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Ukrainische Bauindustrie hofft auf Schub durch den Wiederaufbau
Die Branche passt sich den erschwerten Bedingungen an und fasst langsam wieder Fuß. Internationale Hilfe kommt dem Wohnungsbau und der Verbesserung der Energieeffizienz zugute.
11.04.2024
Von Waldemar Lichter | Bonn
Die Bauindustrie zeigt erste Anzeichen einer konjunkturellen Erholung. Das Produktionsvolumen nahm 2023 um 22,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu - auf umgerechnet rund 3,9 Milliarden Euro. Für Belebung sorgen vor allem öffentliche Investitionen. Doch auch von privaten Unternehmen kommen langsam wieder Impulse. Sie errichten ungeachtet des Krieges wieder neue Werke oder bauen Einkaufszentren.
Das hohe Wachstum 2023 wird jedoch durch die niedrige Ausgangsbasis relativiert. Die russische Invasion in der Ukraine brachte die Bauaktivitäten 2022 weitgehend zum Erliegen (Minus 65 Prozent). Das Bauvolumen liegt trotz der Erholung 2023 immer noch deutlich unter dem Vorkriegsniveau. Die wichtigsten kriegsbedingten Probleme bestehen zum großen Teil auch 2024 weiter fort.
Wiederherstellung der Infrastruktur treibt Tiefbau an
Der Tiefbau legte mit 32,9 Prozent besonders stark zu (2,4 Milliarden Euro). Der Nichtwohnbau stieg um 20 Prozent (988 Millionen Euro). Für das Wachstum im Tief- und Nichtwohnbau sorgten 2023 vor allem Bauaktivitäten im Verkehrs-, Transport- und Versorgungssektor. Ein großer Teil davon entfiel auf den Wiederaufbau von durch den Krieg zerstörten Straßen, Brücken, Bahnlinien, Stromleitungen, Pipelines und anderer Infrastruktur. Vereinzelt investieren jedoch auch Unternehmen wieder in den Bau neuer Produktionsanlagen.
Gesunkene Nachfrage und Teuerung belasten Bauindustrie
Der Wohnungsbau verharrt dagegen weiter in der roten Zone (Minus 4,6 Prozent; 530 Millionen Euro). So geht die private Nachfrage nach Bauleistungen, insbesondere im Wohnungsbau, zurück. Neue Vorhaben bleiben rar, deren Finanzierung ist kaum möglich. Fehlende Arbeitskräfte (Mobilisierung für die Armee) und die starke Teuerung bei Baustoffen machen der Branche schwer zu schaffen. Die Belieferung mit Baumaterial, Zubehör, Maschinen und Ersatzteilen bleibt unsicher. Einige Kapazitäten der Bau- und der Baustoffindustrie mussten in die von der Front weiter entfernte Westukraine verlegt werden. Ein Teil ist aber beschädigt oder ganz zerstört.
Die Bauindustrie beginnt sich, nach und nach den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Unternehmen finden zunehmend Wege, die unterbrochene Versorgung mit Baustoffen und Ausrüstungen alternativ zu sichern. Auch bei der Nachfrage gibt es mehr Licht am Ende des Tunnels. Neue private Projekte gibt es zwar kaum. Doch Bauvorhaben, die vor Kriegsausbruch begonnenen wurden, werden wieder aufgenommen.
Die Nachfrage nach Bauleistungen kurbelt zum einen die Regierung mit ihren Hilfs- und Wiederaufbauprogrammen, darunter auch mit Aufträgen zum Bau von Befestigungsanlagen, an. Zum anderen sind es internationale Geber, die zahlreiche Vorhaben zur Wiederherstellung und Modernisierung der Wohn-, Versorgungs- und Transportinfrastruktur finanzieren.
Programme der Regierung helfen dem Wohnungsbau
Die Regierung stellt erhebliche Budgetmittel zur Verfügung, um betroffenen Familien entweder beim Kauf neuer Wohnungen/Häuser zu helfen oder sie bei der Wiederherstellung von beschädigtem Wohnraum zu unterstützen. Aufgelegt wurden zwei Programme - eOselya (vergünstige Kredite zum Kauf von Wohnungen) und eVidnovlennja (Zuschüsse für die Wiederherstellung zerstörter Wohnräume). Zur deren Finanzierung erhielt die Ukraine im März 2024 ein Darlehen der Entwicklungsbank des Europarates (CEB) von 100 Millionen Euro.
