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Wirtschaftsumfeld | Vereinigtes Königreich | Außenhandel

Blaues Auge im deutsch-britischen Handel

Das Vereinigte Königreich bleibt dieses Jahr vielleicht doch noch Deutschlands zehntgrößter Handelspartner. Beruhigend ist das trotzdem nicht.

Von Marc Lehnfeld | London

Dem deutsch-britischen Handel fehlt es nach dem ersten Jahr mit dem Freihandelsabkommen und zwei Jahre nach dem Brexit nicht an Überraschungen. Drohte zur Mitte des Jahres 2021 noch der Abstieg der Briten aus Deutschlands Ranking der zehn wichtigsten Handelspartner, dreht sich nun zum Jahresende das Bild. Der Grund: Das Statistische Bundesamt hat die Daten revidiert. Die Korrekturen zeigen, dass die Handelsentwicklung mit dem Vereinigten Königreich unterschätzt und die mit dem zuvor zehntplatzierten Tschechien überschätzt wurde.

Allerdings ist das kein Grund zum Aufatmen, denn erstens beträgt der britische Vorsprung gegenüber Tschechien 2021 für den Zeitraum Januar bis September nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts nur 1,5 Prozent - so eng wie bei sonst keinem anderen Handelspartner der Top 10. Zweitens entwickelt sich Deutschlands Warenaußenhandel mit Tschechien viel dynamischer als mit den Briten.

Die Gnade der statistischen Korrektur verschiebt den tschechischen Überholprozess aber wohl nur zeitlich, denn am grundsätzlichen Trend hat sich 2021 nichts verändert: Deutschlands Außenhandel erholt sich mit fast allen Handelspartnern der Top 10 mit zweistelligen Wachstumsraten. Nur mit der Schweiz ist 2021 der bilaterale Handel um nur 5,6 Prozent vergleichsweise moderat gewachsen. Mit dem Vereinigten Königreich hingegen liegt der deutsche Außenhandel mit 3,1 Prozent unter dem Vorjahresniveau.

Deutschlands größte Handelspartner (im Zeitraum Januar bis September 2021)

Rang

Handelspartner

Handelsvolumen (in Mio. Euro)

nominale Veränderung gegenüber der Vorjahresperiode in Prozent

1

VR China

        176.362

14,2

2

Niederlande

        147.678

16,5

3

USA

        142.827

13,9

4

Frankreich

        120.964

12,2

5

Polen

        107.200

21,1

6

Italien

        102.736

23,4

7

Österreich

          87.627

18,4

8

Schweiz

          80.371

5,6

9

Belgien

          74.691

27,6

10

Vereinigtes Königreich

          72.217

-3,1

11

Tschechien

          71.135

18,8

Quelle: Berechnungen von Germany Trade & Invest auf Basis des Statistischen Bundesamts 2021

Risiko durch mehr Zollbürokratie auf britischer Seite

Der deutsch-britische Handel leidet unter zwei wesentlichen Einflussfaktoren: der neuen Zollgrenze und dem Autofaktor. Beide sorgen dafür, dass der deutsch-britische Handel im September 2021 noch 23,7 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau von März 2020 verharrt. Auch wenn das europäisch-britische Freihandelsabkommen als Weihnachtsgeschenk 2020 gefeiert wurde und immerhin in großem Stil zollfreien Handel erlaubt, werden die bürokratischen Hürden immer sichtbarer. Dies vor allem bei den britischen Exporten: Weil britische Exporteure vom ersten Tag des Freihandelsabkommens an die europäische Zollbürokratie beachten müssen, liegen die deutschen Einfuhren aus dem Königreich im Zeitraum Januar bis September 2021 noch 8,4 Prozent unter dem Vorjahresniveau und 16,1 Prozent unter dem Niveau von 2019.

Bei den deutschen Exporten auf die britische Insel ist die Entwicklung noch deutlicher: Das deutsche Exportvolumen ist zwar von Januar bis September 2021 im Vergleich zur Vorjahresperiode fast wieder ausgeglichen (-0,4 Prozent Rückstand), liegt aber im Vergleich zu 2019 noch um 19,7 Prozent zurück. Das ist aus zwei Gründen bedenklich. Erstens erhöht sich die Zollbürokratie auf britischer Seite ab dem nächsten Jahr erheblich, weil die letzten Übergangsfristen enden: Wenn das vereinfachte Einfuhrverfahren mit Ablauf des Jahres endet, müssen vollständige Zollerklärungen bereits bei der Einfuhr in das Vereinigte Königreich vorliegen. Das dürfte vor allem kleine und mittelgroße Exporteure belasten, aber auch mittelständische britische Importeure, die die neuen Hürden teilweise noch gar nicht im Blick haben. Laut einer Umfrage des britischen Mittelstandsverbands FSB geben nur ein Viertel der Unternehmen an, auf die neue Einfuhrbürokratie vorbereitet zu sein. Außerdem erklärten 17 Prozent, die Veränderungen gar nicht zu kennen.

Wenn zur Jahresmitte 2022 auch die Anforderungen beim Export von Lebensmitteln in das Königreich steigen, wird es vor allem für Lieferanten von Frischware kritisch. Andererseits reagierten die britischen Zollbehörden bisher pragmatisch. Die Übergangsfristen bei der schrittweisen Einführung der britischen Zollgrenze wurden bereits in diesem Jahr verschoben. Möglich ist, dass die britischen Zollbehörden im nächsten Jahr noch einmal an der Frist schrauben.

Deutsche Pkw-Exporte mit schwacher Entwicklung

Der zweite bedenkliche Faktor im deutschen Export auf die Insel ist die Entwicklung deutscher Pkw-Ausfuhren. Immerhin machten diese 2020 noch 17 Prozent aller deutschen Ausfuhren dorthin aus, 2016 war es noch fast ein Viertel. Reichten die deutschen Exporte ins Königreich 2021 insgesamt bisher knapp an das Vorjahresniveau heran, so sind insbesondere die so wichtigen Autoexporte im gleichen Zeitraum wertmäßig um 14,1 Prozent gefallen. Sie entwickeln sich damit auch entgegen der Marktentwicklung, denn die britischen Neuwagenregistrierungen sind im gleichen Zeitraum um 5,9 Prozent auf über 1,3 Millionen Pkw gestiegen. Üblicherweise entwickeln sich die deutschen Pkw-Lieferungen analog zur britischen Marktentwicklung.

Die Ursachen lassen sich nicht trennscharf herausarbeiten. Verantwortlich könnten der Chip-Mangel, Produktionsverschiebungen oder neue Lieferwege sein. Möglicherweise ist es auch die zunehmende Spaltung im britischen Pkw-Absatz. Während die Neuregistrierungen von Elektrofahrzeugen, also Vollelektroautos und Hybride, 2021 bisher um über 65 Prozent gestiegen sind, schrumpfte der Absatz von klassischen Verbrennern erheblich: Bei Diesel-Pkw um 46,9 Prozent und bei Benzinern um 14,8 Prozent. Dieser Trend wird sich im Königreich fortsetzen, denn die britische Regierung hat bereits Ende 2020 angekündigt, den Verkauf neuer Diesel- und Benzin-Pkw ab 2030 zu verbieten. Das setzt auch deutsche Autohersteller unter Druck, möglichst rasch ihre Modellpalette umzustellen, wenn sie vom E-Mobilitäts-Rausch der Briten profitieren wollen.

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