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Wachsende Aufmerksamkeit für ukrainische Start-ups

Trotz des Krieges florieren die Start-ups in der Ukraine. Für ihre weitere Expansion brauchen die Gründer aber mehr Geld und Unterstützung beim Marketing.

Von Gerit Schulze | Berlin

  • Umsätze steigen, aber Risikobereitschaft sinkt

    Die ukrainischen Start-ups können trotz des Krieges ihre Erlöse steigern. Doch Investoren sind nun zurückhaltender bei der Vergabe von Risikokapital.

    Ukrainische Start-ups konnten auch im Kriegsjahr 2022 ihr Wachstum fortsetzen. Nach Berechnungen des Fonds Google for Start-ups Ukraine stiegen ihre Erlöse um über eine halbe Milliarde US-Dollar (US$) auf mehr als 6 Milliarden US$. Die innovativen Jungunternehmen sind damit ein wichtiger Faktor für Konjunktur und Beschäftigung.

    Das Start-up-Ökosystem profitiert von der internationalen Solidarität und Hilfsbereitschaft für das Land. Einige Investoren sind erst durch den Krieg auf die Innovationskraft der ukrainischen IT-Branche aufmerksam geworden.

    Weniger Risikokapital seit Kriegsbeginn

    Laut einer Studie des Risikokapitalfonds Aventures haben sich Investoren 2022 mit 218 Millionen US$ Risikokapital an ukrainischen Start-ups beteiligt. Damit lagen die Investitionen auf dem tiefsten Stand seit 2016. Im Rekordjahr vor dem Krieg soll die Summe noch bei 832 Millionen US$ gelegen haben. Rund zwei Drittel der Finanzierung entfielen 2022 auf die vier Unternehmen AirSlate, Preply, Fintech Farm und Spin.ai. Viele Geldgeber, die kurz vor dem Krieg bereits Finanzzusagen gegeben haben, hätten sich nach Beginn der russischen Invasion wieder zurückgezogen, berichtete die ukrainische Ausgabe der Wirtschaftszeitschrift Forbes.

    Investoren fassen langsam Mut

    Seit Jahresbeginn 2023 beobachten Marktkenner aber wieder ein steigendes Interesse an ukrainischen Start-ups. Kolibrio, ein Dienstleister für Kryptowährungen, erhielt 2 Millionen US$ von Jump Crypto. Deus Robotics, das Roboterlösungen für Warenlager entwickelt, hat vom ukrainischen Venturefonds SMRK 1,5 Millionen US$ Wagniskapital bekommen. Kanadische Investoren steckten 500.000 US$ in das Start-up Harmix, das mit künstlicher Intelligenz passende Musik für verschiedene Anlässe findet. Größere Finanzierungsrunden mit zweistelligen Millionenbeträgen sind aber selten.

    Für den ukrainischen Arbeitsmarkt wären neue Investitionen ein Segen, denn sie sorgen für mehr Beschäftigung: Je einer Million Euro investiertem Venture-Capital entstehen in der Ukraine über 80 neue Stellen, haben Analysten ermittelt. Das ist deutlich mehr als in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas.

    Bindung an das Heimatland auch bei Auslandsexpansion

    Laut der Studie "Central and Eastern European Start-ups 2022" (Dealroom.co, Google for Start-ups und weitere) sind in der Ukraine über 2.000 Start-ups tätig. Davon haben 1.500 Firmen ihren Sitz und ihre Hauptaktivitäten im Heimatland. Weitere 600 junge Wachstumsunternehmen mit ukrainischen Wurzeln sind im Ausland aktiv, haben aber weiter feste Bindungen an den Herkunftsort. Außerdem nutzen rund 500 ausländische Start-ups die Dienste ukrainischer Fachkräfte.

    Trotz der erhöhten Aufmerksamkeit für ukrainische Start-ups sind ihre Probleme in diesen Zeiten enorm. In Umfragen sagen über 90 Prozent von ihnen, dass sie dringend finanzielle Unterstützung zur Fortführung ihrer Geschäfte benötigen.

