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Der US-Markt für Nanotechnologie wächst rasant
Nanotechnologie wird in vielen Bereichen immer unentbehrlicher. Dabei profitieren die USA von jahrelanger Forschungskooperation. Dieses Umfeld bietet auch deutschen Firmen Chancen.
28.03.2022
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Nanotechnologien spielen in der gegenwärtigen Halbleiterkrise eine wichtige Rolle. Sie sind zwar in der Chipbranche nicht neu, doch hat ein Rennen um immer kleinere Strukturgrößen eingesetzt. So will Intel seinen Sieben-Nanometer-Chip speziell für Blockchain-Anwendungen wie Bitcoin-Mining noch im Jahr 2022 an die ersten Großkunden ausliefern. Gerade bei Chips unter zehn Nanometern will der US-Chipriese gegenüber TSMC und Samsung aufholen. Solche werden vor allem in KI-Systemen (künstliche Intelligenz) eingesetzt. Sie bieten durch ihre höhere Leistung und Energieeffizienz dank kleinerer Transistoren aber noch viel mehr Potenzial, zum Beispiel in Smartphones.
Der IT-Konzern IBM präsentierte 2021 dazu den ersten Chip mit Zwei-Nanometer-Technologie: Der Nanowinzling soll die Laufzeit eines Handyakkus fast vervierfachen und bis 2024 in Serie gehen. Zudem kündigten IBM und Samsung im Dezember 2021 eine neue vertikale Transistorenarchitektur an, die dazu führen soll, dass Prozesse wie Krypto-Mining oder Datenverschlüsselung weniger Energie verbrauchen. Damit deutet sich ein neuer Durchbruch im Chipdesign an.
Vor allem die Medizin bietet neue Perspektiven
Besonders große Potenziale birgt die Medizin. So half Nanotech in der Coronakrise bei der Entwicklung neuartiger DNA-Schnelltests. Inzwischen haben Forschende aus den USA einen Sensor aus Kohlenstoff-Nanoröhrchen präsentiert, der eine Infektion mit Covid-19 innerhalb von Minuten ohne Antikörper nachweisen kann. Bei Impfstoffen auf Basis von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) schützen Lipid-Nanopartikel die mRNA vor dem Abbau durch den Körper.
Doch eröffnet die Nanotechnologie in der medizinischen Diagnostik und Therapie Perspektiven, die noch weit über den Kampf gegen die Pandemie hinausgehen. Das aus der University of Pennsylvania hervorgegangene Biotechnologie-Start-up Avisi Technologies zum Beispiel arbeitet an einem nanotechnologisch optimierten Keramikimplantat zum Schutz vor Erblindung durch ein Glaukom (Grüner Star).
Ein weiteres erfolgreiches Spin-off ist Somalytics. Es ist erst im November 2021 aus Forschungsarbeiten an der University of Washington hervorgegangen. Somalytics hat auf Basis von Kohlenstoff-Nanoröhrchen einen neuen Sensortyp aus Papier entwickelt. Als die Neuheit auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas präsentiert wurde, erregte sie viel Aufmerksamkeit. Denn die Technologie reagiert empfindlich auf menschliche Anwesenheit und könnte sich gleich für eine Reihe von Touchless-Anwendungen, gestenbasierte digitale Schnittstellen oder sogar Eye-Tracking in VR-Headsets (Virtual Reality) ganz ohne Kamera eignen.
Die USA fördern Nanotechnologien seit Jahrzehnten
Solche Spin-offs sind die Früchte jahrelanger Forschungskooperation. Die USA fördern Nanotechnologien nämlich bereits seit über zwei Jahrzehnten. Noch unter Ex-US-Präsident Bill Clinton startete im Jahr 2000 die National Nanotechnology Initiative (NNI), eine Forschungs- und Entwicklungsinitiative mit dem Ziel, Aktivitäten von Universitäten, Industrielabors und Regierungsbehörden zu koordinieren. Eine Reihe von Hochschulen, darunter die Northwestern University, die University of California und die Johns Hopkins University, haben seither neue Institute für Nanotechnologie und interdisziplinäre Partnerschaften gegründet.
Auch an neuen optischen Bauteilen wird geforscht. So lassen sich Nanotechnologien für neuartige Metalinsen anwenden: Im Gegensatz zu herkömmlichen Linsen, die Licht fokussieren, beruhen solche auf nanostrukturierten Oberflächen. Das US-Start-up Metalenz hat eine derartige Technologie entwickelt und kooperiert nun mit dem Halbleiterhersteller STMicroelectronics. Auch der deutsche Laserspezialist Trumpf arbeitet mit Metalenz bei Metaoptiken für eine 3D-Szenenbeleuchtung von Smartphonekameras zusammen. Ausgereifte Metalinsen dürften sich außerdem für Minidrohnen, medizinische Endoskope sowie für AR (Augmented-Reality)- und VR-Brillen eignen.
BMW und Porsche investieren in US-Werkstoff-Start-up
Im Automobilsektor wird ebenfalls immer häufiger auf Nanoebene gearbeitet, vor allem durch die Ausbreitung der Elektromobilität. BMW war im November 2021 der Hauptinvestor bei einer Finanzierungsrunde für das US-Start-up Actnano. Auch Porsche hat sich an dem Jungunternehmen aus Cambridge (Massachusetts) beteiligt, das Nanoschutzschichten für Elektronikkomponenten produziert.
Neue Anwendungen zeichnen sich ferner im Agrarbereich ab: So haben sich das Cleantech-Start-up UbiQD und das Nanotech-Unternehmen Nanosys zusammengetan, um Nanotechnologien in Speicherfolien zu integrieren. Ziel ist dabei die Optimierung der Lichtqualität in Gewächshäusern, um Ernteerträge zu verbessern. Auch in Solarglas des kanadischen Solarmodulherstellers Heliene soll UbiQD-Technologie verbaut werden.
Darüber hinaus dringt die Nanotechnologie weiter in ganz alltägliche Gegenstände vor. So vertreibt das US-Start-up SpotLESS Materials eine Nanobeschichtungstechnologie, um Oberflächen ultraglatt zu machen. Ursprünglich sollte das Produkt die Reinigung von Toiletten erleichtern, nun soll es auch bei Spiegeln und Autoscheiben eingesetzt werden. Das Start-up hat mehrere B2B-Partnerschaften (Business-to-Business) geschlossen, darunter einen Vertrag mit dem Office of Naval Research (ONR) zur Erforschung von Antifouling-Beschichtungen auf Schiffen und Offshore-Plattformen. Das ONR betreibt wissenschaftliche Forschung im Namen der US-Marine.
Covid-19 erhöht die Wachstumserwartungen
Das Marktforschungsunternehmen Global Industry Analysts (GIA) schätzt den US-Nanotechnologiemarkt im Jahr 2022 auf 14,2 Milliarden US-Dollar. Das entspricht etwa 30 Prozent des Weltmarkts. Seine Prognose für die nächsten Jahre hat GIA vor wenigen Wochen im Hinblick auf die Coronapandemie, die diesen Markt beflügelt, nach oben korrigiert: Danach soll der globale Nanotech-Markt bis 2026 jährlich im Schnitt um 10,1 Prozent wachsen – statt der zuvor erwarteten 9,2 Prozent.