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Podcast

Folge 15: Beschaffung und Lieferketten

- Februar 2024 -

Was sind die aktuellen Herausforderungen? Wohin blicken Einkäufer? Und wie gut eignet sich der Westbalkan als Alternative zu China?

Das Jahr 2024 startete mit Nachrichten, die allen bekannt vorkommen: Wieder erreichen dringend benötigte Schiffsladungen aus Asien den europäischen Kontinent erst mit tage- oder sogar wochenlanger Verspätung. Spätestens seit der Coronapandemie ist jedem bewusst, wie abhängig die deutsche Wirtschaft von funktionierenden Lieferketten ist. 

Der Angriff Russlands auf die Ukraine sowie die aktuellen Konflikte am Roten Meer verdeutlichen, wie stark Lieferketten auch geopolitischen Risiken ausgesetzt sind. In dieser Podcast-Folge stellen wir mögliche Lösungen für Einkäufer vor. Und wir beschäftigen uns ganz besonders mit dem Westbalkan als Beschaffungsmarkt direkt vor unserer Haustür.

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Gäste in dieser Folge

Olaf Holzgrefe Olaf Holzgrefe

Olaf Holzgrefe

ist Leiter International beim Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Mit rund 10.000 Mitgliedern ist der BME der größte Einkaufsverband in der Bundesrepublik und einer der größten in der EU. Der Verband hilft Einkäufern dabei, Lieferketten zu diversifizieren und neue Lieferanten in die eigene Lieferkette einzubauen. Im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) organisiert der BME 2024 zum zehnten Mal die Einkaufsinitiative Westbalkan, die am 12. Juni 2024 in München stattfinden wird. Im November 2024 veranstaltet der BME sein 59. Symposium zu Einkauf und Logistik in Berlin. 

 

 

 

Martin Gaber Martin Gaber

Martin Gaber

arbeitet seit 2019 für Germany Trade & Invest (GTAI). Er berichtet seit 2021 als GTAI-Auslandskorrespondent von Belgrad aus zu den Entwicklungen in Serbien sowie den fünf weiteren Westbalkanländern Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro und Nordmazedonien. Ein Schwerpunkt des Balkan-Experten liegt auf den Themen Beschaffung und Nearshoring. Vor seiner Tätigkeit für GTAI lebte Gaber in Sarajewo, wo er für die deutsche Auslandshandelskammer tätig war. Er hat International Cultural and Business Studies an der Universität Passau studiert. 

 

 

 

Weiterführende Informationen

GTAI-Sonderseite zu Lieferketten & Beschaffung

GTAI-Studie „Sourcingchancen auf dem Westbalkan“

GTAI-Studie "Beschaffung in Nordafrika"

GTAI-Studie „Sourcingchancen in Südostasien“

Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME)

BME-Symposium „Einkauf und Logistik“ (13.-15.11.2024, Berlin)

Einkaufsinitiative Westbalkan (12.06.2024, München)

Einkaufsinitiative Südostasien (22.04.-15.05.2024, digital)

Einkaufsinitiative Indien (08.-26.7.2024, digital)

 

Transkript der Folge 

Das folgende Transkript wurde zum Zwecke der Barrierefreiheit mit einer Spracherkennungssoftware erstellt und danach auf offensichtliche Fehler hin korrigiert. Es entspricht nicht unseren Ansprüchen an ein vollständig redigiertes Interview. Vielen Dank für Ihr Verständnis.

Liebe Hörerinnen und Hörer,

während wir diesen Podcast aufnehmen, hören wir schon wieder von umgeleiteten Frachtschiffen, die nicht durch den Suezkanal fahren können ... 

