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Wirtschaftsumfeld | Ukraine, Moldau, Georgien | EU-Beitritt

EU-Beitrittskandidaten steht große Aufholjagd bevor

Die Ukraine und Moldau haben die Eintrittskarte für die Europäische Union bekommen. Georgien muss sich noch gedulden. Welche wirtschaftliche Aufholjagd liegt nun vor den Ländern?

Von Gerit Schulze, Verena Matschoß | Berlin, Bonn

"Historisch" - das war die häufigste Vokabel nach der Sitzung des Europäischen Rates am 23. Juni 2022. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) votierten einstimmig dafür, der Republik Moldau und der Ukraine den offiziellen Status eines Beitrittskandidaten zu verleihen.

Damit ist der Weg zu einer vollwertigen EU-Mitgliedschaft für beide Länder frei, wenngleich noch lang und dornig. Die EU-Kommission drängt auf umfangreiche Reformen, auf die Bekämpfung der Korruption und auf weniger Einfluss durch Oligarchen. Kiew und Chisinau müssen Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Minderheitenschutz stärken.

Noch länger wird der Weg in die Europäische Union für Georgien. Der Kaukasusstaat bekam beim EU-Gipfel in Luxemburg lediglich eine "europäische Perspektive" angeboten. Für einen offiziellen Kandidatenstatus muss Tiflis das Reformtempo erhöhen und für mehr politische Stabilität sorgen.

Lange und zähe Verhandlungen stehen an

Der Kandidatenstatus ist eher symbolisch und garantiert noch keine Beitrittsverhandlungen. Das wissen die Länder auf dem Westbalkan. Albanien, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien sind zwar bereits seit vielen Jahren Beitrittskandidaten, konkrete Verhandlungen laufen aber lediglich mit Serbien und Montenegro. Bevor diese abgeschlossen sind, dürfte noch viel Zeit vergehen.

Auch für die Ukraine und Moldau ist nicht mit einer schnellen Aufnahme in die EU zu rechnen. Die Europäische Kommission muss für jedes der 35 Verhandlungskapitel prüfen, inwieweit das nationale Recht vom EU-Recht ("acquis communautaire") abweicht und angepasst werden muss.

Vor allem aber müssen beide Länder wirtschaftlich aufholen. Das gilt auch für Georgien, das weiter auf den Status eines Beitrittskandidaten hofft. Der Rückstand zum Durchschnitt der Europäischen Union ist in allen drei Ländern beträchtlich. Durch den russischen Angriffskrieg wird die Ukraine nun sogar noch weiter zurückgeworfen. 

Nur ein Zehntel der deutschen Wirtschaftskraft

Bei der Wirtschaftsleistung pro Kopf erreichten die Ukraine, Moldau und Georgien 2021 mit etwas mehr als 4.000 Euro nur ein Zehntel des deutschen Niveaus. Am besten schneidet dabei Moldau ab, das immerhin auf 14 Prozent des europäischen Durchschnitts kommt.

Dafür entwickelten sich die Volkswirtschaften überdurchschnittlich gut. In den vergangen zwei Jahrzehnten legte ihr Bruttoinlandsprodukt (BIP) dynamischer zu als das deutsche. Am wachstumsstärksten war Georgien.

Monatslöhne liegen zum Teil unter 400 Euro

Die geringe Wirtschaftskraft der Beitrittsaspiranten spiegelt sich auch bei den Löhnen wider, die kaum ein Zehntel des deutschen Niveaus erreichen. Im Durchschnitt verdienen Beschäftigte in Moldau, Georgien und der Ukraine nur zwischen 380 und 440 Euro pro Monat.

Die Beschäftigungsquote ist deutlich niedriger als in den meisten anderen EU-Staaten. In der Republik Moldau geht nicht einmal die Hälfte der Erwerbsfähigen einer offiziellen Beschäftigung nach.

Viel Nachholbedarf gibt es im Gesundheitswesen. Während Deutschland fast 12 Prozent seiner Wirtschaftskraft für die medizinische Versorgung ausgibt, kommen Moldau, Georgien und die Ukraine nur auf 6 bis 7 Prozent.

Weniger CO2-Ausstoß als in Westeuropa

Dafür sind die potenziellen Neumitglieder der EU kleinere Klimasünder als die Altmitglieder. Pro Kopf liegt der Kohlendioxid-Ausstoß in Moldau nur bei 22 Prozent des EU-Durchschnitts. Das hängt mit dem niedrigeren Industrialisierungsgrad und der vergleichsweise geringen Wirtschaftskraft zusammen. Selbst die Ukraine mit ihrer starken Montanindustrie und hohem Anteil fossiler Kraftwerke kommt bei den Treibhausgasemissionen nur auf 84 Prozent des EU-Mittelwertes. Infolge des Krieges dürfte dieser Wert weiter sinken, weil wichtige Stahlwerke und Kohlekraftwerke zerstört wurden. Durch Investitionen in mehr Energieeffizienz hätten die Länder ein großes Potenzial für weitere Einsparungen des CO2-Ausstoßes.

EU ist schon jetzt der wichtigste Handelspartner

Beim Außenhandel sind die beiden neuen Beitrittskandidaten schon sehr eng mit der EU verwoben. Moldau liefert rund zwei Drittel seiner Exporte in die Europäische Union, die Ukraine knapp die Hälfte. Georgien dagegen ist noch stark von den Handelspartnern der ehemaligen Sowjetunion abhängig. Das Kaukasusland wickelt nur ein Viertel seines Außenhandels mit der EU ab.

Für Deutschland sind alle drei Länder als Handelspartner bislang eher unbedeutend. Die Ukraine lag 2021 auf Rang 41, Moldau auf Rang 89 und Georgien auf Rang 99. Die Dynamik war in den letzten Jahren aber recht hoch. Durch den Wegfall des russischen Marktes dürfte die Bedeutung dieser Länder zunehmen.

Nachholbedarf bei der Digitalisierung

Große Anstrengungen müssen die drei Länder bei der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft unternehmen. Die Ausstattung mit Internetzugängen der Haushalte ist vor allem in Moldau und in der Ukraine deutlich schlechter als in der Europäischen Union.

Im E-Government Devolopment Index der Vereinten Nationen rangieren die drei Länder im Mittelfeld. Der Index erfasst die Zugangsmöglichkeiten der Bürger zu öffentlichen Diensten über das Internet, die Infrastruktur für Telekommunikation und das Ausbildungsniveau.

Neuer Status eröffnet Zugang zu mehr Finanzhilfen

Um die wirtschaftliche Kluft zwischen den neuen Kandidatenländern und der EU zu verringern, ist finanzielle Unterstützung nötig. Der Kandidatenstatus eröffnet der Ukraine und Moldau Zugang zu den sogenannten Vorbeitrittshilfen. Für die derzeitigen (potenziellen) Kandidatenländer auf dem Westbalkan und für die Türkei sind über das Instrument für Heranführungshilfe (IPA) in den Jahren 2021 bis 2027 rund 14 Milliarden Euro vorgesehen.

Aktuell unterstützt die EU die Reformtätigkeit der Regierungen in Kiew und Chisinau noch großteils über die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP). Zwischen 2021 und 2027 stehen dafür rund 19 Milliarden Euro zur Verfügung. Zur ENP gehören neben der Ukraine und Moldau weitere Partnerländer Osteuropas und des Mittelmeerraums.

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