    Westliche Fonds stellen Finanzierung bereit

    Westliche Förderprogramme wollen hier Abhilfe schaffen: Seit Beginn der Invasion helfen diese jungen Firmen mit einer Anschubfinanzierung. Google hat den Ukraine Support Fund ins Leben gerufen und mit 5 Millionen US$ ausgestattet. Darüber wurden bislang rund 60 Start-ups unterstützt.

    Der European Innovation Council (EIC) der EU stellt 20 Millionen Euro für innovative Neugründungen in der Ukraine zur Verfügung. Davon bekommen 200 Start-ups jeweils 60.000 Euro Finanzhilfe für ihre Geschäftsentwicklung im Rahmen des Programms "Seeds of Bravery". Außerdem wird die Kommerzialisierung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und die Vernetzung mit der europäischen Start-up-Förderung unterstützt. Dabei hilft der in Warschau ansässige FundingBox Accelerator.

    Das Kreditkartenunternehmen Mastercard startete im Sommer 2022 das Programm Start Path Ukraine. Darüber erhalten innovative Unternehmen aus der Finanzbranche sechs Monate lang Beratung von Mentoren und Zugang zu internationalen Netzwerken. An fünf Start-ups zahlt Mastercard 10.000 US$ Zuschuss für ihr weiteres Wachstum:

    • AML Point: Monitoring von Finanzströmen zur Bekämpfung von Geldwäsche
    • Electronic KYC: Softwarelösung zur Optimierung des Kundenstamms von Banken
    • Neofin: Vergabe und Verwaltung von Verbraucherkrediten
    • RemOnline: Tools zur Kundenpflege (CRM)
    • Zhabka: Zahlungssysteme für Unternehmen

    Der US-Venturefonds Network VC hat einen Spezialfonds zur Unterstützung ukrainischer Start-ups aufgelegt. Ziel ist es, bei Investoren mindestens 10 Millionen US$ Wachstumskapital einzusammeln.

    Start-ups werden aufgrund des Krieges schlechter bewertet

    Potenzielle Investoren sind sich der hohen Risiken zwischen Karpaten und Donbass durchaus bewusst. Die Gesamtbewertung der ukrainischen Start-ups ist 2022 um 14 Prozent auf 23,3 Milliarden Euro gesunken. Das ist aber immer noch der zweitbeste Wert in der Geschichte des Landes und liegt um mehr als Dreifache über dem Stand von 2020, heißt es in der Studie von Google und Dealroom.co. 

    Im Ranking des Portals StartupBlink, das die Szene weltweit analysiert, ist die Ukraine im ersten Kriegsjahr 2022 um 16 Plätze nach unten gerutscht auf Rang 50 (von 100 untersuchten Ländern). In der aktuellen Rangliste für 2023 liegt sie auf Platz 49.

    Kiew attraktiver als Hamburg und Prag

    In der Liste der weltweit 1.000 attraktivsten Standorte für die Gründung von Start-ups befinden sich derzeit fünf ukrainische Städte (Kiew, Lwiw, Odessa, Charkiw, Ternopil). Dabei rangiert Kiew 2023 immerhin auf Platz 77 und liegt damit vor Hamburg (90), Prag (83) und Warschau (99). Auch Köln, Frankfurt und Düsseldorf schneiden deutlich schlechter ab.