Die meisten großen Schifffahrtsunternehmen haben angekündigt, keine Schiffe mehr durch das Rote Meer zu schicken. Darunter Maersk und Hapag Lloyd. Alternativ müssen die Frachter Afrika umrunden, was ihre Reise im Schnitt um sechs Tage verlängert und die Treibstoffkosten in die Höhe treibt. Die höheren Transportkosten dürften sich in einigen Monaten auch auf die Warenpreise auswirken. (Quelle: AFP, Youtube)

Die unsichere Lage im Roten Meer hat erste Auswirkungen auf die Wirtschaft, auch in Deutschland. Die E-Auto-Fabrik von Tesla im brandenburgischen Grünheide muss die Produktion für zwei Wochen stoppen. Denn es fehlen Teile, die aus Asien zugeliefert werden. Die Containerschiffe müssen nun den wesentlich längeren Seeweg um Afrika herum nehmen, weil die Reedereien das Rote Meer und den Suez-Kanal meiden. (Quelle: Tagesschau, 20 Uhr, 12.1.24)

Dabei erinnern wir uns alle noch gut an andere, auch  ausgesprochen beunruhigende Nachrichten: 

Coronaepidemie in Deutschland, das ist, wenn es an der Drogeriemarktkasse zu Handgreiflichkeiten wegen einer Wagenladung Klopapier kommt. (Quelle: Welt Nachrichtensender, 17.3.2020

Wir brauchen alle Maßnahmen unvermindert. Wir müssen immer noch alles tun, um das Virus auf seinem Weg durch Deutschland zu verlangsamen. (Sprecher Bundesregierung Steffen Seibert, Tagesschau)

Der Dax kämpft auch mit zwei Entwicklungen. Einerseits eben mit Schocknachrichten, die immer schlimmer werden, auf der anderen Seite aber sicherlich auch mit den größten Konjunkturpaketen aller Zeiten. Und da die Balance zu finden, das fällt ihm noch sehr schwer. (O-Ton Robert Halver, Baader Bank, FAZ)

Ausgelöst durch die Coronapandemie wurde uns allen plötzlich bewusst, wie abhängig wir von funktionierenden Lieferketten sind. Sonnenblumenöl wurde zum Luxusgut, in Fahrradläden gab es gefühlt keine Fahrräder und selbst profane FFP2-Masken gab es lange nicht – und später waren sie teuer. 

Plötzlich fehlende Vorprodukte, zum Beispiel aus Asien, führten in einigen deutschen Betrieben zum völligen Produktionstopp. Ein weltweiter Ausnahmezustand – ausgelöst durch ein Virus.

Der Angriff Russlands auf die Ukraine und die aktuellen Konflikte am Roten Meer verdeutlichen jetzt, wie stark Lieferketten auch geopolitischen Risiken ausgesetzt sind und wie schnell es zu Lieferengpässen kommen kann. Um diese zu verhindern, müssen sich deutsche Einkäufer um mögliche alternative Lieferanten kümmern.   

Holzgrefe: Wer jetzt noch Single Sourcing macht, der, überspitzt gesagt, kann und wird irgendwann ein Problem haben. Und das ist jetzt noch eher, ich sag mal, ja, zurückhaltend ausgedrückt. 

… meint unser Gast Olaf Holzgrefe, Head of International beim BME, dem Bundesverband für Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. 

Unser zweiter Gast, Martin Gaber, von Germany Trade & Invest, stellt uns gleich einen solchen alternativen Beschaffungsmarkt vor:

Gaber: Der Westbalkan ist gerade die Option, die quasi direkt vor der Haustür liegt. Der LKW steht eigentlich aus jeder Ecke in der Region innerhalb von 48 Stunden auf dem Werksgelände in Deutschland. 

Doch jetzt zu Olaf Holzgrefe, dem Leiter International beim BME. Es ist der größte Einkaufsverband in Deutschland und einer der größten in der Europäischen Union. Herr Holzgrefe, was macht der BME genau?

Holzgrefe: Mit rund 10.000 Mitgliedern vertreten wir die Interessen unserer Einkäufer, Supply Chainer und Logistiker, bieten in vielfältiger Form Weiterbildung und Qualifizierung an und im Bereich International bauen wir Brücken in neue Märkte, unterstützen unsere Einkäufer bei ihren Herausforderungen in der aktuellen, vergangenen und zukünftigen Situation, neue Märkte zu entdecken, Lieferketten zu diversifizieren, neue Lieferanten in die eigene Lieferkette einzubauen und somit sich wettbewerbsfähiger aufzustellen.

