Branchen | Türkei | Hochbau
Türkische Bauwirtschaft steht weiter unter Druck
Bauunternehmen melden erneut hohe Kosten und Lieferengpässe. Der Wohnungsmarkt zeigt Anzeichen einer Stagnation. Große Infrastrukturprojekte stehen auf der Agenda.
28.10.2022
Von Katrin Pasvantis | Istanbul
Die Baubranche leidet unter hohen Materialkosten, insbesondere bei Eisen und Zement. Lieferengpässe führen zu Verzögerungen. Viele Projektmanager bestellen deshalb Baumaterialien bereits deutlich früher in der Designphase eines Bauprojekts.
Die Finanzierungsschwierigkeiten zahlreicher Unternehmen bleiben bestehen. Die Kreditzinsen sind meist trotz der Leitzinssenkungen mit den höheren Ausfallrisiken in der Türkei gestiegen. Gleichzeitig verteuert die schwache Lira die Bedienung von Auslandskrediten und erschwert den Zugang zu externen Finanzierungen.
Die Regierung hat in den letzten Jahren einige große Infrastrukturprojekte angestoßen. Um manche dieser Vorhaben ist es zuletzt ruhiger geworden. Im Vorfeld der für 2023 anberaumten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen und dem 100. Jahrestag der Republik könnten öffentlichkeitswirksame Projekte an Bedeutung gewinnen.
Wohnungsbau: Anzeichen einer stagnierenden Nachfrage
In der ersten Jahreshälfte 2022 sind die Kauf- und Mietpreise für Wohnungen weiter gestiegen und das Angebot hat sich verknappt. Dazu dürften die hohe Inflation, die Anleger in Immobilien flüchten ließ, ebenso beigetragen haben wie günstigere Wohnungsbaudarlehen bei öffentlichen Banken. Makler berichten zudem von einem Anstieg der Wohnungsnachfrage aus dem Ausland durch den Ukrainekrieg. Im 1. Halbjahr 2022 führten Russland, Iran und Irak die Verkäufe ins Ausland an. Einen negativen Effekt auf den Wohnungsbau haben dagegen hohe Baukosten und die Fluktuation des Wechselkurses, die Projektkosten schwer kalkulierbar machen.
1.Hj.* 2021 | 1.Hj.* 2022 | Veränd. 1. Hj.* 2022/21 | |
---|---|---|---|
Anzahl der Gebäude | 64.159 | 54.417 | -15,2 |
Anzahl der Wohnungen | 332.267 | 261.581 | -21,3 |
Fläche (in m2) | 66.211.505 | 56.421.858 | -14,8 |
Nach dem hohen Anstieg der Miet- und Kaufpreise kündigte die Regierung im September ein großes soziales Wohnungsbauprojekt an. Seitdem hat sich der Markt abgekühlt. Die türkische Wohnungsbaubehörde TOKI (Toplu Konut İdaresi Başkanlığı) soll das Vorhaben mit 250.000 Wohnungen und einem Investitionsvolumen von 30 Milliarden Türkischen Lira (rund 1,6 Milliarden US-Dollar) umsetzen. Das Programm richtet sich an Haushalte ohne Wohneigentum mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Der Kauf der Wohnungen wird mit staatlich geförderten Krediten unterstützt. Die Nachfrage ist hoch, ebenso wie die Erwartungen angesichts der anstehenden Wahlen, dass die Regierung die Anzahl der angebotenen Wohnungen erhöht.
Die meisten Häuser über das neue Wohnungsbauprojekt sollen in Istanbul gebaut werden, wofür TOKI bereits den Auftrag über das städtische Transformationsprogramm (Kentsel Dönüsm) hat, 500.000 erdbebengefährdete Gebäude abzureißen und neu zu bauen oder zu renovieren. Landesweit gelten rund 6,7 Millionen Gebäude als erdbebengefährdet. Davon sind 1,5 Millionen als besonders gefährdet eingestuft und sollen in den nächsten fünf Jahren erneuert werden. Im Bau waren jüngsten Angaben des türkischen Ministeriums für Umwelt, Städtebau und Klimawandel zufolge 767.000 Gebäude.
Kennziffer | Jan.-Sept. 2021 | Jan.-Sept. 2022 | Veränd. Jan.-Sept. 2022/21 |
---|---|---|---|
Anzahl der Wohnungen | 949.138 | 1.057.193 | 11,4 |
Neubauten | 287.156 | 312.118 | 8,7 |
Im Bestand | 661.982 | 745.075 | 12,6 |
Vorhaben | Investitionssumme (Mio. Euro) | Projektträger / Projektstand |
---|---|---|
Personalunterkunft am Flughafen Istanbul | 250 | Emlak Konut, geplante Vergabe: Februar 2024, geplante Fertigstellung: bis Dezember 2026 |
Limak-Mersin-Hotel | 120 | Limak, gepl. Vergabe: Februar 2024, gepl. Fertigstellung: bis Juli 2026 |
Flüchtingsunterkunft, Izmir | 100 | Qatar Charity, gepl. Vergabe: Dezember 2023, gepl. Fertigstellung: bis Dezember 2025 |
Apartmentkomplex "Prestij Yeni Hayat", Bursa | 20 | Bakyapi Group, gepl. Vergabe: Februar 2024, gepl. Fertigstellung: bis Dezember 2026 |
Infrastrukturbau: Große Investitionen stehen auf der Agenda
Mittel- bis langfristig sind hohe Investitionen in den Ausbau der Stromversorgung und in die Verkehrsinfrastruktur geplant.
