Wirtschaftsumfeld | Spanien | Arbeitsmarkt, Lohn- und Lohnnebenkosten
Arbeitsmarkt
Die Beschäftigung befindet sich mit rund 21 Millionen Registrierten bei der Sozialversicherung auf Rekordniveau. Unternehmen haben häufig Probleme, passende Bewerber zu finden.
18.09.2023
Von Oliver Idem | Madrid
Spanien hat aus der Coronakrise herausgefunden und überschreitet 2023 das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung. Das Wirtschaftswachstum ist höher als im Durchschnitt von EU und Eurozone. Die Frühjahrsprognose der Europäischen Kommission geht im laufenden Jahr von 1,9 Prozent realem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Die Wirtschaftsleistung soll 2024 sogar um 2 Prozent zunehmen.
Spanien ist innerhalb der EU das Land mit der höchsten Arbeitslosenquote. Der Arbeitsmarkt weist dennoch einen positiven Gesamttrend durch den Abbau von Arbeitslosigkeit und Rekordzahlen bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf. Durch die Einschränkung von Befristungen nimmt zudem die Anzahl der festen Arbeitsverträge zu. Die Schere zwischen dem öffentlichen und privaten Sektor geht dabei zunehmend auseinander: Im 2. Quartal 2023 waren 14 Prozent der privatwirtschaftlichen Stellen befristet, jedoch rund 31 Prozent der Posten im Staatsdienst. In den vergangenen fünf Jahren enthielten in beiden Zweigen zumeist 20 bis 25 Prozent der Verträge eine Befristung.
Im Juli 2023 verzeichnete Spanien noch 2,8 Millionen Arbeitslose. Die Quote war bereits im 2. Quartal auf 11,8 Prozent gesunken. Damit erreichte sie den niedrigsten Stand seit 15 Jahren.
Die Europäische Kommission ging im April 2023 davon aus, dass der Aufschwung des spanischen Arbeitsmarkts anhalten wird. Gemessen in Vollzeitäquivalenten wird 2023 mit einem Beschäftigungsaufbau um 1,1 Prozent gerechnet. Im Folgejahr soll sich die Zunahme auf 1,3 Prozent beschleunigen.
Wenige Unternehmen gehen den Generationswechsel systematisch an
Die Alterung der spanischen Bevölkerung wirkt sich auch auf den Arbeitsmarkt aus. Da viele Ältere aus dem Berufsleben ausscheiden, werden Stellen frei und die Jugendarbeitslosigkeit sinkt. Laut einem Bericht der Wirtschaftszeitung Cinco Días verfügen jedoch nur 28 Prozent der Unternehmen über Strategien, um die altersbedingten Abgänge zu kompensieren. Solche Strategien umfassen zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Ausbildungsstätten, Mentoringprogramme und Praktika. Besondere demografische Herausforderungen bestehen in der Bauwirtschaft, dem Transportgewerbe, der Industrie und dem Gastgewerbe.
Offene Stellen zu besetzen ist für viele Unternehmen nicht einfach. Im August 2023 berichtete die Tageszeitung El Mundo beispielhaft über die Gastronomiebranche in der Region Madrid. Dort berichteten 57 Prozent der Betriebe über Schwierigkeiten bei der Personalsuche. Grundsätzlich mangelt es demnach nicht an Bewerbungen, häufig jedoch an Berufserfahrung, kurzfristigen Möglichkeiten zur Aufnahme einer Tätigkeit und zeitlicher Verfügbarkeit. Manche neuen Arbeitskräfte hätten zudem viele Bewerbungen auf den Weg gebracht und würden schnell wieder kündigen, wenn sich anderswo eine Chance ergebe.
Im Wettbewerb um Talente setzen Unternehmen häufig auf Flexibilität. Die Tageszeitung El País berichtete im August 2023, dass dies auf Arbeitsbeginn und Arbeitsende sowie Urlaubszeiten zutreffe. Demnach findet auch ein Arbeitszeitmodell von 8 bis 15 Uhr ohne die verbreitete lange Mittagspause Anklang bei Bewerbern. Gleiches gilt für Möglichkeiten zum Home Office und hybridem Arbeiten. Zudem öffnen sich Unternehmen verstärkt für diejenigen, die nicht alle Kriterien einer Ausschreibung erfüllen, aber Entwicklungspotenzial aufweisen.