Anfang 2024 häufen sich schon wieder die Nachrichten zu Problemen im Suez-Kanal, mit zum Teil deutlich längeren Lieferzeiten als Folge. Welches sind denn aus Ihrer Sicht weitere Herausforderungen für 2024?

Holzgrefe: Die größte Herausforderung für den deutschen Einkauf oder für die deutschen Unternehmen ist auf jeden Fall, weiter innovativ zu bleiben. Und eine weitere Herausforderung ist das Thema Digitalisierung. Beides, innovativ oder Innovation, führt zu Wettbewerbsfähigkeit. Und Digitalisierung führt unter anderem zu Effizienz und aber auch zu Transparenz. Denn viele Dinge, die wir jetzt gerade oder was jetzt gerade gemacht wird, führt auch dazu, dass man versucht, die Lieferkette digitaler und deshalb transparenter zu gestalten. Und wir haben dazu als BME unsere Einkäufer gefragt, wo sie denn eigentlich die größten Herausforderungen sehen. Und dann sind auch noch solche Themen gefallen wie im Bereich Bürokratie. Wo sind die großen Herausforderungen noch: im Bereich Energiepreise. Und es geht auch um das Thema Fachkräftemangel. Also wie gesagt, es geht tatsächlich um das Thema auch Wettbewerbsfähigkeit. Und hier müssen und werden gerade aktuell Sourcing-Strategien neu justiert und neu überdacht.

Wenn wir jetzt einmal auf die Weltkarte schauen: Wo liegen Ihrer Meinung nach ungenutzte Potenziale? 

Holzgrefe: Also wichtig ist erst mal, bei den ungenutzten Potenzialen, und das wird Sie jetzt überraschen, denn als Leiter International hat meine Abteilung erst mal die Aufgabe, alles das abzudecken, was nicht Deutschland, Österreich und die Schweiz ist. Aber trotzdem ist noch mal wichtig vorauszuschicken: Der wichtigste Beschaffungsmarkt, ist in den nächsten Jahren weiterhin Deutschland. Also es ist erst mal ganz wichtig. Danach kommt die Europäische Union knapp gefolgt und erst dann kommt China. So also unser größter Beschaffungsmarkt außerhalb der Europäischen Union ist China. Und blickt man auf die Potenziale, so sieht man ja, wir haben einen, wir haben diese Chinapolitik. Viele reden jetzt von Derisking. Und wenn man dann die Potenziale anschaut, und trotzdem ist China immer noch ein entscheidender Punkt in der Beschaffungsstrategie. Aber schaut man mal an China vorbei, so erkennt man, dass Indien und Südostasien, vor allem Indien, sehr stark aufholt, Südostasien natürlich auch attraktiv ist, wobei man die beiden Märkte nicht miteinander vergleichen kann. Andere Potenziale sind natürlich dann auch noch außerhalb der Europäischen Union in Europa zu suchen. Denn auch innerhalb Europas haben wir bei weitem noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft. Da liegen noch viele Potenziale mehr oder weniger auf der Straße. Das muss nicht nur aus Osteuropa sein, es kann auch in Südeuropa sein, in Südosteuropa oder in der Türkei. Wichtig ist, dass man dann eben diese, dass man sich einen Überblick über diese Beschaffungsregionen verschafft, auch dann um die Struktur dieser Beschaffungsregionen eigentlich auch weiß. Denn nicht jedes Land, nicht jede Region kann mit denselben Vorteilen und mit denselben Benefits aufwarten.

Sehen Sie auch im Westbalkan ungenutzte Potenziale?

