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Die USA bleiben für deutsche Start-ups ein Eldorado
Trotz neuer Finanzierungsmöglichkeiten in Europa wollen viele Jungfirmen weiterhin in die USA. Rekordinflation und schwächelnde Tech-Aktien halten aber vom schnellen Börsengang ab.
02.06.2022
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Eine Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) kam Ende 2021 zu dem Ergebnis, dass selbst Start-ups, die in Europa durch die ersten Finanzierungsrunden kommen, später in die USA abwandern. Denn dort bekommen sie leichter eine Anschlussfinanzierung. Ein weiterer Grund sind bessere Exit-Möglichkeiten, also der Verkauf von Anteilen an strategische oder Finanzinvestoren (Trade Sale) oder der Börsengang des Unternehmens (Initial Public Offering; IPO).
Anziehungskraft des Silicon Valley scheint ungebrochen
So haben es im Frühjahr gleich sieben deutsche Firmen in den Accelerator Y Combinator (YC) aus dem Silicon Valley geschafft. Ausgerechnet der YC verlangt aber von deutschen Start-ups in der Regel einen sogenannten Flip. Das bedeutet, dass die Jungunternehmen in eine US-amerikanische (Holding-) Struktur zu überführen sind.
Dadurch verbessert sich zwar häufig ihr Zugang zur Frühphasenfinanzierung. Doch der US-Flip birgt auch Nachteile: Laut der Rechtsanwaltskanzlei Orrick, Herrington & Sutcliffe kann er zum Beispiel bei einer eventuell später gewollten Umwandlung in eine deutsche Holdinggesellschaft eine hohe Steuerbelastung und praktische Probleme verursachen. "Wir im German Accelerator beraten Gründer daher sehr früh, sodass sie nicht notwendigerweise einen Flip machen müssen", sagt Christian Jorg, Managing Partner US beim vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Gründerprogramm.
Unternehmen | Produktbeschreibung |
AiSupervision | Betriebssystem für Fertigungslinien |
Cogram | Online-Tool zum Abfragen von Datenbanken |
Flagright | Technologien zur Bekämpfung von Geldwäsche |
Gavel | Online-Marktplatz für Live-Shopping |
Glocally | Nachhaltige Lieferungen im E-Commerce |
Pina Earth | Plattform für nachhaltige Forstwirtschaft |
Voize | Sprachassistent für das Gesundheitswesen |
Anstatt die ganze Firma in die USA zu übertragen, gründen manche Start-ups, die dorthin expandieren wollen, auch eine Niederlassung vor Ort. So etwa ImageBiopsy Lab: Das Wiener Start-up, das 2019 eine US-Dependance in New Jersey eröffnete, bekam in den USA bereits die Zulassung für seine erste medizinische KI-Software (künstliche Intelligenz). Über die US-Aktivitäten des Start-ups hat GTAI kürzlich mit dem COO (Chief Operating Officer) Christoph Götz gesprochen.
"Wir wollen weiter auf dem US-Markt expandieren. Fundraising steht gerade wieder an", sagt Richard Ljuhar, Geschäftsführer von ImageBiopsy Lab. Die Wiener haben in den USA bereits 10 Millionen US-Dollar (US$) eingesammelt. "Wenn es um Digital-Health-Anwendungen geht, haben US-Wagniskapitalfirmen sehr viel Weitblick", meint Ljuhar. "Zum Beispiel verhandelt einer unserer Partner gerade mit Versicherungen, wie unsere Software die Qualitätskontrolle oder die Freigabe von teuren Behandlungen automatisiert unterstützen kann."
Für manche könnten sich die Finanzierungsbedingungen verschlechtern
YC und andere Wagniskapitalgeber wie Sequoia und Lightspeed haben indes bereits angedeutet, dass es für Start-ups schwerer werden könnte, sich Kapital zu beschaffen. Angesichts der hohen Inflation dürften Vermögensverwalter das Geld ihrer Anleger auf weniger riskante Investitionen umleiten, zum Beispiel in öffentliches Beteiligungskapital statt in Neugründungen. Auf Start-ups in der Frühphase dürfte sich das aber nicht negativ auswirken, denn bei solchen beträgt der Anlagehorizont der Investoren ohnehin meist sechs bis zehn Jahre.
