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Wirtschaftsumfeld | Russland | Gegensanktionen

Russland umgeht Patentinhaber

Viele westliche Unternehmen stoppen ihr Russlandgeschäft. Dabei nehmen sie Know-how und Technologien mit. Die russische Regierung erlaubt deshalb, Erfindungen ohne Zustimmung und ohne Lizenzgebühren zu nutzen.

Von Edda Wolf | Bonn

Die russische Regierung erlaubt mit dem föderalen Gesetz Nr. 46 vom 4. März 2022 und der Verordnung Nr. 299 vom 6. März 2022 heimischen Unternehmen und Einzelpersonen, Erfindungen, Gebrauchsmuster und Industriedesigns von Eigentümern aus sogenannten "unfreundlichen Staaten" ohne deren Zustimmung und ohne Zahlung einer Entschädigung zu nutzen. Dabei bezeichnet Russland als "unfreundliche Staaten" alle Länder, die Sanktionen gegen den russischen Staat, russische Unternehmen oder russische Bürger erlassen haben.

Anti-Krisen-Gesetz kippt Schutzrechte an geistigem Eigentum

Im Föderalen Gesetz Nr. 46 vom 4. März 2022 (Anti-Krisen-Gesetz, veröffentlicht und in Kraft getreten am 9. März 2022) wurde in Bezug auf Schutzrechte an geistigem Eigentum festgelegt: "Die Regierung der Russischen Föderation hat das Recht, über eine Liste von Waren (Warengruppen) zu entscheiden, auf die bestimmte Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs der Russischen Föderation zum Schutz geistiger Rechte nicht angewendet werden können."

Das russische Industrie- und Handelsministerium hat hierzu eine Liste von Waren, die ohne Erlaubnis des Herstellers und Rechtsinhabers nach Russland eingeführt und verkauft werden dürfen, festgelegt. Diese Warenliste ist enthalten in der Anordnung Nr. 1532 vom 19. April 2022 (veröffentlicht am 6. Mai 2022; Arbeitsübersetzung der Warenliste in deutscher Sprache zum Download). Im Parallelimport erlaubt sind Waren, die für den Betrieb von Produktionsanlagen notwendig sind, und eine breite Palette an Konsumwaren. Voraussetzung für die Aufnahme in die Parallelimport-Liste ist, dass das Herstellerunternehmen seine Produktion in Russland eingestellt und den Markt verlassen hat.

Diese neue Regelung wird es natürlichen und juristischen Personen, denen von der russischen Regierung das Recht eingeräumt wird, bestimmte Patente Dritter ohne Zustimmung der Eigentümer zu nutzen, erlauben, dies ohne Zahlung einer Vergütung für die Nutzung der jeweiligen Erfindung, des Gebrauchsmusters oder des Industriedesigns an Patentinhaber aus russlandfeindlichen Ländern zu tun. Diese Maßnahme wird für patentierte Entwicklungen, Software, Geräte und Technologien gelten, die vom russischen Markt verschwinden oder knapp werden.

Nutzung von geistigem Eigentum ohne Zustimmung und ohne Bezahlung erlaubt

Gemäß der Verordnung Nr. 299 vom 6. März 2022 erlaubt die russische Regierung heimischen Unternehmen und Einzelpersonen, Erfindungen, Gebrauchsmuster und Industriedesigns von Eigentümern aus sogennanten "unfreundlichen Staaten" ohne deren Zustimmung und ohne Zahlung einer Entschädigung zu nutzen. Konkret heißt das: Die russische Regierung erlaubt die nicht vertraglich vereinbarte Nutzung von Erfindungen ohne Zahlung von Lizenzgebühren für Patente.

Diese Verordnung stützt sich auf die Bestimmungen des russischen Zivilgesetzbuchs, die der Regierung das Recht geben, im Falle äußerster Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Unterstützung der Verteidigung und Sicherheit des Staates, des Schutzes des Lebens und der Gesundheit der Bürger die Nutzung von Erfindungen, Gebrauchs- oder Geschmacksmustern ohne Zustimmung eines Patentinhabers kurzfristig und gegen „anteilige“ Vergütung zu gestatten (Zwangslizensierung).

Die Verordnung sieht eine Entschädigung in Höhe von 0 Prozent der Einnahmen der Person vor, die ein Patent verwendet, zahlbar an Patentinhaber die verbunden sind mit ausländischen Staaten, die "unfreundliche" Handlungen gegenüber russischen juristischen Personen und Einzelpersonen begehen, darunter:

  • Patentinhaber mit Staatsbürgerschaft sogenannter "unfreundlicher Staaten",
  • Patentinhaber, die sogennante "unfreundliche Staaten" als Ort der Registrierung, als Hauptort der Geschäftstätigkeit oder als Hauptort der Einnahmequellen haben.

Die Liste der „unfreundlichen" Staaten, die Sanktionen gegen Russland unterstützen, umfasst aktuell 48 Länder.

Die Verordnung Nr. 299 trat am Datum ihrer offiziellen Veröffentlichung, dem 7. März 2022, in Kraft.

Erste Gerichtsfälle zu Gunsten russischer Kläger entschieden

Klage der Entertainment One UK Ltd. vor dem Handelsgericht der Region Kirow

Am 2. März 2022 beschloss das Handelsgericht der Region Kirow, die Klage der Entertainment One UK Ltd. gegen den Einzelunternehmer Ivan Kozhevnikov (Beklagter) wegen Verletzung der Rechte am geistigen Eigentum vollständig abzuweisen (Aktenzeichen A28-11930/2021). Der Grund dafür war, dass der Kläger in einem Land ansässig ist, das als russlandfeindlich eingestuft wurde.