Holzgrefe: Also auf jeden Fall zählen wir als BME den Westbalkan dazu. Seit neun Jahren machen wir im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz und in Zusammenarbeit mit den Auslandshandelskammern des westlichen Balkan die Einkaufsinitiative Westbalkan. Man sieht, dass da Unternehmen immer noch Potenziale finden. Es geht ja bei der ganzen Thematik, wenn man sich das Thema Global Sourcing anschaut, neben Diversifizierung und Risikomanagement natürlich auch um das Thema Local for Local oder Nearshoring. Local for Local heißt, ich suche mir einfach die besten Potenziale, möglichst nahe zur Produktion. Das kann in Europa sein, muss es allerdings nicht, kann auch in Asien sein. Und es geht natürlich durch die Verkürzung der Lieferketten darum, sie weniger risikoanfällig zu machen. Der Westbalkan hat in den letzten Jahren eine wirklich steile Entwicklung gemacht. Die Länder im westlichen Balkan mit unterschiedlicher Ausprägung. Aber insgesamt kann man sagen, da ist eine deutliche Qualitäts- und Effizienzentwicklung zu verzeichnen. Das spüren wir, merken wir und kriegen wir auch gespiegelt durch unsere Einkäufer. Also da ist es auf jeden Fall wichtig, dass man hinschaut. Da muss man allerdings wissen, in welche Warengruppen wir da reinschauen. Und wenn ich es eher so gerade gesagt habe, dann habe ich da einen sehr engen Warengruppenblick, weil wir gehen, wenn wir in den westlichen Balkan gehen, hauptsächlich in die Bereiche Metallbau, Elektronik, Schweiß-Baugruppen, Zeichnungsteile, also Production Materials. In anderen Warengruppenbereichen sieht nachher auch die Verteilung innerhalb der EU- und Nicht-EU-Länder natürlich dann wieder ganz anders aus als jetzt in unserem Projekt. 

Die nächste Veranstaltung der Einkaufsinitiative findet im Juni in München statt.– Den Link dazu finden Sie in den Shownotes.

Über die Situation auf dem Westbalkan wird gleich noch GTAI-Korrespondent Martin Gaber berichten, der vor Ort arbeitet. Er sagt: 

Gaber: Vielleicht noch so ein Produkt, das mir immer noch im Kopf geblieben ist, ist ein E-Bike. Es war eine Sonderanfertigung für den Fußballer Cristiano Ronaldo. Hergestellt in Bosnien Herzegowina. Auch für ein deutsches Unternehmen. Also auch eine Zulieferung. Und das hat mir dann auch noch mal so gezeigt, was alles möglich ist und wie groß eigentlich das Spektrum ist und wie weit man manche Bereiche denken muss. 

Doch zuerst geben wir Ihnen noch ein paar wichtige Hintergrundinformationen – in unserer Rubrik: 

„Konkret und kompakt“: 

Was Sie zum Beschaffungsmarkt Westbalkan wissen sollten. 

Westbalkan – das sind Albanien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien, Serbien und Kosovo. Vor allem vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges wachsen die Bemühungen, den Westbalkan mit seinen 18 Millionen Menschen enger an die EU zu binden, schon allein aus Sicherheitsgründen und um den Einfluss von Russland zu vermindern.

Alle Länder haben mit der Europäischen Union sogenannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen geschlossen. Solche Abkommen schließt die EU mit allen Beitrittskandidaten. Sie dienen der Vorbereitung des Beitritts, bieten aber auch heute schon erhebliche Erleichterungen, von denen Importeure profitieren können. So sind zum Beispiel mengenmäßige Beschränkungen von Im- und Exporten verboten. Außerdem gibt es für die meisten Waren Zollreduktionen oder sogar Zollfreiheit. Hinzu kommt, dass Zollgesetze sowie Produktstandards und Normen schrittweise an diejenigen der EU angeglichen werden. Ganz ohne Formalitäten geht es allerdings leider nicht, schließlich gelten die Erleichterungen nur für solche Waren, die ihren Ursprung im jeweiligen Vertragsstaat haben. Und das muss nachgewiesen werden, und zwar mit dem Formular EUR1 oder einer Ursprungserklärung auf der Rechnung, wenn der Wert 6.000 Euro nicht übersteigt. 

