)

    Projektstand

    Projektbetreiber

    Ausbau der Baikal-Amur-Magistrale

    8,1

    Zweite von drei Etappen im Bau; geplante Fertigstellung: 2025

    RZD

    Re-Development des Hafens von Sankt Petersburg inkl. Verlagerung der Umschlagkapazitäten nach Ust-Luga / Gebiet Leningrad

    4,9

    Geplante Fertigstellung: 2036

    Transportministerium; Stadtregierung Sankt Petersburg

    Wohnanlage Ostrow / Moskau

    1,6

    Projektierung, geplante Fertigstellung: 2024

    Donstroj

    Südliches Double der Moskauer Ringautobahn (MKAD) / Gebiet Moskau

    1,1

    Projektierung; geplante Fertigstellung: 2026

    GK Region

    2. Ausbauabschnitt des Flughafens Pulkowo / Sankt Petersburg

    0,5

    Absichtserklärung unterzeichnet

    Konsortium Wozduschnyje worota sewernoj stolizy

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Chemieindustrie steht unter Volldampf

    Die Chemiebranche bleibt ein Zugpferd der russischen Industrie. Ihr Produktionszuwachs liegt über dem Durchschnitt des verarbeitenden Gewerbes. Große Investitionen laufen weiter.

    Russland hält an dem Ziel fest, das Land zu einer globalen Macht für petrochemische Produkte ausbauen. Vizeenergieminister Pawel Sorokin sagte im Frühjahr 2021, dass der Weltmarktanteil bis 2030 etwa 7 bis 8 Prozent erreichen soll. Dafür müssten Investitionen von 30 Milliarden bis 60 Milliarden Euro in die Petrochemie fließen.

    Elefantenhochzeit in der Petrochemie

    Um solche gewaltigen Vorhaben zu stemmen, wollen die beiden größten Petrochemiekonzerne Russlands, Sibur und TAIF, fusionieren. Die Antimonopolbehörde FAS gab im Sommer 2021 hierzu grünes Licht, jedoch mit der Auflage, dass die Produkte des Konzerns zuerst den Bedarf des Inlandsmarktes decken.

    Der neue Chemiegigant wird weltweit zu den fünf größten Herstellern für Polyolefine und synthetischen Kautschuk gehören. Auf TAIF entfielen bislang zwei Drittel der russischen Kautschukproduktion und über ein Viertel der Kunststoffherstellung. Sibur ist vor allem in der Weiterverarbeitung von Erdgas tätig und produziert Olefine, Polyolefine, Kunststoffe und Elastomere.

    Milliardenschwere Investitionen stehen an

    Der neue Großkonzern plant gewaltige Investitionsvorhaben. Allein TAIF will 11,5 Milliarden Euro für neue Projekte ausgeben, darunter die Verarbeitung von Ethen und Propen. Auch die Energieversorgung der Werke soll modernisiert werden. Bei künftigen Projekten will Sibur-TAIF einen höheren Automatisierungsgrad erreichen, um die Zahl der Beschäftigten in der Produktion zu reduzieren.

    Weitere große Vorhaben der russischen Chemiebranche sind das Gasverarbeitungswerk der RusKhimAlyans in Ust-Luga an der Ostsee sowie das Petrochemiewerk von Rosneft und der Amur-Gaschemiekomplex von Sibur, die jeweils rund 7 Milliarden Euro kosten, im Osten des Landes.

    Große Pläne zur Produktion von Helium

    Seit Juni 2021 fährt Gazprom das Amur Gas Processing Plant (AGPP) an der Grenze zu China schrittweise hoch. Ab 2025 können dort bis zu 42 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr verarbeitet werden. Als Nebenprodukt wird Helium mit einer Jahreskapazität von 60 Millionen Kubikmeter gewonnen. Damit wäre es eine der größten Heliumanlagen der Welt. Linde lieferte die Technologie für die kryogene Gastrennung. Moskau verspricht sich vom Ausbau der Heliumproduktion gute Geschäftschancen, denn das Edelgas spielt in der Weltwirtschaft eine wachsende Rolle, unter anderem als Kühlmittel. Bislang dominieren die USA und Katar den Markt.

    Neben Gazprom investiert die Irkutskaja neftjanaja kompanija (INK) in den Ausbau der Heliumkapazitäten im Gebiet Irkutsk. Außerdem kündigten Sachatransneftegas, Rosneft, RNG und Alrosa eine gemeinsame Produktionsstätte in Ostsibirien an.

    Agrarchemikalien weltweit gefragt

    Der Absatz von Agrarchemikalien prosperiert weiter, die Branche profitiert aktuell von sehr hohen Marktpreisen. Nach Prognosen des Verbands der Mineraldüngerhersteller RAPU wird sich der Inlandsverbrauch in den kommenden fünf Jahren verdoppeln. Auch die Nachfrage auf den Weltmärkten bleibt hoch. Bereits heute werden zwei Drittel der russischen Düngemittelproduktion für den Export hergestellt.

    Die großen russischen Mineraldüngerproduzenten wollen laut Tageszeitung Kommersant ihre ursprünglichen Investitionsprogramme um die Hälfte ausweiten. Für die nächsten fünf Jahre sind Projekte im Umfang von 18,5 Milliarden Euro geplant.

    Eurochem plant eine neue Produktionsanlage für Kalidünger im Gebiet Saratow, wo geologische Erkundungen einer Lagerstätte zu überraschend guten Ergebnissen führten. PhosAgro will bis 2025 die eigene Rohstoffversorgung verbessern, eine neue Produktionsstätte für Ammoniak und Carbamid bauen sowie die Kapazitäten für Schwefelsäure und Ammoniumsulfat erweitern.

    Die russischen Hersteller von Agrarchemikalien wie Ammoniak oder Stickstoffdünger müssen verstärkt auf ihre CO2-Bilanz achten. Die geplante Grenzausgleichsabgabe (Carbon Border Adjustment Mechanism) der Europäischen Union könnte sie laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung RBK Daily jährlich mit 400 Millionen Euro belasten, wenn sie die Produktion nicht klimaneutraler gestalten.

    Kontrollsystem für Chemikalien kommt später

    Zum 1. Juli 2021 sollte ursprünglich das neue technische Reglement der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) „Über die Sicherheit von chemischen Produkten“ in Kraft treten. Dieses Kontrollsystem für Chemikalien ähnelt der europäischen REACH-Verordnung. Da jedoch die entsprechenden Durchführungsbestimmungen noch nicht verabschiedet wurden, wird das Reglement nach Auskunft des russischen Industrieministeriums erst am 30. November 2022 eingeführt.

