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Special | Ungarn | Energiesicherheit und -preise

Ungarn setzt auf erschwingliche Energie

Das Land will sich aus seiner Erdgasabhängigkeit lösen. Kurzfristig arbeitet die Regierung an der Erschließung neuer Quellen. Der Staat greift stark in den Energiemarkt ein.

Von Kirsten Grieß | Budapest

Aufgrund seiner geologischen Beschaffenheit ist Ungarn auf Energieimporte angewiesen. Wichtigste Energieträger sind Erdgas und Erdöl. Hauptlieferant ist nach wie vor Russland. Getrieben wird die Nachfrage nach Energie durch industrielle Großprojekte. In der Stromerzeugung dominiert die Kernkraft. Die Nutzung erneuerbarer Energien ist unterdurchschnittlich. 

Versorgungssicherheit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit

Auf die Störungen der internationalen Energiemärkte durch den Ukrainekrieg reagierte die ungarische Regierung, indem sie im Dezember 2022 ein eigenes Energieressort einrichtete. Energiepolitische Maxime ist ein Dreiklang aus Versorgungssicherheit, Erschwinglichkeit und Nachhaltigkeit. Dabei greift der Staat intensiv in den Energiemarkt ein. Die Strom- und Gaspreise werden stark subventioniert oder sind gedeckelt. In der 2. Jahreshälfte 2022 war der durchschnittliche Strompreis für Privathaushalte mit maximal 0,10 Euro pro Kilowattstunde in Ungarn der niedrigste innerhalb der EU (EU-Durchschnitt: 0,28 Euro). Noch größer war die Differenz beim Gas. Die Industriepreise für Strom und Gas lagen leicht über dem EU-Durchschnitt.

Wichtige Energiemarktindikatoren im Vergleich zu Deutschland (2022)
 

Ungarn

Deutschland

Bevölkerung (in Mio.; am 1.1.2023)

9,6

84,4

Energieproduktion (PJ; 2021)

454

4.045

Stromverbrauch (TWh)

44,8

535,6

Nettoenergieimporte (PJ)

696,3

8.143,7

Pro-Kopf-Verbrauch (GJ)

111,4

134,4

CO2-Emissionen (Mio. T)

41,4

603,7

Strompreis Industrie (USD/MWh)

254,79

242,22

Strompreis Endverbraucher (USD/MWh)

103,78

348,94

PJ = Petajoule, GJ = Gigajoule.Quelle: Recherchen von Germany Trade & Invest; IEA World Statistics 2023

Diversifizierung als Kurzfristlösung

Zwischen 80 und 85 Prozent des ungarischen Bedarfs an Erdgas wird jährlich importiert. Laut Eurostat stammten 2021 rund 95 Prozent der Importe aus Russland. Die Lieferverträge mit Gazprom verlängerte die Regierung im September 2021 um weitere 15 Jahre, 2022 vereinbarte man außerdem eine Erhöhung der Liefermenge. Das Gas erreicht Ungarn über die Türkei. Parallel dazu bemüht sich die Regierung um alternative Bezugsquellen und Lieferwege.

Eine neue Pipelineverbindung nach Slowenien schließt die Lücke nach Italien und gen Westen. Ungarn sicherte sich den Zugang zum Flüssigerdgasterminal auf der kroatischen Insel Krk. Eine Anbindung an das im Bau befindliche Thrace Terminal an der Küste Griechenlands ist ebenfalls geplant. Neue Verbindungsleitungen nach Polen öffnen einen Korridor Richtung Norden, insbesondere nach Norwegen. Gaslieferanten sucht die Regierung aber auch in Zentralasien. Ein Liefervertrag mit Aserbaidschan wurde bereits unterzeichnet, mit Turkmenistan laufen die Verhandlungen.

Energieunabhängigkeit durch Elektrifizierung

Langfristig möchte Ungarn unabhängig von Energieimporten werden. Dieses Ziel will die Regierung durch eine Ausweitung der Elektrifizierung und höhere Energieeffizienz erreichen. Sie baut dabei auf zwei Säulen: Den Ausbau von Atomenergie und erneuerbaren Energien. Ungarns einziges Kernkraftwerk Paks produzierte 2022 knapp die Hälfte des im Land erzeugten Stroms. Die vier Reaktoren besitzen eine Gesamtkapazität von 2 Gigawatt. Der Bau zusätzlicher Reaktorblöcke ist bereits länger geplant. Sanktionen gegen den Kooperationspartner Russland verzögern den Baustart.   