    Die am höchsten bewerten Start-ups mit ukrainischen Wurzeln

    Start-up

    Produkt

    Bewertung in Mio. US$

    Firmensitz

    Grammarly

    Digitaler Schreibassistent

    13.000

    San Francisco, USA

    GitLab

    Plattform zur automatischen Softwareentwicklung (DevSecOps)

    4.000

    San Francisco, USA

    AirSlate

    Softwarelösungen für Dokumenten-Workflow

    1.300

    Brookline, USA

    People.ai

    Softwaregestützte Ertragsanalysen

    1.100

    Redwood City, USA

    Unstoppable Domains

    Domain-Verwaltung

    1.000

    San Francisco, USA

    BitFury Group

    Infrastruktur und Abwicklung von Blockchain-Prozessen

    1.000

    Amsterdam, Niederlande

    Grid Dynamics

    E-Commerce-Lösungen für den Einzelhandel

    428

    San Ramon, USA

    Restream

    Verbreitung und Monetarisierung von Live-Videocontent

    200 bis 300

    Austin, USA

    G5 Entertainment

    Computerspiele für Smartphones, PC und Konsolen

    167

    Stockholm, Schweden

    PDFFiller

    Bearbeitung von PDF-Dateien

    120 bis 180

    Brookline, USA

    Quelle: Dealroom.co 2023

    Von Gerit Schulze | Berlin

  • Deutsche Unternehmen nutzen bereits ukrainische Start-up-Ideen

    Gleich nach Ausbruch des Krieges haben mehrere Regionen in Deutschland damit begonnen, ukrainische Start-ups zu unterstützen. Inzwischen ist eine enge Vernetzung entstanden.

    Auch in Deutschland rücken ukrainische Start-ups und ihre Innovationen zunehmend ins Blickfeld. Der Leipziger SpinLab HHL Accelerator erarbeitet ein Konzept für einen Hub in Kiew, um ukrainische Jungunternehmen beim Wiederaufbau der Wirtschaft zu unterstützen. Start-ups seien essenziell für eine zukunftsfähige Gesellschaft, für die Schaffung neuer Arbeitsplätze und die Entwicklung von Produkten, heißt es im Projektentwurf. Das SpinLab will dabei helfen, in Kiew auch internationale Wachstumsunternehmen anzusiedeln. Außerdem sollen deutsche Unternehmen Zugang zu den Technologien ukrainischer Start-ups bekommen. Fokusthemen sind Cybersicherheit, Big Data, künstliche Intelligenz und Zivilschutz.

    Düsseldorf will mit Technologie Hilfsangebote verbessern

    In Nordrhein-Westfalen sammelt das digihub-Netzwerk Lösungen und Entwicklungsressourcen regionaler Start-ups, um die Ukraine widerstandsfähiger zu machen. Die Idee besteht darin, mit Technologie-Innovationen die Hilfsleistungen besser zu strukturieren und Produkte zu entwickeln, um die Menschen in der Ukraine und die Geflüchteten besser zu unterstützen.

    Sechsmonatige Inkubator-Programme für vorrangig ukrainische Start-ups organisiert die Plattform Phineo in Berlin. Die bisherigen Erfahrungen sind sehr positiv. Das Land habe gute Voraussetzungen für innovative Technologien, meint Jonas Wegener, Communication Strategist bei Phineo. "Die Ukraine verfügt über eine solide technische Ausbildung und einen großen Pool an talentierten Fachkräften im Bereich IT und Engineering. Ukrainische Start-ups profitieren von diesem technischen Fachwissen."

    Als Beispiel nennt Wegener das Unternehmen Esper Bionics, das am Ukraine Response Program von Phineo teilgenommen hat. "Die mit künstlicher Intelligenz betriebene, selbstlernende Handprothese wurde vom TIME-Magazin als bahnbrechende Erfindung in der Kategorie Barrierefreiheit ausgezeichnet und war sogar auf dem Titelblatt."

    Zugang zu Kapital bleibt Herausforderung

    Die größte Herausforderung für die Start-ups sei der Zugang zu ausreichendem Kapital, meint Wegener. "Sie müssen auf Risikokapital, öffentliche Fördermittel und Angel-Investoren zugreifen können, um ihr Wachstum zu unterstützen." Und schließlich bräuchten sie Pilotkunden, "die bereit sind, ihre Lösungen zu nutzen."