    Ausgewählte Investitionsprojekte in Russlands Chemieindustrie

    Projekt / Region

    Investition (Mio. Euro)

    Geplante Fertigstellung

    Projektbetreiber

    Produktionsanlage für 1,4 Mio. t Methanol pro Jahr / Hafen Indiga, Autonomer Kreis der Nenzen

    2.300

    2025

    SalawatneftechimprojektRusChimKom

    Methanolwerk Sewero-Zapad-3, Pipeline und Hafenterminal / Gebiet Leningrad

    1.500 bis 1.600

    2025

    Eurochem

    Produktionsstätte für 500.000 t Polypropylen pro Jahr / Nischni Nowgorod

    700

    2025

    Nischegorodnefteorgsintes

    Produktionsstätte für Chlor- und Ätznatron (Laugenstein) / Sterlitamak, Baschkortostan

    300

    2026

    Baschkirskaja sodowaja kompanija

    Werk zur Herstellung von Polyesterfasern / Schachty, Gebiet Rostow am Don

    35

    2022

    Awangard

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest


    Von Gerit Schulze | Moskau

  • Energiewende mit Atom- und Windkraft

    Die Energiewende erfasst auch den russischen Strommarkt. Erneuerbare Energiequellen gewinnen an Bedeutung, der Klimaschutz führt zu einem höheren Tempo bei der Kraftwerkssanierung.

    Die Umbrüche im weltweiten Energiegeschäft sorgen auch in Russland für Umwälzungen in der Stromwirtschaft. Ausländische Konzerne trennen sich von ihren Kraftwerken auf Basis fossiler Brennstoffe. Der Düsseldorfer Energiekonzern Uniper verkauft seine russischen Erzeugerkapazitäten an die finnische Muttergesellschaft Fortum und will künftig erneuerbare Energiequellen und Wasserstoff in Russland entwickeln. Fortum wiederum hat 2021 ein Kohlekraftwerk im Gebiet Tscheljabinsk an Rosatom veräußert.

    Bei der Stromerzeugung im Land bahnt sich damit eine Konsolidierung an. Nach jahrelangen Verhandlungen könnte die Gazprom Energoholding das Unternehmen Kwadra mit seinen 20 Kraftwerken erwerben. Daneben will die Gazprom-Tochter das Unternehmen Rusenergosbyt kaufen, den Hauptlieferanten der russischen Eisenbahngesellschaft RZD. Auf der Wunschliste der Gazprom Energoholding stehen laut Medienberichten außerdem der Stromerzeuger T Plus und die Kohlekraftwerke der EN+ Group.

    Anteil der erneuerbaren Energien soll sich verzehnfachen

    Bei den erneuerbaren Energien ist die Ausgangslage weiterhin bescheiden. Sie sorgen erst für 1 Prozent der gesamten Erzeugung in Russland. Bis 2040 soll dieser Anteil laut Energieminister Alexander Nowak aber auf 10 Prozent steigen. Hierzu verlängert die Regierung das Förderprogramm DPM VIE-2 zum Ausbau von Wind-, Solar- und kleinen Wasserkraftanlagen von 2025 bis 2035. Allerdings wird die Fördersumme um ein Achtel auf rund 4,1 Milliarden Euro gekürzt. Die Hälfte davon entfällt auf Windenergie.

    Während der Anteil der Kohlekraftwerke nach den Plänen der Regierung sinkt, soll die Atomkraft an Bedeutung zulegen. Bis 2040 könnte sich ihr Anteil an der Stromerzeugung von 20 auf 25 Prozent erhöhen.

    Der Staatskonzern Rosatom plant in den nächsten zehn Jahren Investitionen von fast 6 Milliarden Euro in Technologien zur Gewinnung von Kernenergie. Ein Schwerpunkt liegt auf kleinen Atomkraftwerken (AKW) mit geringer Leistung, zu denen auch schwimmende AKW gehören. Die Regierung beabsichtigt, aus Haushaltsmitteln und aus dem Nationalen Wohlstandsfonds über 900 Millionen Euro für diesen Geschäftszweig bereitzustellen.

    Schnelle Brüter sollen Atomkraft in die Zukunft retten

    Nachdem ein erster Prototyp 2020 im Hafen Pewek auf Tschukotka in Betrieb ging, sollen vier weitere schwimmende Meiler ab 2028 die Energieversorgung des Erzanreicherungswerks Baimski GOK auf Tschukotka sicherstellen. Kleinere Reaktortypen sind auch bei einer Goldlagerstätte in Jakutien geplant sowie in entfernten Regionen ohne Anschluss an zentrale Versorgungsleitungen.

    Ein weiterer Schwerpunkt der Atomkraftentwicklung liegt auf Brutreaktoren, die mehr Kernbrennstoff herstellen können, als sie selbst verbrauchen. In der Stadt Sewersk im Gebiet Tomsk startete Rosatom im Juni 2021 offiziell den Bau eines Brüters vom Typ Brest-300. Russland will mit diesem Reaktor seine Technologieführerschaft in der Kernkraft unterstreichen.

    Für einen weiteren neuen Brutreaktortypen BN-1200M soll die technische Dokumentation bis 2030 abgeschlossen sein. Der natriumgekühlte Reaktor wird im AKW Belojarsk im Swerdlowsker Gebiet gebaut. Dort sind bereits zwei schnelle Brüter im Einsatz.

    Turbinen aus russischer Produktion gefragt

    Für seine Expansionspläne verbessert Rosatom seine Technologiebasis. Das Tochterunternehmen Atomenergomasch plant bis 2023 Investitionen von 110 Millionen Euro in die Produktionsanlagen.

    Auch bei der Modernisierung von Gas- und Kohlekraftwerken strebt Russland einen höheren Anteil einheimischer Technik an. Ein Pilotprojekt ist das Kraftwerk Kaschira, wo bis 2028 vier Turbinen von Silowye maschiny mit jeweils 150 Megawatt Leistung eingebaut werden sollen. Das Vorhaben kostet über 700 Millionen Euro.

    Rabatte für energieintensive Branchen

    Da die Strompreise wegen verschiedener Umlagetarife steigen, arbeitet das Industrieministerium an Ausnahmeregelungen für energieintensive Branchen, darunter Chemie, Metallurgie und Wärmeerzeugung. Sie könnten von Sondertarifen für Elektroenergie profitieren.

    Durch die Sonderzuschläge für den Ausbau der erneuerbaren Energiequellen, von Atomkraftwerken und Müllverbrennungsanlagen sind die Großhandelspreise für Strom in Russland stark gestiegen. Sie lagen im 1. Halbjahr 2021 bei durchschnittlich 27,31 Euro je Megawattstunde. Laut Vygon Consulting könnten sich die Investitionszuschläge bis 2025 auf 27 Prozent der Strompreise im europäischen Teil Russlands belaufen.

