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Die USA forcieren den Ausbau der Elektromobilität
Trotz hoher Rohstoffpreise, Materialknappheit und zu wenig Ladesäulen sprießen neue Batteriefabriken wie Pilze aus dem Boden. Neue Förderanreize der Biden-Regierung zeigen Wirkung.
30.09.2022
Von Heiko Steinacher | San Francisco
Die Regierung unter Joe Biden will die Elektromobilität in den USA massiv vorantreiben: Bis 2030 soll die Hälfte aller neu zugelassenen Pkw batterie-, wasserstoffelektrisch oder mit Hybridantrieb fahren. Nicht nur entlang der Fernstraßen, auch an Mehrfamilienhäusern und auf öffentlichen Parkplätzen soll es mehr Ladestationen geben. Dafür plant das Weiße Haus eine Kombination von Zuschuss- und Anreizprogrammen für Bundesstaaten und Kommunen.
Fördergelder für Batteriefabriken, -forschung und -recycling
Das im November 2021 beschlossene Infrastrukturpaket sieht rund 3 Milliarden US-Dollar (US$) Fördermittel für den Aufbau einer nationalen Batterielieferkette vor. Damit soll der Ausbau von Produktionsstätten für Batteriematerialien und Recyclinganlagen forciert werden, um Lieferabhängigkeiten zu reduzieren. Bisher müssen die notwendigen Batterieteile importiert werden, vor allem aus China.
Auch die Autohersteller setzen mehr und mehr auf die Elektromobilität. Bis 2030 will Volkswagen (VW) mehr als 25 neue E-Modelle auf den US-Markt bringen. Dabei erwägen die Wolfsburger eine Erweiterung ihres Werks in Tennessee für die Produktion des elektrischen Bulli-Nachfolger ID.Buzz und eines batteriebetriebenen Pick-ups, meldet Reuters.
Im April 2022 kündigten General Motors (GM) und Honda die gemeinsame Fertigung kleinerer E-Autos an. Dabei soll Batterietechnik (Ultium Cells) zum Einsatz kommen, die GM und die koreanische LG Chem in einem Joint Venture entwickelt haben.
Noch bleibt auf dem US-Markt aber Luft nach oben: E-Mobile machten 2021 erst 3,4 Prozent der verkauften Neuwagen aus. Landesweit gibt es nur um die 55.000 Ladestationen. Trotz vielerlei Anstrengungen werde der US-Markt anderen Weltregionen in den nächsten Jahren hinterherhinken, sagen die Analysten von BloombergNEF voraus.
Mehrere Faktoren bedrohen den Markthochlauf bei Elektromobilität
Grandview Research zufolge erreichte der E-Mobilitätsmarkt in den USA 2020 ein Volumen von rund 28,5 Milliarden US$. Bis 2028 soll er im Schnitt um knapp 20 Prozent pro Jahr wachsen. Viele Marktforscher halten sich mit Prognosen derzeit aber zurück. Denn die Liste der Unsicherheiten ist groß. Erstens könnte Lithium bald noch knapper werden als es Chips bereits sind, was den geplanten gewaltigen Ausbau der US-Produktion von Lithium-Ionen-Batterien gefährden könnte. Zweitens ist unklar, ob der Ausbau der landesweiten Ladeinfrastruktur mit dem Bedarf Schritt halten wird. Drittens dürfte sich der Preisauftrieb bei Elektrowagen negativ auf die Nachfrage auswirken.
Einerseits profitiert der E-Fahrzeugmarkt zwar durch die steigenden Preise für fossile Brennstoffe. Zudem vergrößert sich der Kundenkreis. So fragen neben Privatkunden und US-Bundesbehörden, die ab 2027 nur noch emissionsfreie Pkw und leichte Nfz beschaffen sollen, auch Mietwagenfirmen mehr E-Mobile nach: Hertz zum Beispiel will 100.000 Tesla Model 3 und 65.000 Polestar-Fahrzeuge erwerben. Auch andere wie Avis und Enterprise Holdings wollen ihre Flotten, von denen sie während der Pandemie große Teile verkaufen mussten, künftig stärker elektrifizieren.
Andererseits haben sich die Rohstoffkosten für E-Mobile im Zuge von Covid-19 und dem Ukrainekrieg mehr als verdoppelt: Lagen sie pro Elektroauto im März 2020 im Schnitt noch bei 3.381 US$, waren es im Mai 2022 bereits 8.255 US$, meldet das Beratungshaus AlixPartners. Verteuert haben sich vor allem Kobalt, Nickel und Lithium, also Rohstoffe, die für Batterien gebraucht werden.
Einige Autobauer, darunter GM und Tesla, aber auch Start-ups wie Lucid Motors und Rivian, haben die Preise für Neufahrzeuge daraufhin deutlich erhöht. Verbrenner sind zwar ebenfalls betroffen, vor allem durch höhere Preise für Stahl und Aluminium, doch sind die Rohstoffkosten pro Auto in dem Fall im besagten Zeitraum nur um rund 1.883 US$ gestiegen – im Gegensatz zu 4.874 US$ bei Elektrowagen.
Projekte zum Batterierecycling nehmen Fahrt auf
Ungeachtet dessen kündigen die Autohersteller immerfort neue Batteriefabriken an. Mercedes-Benz hat an seinem Standort in Alabama im März 2022 ein eigenes Werk für die Zellmontage eröffnet. Stellantis und Samsung wollen gemeinsam eine Batteriefabrik im Bundesstaat Indiana hochziehen, die 2025 in Betrieb gehen soll. Im selben Jahr sollen auch bei Hyundai in Georgia die ersten E-Autos vom Band rollen. An dem Standort wollen die Südkoreaner auch Batterien fertigen.
Zudem wird mehr geforscht: VW hat im Juni 2022 an seinem Standort in Tennessee ein Batterielabor eröffnet, um Know-how aufzubauen. Honda wird zusammen mit dem US-Start-up SES Holdings Lithium-Metall-Batterien für E-Fahrzeuge entwickeln. Mercedes-Benz will, gemeinsam mit Partnern, auch in den USA eine eigene CO₂-neutrale Recyclingfabrik errichten, analog zu der 2023 im süddeutschen Kuppenheim geplanten. Ford plant seine "Blue Oval City" in Tennessee als ein vertikal integriertes Ökosystem und kooperiert dabei mit Redwood Materials. Auch Toyota Motor North America arbeitet mit dem Recycling-Start-up aus Nevada zusammen.
Siemens steigt als Investor und Technologiepartner bei Electrify America ein
US-Präsident Joe Biden will bis 2030 landesweit eine halbe Million neue öffentliche Ladestationen errichten – zehn Mal so viele wie es derzeit gibt. Ein Großteil der im Rahmen des Infrastrukturpakets dafür vorgesehenen 7,5 Milliarden US$ wird an die US-Bundesstaaten gehen. Mit ersten Ausschreibungen ist gegen Jahresende zu rechen.
Zudem hat der Privatsektor bereits mehr als 700 Millionen US$ Investitionen für den Ausbau von Ladenetzen zugesagt, meldet das Weiße Haus. Das von VW gegründete Ladesäulennetzwerk Electrify America soll bis 2026 auf 1.800 Standorte und 10.000 Schnelllader erweitert werden - mehr als doppelt so viele wie bisher. Ende Juni 2022 ist Siemens mit einem dreistelligen Millionenbetrag als erster externer Investor bei der VW-Tochter eingestiegen. Auch Ford setzt bei der Erweiterung öffentlicher Ladepunkte auf das Netz von Electrify America.