Bemerkbar machen dürfte sich die hohe Inflation und Leitzinsdebatte nur bei größeren Runden und bei Jungfirmen, die unmittelbar einen Börsengang anstreben, meint Julian Lange vom Softwareanbieter Aiven. Denn die meisten US-Aktienindizes verzeichneten in den letzten Monaten Rückgänge im zweistelligen Prozentbereich. Da andere Handelsplätze aber das gleiche Phänomen ereilt, dürfte die Versuchung der New Yorker Börse trotz der eingetrübten Aussichten größer als die europäischer Pendants bleiben.
Noch immer zieht es etwa jedes dritte Unternehmen auf dem alten Kontinent für sein IPO in die USA. High-Tech-Start-ups haben dabei die US-Technologiebörse Nasdaq im Visier. Das Lufttaxi-Start-up Lilium debütierte dort im September 2021, zwei Monate später folgte der ebenfalls aus München stammende Solarautobauer Sono Motors. Auch die deutschen Biotech-Unternehmen BioNTech und Curevac haben diesen Weg gewählt.
Emittent | Branche | Börse 1) |
MYT Netherlands Parent N.V. | Online-Modehandel | NYSE |
Atotech Limited | Spezialchemie | NYSE |
ATAI Life Sciences N.V. | Biotechnologie | Nasdaq |
Lilium N.V. | Lufttaxi | Nasdaq 3) |
Biofrontera Inc. 2) | Biotechnologie | Nasdaq |
Mainz Biomed B.V. | Diagnostik | Nasdaq |
Sono Group N.V. | Solarauto | Nasdaq |
SIGNA Sports United N.V. | Online-Sporteinzelhändler | NYSE 2) |
Corona entpuppte sich als wichtiger Treiber für neue Technologielösungen
Das meiste Risikokapital sammelten Jungfirmen 2021 erneut in Kalifornien ein: Laut Pitchbook waren es knapp 400 Transaktionen im Gesamtwert von fast 100 Milliarden US$. Dahinter folgten New York und Massachusetts. Gerade in der Pandemiezeit mausern sich aber auch andere US-Bundesstaaten zu neuen Tech-Hubs, vor allem Texas und Washington.
Besonders viel Wagniskapital ziehen seit 2020 die Branchen Finanzen, Onlinehandel und Software an – also Bereiche, die durch das veränderte Arbeitsumfeld und Verbraucherverhalten im Zuge der Pandemie profitiert haben. Stark gefragt sind Just-in-Time-Lieferdienste: Vor allem im besonders dicht besiedelten New Yorker Stadtteil Manhattan ist dieser Markt heiß umkämpft. Mit Jokr und Gorillas mischen dabei auch zwei deutsche Start-ups mit. Darüber hinaus profitierten Anbieter digitaler Zahlungsplattformen wie PayPal und Stripe vom gewachsenen Wunsch nach kontaktlosem Bezahlen. Neue Einsatzfelder bieten auch die Gastronomie, Logistik und Online-Events.
Start-ups bekommen Hilfe auf dem Weg in die USA
Der German Accelerator (GA) unterstützt deutsche Start-ups, die in die USA expandieren wollen, mit Know-how und Trainings. "Mehr als 500 Start-ups haben bisher an GA-Programmen teilgenommen und über 12 Milliarden US$ an Finanzierungsvolumen eingesammelt, davon einige Unicorns", sagt Jorg.
Ein wichtiges Kompetenznetzwerk ist auch die Digital Hub Initiative des BMWK: Die Hubs haben einen enormen praktischen Erfahrungsfundus und nehmen regelmäßig an internationalen Start-up Summits teil.
Neben Kontakten zu potenziellen strategischen Partnern und Investoren steht auch die Kooperation mit Forschungseinrichtungen im Fokus: "Forschungsbasierte deutsche Start-ups können sich über uns mit potenziellen Partnern vor Ort vernetzen", sagt Zahar Barth-Manzoori, Direktorin des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) in San Francisco. Als Schwerpunkte nennt Barth-Manzoori dabei Nachhaltigkeitsthemen wie Mobilität und Energieversorgung.