    Aktuelle Investitionsprojekte in Russlands Energiewirtschaft

    Projekt/Ort

    Investition (Mio. Euro)

    Geplante Fertigstellung

    Projektbetreiber

    Bau von 4 Wasserkraftwerken am Amur mit 1,6 GW Leistung / Amur-Gebiet

    3.760

    Plan aus Sowjetzeiten, im September 2021 wieder vorgestellt

    Rushydro

    Bau eines Windparks / Gebiet Rostow am Don

    959

    2023

    UK Wetroenergetika (gehört zu Rosnano und Fortum)

    Bau eines Windparks mit 237 MW Leistung / Gebiet Samara

    291

    2023

    UK Wetroenergetika (gehört zu Rosnano und Fortum)

    Bau eines Windparks mit 210 MW Leistung / Gebiet Saratow

    290

    2023

    UK Wetroenergetika (gehört zu Rosnano und Fortum)

    Bau von drei Solarkraftwerken mit 38 MW Leistung / Swerdlowsker Gebiet

    34

    2022

    HEVEL

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Gerit Schulze | Moskau

  • Regierung erhöht Lokalisierungsdruck im Gesundheitswesen

    Corona hat Russlands Gesundheitssystem fest im Griff. Die Regierung treibt die Lokalisierung bei Arzneimitteln und Medizintechnik voran. Deutsche Firmen errichten neue Werke.

    Explodierende Infektionszahlen, ein Mangel an Sauerstoff und Beatmungsgeräten sowie voll belegte Intensivstationen – Russlands Gesundheitssystem ächzt unter der Belastung der vierten Pandemiewelle. Vor allem Sauerstoff zur Beatmung fehlt an allen Ecken und Enden. Metallerzeuger sind angehalten, ihren Verbrauch von technischem Sauerstoff zu senken. Industriebetriebe fahren Sonderschichten zur Produktion des farblosen Gases. Zusätzlich wird Sauerstoff aus Kasachstan und Finnland importiert.

    Ein Hoffnungsschimmer ist neben den neuen Impfstoffen Betuvax und Konvidezia das erste russische Coronamedikament Mir-19, dessen Registrierung Präsident Putin für Dezember 2021 ankündigte. Zur Eindämmung der Pandemie ist auch ausländische Hilfe willkommen. Das Gesundheitsministerium verlängerte die vereinfachte Einfuhr medizinischer Güter und Arzneimittel zur Covid-19-Bekämpfung bis 1. Januar 2025.

    Regierung treibt Aufbau lokaler Fertigung weiter voran

    Der Anteil russischer Hersteller bei der Produktion von Arzneimitteln liegt der Menge nach bei rund zwei Drittel und dem Wert nach bei rund einem Drittel. Die lokale Produktion klappt immer besser. Russlands Pharmaindustrie hängt jedoch zu 90 Prozent von Wirkstoffimporten ab, vor allem aus China und Indien. Nur 7 Prozent der lokal hergestellten Arzneimittel bestehen aus einheimischen Substanzen. Deshalb will das Industrieministerium bis 2030 rund 80 Prozent der Wirkstoffe lokalisieren.

    Bei der Produktion von Medizintechnik soll der Anteil russischer Hersteller von aktuell einem Viertel bis 2024 auf ein Drittel steigen. Das Konsortium „Medizinskaja Technika“ der Staatskonzerne Rostec, Rosatom und Almaz-Antej soll die Produktion von medizinischen Geräten und Verbrauchsmaterialien koordinieren. Der Status „Made in Russia“ wird über ein Punktesystem bestimmt. Hersteller erhalten Punkte für die Verwendung russischer Bauteile und Software. Jedoch wird die Entwicklung der Branche durch die unzureichend entwickelte Komponentenfertigung und den Fachkräftemangel gebemst.

    Zugang zur staatlichen Beschaffung wird weiter eingeschränkt

    Rund 80 Prozent der Medizintechnik in Russland wird von staatlichen Auftraggebern gekauft. Dabei muss die Beschaffung den strengen Anforderungen an die Lokalisierung und Importsubstitution gerecht werden. Ausländischen Anbietern wird der Zugang zu den lukrativen Staatsaufträgen weiter erschwert. Ende August 2021 änderte die Regierung für 45 Medizinprodukte den Beschaffungsgrundsatz „drei sind einer zu viel“ auf „zwei sind einer zu viel“, darunter für Elektrokardiographen (EKG), Pulsoximeter und Defibrillatoren. Wenn ein russischer Hersteller an öffentlichen Ausschreibungen teilnimmt, sind ausländische Anbieter automatisch ausgeschlossen, unabhängig vom Preis und der Qualität ihrer Produkte.

    Digitale Kennzeichnung medizinischer Güter wird Pflicht

    Nach der erfolgreichen Implementierung der digitalen Produktkennzeichnung bei Arzneimitteln will die Regierung Produktfälschungen nun auch bei Medizintechnik bekämpfen. Ende August 2021 kündigte das Gesundheitsministerium die Einführung einer verpflichtenden Kennzeichnung von Medizinprodukten mit digitalen Data-Matrix-Codes an. Zunächst sind Hightech-Geräte und hochwertige Güter betroffen. Die Umsetzung übernimmt das „Zentrum zur Entwicklung aussichtsreicher Technologien“ (ZRPT) des Oligarchen Alischer Usmanow.

    Deutsche Unternehmen investieren in neue Werke

    Um den Marktzugang nicht zu verlieren, stehen deutsche Firmen vor der strategischen Entscheidung, ihre lokale Wertschöpfung zu vertiefen oder Russland zu verlassen. Der Medizinbedarfshersteller B.Braun erweitert seine lokale Präsenz im Gebiet Twer. Elme Messer Rus (gehört zur Messer Group) plant den Aufbau einer Produktion von Industrie- und Medizingasen im Gebiet Pskow. Die Schott AG steckt 10 Millionen Euro in die Modernisierung der Produktion von Ampullen und Fläschchen im Gebiet Nischni Nowgorod.

    Das deutsch-indische Unternehmen Translumina lokalisiert bis 2023 bei Stenteks (gehört zur Renova Holding) die Produktion von Coronarstents. Sartorius eröffnete im September in Moskau einen Showroom für Biotechnologie-Ausrüstung. Der Medizintechnikhersteller Sarstedt nahm im Juli sein neues Produktionswerk in Sankt Petersburg in Betrieb.

    Aktuelle Projekte im russischen Gesundheitswesen

    Projekt/Region

    Investition (Mio. Euro)

    Geplante Inbetriebnahme

    Projektbetreiber

    Lokalisierung der Produktion von Wirkstoffen gegen das humane Papillomavirus / Gebiet Kirow

    48,5

    2024

    Nanolek

    Ausbau der Produktion und Bau eines Logistikzentrums / Gebiet Twer

    35

    Baubeginn: 2022

    Gematek (gehört zu B.Braun)

    Lokalisierung der Produktion von Computertomographen / Moskau

    7,2

    2022

    GE Healthcare, Rusatom Healthcare

    Bau eines Werks zur Produktion von Impfstoffen gegen das Rotavirus / Gebiet Kaluga

    k.A.