Die Klägerin Entertainment One UK Ltd. ist die Eigentümerin der Zeichentrickserie Piggy Peppa und der damit verbundenen Marken und Bilder. Das britische Unternehmen wollte von Ivan Kozhevnikov jeweils 20.000 Rubel für die Bilder von Peppa Pig und Papa Pig sowie die Gerichtskosten fordern.

Richter Andrej Slawinski wies bei der Anhörung der Klage darauf, dass "Ende Februar und Anfang März 2022 westliche Länder, darunter Großbritannien, restriktive (politische und wirtschaftliche) Maßnahmen" gegen Russland ergriffen hätten. Da dies allgemein bekannt sei, war es nach Ansicht des Richters von präjudizieller Bedeutung für den vorliegenden Fall. Des Weiteren verwies das Gericht auf den Präsidialerlass Nr. 79 über den Verkauf von Devisen aus dem Außenhandel und Beschränkungen des Aktienhandels mit Gebietsfremden.

Nach Ansicht des Handelsgerichts der Region Kirow ist die Forderung nach Entschädigung für die Verletzung der Rechte am geistigen Eigentum durch Entertainment One UK Ltd. vor dem Hintergrund der von Großbritannien verhängten antirussischen Sanktionen rechtsmissbräuchlich. Daher wies das Gericht die Klage in vollem Umfang ab.

Das ist der erste derartige Fall in der russischen Gerichtspraxis. Es ist schwierig die Lage juristisch zu beurteilen. Jedoch ist vermuten, dass weitere derartige Gerichtsentscheidungen folgen.

Samsung Electronics darf wieder Smartphones mit Samsung Pay in Russland verkaufen

Das Neunte Berufungsgericht hob am 17. März 2022 die Entscheidung des untergeordneten Moskauer Arbitragegerichts (staatliches Handelsgericht) aus dem Jahr 2021 auf, die der Samsung Electronics Co Ltd. und deren russischer Tochtergesellschaft den Verkauf von 61 Smartphone-Modellen mit dem Samsung Pay-Zahlungsdienst in Russland untersagt hatte. Hintergrund war ein Konflikt zwischen Samsung Electronics und der Schweizer Firma Squin SA um ein Patent für kontaktloses Bezahlen.

Squin SA hatte im Jahr 2020 eine Klage gegen Samsung Electronics in Russland eingereicht. Bei dem Streit ging es um die Nutzung der Erfindung „Elektronisches Zahlungssystem“ unter Patent Nr. 2686003 ohne Zustimmung des Rechteinhabers. Die Argumente der Klägerin waren durch die Ergebnisse der Sachverständigenprüfung bestätigt worden. Am 21. Oktober 2021 hatte das Moskauer Arbitragegericht der Klage der Squin SA gegen Samsung Electronics Co Ltd. und seine russische Tochtergesellschaft "Samsung Electronics Rus Company" stattgegeben. Das Gericht verbot den Betrieb des Zahlungsdienstes Samsung Pay in Russland und die Einfuhr von Geräten, die diesen Dienst unterstützen.

Samsung Electronics hatte gegen die Gerichtsentscheidung Berufung eingelegt. Am 22. November 2021 hatte das Neunte Berufungsgericht diese Gegenklage zum Verfahren zugelassen. Die Interessen des südkoreanischen Konzerns wurden von der Anwaltskanzlei Hogan Lovells vertreten.

Im Streit mit Squin SA erhielt Samsung Electronics Unterstützung vom russischen Internetriesen Yandex Group, von der Russischen Vereinigung für elektronische Kommunikation (RAEC) und vom Russischen Verband der Handelsunternehmen und Hersteller von elektrischer Haushalts- und Computerausrüstung (RATEK). Yandex reichte bei der Kammer für Patentstreitigkeiten von Rospatent einen Antrag ein, um das Patent für das Zahlungssystem, das Squin SA gehört, anzufechten. „Wir glauben, dass die Entscheidung in diesem Streit einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen könnte, der nicht nur die Entwicklung des Marktes für Zahlungslösungen, sondern auch die Verfügbarkeit mobiler Geräte für russische Benutzer negativ beeinflussen könnte“, sagte ein Sprecher von Yandex.

Die Russische Vereinigung für elektronische Kommunikation (RAEC) hatte sich an Rospatent und die russische Zentralbank gewandt mit der Bitte, in den Patentstreit zwischen Samsung Electronics und Squin SA einzugreifen. RAEC verwies auf mögliche negative Folgen für die Einführung aller kontaktlosen Zahlungssysteme auf dem russischen Markt. RAEC stellte fest, dass Samsung seit 2017 Partner des National Payment Card System (NPCS) ist und die Möglichkeit bietet, Mir-Karten mit dem Samsung Pay-Dienst zu verbinden. Im Falle einer Aussetzung von Samsung Pay könnten neue Zahlungsdienste, einschließlich der Zusammenarbeit mit dem Mir-System, auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Infolgedessen werde dies die Möglichkeiten für seine weitere technologische Entwicklung einschränken, hies es im Schreiben von RAEC.

Der Erfolg von Samsung ist auch vor dem Hintergrund der aktuellen Sanktionen von USA und EU gegen Russland zu sehen, aufgrund derer sich US-amerikanische Zahlungsdienste wie Apple Pay, Google Pay und PayPal am 8. März 2002 vom russischen Markt zurückgezogen haben. Zudem hat sich die Schweiz den Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland angeschlossen.

Samsung Pay belegte bis zum Zeitpunkt der Klage mit einem Anteil von 17 Prozent den dritten Platz unter den mobilen Zahlungsdiensten auf dem russischen Markt. In Russland wurde dieser Dienst 2016 in Betrieb genommen.


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