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Special Ukraine Krieg in der Ukraine

Ökonomen entwerfen Aufbauplan für die Ukraine

Renommierte Volkswirte fordern eine EU-Agentur für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg. Die Arbeit soll möglichst bald beginnen.

Von Lukas Latz | Berlin

Das Centre for Economic Policy Research (CEPR), ein nichtstaatliches Institut für wirtschaftspolitische Forschung mit Sitz in London, hat eine Reihe von Handlungsempfehlungen für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Krieges veröffentlicht. An dem im April erschienenen Policy Paper "A Blueprint for the Reconstruction of Ukraine" beteiligten sich neun international renommierte Ökonom:innen, darunter Sergej Guriev, ehemaliger Chefvolkswirt der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), Kenneth Rogoff, einst Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), und Beatrice Weder di Mauro, ehemaliges Mitglied im Sachverständigenrat zur Beurteilung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. 

Die Ökonom:innen bescheinigen der Ukraine gutes wirtschaftliches Grundpotenzial für einen erfolgreichen Wiederaufbau. Voraussetzung dafür sei, dass die Ukraine den Krieg ohne größere Kontrollverluste über das eigene Territorium beenden kann. Das Potenzial sieht das Expertenteam begründet in dem hohen Bildungsniveau der ukrainischen Arbeitskräfte und in dem zuletzt starken Nationalbewusstsein der Bevölkerung, das ein Abgleiten des Landes in tribalistische Konflikte unwahrscheinlich mache.

Die Autor:innen empfehlen, dass die Europäische Union (EU) viel Verantwortung für den Wiederaufbau der Ukraine übernimmt. Denn bei den internationalen Entwicklungsbanken wie der EBRD oder dem IWF zählt Russland zu den Anteilseignern. Dies könnte eine effektive Unterstützung für die Ukraine erschweren.

Marshallplan als Vorbild

Als Vorbild sehen die Autor:innen der Studie den Marshallplan für den Wiederaufbau Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Nach Vorbild der Economic Cooperation Administration, einer US-Behörde, die ab 1948 die Verteilung von Hilfskrediten und Entwicklungshilfe im zerstörten Europa übernahm, solle die EU eine eigene Agentur gründen, die für den Wiederaufbau verantwortlich ist. Dieser Agentur sollte "signifikante Autonomie" gewährt werden. Denn wenn sie nicht allen Regulierungen europäischer Behörden unterworfen werde, könne Hilfe schneller verteilt werden.

Die Arbeit an der Schaffung der Agentur solle möglichst rasch beginnen. Schon jetzt könne die Ukraine Unterstützung bei der Verlegung von Industrieproduktion in den Westen des Landes gebrauchen. Die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen großer Unternehmen könnten kurzfristig ins Ausland verlagert werden.

Zu den dringendsten Herausforderungen nach Kriegsende zählen die Volkswirt:innen die Wiederherstellung von Wohnraum in stark zerstörten Städten wie Charkiw, Mariupol oder Kramatorsk. Sie berufen sich hierbei auf die Erfahrungswerte im Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Schaffung von ausreichend Wohnraum habe nach 1945 in vielen Ländern länger als zehn Jahre gedauert. Der Wiederaufbau biete allerdings auch die Chance, stadtplanerische Fehler aus Sowjetzeiten nicht zu wiederholen und für eine höhere Lebensqualität in den Städten zu sorgen.

Bessere Anbindung an Europa

Abgesehen vom Wiederaufbau muss die Infrastruktur der Ukraine für einen engeren wirtschaftlichen Austausch mit Europa angepasst werden. Die Ökonom:innen fordern einen Ausbau der Schienen- und Straßenverbindungen in Richtung der Europäischen Union – denn Russland und Belarus fallen als Wirtschaftspartner für die Zukunft erst einmal aus. Und inwieweit die ukrainischen Seehäfen im Süden des Landes in Zukunft für den Handel genutzt werden können, bleibt schwer zu prognostizieren.

Daher fordern die Autor:innen engere Verbindungen nach Westeuropa über den Landweg. Dort, wo Schienen neu verlegt werden müssen, sei auch die Veränderung der Spurbreite auf den westeuropäischen Standard zu erwägen. Dies würde eine Umspannung von Zügen oder eine Umladung von Containern an der polnisch-ukrainischen Grenze überflüssig machen. Europäische Schnellzüge könnten die Ukraine befahren.

Milliardenschäden und Wirtschaftseinbruch

Für den Wiederaufbau veranschlagen die Experten Kosten in Höhe von mehreren hundert Milliarden Euro. Mit jedem Tag, den der Krieg länger dauert, würden die Kosten höher. Nach Hochrechnungen des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche ist die Wirtschaft der Ukraine seit Kriegsbeginn um 36 bis 45 Prozent geschrumpft. Die Staatseinnahmen sind um über 80 Prozent eingebrochen.

"Ich bin mit den vorgeschlagenen Punkten zum Wiederaufbau einverstanden", sagt Theocharis Grigoriadis, Professor für Volkswirtschaftslehre am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin, der nicht an der Studie beteiligt war. "Eine entscheidende Frage ist, inwieweit die ukrainischen Oligarchen Entschlossenheit zeigen, sich am Wiederaufbau zu beteiligen."

Was in der Studie fehle, sei die Frage der Regulierung des Arbeitsmarktes, so Grigoriadis: "Die Ukraine erlebt derzeit einen massiven Brain-Drain, einen Verlust an Humankapital. Es stellt sich die Frage, woher die Spezialisten kommen sollen, die für das zukünftige Wachstum verantwortlich sein werden."

Wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine ergebe zudem keinen Sinn, wenn man sie nicht auch langfristig durch große militärische Hilfe flankiere, so der Volkswirt.

Das ukrainische Wirtschaftsministerium hatte ebenfalls im April 2022 einen Wiederaufbauplan vorgestellt.

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