Die Importabhängigkeit der Türkei bei der Stromerzeugung ist hoch. Mehr als 90 Prozent des Erdöls und fast das gesamte Gas kommen aus dem Ausland, vor allem aus Russland. Die Türkei und Russland evaluieren derzeit Möglichkeiten für eine neue Pipeline und den Aufbau einer Gasbörse in der Türkei. Auch bei Kernkraft setzt die Türkei auf die Zusammenarbeit mit Russland. Ende September konnte zwischen den beiden Ländern eine Einigung über die zum Erliegen gekommene Fertigstellung des Kernkraftwerks Akkuyu erzielt werden, das mit Unterstützung der russischen Rosatom errichtet wird. Der erste Reaktor soll 2023 den Probebetrieb aufnehmen, drei weitere sollen im Jahr 2028 ans Netz gehen. Die Türkei hat Russland den Bau eines weiteren Atomkraftwerks in Sinop vorgeschlagen, von dessen Umsetzung Mitsubishi zurückgetreten ist.
Um ihre Importabhängigkeit zu reduzieren, setzt die türkische Regierung neben Atomkraft auf die effizientere Nutzung von lokaler Braunkohle, die Suche nach Erdöl- und Erdgasvorkommen und erneuerbare Energien. Die jüngste Umstellung der Einspeisetarife für regenerative Energien auf Landeswährung bewerten Unternehmen jedoch negativ. Die Energieerzeugung in der Türkei mit Windkraft wächst. In den nächsten Jahren ist mit einem regen Projektangebot zu rechnen.
Unternehmen | Umsatz 2021 (in Mio. TL) | Exporte 2021 (in Mio. US$) | Standort |
---|---|---|---|
36.298 | 3.213 | Ankara | |
25.782 | 1.441 | Istanbul | |
14.266 | 137 | Istanbul | |
13.886 | k.A. | Ankara | |
13.180 | k.A. | Ankara | |
11.292 | 966 | Ankara | |
8.220 | 23 | Istanbul | |
4.183 | 3 | Ankara |
Kommunikationsnetze: 5G-Ausschreibungen für 2023 geplant
Im Jahr 2023 sollen die Ausschreibungen für den landesweiten Netzausbau der 5G-Mobilfunktechnologie erfolgen. Die Türkei startete die Nutzung der 5G-Technologie bereits Ende Juli 2022 am neuen Flughafen Istanbul. Seit 2016 ist in der Türkei 4.5G verfügbar. Derzeit beträgt die Netzabdeckung 33 Prozent, das gesetzte Ziel für die Betreiber ist 45 Prozent. Dem Minister für Verkehr und Infrastruktur Adil Karaismailoglu zufolge sollen die Investitionen erhöht werden, um den Übergang zu 5G zu beschleunigen. Auch die Verstaatlichung kritischer Komponenten für 5G-Technologien habe Priorität. Der Satellit TÜRKSAT 5B wurde kürzlich gestartet. Die Vorarbeiten zur Einführung von 6G sollen beschleunigt und das Glasfasernetz von 478.000 auf 1 Million Kilometer ausgebaut werden.
Straßen und Schienen: Zahlreiche Projekte sind geplant
Bis zum Jahr 2053 soll das landesweite Schienennetz von 13.000 auf 28.000 Kilometer erweitert werden und das Straßennetz von 28.647 auf 38.000 Kilometer. Zahlreiche Schienenprojekte wurden in den letzten Jahren bereits ausgeschrieben, von denen manche nicht vergeben wurden. Die türkische Eisenbahnbehörde TCDD plant für 3 Milliarden US-Dollar den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Eskişehir und Ankara (423 Kilometer, 86 Tunnel). Das Projekt soll im März 2023 ausgeschrieben werden, der UVP-Bericht wurde Ende Februar veröffentlicht.
Projektbezeichnung | Investitionssumme (Mrd. US$) | Projektstand | Auftraggeber |
---|---|---|---|
Kanal Istanbul | 15,0 | Geplante Vergabe: April 2023; geplante Fertigstellung: bis Dezember 2026 | |
Dreistöckiger Tunnel unter dem Bosporus | 3,5 | Geplante Vergabe: April 2023; geplante Fertigstellung bis Dezember 2025 | |
Socar Petrochemischer Komplex in Aliaga | 2,0 | Geplante Vergabe: September 2023; geplante Fertigstellung: bis Dezember 2027 | |
Kraftwerk Afsin Elbistan 3600 MW | 2,0 | Geplante Vergabe: August 2023; geplante Fertigstellung: bis August 2025 | |
Autobahn Cankiri | 0,5 | Geplante Vergabe: August 2023; geplante Fertigstellung: bis Juli 2026 |
Bezeichnung | Anmerkungen |
---|---|
Außenhandelsinformationen für die deutsche Exportwirtschaft | |
Anlaufstelle für deutsche Unternehmen | |
Zuständig für Stadtsanierungsprogramme | |
Projektplanung zur Wasserwirtschaft | |
Oberste Aufsichtsbehörde für öffentliche Ausschreibungen | |
Staatlicher Projektträger für große Infrastrukturprojekte in der Wasserwirtschaft | |
Staatlicher Projektträger für Straßen-, Brücken-, Tunnel- und Autobahnprojekte | |
Dachorganisation der Immobilieninvestoren | |
Interessensorganisation der Architekten | |
Vereinigung der Bauunternehmen im Großraum Istanbul | |
Dachverband der Baustoffhersteller für Baustoffe aller Art | |
Dachverband der Vertragsunternehmen |