Aber auch abseits des Zoll-Themas bieten die Abkommen viele Erleichterungen. Insbesondere stellen sie Unternehmen aus der jeweils anderen Vertragspartei unter ihren Schutz, zum Beispiel indem sie Diskriminierungen wegen der Herkunft weitgehend verbieten. Für Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften deutscher Unternehmen im Westbalkan gelten also dieselben Rechte und Pflichten wie für heimische Unternehmen. Sie müssen keine besonderen Steuer- oder Abgabenlasten schultern. Für Tochtergesellschaften von Unternehmen aus der EU gilt außerdem, dass sie Immobilien nicht nur mieten, sondern auch kaufen dürfen. Und für Arbeitskräfte gibt es zwar noch keine volle Arbeitnehmerfreizügigkeit, aber immerhin Erleichterungen für bestimmte Fach- und Führungskräfte.   

Zusammenfassend gilt: anders als die allermeisten Beschaffungsmärkte rückt der Westbalkan immer näher an die EU heran, mit allen Vorteilen, die das bringt. 


Jetzt also springen wir mit Martin Gaber mitten hinein in den Beschaffungsmarkt Westbalkan. Seit drei Jahren verfolgt er für Germany Trade & Invest von Belgrad aus die wirtschaftliche Entwicklung direkt vor Ort.  Vorher war Martin Gaber in Bosnien und Herzegowina tätig und hat auch in Sarajewo gelebt. 

Herr Gaber, Sie kennen die Region genau. Verraten Sie uns doch mal, was am Westbalkan für deutsche Unternehmen so spannend ist. 
 

Gaber: Der Westbalkan ist gerade die Option, die quasi direkt vor der Haustür liegt. Der LKW steht eigentlich aus jeder Ecke in der Region innerhalb von 48 Stunden auf dem Werksgelände in in Deutschland. Die geografische Nähe ist aber gar nicht das einzige. Es gibt auch einige Branchen, die spannend sind, die sich gut entwickeln, die wachsen und daher auch als Beschaffungsoption ins Blickfeld rücken sollten. Das reicht von klassischen Industrien wie Metall oder der Holzverarbeitung bis hin zur IT-Branche. Und gleichzeitig stimmt das Gesamtpaket. Also die Qualität ist gut. Viele Unternehmen liefern bereits in die EU. Die Kosten sind wettbewerbsfähig und einige Länder können auf eine starke industrielle Basis zurückgreifen, die noch auf dem Knowhow beruht aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das macht für ein deutsches Unternehmen dann den Einstieg leichter, weil der Geschäftspartner vor Ort dann direkt weiß, wovon man spricht. Aber anders als früher ist es nicht mehr so, dass es viele staatliche Großbetriebe gibt, sondern kleine, mittlere Unternehmen, häufig auch in Familienbesitz. Das heißt für den deutschen Kunden schnelle Reaktion, kurze Lieferzeiten. Und da kann man gut auf aktuelle Entwicklungen, zum Beispiel wenn sich die Nachfrage verändert, steigt, sinkt, reagieren und auch die Mengen leichter anpassen.

 Kam das Interesse erst seit der Pandemie?

Gaber: Es ist tatsächlich schon vor der Pandemie auf dem Plan gewesen, aber spätestens seit der Pandemie hat man noch mal einen Boom erlebt, hat gesehen, wie sich die Handelszahlen, also die bilateralen Handelszahlen zwischen Deutschland und der Region zweistellig positiv, also in zweistelligen Prozentsätzen positiv entwickelt haben. Und auch als Investitionsstandort ist der Westbalkan noch mal verstärkt ins Blickfeld gerückt. Also davor schon. Aber jetzt nochmal, nochmal ganz verstärkt.
 

