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Somaliland – das andere Somalia
Ein "Wunder am Horn von Afrika" und einen "Boom" hat der Spiegel ausgemacht. Somaliland gilt auch für ausländische Firmen als attraktiv, gerade im Vergleich mit dem Rest Somalias.
03.05.2022
Von Ulrich Binkert | Bonn
Um die 20 Firmen der Logistikbranche aus Somaliland werden Hannover, Hamburg, Bremen und Bremerhaven Ende Mai 2022 besuchen. Aus deutscher Sicht geht es um Geschäftschancen hauptsächlich um den Hafen Berbera, den der emiratische Konzessionär DP World gerade ausbaut. Somaliland – was ist das?
Somalia und Somaliland
Somaliland ist völkerrechtlich ein Teilstaat der föderalen Republik Somalia. De facto entwickelt sich das Gebiet jedoch eigenständig, seitdem es sich 1991 für unabhängig erklärte, inmitten des Zerfalls Somalias zu einem "gescheiterten Staat". Die beiden Gebiete waren schon vor der Unabhängigkeit Somalias 1960 getrennt, Somaliland als Kolonie der Briten und die anderen Gebiete von Italien. Diplomatisch anerkannt ist Somaliland nur von Taiwan, enge Beziehungen gibt es aber unter anderem in die Vereinigten Arabischen Emirate.
Wegen der fehlenden internationalen Anerkennung mussten Behörden in Somaliland selber für Bildung, Gesundheit oder Polizei aufkommen und dafür ein funktionierendes Steuersystem aufbauen. Dies stärkte das Gemeinschaftsgefühl. Hier gelang es, Milizen zu entwaffnen und Clans miteinander zu versöhnen. Machtwechsel verlaufen einigermaßen geordnet.
Behörden "sind weiter"
"Somaliland und (das ebenfalls sehr autonom agierende) Puntland sind stabiler und bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie weiter als die übrigen föderalen Gliedstaaten Somalias", heißt es in einer internen Einschätzung offizieller Beobachter. Dies ist womöglich ein Grund dafür, dass ausländische Ölfirmen in Somaliland schon 2023 eine erste Explorationsbohrung einbringen dürften. Und dafür, dass sich gleichzeitig in Somalias Hauptstadt Mogadischu Behörden über Lizenzen streiten, die für vermutete Offshorevorkommen zu vergeben sind. Auch die für Investitionen wichtige Diaspora von Auslandssomaliern findet in Somaliland das bessere Geschäftsumfeld vor. Das Somaliland Diaspora Office in Hargeisa schätzt die Zahl der Somaliländer im Ausland auf eine Million, das ist fast ein Viertel der Bevölkerung zu Hause.
Strategische Lage hilft
Nach einem Vertrag von 2016 will Äthiopien laut Presseangaben 30 Prozent seines Außenhandels über Berbera abwickeln. Dies ginge zulasten von Dschibuti, heute praktisch der Monopolhafen für Äthiopiens seegestützte Ein- und Ausfuhren. Dort war Berbera-Konzessionär DP World 2018 aus einer laufenden Konzession gedrängt worden. Eine Schwesterfirma von DP World hat zudem den Flughafen Berbera modernisiert, mit Geld aus den Emiraten wird gerade ein "Straßenkorridor" nach Äthiopien gebaut.
Sicherheitslage ist relativ gut
Somalia gilt für die meisten deutschen Geschäftsleute als No-go-Area, auf Landkarten zur Reisesicherheit ist das Land tiefrot eingefärbt. Der nordwestliche Zipfel hingegen, Somaliland also, erscheint auf genaueren Karten deutlich heller. "Mogadischu müssen wir nicht unbedingt besuchen", sagt ein deutscher Expat, der für den Vertrieb seiner Nahrungsmittelmaschinen von Kenia aus ab und an einen Blick nach Somalia wirft. "Somaliland ist aber zugänglich." Auch Benedikt Böhm war schon öfter in Somaliland. "Das ist eines der sichersten Länder in Ostafrika", sagt der Geschäftsführer von DHYBRID aus Gauting bei München. Sein Unternehmen hat in Berbera ein hybrides Stromnetz aus Energiespeicher- und Fotovoltaikanlagen installiert. In der Hafenstadt und in Somalilands Hauptstadt Hargeisa könne man sich frei bewegen, aber "nach Mogadischu im benachbarten Somalia würde ich nicht unbedingt gehen."
Gute Erreichbarkeit
Somaliland ist mit den zwei internationalen Flughäfen Berbera und Hargeisa gut erreichbar. Hargeisa wird derzeit täglich aus der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba angeflogen und mehrmals wöchentlich aus Nairobi und Dubai. Europäer erhalten gemäß den Einwanderungsbestimmungen von Somaliland ein Visum bei Ankunft. Nötig ist hierfür laut Auswärtigem Amt eine Einladung als Nachweis des Aufenthaltszwecks.