    2025

    Ishvan Pharmaceuticaks, Rostec, Rosnano

    Lokalisierung der Produktion von Ultraschallscannern / Gebiet Swerdlowsk

    k.A.

    2022

    Esaote SpA, KRET (gehört zu Rostec)

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Russische IT-Anbieter haben Vorrang

    Für ausländische IT-Unternehmen wird der russische Markt schwieriger. Maßnahmen zur Importsubstitution belasten das Geschäft. Den weltweiten Chipmangel sieht Moskau als Chance.

    Der IT-Sektor bleibt ein Lieblingskind der russischen Wirtschaftsförderung. Im Herbst 2021 hat die Regierung ein zweites Hilfspaket für die Branche verabschiedet. Es sieht insgesamt 62 Maßnahmen vor, darunter die Einführung einer Digitalsteuer für ausländische Internetkonzerne, die Vorabinstallation russischer Apps auf digitalen Endgeräten und die Verpflichtung für Staatsbetriebe und Behörden, einheimische Software zu kaufen.

    Für ausländische IT-Firmen wird der russische Markt damit zunehmend ungemütlicher. Unternehmen mit mehr als 500.000 Nutzern am Tag müssen ab 2022 eine Filiale, Repräsentanz oder andere juristische Person in Russland registrieren. Moskau gibt an, auf diese Weise die persönlichen Daten russischer Nutzer besser schützen zu wollen.

    Digitalsteuer für ausländische Internetkonzerne

    Bei der Digitalsteuer will sich das Land an den geplanten Regeln der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) orientieren. Betroffen wären ausländische Internetkonzerne, die russischen Nutzern Dienstleistungen offerieren. Sie sollen 3 Prozent Steuern auf ihre in Russland erzielten Einnahmen zahlen.

    Einheimische Hardwarehersteller bekommen Unterstützung durch die Regierungsverordnung Nummer 1432 vom 28. August 2021. Sie legt fest, dass unter anderem bei Smartcards, Computern und Speichermedien das Prinzip „Zweiter ist überflüssig“ angewandt wird. Beteiligt sich bei öffentlichen Ausschreibungen wenigstens ein russischer Anbieter, dann sind ausländische Produkte automatisch aus dem Rennen.

    Chipmangel als Chance für die Halbleiterbranche

    Den weltweiten Mangel an Halbleitern nimmt das Industrieministerium zum Anlass, die Importsubstitution voranzutreiben. Seit 1. Januar 2021 dürfen nur noch einheimische Prozessoren bei Datenspeichertechnik zum Einsatz kommen, seit 1. Juli auch bei in Russland gebauten Notebooks. Nur so können diese als russisches Produkt gelten. Ab 2022 soll dieser Chipzwang auf alle wichtigen Arten von Rechentechnik ausgeweitet werden. Das Label „Made in Russia“ ist entscheidend bei öffentlichen Beschaffungen. Umgehen können Elektronikhersteller diese Vorschrift, wenn sie mindestens 250 Millionen Rubel (rund 3 Millionen Euro) in die russische Mikrochip-Industrie investieren.

    Rostec kündigt eigenen Mikroprozessor an

    Hardwarehersteller kritisieren die Vorgaben, weil die etwa zehn russischen Chip-Entwickler nicht über ausreichende Produktionskapazitäten für den steigenden Bedarf des Staatssektors verfügen. Die staatliche Industrieholding Rostec kündigte an, bis 2025 einen eigenen Prozessortyp auf den Markt zu bringen, der auf der offenen Befehlssatzarchitektur RISC-V basiert. Die Entwicklungskosten betragen über 300 Millionen Euro.

    Die Entwicklungsbank VEB.RF will den bankrotten Mikrochip-Produzenten Angstrem-T wiederbeleben. Eine Tochterfirma wirbt laut Medienberichten bereits taiwanesische Halbleiterspezialisten an, um Mikrochips mit 130 bis 90-Nanometer-Technologie zu fertigen.

    Marktplatz für russische Softwareprodukte startet 2022

    Im Softwarebereich plant das Industrieministerium einen neuen Onlinemarktplatz, um russische Industriesoftware besser zu vermarkten. Unternehmen können dort ab Sommer 2022 Softwareabos abschließen und einen Teil der Kosten erstattet bekommen. Allerdings weisen Spezialisten darauf hin, dass russische Anbieter bislang keine komplexen Softwarepakete für Industrieprozesse liefern können.

    Ausbau des Mobilfunks im ländlichen Raum

    Während der Aufbau eines 5G-Netzes weiterhin stockt, weil wichtige Frequenzbereiche von den Geheimdiensten blockiert werden, soll im ländlichen Raum das 4G-Netz verstärkt werden. Mobilfunkbetreiber müssen bis 2030 in 99 Prozent aller Dörfer mit mehr als 500 Einwohnern sowie entlang der föderalen Straßen für eine umfassende Netzabdeckung sorgen. In kleineren Siedlungen übernimmt Rostelekom den Anschluss. Außerdem sollen die Provider ab 2023 nur noch einheimische Ausrüstungen zum Netzausbau und möglichst auch russische Software verwenden. Andernfalls könnten sie ihre Frequenzen verlieren.

    Rostec gründete 2021 die Tochterfirma Spektr, die sich zum zentralen Anbieter von Mobilfunkausrüstungen entwickeln soll und dafür mit weiteren einheimischen Herstellern kooperiert. Die Staatsholding hat die Roadmap für den Aufbau des 5G-Netzes erarbeitet, deren Umsetzung rund 2,4 Milliarden Euro kosten soll. Experten warnen von einem Marktmonopol und halten es für unrealistisch, dass Russland die gesamte Mobilfunktechnologie selbst produzieren kann.

    Die großen Geldsummen, die der Staat für die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ausgibt, fließen häufig an staatliche Firmen. Das gilt zum Beispiel für das Projekt „Sichere Stadt“, dessen Umsetzung über 1,1 Milliarden Euro kostet. Auch hier übernimmt Rostec die Lieferung von Sensoren, Kamerasystemen und Controllern, berichtet die Tageszeitung Kommersant.