Und das, obwohl keins der Länder EU-Mitglied ist …

Gaber: Der Westbalkan ist ja komplett von EU Mitgliedsstaaten umschlossen, aber tatsächlich sind die Länder noch nicht Mitglied. Allerdings hat die EU mit dem, das nennt sich Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, ein umfassendes Freihandelsabkommen mit der Region. Das heißt, der Handel funktioniert für fast alle Produkte zollfrei. Es gibt aber auch Hindernisse. Das sind einmal die Formalitäten, die müssen trotzdem durchlaufen werden. Da kommt man dann nicht drum herum. Und es gibt eben die EU-Außengrenze, an der die LKWs dann mehrere Stunden stehen. Aber beides kann man ganz gut in die Prozesse einplanen. Da geht es dann um Stunden oder Tage und nicht um um Wochen und Monate, wie es dann vielleicht bei einem Containerschiff der Fall ist. Mittlerweile haben auch alle Länder einen Antrag auf EU-Mitgliedschaft gestellt, sind im Annäherungsprozess aber unterschiedlich weit. Auch der Wille, Motivation, vielleicht auch die Begeisterung für den EU-Beitritt ist nicht überall gleich groß. Beispiel Serbien: Da will man schon irgendwie in die EU, aber gleichzeitig will man gute Beziehungen, enge Beziehungen zu Russland haben, enge Beziehungen zu China. Dann noch der Konflikt mit Kosovo, der alleine in 2023 einiges an Eskalationspotenzial hatte. Das sind zwar dann keine direkten Hürden, Hemmnisse. Aber das verunsichert die Unternehmen dann doch und ist am Ende so ein Punkt, dass selbst wenn es ein gutes Angebot oder einen spannenden Lieferanten gibt, entscheidet man sich dann vielleicht manchmal doch für eine andere Option.

Herr Gaber, Sie haben sich mit einer Studie zum Thema Sourcing-Chancen auf dem Westbalkan beschäftigt. Was haben Sie da rausgefunden? 

Gaber: Zum einen, und das ist wahrscheinlich das Wichtigste, dass die Region zunehmend in die Lieferketten deutscher Betriebe und auch EU-Betriebe integriert ist. Und gleichzeitig hat man es auch gesehen, dass es schon vor Covid der Fall war, dass deutsche Unternehmen bei Investitionen den Westbalkan verstärkt im Blick haben. Gerade als Produktionsstandort für Europa nach dem Motto Local for local, also Produktion in Europa für Europa, was dann häufig auch unter das Stichwort Nearshoring fällt. Dann haben wir noch entdeckt, auch wenn wir ständig vom Westbalkan sprechen, dass die Länder ganz unterschiedliche Schwerpunkte und Stärken haben. Das macht es ja auch gerade so spannend. Ich habe da paar Beispiele auch mitgebracht, zum Beispiel für die für die Holzverarbeitung oder die Möbelindustrie ist Bosnien Herzegowina ein sehr spannendes Land. Die halbe Landfläche ist mit Wald bedeckt, also man hat eine sehr, sehr gute Rohstoffbasis. Und dann kommt noch hinzu, dass es vor Ort viele Unternehmen mit Knowhow gibt. Das sind die einen, die in großen Mengen produzieren für ein skandinavisches Möbelhaus. Andere wiederum produzieren ganz hochwertige Designerware. Das sind dann Produkte, die selbst auf internationalen Messen wie der IMM in Köln herausstechen und Designpreise gewinnen. Das Angebot geht aber auch schon darüber hinaus also bis zu ganzen Fertighäuser in Holzbauweise.

Und was ist mit den anderen Ländern des Westbalkans?

Gaber: Wenn man dann so ein bisschen weiterreist durch die durch die Region. Albanien. Sehr spannender Standort für die Bekleidungs- und Schuhindustrie. Da gehen derzeit noch fast alle Ausfuhren nach Italien, weil bekannte italienische Modelabels, die man auch von internationalen Laufstegen durchaus kennt, in Albanien fertigen lassen. Und wenn wir dann wieder den Schwenk durch die Region machen in Richtung Kosovo, dann ein ganz anderes Bild. Da steht die Industrie weniger im Fokus. Kosovo hat eine sehr junge Bevölkerung mit einem Durchschnittsalter von circa 35 Jahren und die sind sehr digital unterwegs, sehr sprachbegabt. Nirgendwo sonst in der Region habe ich so viel Deutsch gehört wie auf den Straßen in Pristina. Da spielt dann eher die IT-Branche eine eine ganz herausragende Rolle. Vor allem für Softwarelösungen ist das natürlich ein super spannendes Land und selbst Deutschlands wertvollste Startup Celonis, die haben ja einen Marktwert von über 10 Milliarden US Dollar, selbst die haben schon ein Büro in Pristina. Und wenn man dann wieder zum Beispiel in die Industrie geht und sich die Automobilindustrie ansieht, dann findet man da ganz attraktive Optionen in der Region, zum Beispiel in Mazedonien und Serbien, wo richtige Cluster für die Zulieferindustrie entstanden sind, auch Bosnien Herzegowina. 