Wirtschaftskraft höher als im Rest Somalias
Die Wirtschaftsleistung in Somalia kann in Abwesenheit verlässlicher Statistiken nur grob geschätzt werden. Klar ist jedoch, dass sie sehr niedrig ist. Der Internationale Währungsfonds kommt für 2020 auf 471 US-Dollar (US$) pro Kopf, noch weniger war es nur in Madagaskar, Mosambik und Burundi. Für Somaliland kommt die gebietseigene Statistikbehörde in Hargeisa auf immerhin knapp 700 US$. Über ein Viertel der Bevölkerung Somalias lebt in Somaliland. Damit fällt dort das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, rein rechnerisch, fast doppelt so hoch aus wie im Rest von Somalia.
Indikator | Somalia | Somaliland |
---|---|---|
Bevölkerung (Millionen) | 14,8 | 4,2 |
BIP (Millionen US$) | 6.965 | 2.927 |
BIP pro Kopf (US$) | 471 | 697 |
Deutsche Firmen sind praktisch nicht da
"Das muss dann die andere deutsche Firma im Land sein", meint scherzhaft ein deutscher Berater mit gelegentlichen Reisen nach Somalia, als er von den hybriden Stromnetzen aus Deutschland in Mogadischu und Berbera hört. Unternehmen finden den kleinen Markt Somalia und offizielle Reisewarnungen wenig anziehend. Allerdings gibt es auch einen "riesigen Mangel an Information und Verständnis", sagt die somalisch-amerikanische Beraterin Hodan Hassan in Kenias Hauptstadt Nairobi. Hassan organisiert im Juni 2022 mit ihrer Firma DAI eine Reise europäischer Entwicklungsbanken nach Somalia und – schwerpunktmäßig – Somaliland.
Geschäftsmöglichkeiten sehr begrenzt, aber vorhanden
In Somalia inklusive Somaliland sind üblicherweise preiswerte Lösungen gefragt. So in der Bauwirtschaft, deren Maschinen laut Förderbehörde SomInvest ausschließlich gebraucht ins Land kommen. Beim Ausbau der Infrastruktur tut sich wenig, mit seinem erweiterten Hafen in Berbera und dem geplanten Transportkorridor nach Äthiopien geht da in Somaliland noch relativ viel. Auch das größte bekannte und gesicherte laufende Einzelprojekt in Somalias rudimentärer Wasserversorgung liegt in Somaliland, mit einem Vorhaben der KfW in Hargeisa.
Eine nennenswerte verarbeitende Industrie gibt es weder in Somalia noch in Somaliland. Das Land muss praktisch alle Industriegüter importieren, auch eine Lebensmittelverarbeitung ist nur in Ansätzen vorhanden.
Unternehmen | Produkt | Anmerkungen |
---|---|---|
National Steel Industries, Hargeisa | Stahlerzeugnisse | "über 1.000 Beschäftigte"; gehört zu Somaliland National Industries |
Laas Group, Hargeisa | Nahrungsmittel, Getränke | wird nach Brancheneinschätzung wegen Mittelknappheit "auf absehbare Zeit keine größeren Investitionen durchführen können"; Firmen an einem Standort 25 km außerhalb von Hargeisa, weil dort Wasser ist |
- SBI | Coca-Cola u.a. Getränke | seit 2010; "größte Getränkefabrik Somalilands"; über 100 Beschäftigte |
- Lis | Milchprodukte | produziert seit 2017; über 60 Beschäftigte |
- Miiran | Säfte | produziert seit 2018 |
U-Fresh, Hargeisa | Getränke; Nahrungsmittel | über 60 Beschäftigte |
Papiererzeugnisse | "einzige Papierfabrik in Somaliland und Somalia"; rund 50 Beschäftigte | |
Somtuna | Thunfisch | im Bau; soll Mitte 2022 in Betrieb gehen; etwa 400 Beschäftigte geplant; Anlagen bereits beschafft |
National Flour Mills, Berbera | Getreidemühle | nach Brancheninformationen: jemenitischer Investor, produziert noch nicht und baut noch einzelne Anlagen zu |
Boodhari Mills, bei Hargeisa | Getreidemühle | in Betrieb |
Kontakt | Anmerkungen |
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Mustafa Yusuf Ismail | Vertreter von Somaliland in Deutschland; E-Mail: mustafa.ismail@somalilandembassy.de, mustafa_yi@yahoo.com; Tel: 0162 19 66 982; mit Informationen zur geplanten Somaliland-Delegation nach Norddeutschland im Mai 2022 |
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