    Ausgewählte Investitionsprojekte in Russlands IT-Branche

    Projekt

    Investition (Mio. Euro)

    Geplante Fertigstellung

    Projektbetreiber

    Produktion von Ausrüstungen für 5G (Standard IMT-2020)

    262,2

    2024

    Rostec

    Verlegung einer Unterwasser-Glasfaserleitung zwischen den Halbinseln Kamtschatka und Tschukotka

    84,1

    Bauanfang: Sommer 2022

    Rostelekom

    Produktionswerk für Serverausrüstungen in Rjasan

    12,2

    2022

    Joint Venture von Yandex, Lanit, Gigabite und VTB-Bank

    Herstellung von Tablets auf Basis des russischen Mikroprozessors Skif

    k.A.

    2023

    NPZ Elvees

    Entwicklung von Halbleitern für künstliche Intelligenz

    8,5

    Kooperation seit Frühjahr 2021

    Kneron und MTS (Zentrum für Künstliche Intelligenz)

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Gerit Schulze | Moskau

  • Land- und Ernährungswirtschaft kämpft mit hohen Kosten

    Landwirte und Produzenten von Lebensmitteln klagen über hohe Kosten für Rohstoffe. Die Ausfuhren steigen trotz Exportzöllen. Einzelne Investitionsprojekte werden aufgeschoben.

    Russlands Landwirtschaft spürt die Folgen des Klimawandels wie geringere Niederschläge, längere Hitzewellen oder die Bodenerosion immer stärker. In den ersten drei Quartalen 2021 ging die Produktion im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wertmäßig um 4,3 Prozent zurück. Landwirtschaftsminister Dmitri Patruschew senkte die Prognose für die Getreideernte im Jahr 2021 von 127 Millionen auf 123 Millionen Tonnen. Daneben schmälern die bis Ende August 2022 verlängerten Exportzölle und -quoten auf Weizen, Mais oder Gerste sowie Sonnenblumenöl die Gewinne der Pflanzenanbauer.

    Weizen bleibt Exportschlager Nummer eins

    Ernteausfälle sowie steigende Kosten für Dünge- und Pflanzenschutzmittel verteuern die Weltmarktpreise für Agrarprodukte. Russlands Exporte wuchsen deshalb in den ersten zehn Monaten 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 19 Prozent auf 27,4 Milliarden US-Dollar. Ein Drittel der Einnahmen entfällt auf Getreide. Bis 2024 sollen die Ausfuhren auf 34 Milliarden US-Dollar zulegen. Zur Steigerung der Ernteerträge sollen die Felder intensiver bewirtschaftet und durch Melioration 13 Millionen Hektar neue Anbauflächen gewonnen werden. Wachstumspotenzial bieten vor allem Mais und Soja.

    Saatgut und Pflanzenschutzmittel sollen bevorzugt aus einheimischer Produktion kommen. KWS eröffnet ein neues Werk zur Herstellung von Saatgut und die Schweizer Firma Syngenta eine neue Produktion von Pflanzenschutzmitteln im Gebiet Lipezk.

    Steigender Kostendruck bremst Wachstum der Milchwirtschaft

    Die Produktion von Rohmilch stagniert. Von Januar bis September 2021 erzielten Milchbauern mit 24,9 Millionen Tonnen die gleiche Menge wie im Vorjahreszeitraum. Steigende Ausgaben für Futter- und Tierarzneimittel sowie Zusatzkosten für die seit 1. September 2021 verpflichtende digitale Kennzeichnung verteuern Milchprodukte.

    Ekoniva, das Zugpferd der Branche, muss seine Expansionspläne vorerst auf Eis legen. Die Firmengruppe des deutschen Landwirts Stefan Dürr führt Gespräche mit ihren Kreditgebern über die weitere Finanzierung. Eine zeitweilige Beteiligung der Rosselchosbank (RSHB) an den operativen Tochtergesellschaften in Russland steht im Raum. Rumelko investiert bis 2023 rund 60 Millionen Euro in eine neue Milchfarm in der Region Altai.

    Regierung fördert Ausbau der Tierzucht

    Die Fleischproduktion bleibt 2021 in etwa auf dem Vorjahresniveau, schätzt das Landwirtschaftsministerium. Um die Produktion im Jahr 2022 zu steigern, lenkt die Regierung einen Teil der Einnahmen aus den Exportzöllen in die Beschaffung von Futtermitteln und den Bau neuer Viehzuchtbetriebe um. Mit der Einführung eines digitalen Zuchtsystems will die Regierung den Zuchtbestand besser erfassen und analysieren.

    Die Aufsichtsbehörde Rosselchosnadsor regelt ab 2023 die staatliche Zulassung von Tierarzneimitteln nach GMP-Standards neu, um die hohe Importquote von 70 Prozent zu senken. Tierzüchter fürchten jedoch den zusätzlichen Prüfaufwand, höhere Kosten und ein Defizit an importierten Veterinärmedikamenten.

    Der deutsche Fleischkonzern Tönnies zieht sich aus Russland zurück und veräußert Ende 2021 den Schweinefleischproduzenten APK Don an das thailändische Unternehmen CP Foods.

    Preise und Kosten bleiben hoch

    Die galoppierende Inflation sowie höhere Kosten für Lagerung, Transport und Logistik lassen die Lebensmittelpreise 2022 weiter steigen. Um die Preise zu stabilisieren, erwägt das Landwirtschaftsministerium, ab Januar 2022 die Importzölle für Schweine- und Rindfleischimporte zeitweise aufzuheben. Ab 1. März 2022 tritt das Gesetz über landwirtschaftliche Erzeugnisse mit verbesserten Eigenschaften in Kraft. Die Regierung will damit ein Marktsegment zwischen der konventionellen Landwirtschaft und dem Ökolandbau etablieren.

    Ab 1. Dezember 2021 müssen Mineralwasser und ab 1. März 2022 alle abgepackten Wassersorten mit einem digitalen Datamatrix-Code versehen werden. Auch für Bier ist eine Kennzeichnungspflicht geplant. Ein entsprechendes Pilotprojekt läuft noch bis 31. August 2022. Die mit der Umrüstung der Anlagen verbundenen Zusatzkosten dürften für viele kleinere Betriebe nicht zu stemmen sein. Mit Marktaustritten ist zu rechnen.

    Der deutsche Anbieter von Schnellgerichten, HelloFresh, steigt mit der Übernahme von Anteilen seines lokalen Konkurrenten Chefmarket in den russischen Markt ein. Die Molkerei Ehrmann übernimmt das Russlandgeschäft von FrieslandCampina. Das Deutsche Milchkontor (DMK) eröffnet Ende 2021 eine Käserei im Gebiet Woronesch.

    Aktuelle Projekte in der russischen Land- und Ernährungswirtschaft

    Projekt / Region

    Investitionssumme (Mio. Euro)

    Geplante Inbetriebnahme

    Unternehmen

    Bau eines Fleischverarbeitungs-Clusters: Schlachtung, Lagerung, Verarbeitung / Gebiet Tula

    678,8

    k.A.