Das klingt sehr vielfältig.

Gaber: Also grundsätzlich ist die Palette ziemlich breit, die wir am Westbalkan sehen, also von kleinen Kunststoffkomponenten für den PKW, über Himbeeren bis hin zu hochkomplexen Sportdisplays oder ganzen Straßenbahnen. Ich glaube, dass in fast jedem PKW aus Deutschland auch Komponenten vom Westbalkan verbaut sind. Das sieht man jetzt über die letzten Jahre, dass der Technologiefokus zunimmt. Es gibt mittlerweile auch Online-Spiele. Wenn Sie gerne Online-Spiele spielen, dann besteht auch da die Möglichkeit, dass das Spiel tatsächlich hier in der Region entwickelt wurde. Ich habe das Thema Borddisplays angesprochen, hochkomplexe Produkte für die Automobilindustrie. Man merkt einfach diesen stärkeren Fokus auf technologiebasierter Produktion. Aber ganz grundsätzlich: Wenn man es umfasst, auch beim ungenutzten Potenzial, die Beschaffungsmöglichkeiten in einer Vielzahl von Branchen, Bereichen, Metallverarbeitung, Kunststoffverarbeitung, Holzverarbeitung, Bekleidungs- und Schuhindustrie, Autozulieferindustrie hatte ich ja erwähnt, aber tatsächlich auch in der Landwirtschaft und dem IT-Bereich. Und das muss man alles sehr, sehr breit auch denken. 

Sie erwähnten vorhin Himbeeren. Die sind wirklich ein Exportschlager? 

Gaber: Ja, das klingt, das klingt so banal mit dem mit dem Thema Himbeeren. Aber tatsächlich ist es so, dass wenn man in den Supermarkt geht, in Deutschland und Himbeeren kauft, vor allem jetzt, also die gefrorenen Himbeeren, dann ist die Wahrscheinlichkeit schon sehr, sehr groß, dass die Himbeeren irgendwo auf dem Westbalkan gepflückt wurden.

Gibt es da noch mehr Überraschendes? 

Gaber: Vielleicht noch so ein Produkt, das mir immer noch im Kopf geblieben ist, ist ein E-Bike. Es war eine Sonderanfertigung für den Fußballer Cristiano Ronaldo. Hergestellt in Bosnien Herzegowina. Auch für ein deutsches Unternehmen. Also auch eine Zulieferung. Und das hat mir dann auch noch mal so gezeigt, was alles möglich ist und wie groß eigentlich das Spektrum ist und wie weit man manche Bereiche denken muss, weil auch dieses bei uns, wenn man so sieht, also der Rahmen, ist ja im Prinzip Metallverarbeitung, nur dann vielleicht etwas anders gedacht.

Tatsächlich gibt es sehr viele Hidden Champions, wenn man es vielleicht so nennen will, in der Region, wo man sich denkt: Was, das hier auf dem Westbalkan? Ich war vor zwei Jahren im Kosovo. Da steht eine der größten Matratzenfabriken der Welt. Ich war beeindruckt, nicht nur von der Größe, sondern dass dass im Unternehmen auch fast nur Maschinen und Anlagen made in Germany standen. Also dieses Zusammenspiel größte Fabrik und alles Made in Germany war schon sehr beeindruckend.

Kann man das Interesse am Westbalkan auch an Zahlen ablesen?

