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Branchen | Tschechische Republik | Kernkraft

Mit einem Tender startet Tschechien den Ausbau der Kernkraft

Der neue Reaktorblock im AKW Dukovany wird das größte Investitionsprojekt des Landes. Russische und chinesische Anbieter sind nicht dabei. Tschechische Zulieferer laufen sich warm.

Von Miriam Neubert | Prag

Seit über einem Jahrzehnt plant die Tschechische Republik den Ausbau der Atomkraft. Nun hat die liberal-konservative Regierung unter Premier Petr Fiala für die Ausschreibung grünes Licht gegeben. Der mehrheitlich staatliche Energiekonzern ČEZ startete über seine Tochter Elektrárna Dukovany II den Tender für einen neuen Block des Atomkraftwerks (AKW) Dukovany. Die drei Bewerber sind Électricité de France (EDF), Korea Hydro and Nuclear Power Company (KHNP) und die kanadisch-amerikanische Westinghouse Electric Company. Diese Unternehmen haben eine Sicherheitsüberprüfung des tschechischen Staates bestanden und können ihre ersten Angebote bis Ende November 2022 einreichen. Russlands Rosatom sowie Chinas CGN-Gruppe waren aufgrund von Sicherheitsbedenken 2021 von dem Wettbewerb ausgeschlossen worden.

Vertragsabschluss mit dem Gewinner 2024 geplant

Für die Erarbeitung der endgültigen Angebote haben die Anbieter ČEZ zufolge über 20 Monate, wobei ihnen die vorläufige Dokumentation schon über ein halbes Jahr zur Verfügung stand. Teil der Ausschreibungsdokumentation für die neue Kernkraftquelle ist nach Angaben des Ministeriums für Industrie und Handel auch eine nicht verbindliche Option für weitere Blöcke in Temelín und Dukovany.

"Der Beginn des Tenders ist ein Meilenstein", sagte Industrieminister Jozef Síkela. Als nicht weniger wichtig bezeichnete er die Fortsetzung der Genehmigungsprozesse, die Notifizierung der öffentlichen Förderung für das Projekt bei der Europäischen Kommission und die Auswahl des Auftragnehmers zu den für Tschechien günstigsten Bedingungen.

Dem Harmonogramm zufolge soll die Ausschreibung um den Jahreswechsel 2023/24 herum abgeschlossen, der Vertrag mit dem Anbieter 2024 unterzeichnet sein. Der Bau soll 2029 losgehen. Der Probebetrieb ist für 2036 angesetzt.

Chance für Tschechiens Maschinenbau

ČEZ schätzte 2020 die Kosten für den Reaktorblock auf 160 Milliarden Kronen, umgerechnet 6,5 Milliarden Euro. Als Schlüsselaspekte des Tenders bezeichnet das Industrieministerium neben dem Preis die Garantie, dass Zeitplan und Budget eingehalten werden. Auch müsse ein bedeutender Teil der tschechischen Industrie in Vorbereitung, Bau und Technologietransfer eingebunden werden, um einen unabhängigen Betrieb und die Entwicklung des tschechischen Know-hows im Atomsektor sicherzustellen.

Kurz nach Beginn der Ausschreibung organisierte der südkoreanische Anbieter KHNP am 22. März in Prag ein Lieferantensymposium. Nach Informationen der Nachrichtenagentur ČIA News unterzeichnete er dabei eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit mit den Maschinenbauunternehmen BAEST Machines and Structures, IBC Praha, MSA, OSC und Vítkovice.

Die Partnerschaft mit tschechischen Firmen haben in den Monaten zuvor auch Westinghouse und EDF gesucht. Sie stellen ihnen auch bei anderen Projekten die Einbindung in ihre Lieferketten in Aussicht. 

Nur vereinzelte Kritik an dem Großprojekt

Angesichts der Erfahrungen anderer Länder gehen Kritiker davon aus, dass die Investitionssumme am Ende deutlich höher ausfallen wird. Transparency International in Tschechien hat in einem offenen Brief an den Industrieminister ausführlichere Informationen zu den Parametern des Tenders angemahnt. Fragen, wie das Projekt finanziert wird und was es wirklich kosten würde, seien nicht befriedigend geklärt.

Über Atomkraft herrscht in Tschechien parteienübergreifend ein positiver Konsens – auch wenn die Endlagerung des radioaktiven Abfalls nach wie vor offen ist. Gemeinden, die von Planungen über ein mögliches Atommüllendlager betroffen sind, wehren sich. Doch sind Kosten und Risiken der Kernkraft öffentlich praktisch kein Thema. Zusammen mit Frankreich hatte sich Tschechien dafür eingesetzt, dass die neue Taxonomie der Europäischen Union die Kernkraft als nachhaltigen, weil CO2-freien, Energieträger berücksichtigt.

Widerspruch kommt aus Umweltorganisationen wie Hnutí Duha und Calla. Sie kritisieren, dass vor der Ausschreibung keine Analyse über den Sinn der Entwicklung von Kernkraft unter Wirtschafts- und Sicherheitsaspekten gemacht worden sei. Den Umweltschützern zufolge lenkt der Bau großer Atomkraftwerke von der Notwendigkeit zu mehr Energieeffizienz und erneuerbaren Quellen ab. Bei diesen sehen sie in Tschechien große ungehobene Potenziale.

Das AKW Dukovany liegt südwestlich der Stadt Brno. Der neue Block wird der fünfte sein und sukzessive einen Teil der anderen ersetzen. Der erste Block war 1985 in Betrieb genommen worden. Zusammen mit den beiden Blöcken des AKW Temelín sorgte Dukovany 2021 für 36 Prozent der Bruttostromproduktion in Tschechien.

Mehr Interesse an Nuklearwissenschaften erwartet

Für den Ausbau der Kernkraft rüsten sich nicht nur Tschechiens Maschinenbauunternehmen, sondern auch der Bildungssektor. Die Fakultät für Nuklearwissenschaften und Physikalische Technik der Technischen Universität in Prag (ČVUT) hat die Erlaubnis für den Bau eines neuen experimentellen Reaktors erhalten. An ihm werden künftige Kernkraftspezialisten und Mitarbeitende von Atomkraftwerken geschult.

Bei der Vorbereitung des neuen Reaktorblocks arbeite die Universität seit Jahren mit der Regierung zusammen, sagte Rektor Vojtěch Petráček gegenüber der Wirtschaftszeitung Hospodářské noviny. Die ČVUT decke alle Fachrichtungen ab, die für Bau und Betrieb eines Rektors nötig seien. Rund 120 Studierende schließen an der Fakultät für Nuklearwissenschaften und Physikalische Technik jährlich mit einem Bachelor ab. Es wird damit gerechnet, dass das Interesse an der Studienrichtung im Zuge des Tenders steigt.

Aktuell bereitet das Industrieministerium Entscheidungsgrundlagen zur künftigen Nutzung der Kernkraft in Tschechien vor. Eine neue Arbeitsgruppe untersucht speziell den Einsatz von kleinen und mittleren modularen Kernreaktoren unter den landesspezifischen Bedingungen. Anfang 2023 sollen die Ergebnisse vorliegen, um sie in die Aktualisierung der Staatlichen Energiekonzeption und des Nationalen Aktionsplans für die Entwicklung der Atomenergie einbeziehen zu können.

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