    Tscherkisowo

    Bau von sechs Geflügel- und vier Schweinezuchtfarmen, eines Mischfutterwerks und eines Getreidespeichers / Gebiet Lipezk

    272,7

    2025

    Tscherkisowo

    Ausbau der Produktion von Tierfutter / Gebiet Kaluga

    145,5

    2023

    Nestle Purina PetCare

    Bau einer Ölextraktionsanlage / Gebiet Orenburg

    121,2

    k.A.

    Aston

    Bau eines Werks zur Verarbeitung von Ölsaaten / Gebiet Kursk

    121,2

    2022

    Sodruschestwo

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Transportbranche arbeitet am Limit

    Der russische Logistiksektor brummt. Lagerflächen sind ausgebucht, Frachtpreise steigen und Häfen stoßen an ihre Grenzen. Die neue Transportstrategie sieht mehr Investitionen vor.

    Das Transportministerium überarbeitet derzeit die Transportstrategie des Landes. Die Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur sollen weiter steigen. Insgesamt will Russland bis 2035 jährlich rund 3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Modernisierung der Transportwege ausgeben. Das Gesamtvolumen der öffentlichen und privaten Investitionen in den nächsten 15 Jahren wird auf 600 Milliarden bis 1 Billion Euro veranschlagt.

    Der Schwerpunkt liegt auf dem Ausbau des Straßen- und Schienennetzes. Geplant sind unter anderem Umgehungsstraßen für Wolgograd, Wladikawkas und Anapa sowie eine bessere Straßenanbindung der Schwarzmeer- und Ostseehäfen. Neue Hochgeschwindigkeitsstrecken für die Bahn sollen von Moskau nach Kasan, Sotschi und Sankt Petersburg führen. Bahnhöfe an wichtigen Knotenpunkten werden saniert. Die sibirischen Eisenbahntrassen Baikal-Amur-Magistrale und Transsib werden ausgebaut.

    Neue Flughäfen für die Arktisregion

    Die überarbeitete Transportstrategie sieht außerdem Investitionen in die Luftfahrt vor. In der Arktisregion und im Fernen Osten sollen 21 Flughäfen modernisiert werden. Regionale Fluggesellschaften bekommen Subventionen. Ein wichtiges Ziel ist es zudem, die Nordostpassage durch das arktische Eis für Schiffe ganzjährig befahrbar zu machen und dafür die entsprechende Eisbrecher und Hafeninfrastruktur zu schaffen.

    Die strategische Planung für den Transportsektor soll mit den neuen Zielvorgaben für eine emissionsärmere Wirtschaft synchronisiert werden, betonen Regierungsvertreter. Tatsächlich steigt im russischen Transportsektor das Interesse an einer Senkung des Treibhausgasausstoßes. Das Eisenbahnunternehmen Transcontainer hatte im Herbst 2021 erstmals grüne Zertifikate beim Energieerzeuger EN+ gekauft, um seinen Stromverbrauch auf erneuerbare Energiequellen umzustellen. Damit soll der Transport von Aluminium emissionsfrei abgewickelt werden können.

    Probleme beim Straßentransport nach Europa

    Die weltweiten Störungen der Lieferketten betreffen auch Russland. Logistikunternehmen berichteten im Herbst 2021 von zunehmenden Schwierigkeiten beim Straßentransport zwischen Russland und der Europäischen Union (EU). Ursachen sind Engpässe bei Fahrern, Ersatzteilen sowie die hohen Dieselkosten. Außerdem kommt es an den EU-Außengrenzen zu längeren Abfertigungszeiten als üblich. In der Folge haben die Frachtpreise deutlich angezogen. Laut Tageszeitung Kommersant kostet eine Lieferung aus Deutschland inzwischen bis zu 3.000 Euro je Lkw-Ladung.

    Auch im innerrussischen Verkehr sind die Preise 2021 laut Frachtbörse ATI.SU kräftig gestiegen, beispielsweise auf der Strecke Moskau – Sankt Petersburg innerhalb eines Jahres um 50 Prozent.

    Im Fernen Osten des Landes stoßen die Containerhäfen an ihre Leistungsgrenzen. Da Chinas Europarouten über den Suezkanal erheblich teurer geworden sind, setzen Speditionen auf den Landweg über Russland und können so laut Medienberichten bis zu 40 Prozent der Transportkosten sparen. Ein Nadelöhr bleibt aber der Containerumschlag in den Häfen Nachodka und Wladiwostok. Daher rücken nun auch die Häfen auf Russlands größter Insel Sachalin ins Blickfeld, die in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden sollen.

    Flächen in Logistikzentren stark nachgefragt

    Der ungebremste Aufstieg des Internethandels treibt den Bedarf an neuen, modernen Logistikzentren weiter nach oben. Experten schätzen, dass 2021 allein im Großraum Moskau rund 1,5 Millionen Quadratmeter neue Flächen in Betrieb genommen wurden - so viel wie seit sieben Jahren nicht mehr. Vor allem die PNK Group will rund um Moskau weitere große Logistikparks errichten, unter anderem für den Onlinehändler Ozon. Ebenso vergrößert die chinesische Alibaba Group in Russland ihre Lagerflächen. Allerdings hat der Boom seinen Preis, denn der Bau von Logistikparks verteuert sich derzeit stärker als andere Immobiliensegmente. Laut Colliers kostete die Errichtung von Lagerhallen im 1. Halbjahr 2021 ein Viertel mehr als im Vorjahreszeitraum.

    Drohnen zur Belieferung entlegener Gebiete

    Nicht zuletzt der Boom beim Paketversand hat russische Flugzeugbauer und die Industrieholding AFK Sistema dazu bewogen, Frachtdrohnen zu entwickeln. Sie könnten vor allem in entlegenen Gebieten im Hohen Norden sowie auf Kamtschatka und Tschukotka Waren ausliefern. Das Vorhaben wird vom Transportministerium unterstützt. Zum potenziellen Kundenkreis gehören neben der Russischen Post auch die Rohstoffkonzerne, die damit ihre Arbeitersiedlungen und Lagerstätten versorgen könnten. Aus dem Nationalen Wohlstandsfonds sollen bis 2024 rund 40 Millionen Euro zur Beschaffung solcher Drohnen fließen.