Gaber: [00:16:49] Können wir, klar, also die Betriebe in der Region, ich habe es erwähnt, sind mittlerweile gut in die Lieferketten der deutschen Betriebe integriert, auch in die Lieferketten der EU-Betriebe. Und zwar hat sich zum Beispiel der Handel zwischen der Region und Deutschland in den letzten sieben, acht Jahren verdoppelt, liegt bei mittlerweile über 16 Milliarden €. Die Region wickelt jetzt 14, 15 % ihres Außenhandels mit Deutschland ab, rund 60 % mit der EU. Und wir merken zunehmend, dass auch bei den Investitionen, die aus Deutschland kommen, der Westbalkan verstärkt im Fokus ist. Wir haben es mal ausgerechnet, das ist wirklich sehr konservativ gerechnet, dass deutsche Unternehmen rund 3,5 Milliarden € bislang in der Region investiert haben und wohl so um die 120.000 Arbeitsplätze geschaffen haben. 

Wäre der Westbalkan vielleicht sogar eine Alternative zu China?

Gaber: Das sollte man sich zuerst die Verhältnisse ansehen. Auf dem Westbalkan leben rund 18 Millionen Menschen. Also wenn wir jetzt alle Länder, alle sechs Länder zusammenrechnen. China ist rund 80 Mal größer. Und die Wirtschaftsleistung von China wahrscheinlich 150 Mal größer. Das sind ganz, ganz unterschiedliche Welten und und verschiedene, ja auch ganz andere Dimensionen. Das heißt, am Ende kommt es sehr darauf an, welches Produkt man beschaffen möchte und in welchen Mengen. Wenn jetzt ein international agierender Konzern kommt und sagt, er möchte seinen Einkauf auf den Westbalkan konzentrieren, dann muss man, glaube ich, ganz ehrlich sagen: Die Wahrscheinlichkeit, dass es klappt, ist sehr gering. Aber für den deutschen Mittelständler kann der Westbalkan absolut eine Option sein. Die Struktur der Unternehmen dort mit familien- und inhabergeführten Betrieben ist, würde ich sagen, sehr ähnlich unserer Struktur in Deutschland. Das kann dann gut funktionieren. Häufig sehen die Unternehmen den Westbalkan auch als Ergänzung zu China. Es heißt dann oft China plus eins, China plus One. Und der Westbalkan ergänzt dann in der Beschaffung. Er ist also nicht wirklich eine Alternative, aber eine Ergänzung. 

Soweit also spannende Insider-Einblicke von Martin Gaber, Korrespondent für GTAI in Belgrad. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich lassen jetzt schon die Himbeeren nicht mehr los. Einen Dank also nach Belgrad. Ebenso bedanken wir uns bei Olaf Holzgrefe für das  Interview zur generellen Situation der Beschaffungsmärkte und die Herausforderungen für Einkäufer. 

Das war der Weltmarkt-Podcast zum Thema Beschaffung - wie immer freuen wir uns über Ihr Feedback, Ihre Anregungen und Fragen. Unseren Kontakt finden Sie in den Shownotes. Hier noch der Hinweis: In unserer Folge vom März 2023 hatten wir uns bereits mit Beschaffungsmärkten von seltenen Erden beschäftigt. Und bei gtai.de finden Sie noch viel mehr zum Thema Lieferketten und Beschaffung.  Schon als Ausblick: Im Laufe des Jahres 2024 werden sich Expertinnnen und Experten von Germany Trade & Invest unter anderem ganz besonders mit dem Beschaffungsmarkt Indien beschäftigen. Herr Holzgrefe vom BME hatte ja ebenfalls auf die Bedeutung von Indien hingewiesen.

Den nächsten Weltmarkt-Podcast gibt es Ende Februar: Wir nehmen den internationalen Frauentag zum Anlass, um mit Unternehmerinnen und Unternehmern zu sprechen, die zum Teil sehr schwierige Märkte erschließen ... 

Bis dahin alles Gute - Ihr Team vom Weltmarkt-Podcast! 

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