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Stromnetze und Fluorgas – und was ein Anlagenbauer dazu sagt
Verordnungen zum Klimaschutz beeinflussen auch das Geschäft von Anlagenbauern. Das merkt Dilo Armaturen bei seinen Geräten für den Umgang mit dem klimaschädlichen Gas SF6.
01.02.2023
Von Ulrich Binkert | Bonn
Mit der geplanten neuen Fluorgasverordnung der Europäischen Union (EU) hat Christian Scheller seine Probleme. "Für unser Geschäft ist das eigentlich total super", sagt der Geschäftsführer der Firma Dilo Armaturen und Anlagen über die neue Regulierung, welche die EU einführen will. "Mit Blick auf die Erderwärmung ist das aber zweischneidig."
Geplante EU-Fluorgasverordnung ...
Für das Geschäft des Unternehmens in Babenhausen bei Memmingen sind die angedachten Regeln eben doch nicht so optimal. Um das zu verstehen, muss man um ein paar Ecken denken. Dilo fertigt mit 350 Mitarbeitenden spezielle Geräte, die Schwefel-Hexafluorid, kurz SF6, in Hochspannungsschaltanlagen für Stromnetze einfüllen. Und zwar so, dass kaum ein Molekül davon in die Luft entweicht. SF6 ist ein hervorragendes Isolationsmedium – das braucht es auch bei Spannungen von bis zu 400.000 Volt. Die Netzbetreiber wollen Stromausfälle, etwa durch einen defekten Schalter, unbedingt vermeiden.
Leider ist SF6 aber auch 23.000-mal so klimaschädlich wie CO2. Wenn die EU jetzt, wie Scheller sagt, den Einsatz des Klimakillers ab 2030 "de facto verbieten" will, ist das erst einmal schlecht für sein Geschäft. Schaltanlagenbauer wie ABB oder Stromnetzbetreiber wie Tennet brauchen dann künftig seine Geräte nicht mehr, um SF6 in neue Schalter zu füllen beziehungsweise um bei vorhandenen Schaltern mit dem Gas umzugehen.
... erfordert andere Servicegeräte
So weit, so schlecht für die Dilo GmbH, die mit ihren Geräten annähernd die Hälfte eines Nischenmarktes von weltweit nur etwa 130 Millionen Euro abdeckt. Tatsächlich aber wird sich das Geschäft durch die Fluorgas-Neuordnung nur verlagern. Und zwar auf Geräte, die mit "alternativen Gasen" anstelle von SF6 umgehen können. Es braucht ja einen Ersatz. Mit solchen Geräten macht Dilo bereits ein Zehntel seines Umsatzes. Insgesamt exportiert Dilo laut Scheller über 90 Prozent seiner Produkte, sei es direkt an ausländische Stromnetzbetreiber oder indirekt über Hersteller von Schaltanlagen.
Das Schöne für Dilo: Der Umgang mit alternativen Gasen ist laut Scheller noch komplexer als der mit SF6. Die Geräte dafür seien im Schnitt größer, aufwändiger und somit auch teurer. "Zudem sind wir auch bei dieser Technik absoluter Marktführer." Beim Betriebsrundgang zeigt der Geschäftsführer den neu eingerichteten Montageraum und erzählt von den Plänen für die Ausweitung der Produktion. "Dieser Markt wird deutlich wachsen."
Keine Incentives für Recyclingtechnik
Warum sich Scheller trotzdem über die geplante Änderung der Fluorgasverordnung ärgert, liegt daran, dass darin keine Vorschrift für das Recyceln von SF6 vorgesehen sei. "Da draußen gibt es Tonnen von dem Zeug, in den aktuell verbauten oder auch in ausgedienten Schaltanlagen." Wiederverwendet werde bislang nur ein winziger Teil des SF6, sehr viel jedoch der Verbrennung durch den Hersteller zugeführt, die Firma Solvay in Hannover. Wobei man Scheller so verstehen kann, dass der Klimakiller – bei nicht vorschriftsgemäßem Handling – zum Teil wohl immer noch einfach so in die Luft entweicht. Die ordnungsgemäße Entsorgung ist demnach aufwändig und teuer, und ein Ventil öffnet sich offenbar mal schnell, sei es aus Versehen oder auch nicht.
Für Scheller ist dieses Ignorieren des Recyclings vor allem ein Desaster fürs Klima. Es beschränkt aber auch seinen Markt. Dilo entwickelte schon vor Jahren Verfahren samt Anlagen zum Recyceln oder Reinigen von SF6, "danach ist das Gas trockener, also reiner als Neugas". Zu verarbeiten hat die Branche ja nicht nur SF6 aus ausgedienten Schaltanlagen, sondern auch aus solchen im laufenden Betrieb: In der gut 40-jährigen Lebensdauer eines Schalters kann SF6 feucht werden oder es verschmutzt anderweitig, wodurch es weniger isoliert und ausgetauscht werden muss.
Geschäftschance: Wiederverwendung
Scheller hofft allerdings weiterhin auf ein Einsehen der Regulierungsbehörden. Er verfolgt das Geschäft in dem "potenziell sehr großen Recyclingmarkt" weiter. Wobei er sich über eine "falsche Entscheidung" seinerseits ärgert. Bereits vor etwa zehn Jahren hatte ein südeuropäischer Dilo-Vertreter vorgeschlagen, das Recyclinggeschäft in seinem Land mit einer eigens zu gründenden Firma größer aufzuziehen. Scheller lehnte ab – und stieg erst zwei Jahre später mit "Dilo Certified Gas" in den Recyclingmarkt ein. In Südeuropa allerdings hat er seit jener Zeit einen Konkurrenten mehr.
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