Jahr | Wohnungen in Einfamilienhäusern | Wohnungen in Mehrfamilienhäusern |
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2018 | 167.000 | 136.200 |
2019 | 189.000 | 163.500 |
2020 | 112.100 | 89.600 |
2021 | 170.800 | 144.200 |
2022 | 98.400 | 85.100 |
2023 | 66.800 | 46.200 |
Großer Investitionsbedarf im Infrastrukturbau
Mittelfristig gehören der Wiederaufbau und die Modernisierung der zerstörten oder beschädigten Wohnungen zu den wichtigsten Investitionstreibern im ukrainischen Bausektor. Mehr als 10 Prozent des Wohnungsbestands gelten als beschädigt oder zerstört. Erhebliche Investitionen müssen in die Verbesserung der niedrigen Energieeffizienz getätigt werden.
Ähnlich starke Impulse für die Bauwirtschaft gehen bereits jetzt von Investitionen in die Wiederherstellung und den Aufbau der Transport- und Energieinfrastruktur aus. Diese genießen Priorität bei öffentlich finanzierten Vorhaben. Der Investitionsbedarf für den Wiederaufbau im Transportsektor wird von der Weltbank auf umgerechnet 68,5 Milliarden und im Energiesektor auf 43,5 Milliarden Euro geschätzt.
Ausländische Hilfe finanziert Investitionen in Infrastruktur
Große Bedeutung für die Wiederherstellungs- und Erneuerungsinvestitionen und damit für die Nachfrage nach Bauleistungen haben Hilfsprogramme ausländischer Regierungen und internationaler Geber. Einen großen Beitrag leistet die EU, die dem Land bis 2027 rund 50 Milliarden Euro im Rahmen der sogenannten Ukraine-Fazilität zur Verfügung stellen wird. Aus dem Programm sollen unter anderem staatliche und private Investitionen in den nachhaltigen Wiederaufbau und die Modernisierung der Wirtschaft abgesichert werden.
Wichtige Geber sind auch die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Ein Teil der Mittel kommt der Bauindustrie zugute. So flossen EIB-Mittel in Höhe von 161 Millionen Euro an rund 100 ukrainische Städte und Gemeinden für den Wiederaufbau kritischer Infrastruktur. Die EBRD unterstützt die Ukraine bei der Instandsetzung von Wasserkraftwerken (Darlehen von 200 Millionen Euro an den Konzern Ukrhydroenergo) sowie bei der Verbesserung der Infrastruktur im Energie-, Wasser- und Abfallsektor.
Unterstützung für den Wiederaufbau der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur leisten internationale Organisationen wie die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) oder die zur Weltbankgruppe gehörende International Finance Corporation (IFC). Die GIZ unterstützt Projekte zur nachhaltigen Entwicklung der Versorgungsinfrastruktur und des Wohnraums sowie zur Verbesserung der Energieeffizienz. Die IFC mobilisiert Mittel für den Privatsektor, um so etwa Vorhaben im Infrastrukturbereich zu initiieren.
Private Investoren werden wieder aktiv
Impulse für die Bauwirtschaft gehen zunehmend auch von privaten Unternehmen in der Ukraine aus. Ungeachtet des Krieges sind neue Vorhaben in Planung und einige bereits in der Umsetzung. Eine Reihe von ihnen finden in der Baustoffindustrie statt – eine Branche mit Wachstumspotenzial. Denn für die kommenden Jahre ist mit einer hohen und steigenden Nachfrage nach Baustoffen für den Wiederaufbau zu rechnen.
Ein Beispiel dafür ist der Bau eines Werkes für Baumischungen, Farben und andere Bauprodukte durch die bayerische Fixit Gruppe (Marke Kreisel). Ein weiteres sind die Investitionen des irischen Unternehmens Kingspan. Der Baustoffhersteller beabsichtigt, in der Westukraine ein Cluster mit sieben Produktionsanlagen für umgerechnet 255 Millionen Euro zu errichten. Neue Werke entstehen ferner für Baukeramik in Schytomyr (Cersanit/Polen) und für Fensterglas bei Kyjiw (222 Millionen Euro/Investor: Igor Liski; EFI-Gruppe).
Objektart | 2021 | 2022 | 2023 | Veränderung 2023/2022 |
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Hotels und Restaurants | 793.500 | 197.600 | 127.200 | -35,6 |
Bürogebäude | 438.000 | 231.300 | 171.400 | -25,9 |
Handelsimmobilien | 1.702.400 | 861.000 | 732.300 | -14,9 |
Industrie- und Lagerbauten | 1.714.300 | 843.700 | 1.183.600 | 40,3 |
Öffentliche Gebäude (Schulen, Krankenhäuser) | 449.200 | 111.400 | 114.900 | 3,1 |