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Special | Slowakei | Krieg in der Ukraine

Slowakische Wirtschaft hochabhängig von russischen Energieträgern

Der Krieg im Nachbarland bremst die Erholung. Im Vordergrund steht die Versorgung der Geflüchteten. Die Unternehmen ringen mit Preisschocks und rechnen mit Zulieferproblemen.

Von Miriam Neubert | Bratislava

Durch die fast 100 Kilometer lange Grenze mit der Ukraine ist die Slowakei sehr nahe am Geschehen. Sicherheit und Solidarität haben einen neuen Stellenwert erhalten. Das Parlament stimmte Mitte März 2022 der Stationierung von NATO-Soldaten zu. Beim Anschluss der Ukraine an das europäische Stromnetz synchronisierte Netzbetreiber SEPS an der slowakischen Schnittstelle die Elektrizitätssysteme.

Geflüchtete auch auf dem Arbeitsmarkt willkommen

Eine Brückenfunktion kommt der Slowakei auch bei der Aufnahme der geflüchteten Menschen zu. Allein bis Mitte März waren fast 250.000 Personen, vorwiegend Frauen und Kinder, über die Grenze geflohen. Die meisten dürften weiterziehen. Gut ein Zehntel aber beantragte bereits befristeten Schutz. Dadurch können die Betroffenen Arbeit suchen, ihre Kinder in Schulen geben und Gesundheitsversorgung erhalten. Die Regierung schätzt, dass diese Zahl um mindestens 100.000 steigen könnte.

Auf dem Arbeitsmarkt werden Chancen gesehen. Es gibt 82.000 offene Stellen. Schon vor Ausbruch des Krieges arbeiteten mehr als 19.300 ukrainische Staatsangehörige im Land. Sie stellen seit Jahren die Hälfte der Arbeitnehmenden aus Drittstaaten und schließen besonders auf den Baustellen und im Transportwesen, aber auch in Industrie und im Gesundheitssektor Lücken auf dem Arbeitsmarkt.

Schwächere Konjunktur, hohe Inflation

Die Wirtschaft ist 2021 nur um real 3 Prozent gewachsen, hat das Niveau vor Corona nicht ganz erreicht. Gerade die wichtige Automobilindustrie lief im 2. Halbjahr wegen des Halbleitermangels schlechter. Preise für Vorprodukte, Rohstoffe, Energie zogen stark an.

Beide Probleme - Lieferketten und Inflation - werden durch den Krieg verschärft. Im Februar 2022 erreichte der Zuwachs der Verbraucherpreise 8,3 Prozent. Um den Preisauftrieb für die Haushalte einzugrenzen, hat die Regierung mit dem größten Energieerzeuger Slovenské elektrárne vereinbart, die Preise für private Endabnehmer bis 2024 stabil zu halten. Im Gegenzug zog sie eine angedrohte Sonderbesteuerung zurück. Auch mit dem Lebensmittelhandel unterschrieb sie eine Erklärung, die bei 13 Grundnahrungsmitteln die Margen im Zaum halten soll.

Im besten Fall gehen Experten 2022 von einem nur leicht gebremsten Wachstum des Bruttoinlandsprodukts bei hoch bleibender Inflation aus. Das schätzte die Hälfte von 64 Wirtschaftsvertretern, die die Fachzeitschrift Trend in der dritten Woche der Invasion befragte. Mit einem starken Wachstumsrückgang bei hoher Inflation rechnete ein Viertel. Die Slovenská sporiteľňa etwa hat ihre Prognose zunächst um einen Prozentpunkt auf 2 Prozent gesenkt, schloss aber eine stärkere Revision nicht aus.