Netzausbau hinkt hinterher

Die Regierung will auch den Anteil erneuerbarer Energien erhöhen. Momentan ist der Beitrag überschaubar. Wasserkraft wird wenig genutzt. Die Windkraftkapazitäten sind ebenfalls gering, ein Ausbau ist politisch nicht gewollt. Biomasse und Solaranlagen liefern den Großteil grüner Energie. Die installierte Fotovoltaikkapazität von aktuell 5.400 Megawattstunden möchte Energieminister Csaba Lantos bis 2030 zumindest verdoppeln.

Fehlende Netzkapazitäten und ineffektive Verteilsysteme behindern den Ausbau der Erneuerbaren. Im Herbst 2021 sah sich die Regierung gezwungen, einen Einspeisestopp für Solarmodule zu verhängen. Diese Regelung soll ab Januar 2024 fast flächendeckend aufgehoben werden. Um die energiepolitischen Ziele zu verwirklichen, sind weitere massive Investitionen in den Ausbau und die Flexibilisierung des Stromnetzes erforderlich. In dem Ende August 2023 eingereichten Projektantrag für das REPowerEU-Programm sind knapp 1,3 Milliarden Euro angesetzt, um das Stromnetz weiterzuentwickeln und zu digitalisieren. Das Energieministerium prüft zudem den Bau eines ersten Pumpspeicherkraftwerks.

Neues Förderprogramm für Solaranlagen

Im Oktober versprach der Energieminister ein neues Förderprogramm für die Installation von Solaranlagen und Energiespeichern in Privathaushalten. Das Programm Solarenergie Plus wird mit knapp 200 Millionen Euro ausgestattet, soll 2024 starten und bis zu 20.000 Haushalte erreichen. Es bezuschusst die Installation von Fotovoltaikanlagen und Energiespeichern zu 65 Prozent. Wetter- und jahreszeitbedingte Schwankungen der Stromerzeugung und die steigende Industrienachfrage im Osten des Landes will die Regierung mit drei neuen Gaskraftwerken ausgleichen, die spätestens 2028 ans Netz gehen sollen.

Kohleausstieg wohl früher als geplant

Kohle spielt im Energiemix Ungarns eine vergleichsweise kleine Rolle. Das letzte Kohlekraftwerk in Mátra sollte ursprünglich schon 2025 vom Netz gehen. Aufgrund der Gaspreiskrise wurde die Laufzeit bis 2030 verlängert, der Rückbau kommt aber voraussichtlich früher zum Abschluss. Um die sozialen Folgen des Strukturwandels in der Region abzufedern, sind Gelder aus dem Just Transition Fund (JTF), dem Kohleausstiegsfonds der EU, eingeplant.

Fehlende EU-Mittel bremsen Investitionen

Im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität (ARF) der EU sind für Ungarn Mittel von 5,8 Milliarden Euro vorgesehen. Zusätzlich konnten bis 31. August 2023 zinsgünstige Darlehen von bis zu 9,6 Milliarden Euro beantragt werden. Ungarns Regierung will mit den Zuschüssen Investitionen im Energiesektor finanzieren. Allein 415 Millionen Euro sollen in den Ausbau des Stromnetzes fließen. 

Die Auszahlung der Gelder ist allerdings an rechtsstaatliche Reformen geknüpft. Inwiefern die bisherigen Maßnahmen der ungarischen Regierung hierfür ausreichen, ist nach wie vor offen. Für das ARF-Zusatzkapitel REPowerEU nutzte Ungarn hingegen die Kreditlinie. Für die beantragten 3,9 Milliarden Euro hofft die Regierung auf baldige Auszahlung. Sie geht davon aus, dass die Kredite nicht unter die Sanktionsmaßnahmen fallen.

Chancen für deutsche Unternehmen 

Neben der Fotovoltaik bietet der Ausbau des Stromnetzes Chancen für Zulieferer. Beim Umbau der Kohleregion könnte deutsches Know-how aus dem Strukturwandel und zur Rekultivierung von Abbauflächen gefragt sein. Nach Freigabe von EU-Mitteln ist zu erwarten, dass die energetische Gebäudesanierung erneut gefördert wird. Dämmstoffe, Außentüren, Fenster, Heizungs- und Kühlsysteme werden dann nachgefragt. Ein Grundproblem der ungarischen Wirtschaft trifft jedoch den Ausbau des Energiesektors ganz besonders: Es fehlen Fachkräfte, Techniker und Installateure. 

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