Special | Ungarn | Konnektivität
Gute Perspektiven für Ungarn als Logistikhub in Südosteuropa
Ungarn hat große Ambitionen für den Logistiksektor. Seine Lage und die guten Autobahnen sprechen dafür. Doch in anderen Transportbereichen klemmt es noch.
04.03.2024
Von Edda Schlager | Berlin
Mit seiner zentralen Lage in Europa sieht sich Ungarn als Drehkreuz für Warenströme zwischen Schwarzmeerraum, Westbalkan, Adriaregion und Westeuropa. Der ungarischen Agentur für Investitionsförderung HIPA (Hungarian Investment Promotion Agency) zufolge ist die Logistikbranche einer der Wachstumssektoren des Landes.
Allein für die Sanierung und den Ausbau des Schienennetzes plant die ungarische Regierung in den kommenden Jahren Investitionen von bis zu 10 Milliarden Euro ein. Mehr als 7,7 Milliarden Euro sind bis 2025 für den Ausbau des Straßennetzes vorgesehen. Allerdings setzt die Regierung hierfür auf EU-Gelder, die derzeit größtenteils eingefroren sind.
Steigende Industrieproduktion ist Logistikmotor
Die wachsende Industrieproduktion Ungarns als wichtiger Nearshoring-Markt in Europa dürfte in den kommenden Jahren Treiber von Transportströmen sein. Die deutschen Automobilhersteller Audi, Mercedes und der Autoteilebauer Bosch betreiben in Ungarn eigene Werke; BMW baut eines. Der chinesische Elektroautohersteller BYD will hier sein erstes E-Auto-Werk in Europa bauen. Zudem errichtet der Batteriebauer CATL aus China ein Werk.
Darüber hinaus ist das Land für die deutsche Metallindustrie wichtiger Beschaffungsmarkt für Komponenten, Halb- und Vorprodukte. Auch Warenverkehr aus Rumänien und Serbien nebst Nachbarländern wird zum Teil über Ungarn abgewickelt.
Schienenausbau dringend nötig
In Ungarn laufen drei Korridore des transeuropäischen Verkehrsnetzes (TEN-T) zusammen: Der Rhein-Donau-Korridor, der Mittelmeer-Korridor und der Orient/Ost-Mittelmeer-Korridor. So ist das Land Drehscheibe zwischen den Adriahäfen Triest (Italien), Koper (Slowenien) und Rijeka (Kroatien), dem Schwarzmeerhafen Konstanza (Rumänien) und den Nordseehäfen in Deutschland, Belgien und den Niederlanden. Vor allem in Budapest werden Waren in intermodalen Terminals umgeschlagen, Züge getrennt und zusammengestellt. Hier betreiben auch die österreichische Rail Cargo und Metrans, Tochter der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), eigene Terminals.
Ungarns Straßennetz ist laut Agnes Henard, Geschäftsführerin von Rail Cargo Operator Ungarn, gut ausgebaut. Die meisten Mittel für den Ausbau der Infrastruktur seien in den letzten 30 Jahren in Fernstraßen geflossen. "Die Eisenbahninfrastruktur hingegen wurde nur minimal instand gehalten", so Henard. "Und die Folgen werden immer deutlicher."
Budapest ist Knotenpunkt und Nadelöhr
Das bestätigt auch Krisztina Kovacs, Leiterin der Repräsentanz von Hafen Hamburg Marketing (HHM) in Ungarn: "Budapest ist ein Nadelöhr. Es gibt zu wenig Eisenbahnbrücken über die Donau." Insgesamt müssten landesweit wohl rund 3.000 bis 4.000 Kilometer Schienenstrecke in Ungarn saniert werden, schätzt sie.
Laut Agnes Henard von Rail Cargo sind vom unternehmenseigenen Terminal BILK (Budapest Intermodal Logistics Center) in Budapest viele Ziele in Westeuropa, der Türkei und auf dem Balkan für Container erreichbar. Für Metrans hingegen ist das Terminal BUCS (Budapest Csepel Container Terminal) wichtig. Das Unternehmen sieht Budapest als Drehscheibe für die Eisenbahnverbindung über Russland nach China. Diese Route bezeichnen Logistiker oft als nördlichen Strang von Chinas neuer Seidenstraße.
Adriaraum und Südosteuropa mit wachsender Bedeutung
Um das BUCS-Terminal in Budapest zu entlasten, baut Metrans derzeit ein weiteres Terminal in Szeged nahe der Grenze zu Rumänien und Serbien und eines in Zalaegerszeg nahe der ungarischen Grenze zu Österreich, Slowenien und Kroatien. Die Terminals sollen den Verkehr auf dem Balkan und in der Adriaregion übernehmen. Beide werden voraussichtlich 2025 in Betrieb gehen.
Auch für Rail Cargo bietet die ungarische Logistikinfrastruktur Chancen in Südosteuropa. "Sendungen aus Westrumänien gehen über ungarische intermodale Terminals an die Adria", sagt Agnes Henard. Für das weiter entfernte Bulgarien gilt das bislang nicht. "Aber für Serbien und auch die Ukraine ist der Transit über Ungarn in den Adriaraum definitiv realistisch", so Henard. Ihrer Meinung nach werden die Adriahäfen für Ungarn noch wichtiger - und das bei schon jetzt hohem Anteil:
"Etwa 70 Prozent des Fernostverkehrs von und nach Ungarn laufen über die Adriahäfen Triest, Koper und Rijeka, während nur etwa 30 Prozent über deutsche, niederländische und belgische Häfen abgewickelt werden."
Krisztina Kovacs vom Hamburger Hafen schätzt, dass sogar 80 Prozent der zwischen China und Ungarn transportierten Waren über die drei Adriahäfen abgewickelt werden. Denn die Nachlaufkosten für Fernostverkehre, die über die Adria von und nach Ungarn gehen, lägen nur bei rund der Hälfte der Kosten, die bei Lieferungen über die Nordseehäfen anfielen.
Regierung plant Terminal in Italien
Ungarn will deshalb sein eigenes Logistikengagement im Adriaraum ausbauen, um als Binnenland eigene Waren über die Weltmeere zu exportieren. So plant die ungarische Regierung den Bau des Mehrzweckterminals Adria Port im Hafen von Triest. Laut dem staatlichen Betreiberunternehmen Adria Port soll dieses Terminal für den Container-, Stückgut- und Roll-on-roll-off-Verkehr geeignet sein und über eine Schienenanbindung verfügen. Die Investitionssumme beträgt 200 Millionen Euro, wovon die ungarische Regierung 150 bis 180 Millionen Euro übernehmen will. Die Hafenbehörde Östliche Adria, die den Hafen von Triest verwaltet, steuert 45 Millionen Euro bei.
Krisztina Kovacs vom Hafen Hamburg sieht das Projekt jedoch skeptisch. Das ungarische Terminal liege zwar im Hafen Triest, aber abgelegen von anderen Terminals, über die der internationale Schiffsverkehr laufe, nämlich dem Trieste Marine Terminal der Reederei MSC, dem Europa Multipurpose Terminal und dem Multifunktions-Terminal HHLA PLT Italy. Zwischen diesen Terminals und Adria Port müssten Container hin- und hertransportiert werden. "Doch die ungarischen Warenumschlagmengen", so Kovacs, "sind zu gering, Kosten und Zeitaufwand zu groß, als dass sich das mehrfache Handling von Containern zwischen den Terminals lohnen würde."