Industrie fürchtet weitere Eskalation

Kommt es zu einer Eskalation, die russische Gas- oder Öllieferungen in die Slowakei blockieren würde, droht eine Rezession. Die Wirtschaftsvereinigung Klub 500 und die Slowakische Handels- und Industriekammer warnten die Regierung davor, solchen Sanktionen zuzustimmen, da sie für die Industrie verheerend wären. Schon die Preisschocks setzen den Unternehmen schwer zu - und das nicht nur in energieintensiven Schwerindustrien wie Chemie oder Metallerzeugung.

In einer Studie schätzt Kreditversicherer Euler Hermes, dass ein Verzicht auf Gasimporte aus Russland in der Slowakei fast 26 Prozent des Energieendverbrauchs betreffen würde. Nur Ungarn sei noch schwerer betroffen.

Beim Kernbrennstoff sind die beiden slowakischen Atomkraftwerke komplett vom russischen Konzern TVEL abhängig. Um Reserven sicherzustellen, sind Anfang und Mitte März zwei Flugzeuge mit Lieferungen aus Moskau eingetroffen. Atomkraft erzeugt in der Slowakei 55 Prozent des Stroms.  

Exporte verschmerzbar, Importe nicht

Vom Wert der ausgetauschten Waren her liegt Russland auf Rang 9, die Ukraine auf Rang 21 der Außenhandelspartner. Ausfuhrseitig fallen beide kaum ins Gewicht. Nach vorläufigen Angaben des Slowakischen Statistikamts machten 2021 die Exporte nach Russland 1,5 Prozent der Gesamtausfuhren aus, die in die Ukraine 0,9 Prozent.

Drei Viertel der Warenlieferungen nach Russland im Wert von 1,3 Milliarden Euro waren Autos und Kfz-Teile, Maschinen und Elektronik. Dem Wirtschaftsjournal Trend zufolge geht es um etwa 5 Prozent der jährlichen Pkw-Produktion. Hersteller mit Werken in der Slowakei wie Volkswagen und Jaguar Land Rover haben die Lieferungen nach Russland bis auf Weiteres eingestellt.

Über Direktinvestitionen sind slowakische Unternehmen so gut wie nicht exponiert. In Russland halten sie nur 0,7 Prozent des Gesamtbestands im Ausland, in der Ukraine 1,7 Prozent. 

Die Achillesferse zeigt sich auf der Importseite. In Russland kaufte die Slowakei 2021 Waren im Wert von 4,8 Milliarden Euro. Das waren 6,4 Prozent ihrer Gesamtimporte. Es handelte sich zu 86 Prozent um fossile Energieträger.

Detaillierteren Zahlen von Eurostat zufolge bezog die Slowakei 97 Prozent ihrer Erdgasimporte und 95 Prozent des Erdöls aus Russland. Hoch ist mit 43 Prozent auch die Abhängigkeit bei Eisenerz und Konzentraten. Da weitere 50 Prozent aus der Ukraine kommen, trifft der Krieg 93 Prozent der slowakischen Eisenerzimporte. 

Neue Herausforderungen in den Lieferketten

Neben Rohstoffen und Materialien geht es im Fall der Ukraine auch um Teile und Komponenten. So musste Volkswagen Slovakia die Produktion von SUV teilweise unterbrechen. Als Grund nannte das Unternehmen gegenüber der Wirtschaftszeitung Hospodárske noviny den fortgesetzten Mangel an Mikrochips in Kombination mit dem Ausfall einiger Teile aus der Ukraine.

Auf den exportorientierten Kfz-Zuliefersektor dürften auch Produktionseinschränkungen in deutschen Autowerken zurückwirken, denen Kabelbäume aus der Ukraine fehlen. Zugleich sind gerade in diesem Segment in der Slowakei noch einige Unternehmen verblieben. So hat der Spezialist für Bordnetzsysteme Leoni, dessen ukrainische Fabriken stillstehen, Produktionswerke in der Slowakei. Weitere sind die zu Sumitomo gehörende Gesellschaft SE Bordnetze Slovakia, Yasaki Wiring, Kromberg & Schubert oder Yura Eltec.

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