    Investitionsprojekte im russischen Transport- und Logistiksektor

    Projekt

    Investition (Mio. Euro)

    Geplante Fertigstellung

    Projektbetreiber

    Umschlag- und Lagerkomplex für Kohle, Getreide, Container im Hafen Primorsk / Leningrader Gebiet

    2.000

    2024

    Primorski UPK

    Ausbau des Hafens Noworossijsk / Region Krasnodar

    1.500

    2029

    Transneft

    Brücke über den Fluss Lena / Jakutien

    1.500

    2024

    Konsortium von Rostech und VIS Group

    Umbau und Erweiterung des Hafens Korsakow / Insel Sachalin

    1.115

    2030

    Regierung des Gebiets Sachalin) sucht noch Investoren für das Projekt)

    Bau eines neuen Flughafens / Lewaschowo, Sankt Petersburg

    500

    2024

    Auf Konzessionsbasis unter Federführung von Gazprom

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Gerit Schulze | Moskau

  • Bau- und Bergbautechnik kurbeln Maschinenmarkt an

    Bau- und Kohlekonzerne modernisieren weiter ihren Maschinenpark. Der Absatz von Landtechnik wird 2022 hingegen sinken. Digitale Lösungen sollen die Arbeitsproduktivität steigern.

    Russlands Maschinenbauer leiden aktuell an hohen Preisen für Ausgangsstoffe wie Metall. Eisen und Stahl machen bis zu 70 Prozent der Selbstkosten bei Land- und Baumaschinen aus. Entsprechend stiegen die Produktionskosten von Juli 2020 bis Juni 2021 um rund ein Fünftel, meldet der Branchenverband Rosspezmasch. Die hohen Metallpreise machen Maschinenbauern auch im kommenden Jahr zu schaffen. Zudem begleiten Lieferengpässe bei Bauteilen und Halbleitern die Branche ins Jahr 2022.

    Die verarbeitende Industrie muss ihre Kapazitäten modernisieren. Der durchschnittliche Abnutzungsgrad der Anlagen liegt bei rund 60 Prozent. Die Regierung will den Bedarf mit Maschinen „Made in Russia“ decken und fördert den Aufbau lokaler Produktionen. Um den Kreis der Empfänger zu erweitern, lockert das Industrieministerium die Anforderungen an Subventionen für Industrieprojekte. Bis 2023 stehen jährlich rund 12 Millionen Euro bereit.

    Bedarf an Bau- und Bergbautechnik steigt

    Der russische Markt für Bau- und Bergbautechnik bricht 2021 den Absatzrekord aus dem Jahr 2012. Nachholeffekte bei Beschaffungen und die aktuell gute Konjunktur im Kohlebergbau ließen die Erlöse in den ersten neun Monaten 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30 Prozent auf rund 450 Millionen Euro steigen, meldet die Association of European Businesses (AEB). Mengenmäßig beträgt der Zuwachs sogar 46 Prozent. Vor allem die angekündigte – bislang aber nicht umgesetzte – Anhebung der Entsorgungsabgabe beflügelt die Beschaffungen bei ausländischen Herstellern.

    Die Aussichten für 2022 sind sehr gut. Bergbau- und Baukonzerne modernisieren ihre Maschinenparks. Für Infrastrukturprojekte wie die Mautautobahn von Moskau nach Jekaterinburg wird effiziente Technik benötigt. Die Stabilisierung des Rubelkurses gegenüber dem Euro aufgrund des hohen Ölpreises macht Einfuhren erschwinglicher.

    Um den mit 80 Prozent sehr hohen Anteil von Importen am Marktvolumen zu senken, fördert die Regierung den Ausbau russischer Hersteller von Bau- und Bergbaumaschinen. Den Lokalisierungsgrad will das Industrieministerium ab Januar 2022 nach einem Punktesystem bestimmen.

    Nachfrage nach effizienter Landtechnik stabilisiert sich

    Um ihre Ernteerträge zu steigern, investieren Russlands Getreidefarmer in die Beschaffung neuer effizienter Landmaschinen. In den ersten drei Quartalen 2021 stieg der Absatz von Landtechnik im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 42,7 Prozent auf rund 1,7 Milliarden Euro, meldet Rosspezmasch. Für 2022 erwartet der Branchenverband - trotz eines Defizits an modernen Maschinen - jedoch einen Rückgang der Investitionen. Die Ursachen sind geringere Ernteerträge und steigende Kosten für Saatgut und Düngemittel.

    Die Produktion von Landmaschinen wuchs von Januar bis September 2021 um rund die Hälfte und wird 2022 das Niveau des Vorjahres von rund 1,9 Milliarden Euro erreichen, schätzt der Branchenverband. Der Landmaschinenhersteller Claas investiert im Rahmen des Sonderinvestitionsvertrags weitere 12,6 Millionen Euro in den Ausbau der Metallverarbeitung, Lackierstraße und Pulverbeschichtung in seinem Werk in Krasnodar.

    Der Konzern Traktornyje Sawody unterzeichnete einen modifizierten Sonderinvestitionsvertrag (SPIK 2.0) und errichtet bis 2031 für rund 24 Millionen Euro eine Produktion kleiner und mittlerer Traktoren in der Republik Tschuwaschien. Die französische Kuhn Group nahm Mitte Oktober 2021 die erste Linie des neuen Werks zur Produktion von Landtechnik im Gebiet Woronesch in Betrieb.

    Digitalisierung soll Produktivität steigern

    Russlands Arbeitsproduktivität entspricht etwa einem Drittel des Werts der Europäischen Union (EU). Mit dem Anfang November 2021 vorgestellten Programm zur digitalen Transformation bis 2030 unterstützt die Regierung die Anwendung von künstlicher Intelligenz, Robotertechnik, maschinellem Lernen oder IIoT-Lösungen (Internet der Dinge für Industrieanwendungen) in der verarbeitenden Industrie. Insgesamt vier Unterprogramme (intelligente Produktion, digitales Engineering, Produktion der Zukunft, neues Beschäftigungsmodell) sollen Russlands Industriebetriebe fit für die Zukunft machen. Zur Umsetzung stellt die Regierung in den kommenden drei Jahren rund 300 Millionen Euro zur Verfügung.

    Aktuelle Projekte im russischen Maschinenbau

    Projekt / Region

    Investitionssumme (Mio. Euro)

    Projektstand

    Unternehmen

    Bau einer Produktion von laminierten Spanplatten / Gebiet Kaluga

    120,5

    Vereinbarung auf Sankt Petersburger Wirtschaftsforum unterzeichnet

    Kronospan

    Aufbau einer Produktion von Traktoren / Republik Tschuwaschien

    24,2

    Im Rahmen eines Sonderinvestitionsvertrags (SPIK 2.0)

    Konzern Traktornyje Sawody

    Bau einer Produktionslinie für Hygienepapier / Gebiet Tula

    20

    Vereinbarung auf Sankt Petersburger Wirtschaftsforum unterzeichnet

    Essity

    Ausbau der Produktion von Landtechnik / Region Krasnodar

    12,6

    Im Rahmen des Sonderinvestitionsvertrags (SPIK 1.0)

    Claas

    Aufbau einer Produktion von Landtechnik / Republik Baschkortostan

    2,2

    k.A.