    Ein solcher Pilotkunde ist in Deutschland zum Beispiel die Thomas-Krenn.AG. Sie bindet ukrainische Dienstleister bereits in Projekte ein, die aufgrund des Fachkräftemangels in der EU ansonsten nur verzögert oder gar nicht umgesetzt werden könnten, erklärt Malte Rosenberger, Key Account Manager bei dem bayerischen Serverhersteller auf Anfrage von Germany Trade & Invest. "Das hohe Niveau der ukrainischen Fachkräfte bei Softwareprogrammierung, Entwicklung von KI-Anwendungen, Edge- und Cloud-Computing werden von der gesamten IT-Branche in der EU geschätzt." Laut Rosenberger baue der ukrainische Staat seit Jahren mit einer klugen Förderpolitik die IT-Branche zur Schlüsselindustrie aus und setze konsequent öffentliche Projekte zur Digitalisierung um. "Von dieser Politik profitieren die Unternehmen durch Vorsprung an Wissen und Erfahrungswerten."

    Spezialisten leichter zu finden

    Durch den Krieg hat sich der Fachkräftemangel in der Branche etwas entspannt. Ukrainische Start-ups finden jetzt leichter Softwareentwickler, meint Yan Shapiro, Gründer und Veranstalter von Start-up-Events aus Odessa. Viele IT-Spezialisten hätten durch den Krieg ihren Job bei großen Konzernen verloren, bilden sich deshalb jetzt weiter und bieten ihre Dienste als Freelancer an. Shapiro sieht eine glänzende Zukunft für die Szene: "In der Ukraine muss nach dem Krieg alles von Grund auf neu aufgebaut werden. Das bietet große Chancen, um neue Produkte und Technologien auszuprobieren. Auch für internationale Start-ups."

    Als Einsatzgebiete für solche Neuentwicklungen sieht Shapiro in erster Linie den Militärsektor, die Bauwirtschaft und das Gesundheitswesen. Noch seien die Investoren vorsichtig und warteten auf ein Ende des Krieges. "Doch wir müssen die Start-ups schon jetzt vorbereiten für den ersten Tag nach dem Sieg. Damit sie dann umso schneller durchstarten können."

    Von Gerit Schulze | Berlin

  • Stärken und Schwächen des Ökosystems

    Die Affinität zu IT-Themen und der gute Ausbildungsstand sind die Basis für den Erfolg ukrainischer Start-ups. Doch bei Frühfinanzierungen und Marketing haben sie Nachholbedarf.

    Start-up Ökosystem Ukraine: Stärken und Schwächen

    Stärken

    Schwächen

    Gut ausgebildete und talentierte IT-Fachkräfte

    Fehlende Koordinierung innerhalb des Start-up-Ökosystems

    Lange Tradition bei Forschung und Technologieentwicklung

    Wenig Informationen über Förder- und Finanzierungsmöglichkeiten

    Erfolgreiche und stark wachsende IT-Branche

    Mangel an modernen Kommunikations- und Marketinginstrumenten

    Einfacher Zugang zum europäischen Markt

    Fehlende Finanzierungsquellen in der Frühphase (Early Stage)

    Erfolgreiche Diaspora, die bei der Internationalisierung des Geschäfts helfen kann

    Einheimische Investoren haben kaum Erfahrung mit globaler Skalierung

    Schnell wachsende internationale Aufmerksamkeit

    Fehlende internationale Bekanntheit der Ukraine als IT-Hub

    Technologieoffenheit der Bevölkerung

    Geringe Kaufkraft auf dem Heimatmarkt

    Quelle: Ukrainian Start-up Fund, Strategic Vision 2020-2025, 2020; Germany Trade & Invest

    Weiterführende Links:

    Ukrainian Venture Capital and Private Equity Association (UVCA)

    Ukrainian Start-up Fund

    The Start-up Ecosystem of Ukraine (StartupBlink)

    TechUkraine

    Von Gerit Schulze | Berlin

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