Mehr Streiks und mehr ausgefallene Arbeitstage
Die Anzahl der Streiks nahm 2022 weiter zu. Mit 679 Streiks stiegen die Arbeitsniederlegungen um 63 gegenüber dem Vorjahr, so das Arbeitsministerium. Der streikbedingte Ausfall von Arbeitstagen schnellte noch wesentlich stärker in die Höhe. Die Zahl stieg um 68 Prozent auf rund 709.000 an.
Von Januar bis Ende April 2023 intensivierte sich das Streikgeschehen nochmals. Mit 313 Streiks wurden 64 mehr als in der gleichen Vorjahresperiode gezählt. Dadurch fielen knapp 237.000 Arbeitstage aus. Das entsprach einer Zunahme um rund 39 Prozent.
Der Dienstleistungssektor war mit Abstand am stärksten von den Arbeitsniederlegungen betroffen. Regional betrachtet konzentrierte sich das Streikgeschehen vor allem auf die Wirtschaftszentren Katalonien und Madrid.
Bevölkerung (in Mio.) *) | 47,5 |
Erwerbspersonen (Bevölkerung älter als 15 und jünger als 65 Jahre, in Mio.) | 23,1 |
Erwerbstätige (in Mio.) | 20,1 |
Arbeitslosenquote, offizielle (in %, nach ILO-Definition) | 12,9 |
Analphabetenquote (in %) | 3,6 |
Tertiärabschluss (Fachhochschul-, Universitäts- oder höherer technischer Berufsausbildungsabschluss der Erwerbspersonen unter 65 Jahre, in %) | 43,7 |
Auf der mittleren technischen Ebene, die in Deutschland durch die duale Ausbildung abgedeckt wird, kann es an praxiskundigem Nachwuchs mangeln. Die Regierung nutzt Mittel aus der Aufbau- und Resilienzfazilität der Europäischen Union, um Berufsbildung und Ausbildung zu verbessern.
Mechatroniker, Kfz-Mechatroniker, Elektroniker für Automatisierungstechnik und Industriemechaniker werden zunehmend von Niederlassungen deutscher Firmen in Kooperation mit der AHK Spanien ausgebildet. Dabei wird ein praktisches Jahr im Unternehmen auf die spanische zweijährige Berufsausbildung aufgestockt. Vorbild ist das deutsche duale System.
Fünf kaufmännische Ausbildungsgänge bieten die deutsche Auslandsberufsschule FEDA und die AHK Spanien in Kooperation an. Die Ausbildungen finden in den Tätigkeitsfeldern Hotel, Industrie, Spedition und Logistik sowie Einzelhandel, Groß- und Außenhandel statt.
Viele Wege führen zu neuem Personal
Die Suche nach neuen Mitarbeitern erfolgt häufig über Personalberatungsfirmen. Zu den größten gehören Randstad Empleo, Adecco Trabajo Temporal, Manpower Team, Eurofirms, Eulen Flexiplan und Hays. Ausgeschrieben wird darüber hinaus auf Jobportalen wie Infojobs, Trabajos und Monster. Soziale Medien sind eine weitere Quelle mit wachsender Bedeutung.
Universitätsabsolventen sind auf Recruiting-Messen anzutreffen. Auch in den Hochschulen werden Unternehmen fündig: Praktikumsplätze für ein halbes Jahr sind dort gefragt. Ähnlich verhält es sich mit Ausbildungsstätten.
Arbeitssuchende wiederum konsultieren häufig die Webseiten der Unternehmen zu offenen Stellen. Der Personalservice der in deutsch- und spanischsprachigen Fach- und Führungskreisen gut vernetzten AHK Spanien findet sich auf ihrer Website unter der Rubrik Dienstleistungen.