    Barbaros Motor (Türkei)

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Hans-Jürgen Wittmann | Moskau

  • Klimaschutz wird zum Marktfaktor

    Grüne Technologien entwickeln sich in Russland zum Verkaufsschlager. Dafür sorgen das Nationale Projekt "Umwelt", der Green Deal der EU und der weltweite Klimaschutz.

    Die brennenden Wälder in Sibirien und der auftauende Permafrostboden bewegen Russland zu einem Umdenken beim Klimaschutz. Bei mehreren Auftritten betonte Präsident Putin 2021 den Handlungsbedarf. Im Juli unterschrieb der Staatschef das Gesetz über die Begrenzung der Treibhausgas-Emissionen, Ende Oktober wurde die „Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung Russlands“ vorgestellt. Sie sieht eine Senkung des Ausstoßes klimaschädlicher Gase um 79 Prozent bis 2050 vor. Zehn Jahre später will das Land klimaneutral sein.

    Auch in den Chefetagen großer russischer Unternehmen gewinnt ökologische Verantwortung an Bedeutung. Immerhin zwei Drittel aller Führungskräfte sehen Nachhaltigkeit als eine Priorität ihrer Arbeit an, ergab Mitte 2021 die Studie „Environmental Social Governance“ im Auftrag internationaler Wirtschaftsverbände in Russland.

    Druck bekommen die russischen Konzerne vor allem durch den Carbon Border Adjustment Mechanism, mit dem die Europäische Union (EU) ab 2026 schrittweise eine Klimaabgabe auf Importprodukte einführt. Davon wären russische Waren im Gesamtwert von rund 7 Milliarden Euro betroffen, vor allem Eisen und Stahl, Mineraldünger, Aluminium und Zement. Die Regierung hat angekündigt, Investitionsprojekte zur Verbesserung der CO2-Bilanz mit Steueranreizen zu fördern.

    Speicherung von Treibhausgasen

    Als Beitrag zum Klimaschutz rücken auch die Abscheidung und Speicherung von Treibhausgasen in den Blick. Russlands Rohstoffkonzerne entwickeln erste Konzepte für das sogenannte Carbon Capture and Storage (CCS), um ihre Ausgleichszahlungen bei Exporten in die EU möglichst gering zu halten. Novatek plant bei der Erdgasverflüssigung auf den Halbinseln Jamal und Gydan die Verpressung von Treibhausgasen. Lukoil hat am Gasverarbeitungswerk Korobkowski bei Wolgograd eine Anlage zur Abscheidung von CO2 installiert und will ein ähnliches Projekt bei Perm realisieren. Tatneft erarbeitet Projekte zur Abscheidung von Kohlendioxid im Wärmekraftwerk Nischnekamsk und beim Raffineriekonzern Taneko.

    Das Beratungsunternehmen Vygon Consulting schätzt die potenziellen Speicherkapazitäten auf 1,2 Billionen Tonnen CO2. Noch sind allerdings hohe Subventionen nötig, um Pilotprojekte anzuschieben. Die Regierung hat deshalb Fördermittel in Aussicht gestellt.

    Kohleförderer sollen in Umweltschutz investieren

    Auf mehr Nachhaltigkeit sollen auch die Kohlekonzerne achten. Im Kusbass-Revier dürfen sie zwar weiter den fossilen Brennstoff abbauen und sogar ihre Exporte Richtung Asien ausweiten. Im Gegenzug müssen sich die Unternehmen aber verpflichten, in Umweltprojekte zu investieren. Dazu gehört die Rekultivierung von Lagerstätten und geschundenen Bergbaulandschaften.

    Allmählich kommen in Russland „grüne Finanzierungen“ auf den Finanzmarkt, also Anleihen für Investitionen in Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Bislang taxiert die russische Zentralbank den Markt erst auf 2 Milliarden US-Dollar. Doch das Interesse bei Unternehmen und Geldgebern ist groß. Die Regierung plant stimulierende Maßnahmen wie den Wegfall der Ertragssteuern auf Zinseinnahmen aus Green Bonds.

    Abfallreform nimmt Schwung auf

    Bei der Abfallreform verzeichnet Russland erste Erfolge. Nach Angaben der für die Steuerung zuständigen Gesellschaft REO (Russischer ökologischer Operator) können heute schon 20 Millionen Tonnen Hausmüll sortiert und davon 5 Millionen bis 7 Millionen Tonnen wiederverwertet werden. Laut REO sind über 100 neue Projekte zur Sortierung, Behandlung und Verarbeitung von Hausmüll in der Planungsphase.

    Verzögerungen gibt es beim Bau von fünf Müllverbrennungsanlagen (MVA) im Moskauer Gebiet und in Tatarstan, weil ausländische Monteure während der Coronapandemie zeitweise nicht ins Land kamen. Nach Angaben des halbstaatlichen Investors RT-Invest sollen die Anlagen nun 2023 in Betrieb gehen.

    RT-Invest hält trotzdem an seinen Plänen fest, 25 weitere Müllkraftwerke zu errichten. Die notwendigen Investitionen werden auf über 15 Milliarden Euro geschätzt. Das Unternehmen erwartet, dass durch die Verbrennungsanlagen 200 Hausmülldeponien geschlossen werden können.

    Fortschritte macht die stoffliche Verwertung von Haushaltsbatterien. Große Kapazitäten haben Megapolisresurs in Tscheljabinsk und NEK in Jaroslawl aufgebaut. Bis 2024 sollen sieben weitere Recyclingwerke für Altbatterien und Leuchtstoffröhren entstehen. In Russland werden jährlich rund 1 Milliarde Batterien weggeworfen. Nur knapp 2 Prozent davon werden recycelt.

    Aktuelle Investitionsprojekte in Umwelttechnik

    Projekt / Ort

    Investition (Mio. Euro)

    Projektstand

    Projektbetreiber

    Einbau von Elektrofiltern in Kohlekraftwerken

    834

    Umsetzung: 2020 bis 2025

    SUEK-Tochter SibGenCo

    Müllverbrennungsanlage / Kasan, Republik Tatarstan

    317

    Fertigstellung: 2023

    RT-Invest

    Sanierung der Wasserreinigungsanlagen / Archangelsk

    71

    Projektdauer: 2021 bis 2024

    Roswodokanal Archangelsk

    Anlage zur Verarbeitung von Hausmüll / Sankt Petersburg

    61

    Baustart: 2022, geplante Fertigstellung: 2024

    AO Newski ekologitscheski operator

    Modernisierung einer biologischen Reinigungsanlage an der Wolga / Nowotscheboksarsk, Tschuwaschien

    12

    Fertigstellung: 2023

    GUP Biologitscheskije otschystnyje sooruschenija, MUP Kommunalnyje seti goroda Nowotscheboksarska

    Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest

    Von Gerit Schulze | Moskau

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